Entscheidungsstichwort (Thema)
Erweiterung des Nachentrichtungsantrags. Beitragsnachentrichtung. Antrag. Verletzung der Aufklärungspflicht
Leitsatz (redaktionell)
Hat der Versicherte innerhalb der Antragsfrist einen konkreten Nachentrichtungsantrag gestellt, dann kann er ihn nach Ablauf der Antragsfrist nicht erweitern.
Orientierungssatz
1. Die Ausübung des dem Versicherten in ArVNG Art 2 § 51a eingeräumten Antragsrechts ist inhaltlich die Verkörperung seines Verlangens, das in dieser Vorschrift im einzelnen umschriebene Nachentrichtungsrecht in Anspruch zu nehmen und sich auch den darin normierten Pflichten zu unterwerfen; der Versicherungsträger muß auf dieses Verlangen zwar in der gesetzlich vorgeschriebenen Weise tätig werden, seine Entscheidung hat aber keine konstitutive Bedeutung (vgl BSG 1977-12-15 11 RA 52/77 = SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 17). Da der Nachentrichtungsantrag gemäß ArVNG Art 2 § 51a (= AnVNG Art 2 § 49a) nach der ergänzenden Regelung in ArVNG Art 2 § 51a Abs 3 (= AnVNG Art 2 § 49a Abs 3) nur bis zum 1975-12-31 gegenüber dem zuständigen Rentenversicherungsträger abgegeben werden konnte, stellt sich das Nachentrichtungsrecht nach den vg Vorschriften insgesamt als ein bis zum 1975-12-31 befristetes Recht auf Abgabe einer einseitigen empfangsbedürftigen Willenserklärung zur rückwirkenden Gestaltung des Versicherungsverhältnisses dar.
2. Die wirksame Ausübung des Antragsrechts erfordert, die rechtsgestaltende Willenserklärung vor Fristablauf wenigstens in einem Umfange abzugeben, der die Bestimmung des objektiven Erklärungsinhalts zuläßt. Der Herstellungsanspruch wegen einer unzureichenden Beratung eines Versicherten setzt voraus, daß der Versicherungsträger die ihm aus dem Versicherungsverhältnis obliegende Nebenpflicht der Beratung nicht erfüllt.
3. Eine Verletzung der dem Versicherungsträger obliegenden Beratungspflicht kann erst dann angenommen werden, wenn bestimmte Gestaltungsmöglichkeiten klar zutage getreten sind, die ein verständiger Versicherter mutmaßlich auch wahrgenommen hätte (vgl BSG 1975-12-18 12 RJ 88/75 = BSGE 41, 126).
Normenkette
ArVNG Art. 2 § 51a Abs. 1 Fassung: 1972-10-16; AnVNG Art. 2 § 49a Abs. 1 Fassung: 1972-10-16; ArVNG Art. 2 § 51a Abs. 3 Fassung: 1972-10-16; AnVNG Art. 2 § 49a Abs. 3 Fassung: 1972-10-16; SGB 1 § 13 Fassung: 1975-12-11, § 14 Fassung: 1975-12-11, § 15 Fassung: 1975-12-11; RVO § 1418; AVG § 140
Verfahrensgang
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger aufgrund eines im November 1975 gestellten und hinsichtlich der Beitragszeiten und der Beitragshöhe konkretisierten Nachentrichtungsantrages gemäß Art 2 § 51a des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) berechtigt war, noch 1976 weitere Beiträge nachzuentrichten.
Der Kläger ist selbständiger Bäckermeister. Er war bis zum 31. Dezember 1973 nach dem Handwerkerversicherungsgesetz (HwVG) pflichtversichert; seither ist er versicherungsfrei, weil er Beiträge für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung von mindestens 216 Kalendermonaten entrichtet hat.
Am 24. November 1975 beantragte der durch einen Rechtsbeistand vertretene Kläger unter Verwendung des entsprechenden Formblattes der Beklagten nach Art 2 § 51a ArVNG die Nachentrichtung von je sechs freiwilligen Beiträgen der Klasse 800 für das Jahr 1962 und der Klasse 1000 für die Jahre 1963 und 1964. Die diesem Antrag entsprechenden Beiträge im Gesamtbetrage von 3.024,- DM zahlte der Kläger am 28. November 1975 bei der Beklagten ein. Weil es für den Kläger günstiger war, verwendete die Beklagte diesen Betrag für insgesamt 21 Beiträge der Klasse 800 für den Monat April 1959, das Jahr 1960 und die Monate Januar bis August 1961. In dem Begleitschreiben vom 12. Dezember 1975, mit dem die Beklagte dem damaligen Verfahrensbevollmächtigten des Klägers die Aufrechnungsbescheinigung vom 12. Dezember 1975 über die vorgenannten Beiträge übersandte, wies sie darauf hin, daß freiwillige Beiträge noch vom 1. September 1961 an für alle nicht mit Beiträgen belegten Monate bis zum 31. Dezember 1973 nachentrichtet werden könnten; der Antrag müsse bis zum 31. Dezember 1975 bei der Beklagten eingehen.
Mit Schreiben vom 6. Januar 1976 stellte sich der Kläger auf den Standpunkt, bei der vorangegangenen Beitragseinzahlung handele es sich nur um die erste Ratenzahlung, die zugleich bewirke, daß er auch noch nach dem 31. Dezember 1975 Beiträge für weitere Zeiten nachentrichten dürfe. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 10. Februar 1976 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2.Juni 1976 die Zulassung der Nachentrichtung weiterer Beiträge ab. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 10. Mai 1977), die Berufung ist ohne Erfolg geblieben (Urteil des Landessozialgerichts - LSG - vom 20. Februar 1978). Das LSG hat zur Begründung ausgeführt, der Kläger habe mit dem im November 1975 gestellten und nur auf eine bestimmte Beitragszeit gerichteten Nachentrichtungsantrag die Antrags-Ausschlußfrist des Art 2 § 51a Abs 3 Satz 1 ArVNG für die Nachentrichtung weiterer Beiträge nicht gewahrt; insbesondere könne dieser Antrag nicht als "formloser" Antrag dem Grunde nach angesehen werden, mit dem der Kläger die Antragsfrist für die Nachentrichtung weiterer Beiträge habe wahren können; einen Zusatz "erste Rate", der als Antrag auf Nachentrichtung weiterer Beiträge hätte ausgelegt werden können, enthalte der Antrag vom 24. November 1975 nicht; überdies habe sich der Kläger nicht selbst das Recht auf Teilzahlung für weitere Beiträge bewilligen können. Schließlich habe er das Schreiben der Beklagten vom 12. Dezember 1975 beachten müssen. Daran ändere nichts, daß die fristgerechte Bestimmung der Beitragszeiten und der Beitragshöhe die wirtschaftlichen Dispositionsmöglichkeiten des Klägers unter Umständen erheblich eingeschränkt haben würde. Schließlich habe die Beklagte auch keine ihr dem Kläger gegenüber obliegende Aufklärungspflicht verletzt.
Hiergegen richtet sich die Revision, mit der der Kläger geltend macht, die Nachentrichtung von Beiträgen gemäß Art 2 § 51a ArVNG könne formlos nur dem Grunde nach wirksam beantragt werden. Diesem Erfordernis entspreche der vom Kläger am 24. November 1975 gestellte Formblattantrag, so daß er auch nach dem 31. Dezember 1975 weitere Beiträge in Raten habe zahlen dürfen.
Der Kläger beantragt,
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1. |
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das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 20. Februar 1978 und das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 10. Mai 1977 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. Februar 1976 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juni 1976 aufzuheben, |
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2. |
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die Beklagte dem Grunde nach zu verurteilen, die Nachentrichtung weiterer Beiträge nach Art 2 § 51a ArVNG zuzulassen. |
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
II.
Die Revision ist nicht begründet. Das LSG hat die Nachentrichtung weiterer Beiträge gemäß Art 2 § 51a ArVNG nach dem 31. Dezember 1975 zu Recht als nicht statthaft angesehen.
Wie bereits der 11. Senat des Bundessozialgerichts - BSG -, (Urteil vom 15. Dezember 1977 - 11 RA 52/77 - SozR 5750 Art 2 § 51a) dargelegt hat, ist die Ausübung des dem Versicherten in Art 2 § 51a ArVNG eingeräumten Antragsrechts inhaltlich die Verkörperung seines Verlangens, das in dieser Vorschrift im einzelnen umschriebene Nachentrichtungsrecht in Anspruch zu nehmen und sich auch den darin normierten Pflichten zu unterwerfen; der Versicherungsträger muß auf dieses Verlangen zwar in der gesetzlich vorgeschriebenen Weise tätig werden, seine Entscheidung hat aber keine konstitutive Bedeutung. Da der Nachentrichtungsantrag gemäß Art 2 § 51a ArVNG (Art 2 § 49a Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz - AnVNG -) nach der ergänzenden Regelung in Art 2 § 51a Abs 3 ArVNG (Art 2 § 49a Abs 3 AnVNG) nur bis zum 31. Dezember 1975 gegenüber dem zuständigen Rentenversicherungsträger abgegeben werden konnte, stellt sich das Nachentrichtungsrecht nach den vorgenannten Vorschriften insgesamt als ein bis zum 31. Dezember 1975 befristetes Recht auf Abgabe einer einseitigen empfangsbedürftigen Willenserklärung zur rückwirkenden Gestaltung des Versicherungsverhältnisses dar.
Die wirksame Ausübung des Antragsrechts erfordert, die rechtsgestaltende Willenserklärung vor Fristablauf wenigstens in einem Umfange abzugeben, der die Bestimmung des objektiven Erklärungsinhalts zuläßt. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob und unter welchen Voraussetzungen ein formloses Schreiben an den Versicherungsträger, Beiträge nachentrichten zu wollen, ein hinreichend bestimmter Nachentrichtungsantrag ist, der noch nachträglich um die Bezeichnung der bestimmten Beitragszeiten und -klassen ergänzt werden kann. Denn das LSG hat festgestellt, daß der Kläger mit dem Formblattantrag vom 24. November 1975 die Nachentrichtung von Beiträgen auf die in diesem Antrag genau bezeichneten Beitragszeiten und -klassen - in der Gestalt der von der Beklagten zugunsten des Klägers vorgenommenen und auch in der Beitragsbescheinigung niedergelegten Berichtigung - beschränkt hat. Diese vom Kläger nicht mit wirksam erhobenen Verfahrensrügen angegriffene Feststellung ist für den Senat bindend (§ 163 SGG), weil die Auslegung einer Willenserklärung jedenfalls insoweit Gegenstand der tatrichterlichen Feststellung ist, wie es sich um den Wortlaut der Erklärung und um den inneren Willen des Erklärenden handelt (BSG SozR 1500 § 163 Nr 2 mwN; vgl ferner Rosenberg/Schwab, ZPO, 12. Aufl, § 144 I 5, S. 821). Der Senat muß daher davon ausgehen, daß der Antrag des Kläger vom 24. November 1975 nur auf die Nachentrichtung der in dieser Antragsfrist benannten insgesamt 18 Beiträge gerichtet war und lediglich durch die begünstigende Entscheidung der Beklagten auf die Nachentrichtung von 21 Beiträgen umgestellt worden ist. Ein Nachentrichtungsantrag, in dem Nachentrichtungszeiten konkret bezeichnet und die entsprechenden Beitragsklassen beziffert sind, kann nur als ein bestimmter und begrenzter Antrag angesehen werden, der allein auf die Nachentrichtung von Beiträgen für die genannten Beitragszeiten und in den genannten Beitragsklassen gerichtet ist.
Ob und in welchem Umfange Zusatzerklärungen zu Formblattanträgen, wie z.B. der vom Kläger genannte Zusatz "erste Rate" als wirksam gestellter Antrag auf die Nachentrichtung weiterer Beiträge anzusehen sind, ist hier nicht zu entscheiden. Das LSG hat - mangels wirksamer Revisionsrügen für den Senat ebenfalls bindend - festgestellt, daß weder der Antrag noch das Anschreiben einen Zusatz auf eine beabsichtigte Ratenzahlung oder einen sonstigen Hinweis auf die Nachentrichtung weiterer Beiträge enthielten.
An diesem Ergebnis änder nichts, daß, wie die Revision zutreffend hervorhebt, der Versicherte u.U. gezwungen wird, bereits bei der Antragstellung finanzielle Dispositionen in beträchtlichem Umfang zu treffen oder zumindest zu planen. Diese Folge muß der Versicherte, der von der außerordentlichen Nachentrichtungsmöglichkeit nach Art 2 § 49a AnVNG Gebrauch machen will, in Kauf nehmen, zumal, da er durch die Einräumung der Ratenzahlungsbefugnis bis zur Dauer von fünf Jahren eine erhebliche Streckung des Zahlungszeitraumes erreichen kann.
Schließlich entspricht das angefochtene Urteil im Ergebnis auch insoweit der Rechtsprechung des erkennenden Senats, wie das LSG eine Verletzung der Aufklärungspflicht der Beklagten verneint hat. Der Herstellungsanspruch wegen einer unzureichenden Beratung des Versicherten setzt voraus, daß der Versicherungsträger die ihm aus dem Versicherungsverhältnis obliegende Nebenpflicht der Beratung nicht erfüllt. Der erkennende Senat hat bereits in dem Urteil vom 18. Dezember 1975 - 12 RJ 88/75 - (BSGE 41, 126) dargelegt, daß eine Verletzung der dem Versicherungsträger obliegenden Beratungspflicht erst dann angenommen werden kann, wenn bestimmte Gestaltungsmöglichkeiten klar zutage getreten sind, die ein verständiger Versicherter mutmaßlich auch wahrgenommen hätte. Darüber hinaus hat der erkennende Senat in dem Urteil vom 4.April 1979 - 12 RK 36/78 - entschieden, daß eine über die allgemeine Aufklärungspflicht (vgl § 13 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - SGB I) der Beklagten hinaus bestehende Hinweispflicht auf die Möglichkeit von Ratenzahlungen, insbesondere in dem für die Stellung des Nachentrichtungsantrages zur Verfügung gestellten Vordruck oder sogar die Aufnahme eines solchen Antrages in den Text des Vordruckes nicht ohne weiteres angenommen werden kann, weil die Wahl dieses Zahlungsverfahrens eine individuelle Entschließung erfordert, für die die gegenwärtigen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und deren mutmaßliche zukünftige Entwicklung zu berücksichtigen sind. Ob etwas anderes gilt, wenn der Versicherte bei dem Versicherungsträger ausdrücklich die Beratung über Art und Umfang der Ratenzahlung beantragt, kann hier offenbleiben, weil der Kläger nach den zuvor bereits erwähnten bindenden Feststellungen des LSG keinen entsprechenden Antrag gestellt hat. Überdies hat die Beklagte nach dem vom LSG festgestellten Inhalt des Begleitschreibens zur Übersendung der Beitragsbescheinigung vom 12. Dezember 1975 den Kläger auf die Möglichkeit der Nachentrichtung weiterer Beiträge und die Notwendigkeit, diese bis zum 31. Dezember 1975 zu beantragen, hingewiesen. Damit hat die Beklagte den Kläger - obwohl sich dies für die Beklagte schon im Hinblick darauf, daß der Kläger durch einen Rechtsbeistand vertreten war, nicht ohne weiteres aufdrängte - ausdrücklich auf die für ihn noch gegebene rückwirkende Gestaltungsmöglichkeit des Versicherungsverhältnisses einschließlich des dafür zur Verfügung stehenden Zeitraumes hingewiesen. Eine Verletzung der der Beklagten obliegenden Aufklärungspflicht, die zur Nachentrichtung von Beiträgen im Wege des Herstellungsanspruches berechtigen könnte, kommt daher hier nicht in Betracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen