Leitsatz (redaktionell)
Der gesetzliche Parteienwechsel tritt auch dann ein, wenn die Versorgungsakten während des Revisionsverfahrens an das für den Wohnsitz des Klägers zuständige VersorgA abgegeben werden. Ein solcher Parteienwechsel stellt keine Klageänderung dar und ist deshalb auch im Revisionsverfahren zulässig.
Normenkette
KOVVfG § 4 Abs. 1 Fassung: 1966-12-28; SGG § 168 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 12. Februar 1970 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Kläger hat gegen das am 28. März 1970 zugestellte Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Berlin vom 12. Februar 1970 durch einen beim Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen Prozeßbevollmächtigten am 16. April 1970 Revision eingelegt und diese zugleich begründet. Mit Verfügung vom 14. April 1970 hat das Versorgungsamt (VersorgA) Berlin im Hinblick auf den Wohnsitzwechsel des Klägers von Berlin nach Nassau/Lahn die Versorgungsakten dem zuständigen VersorgA Koblenz übersandt. Dort sind sie am 30. April 1970 eingegangen. Das Landesversorgungsamt (LVersorgA) Berlin vertritt die Auffassung, daß damit ein im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtender Parteiwechsel eingetreten und nunmehr das Land Rheinland-Pfalz zur Sache legitimiert sei. Das LVersorgA Rheinland-Pfalz ist der Meinung, daß auch einem gesetzlichen Parteiwechsel die Bedeutung einer im Revisionsverfahren nach § 168 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) unzulässigen Klageänderung zukomme; die Verpflichtung zur Sache sei deshalb bei dem Land Berlin verblieben.
Da das LSG die Revision nicht zugelassen hat und eine Gesetzesverletzung bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung mit einer Schädigung im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) nicht gerügt worden ist (§ 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG), wäre die Revision nur statthaft, wenn der Kläger einen wesentlichen Mangel des Verfahrens mit Erfolg gerügt hätte (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Dies ist nicht der Fall.
Die Revision rügt Verletzung der §§ 128 Abs. 1 Satz 2, 136 Abs. 1 Nr. 6, 150 Nr. 2 SGG. Zu Unrecht habe das LSG bei der Prüfung der Zulässigkeit der Berufung zur Frage der Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) festgestellt, daß die gegen das erstinstanzliche Urteil erhobenen Rügen solche des materiellen Rechts, nicht des prozessualen Verfahrens seien.
Die Unterstellung des Sozialgerichts (SG), daß bei der Festsetzung des MdE-Grades von 80 v. H. im Bescheid vom 26. Juli 1958 das Vorliegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins bereits berücksichtigt worden sei, beruhe auf einer unzutreffenden Beurteilung des Inhalts der Versorgungsakten. Auf die Widersprüche zwischen dem Urteil des SG und dem Inhalt, der Versorgungsakten habe der Kläger in dem Berufungsschriftsatz vom 7. Mai 1969 im einzelnen hingewiesen. So habe das SG verkannt, daß für die Zuerkennung von Rente nach einer MdE um 80 v. H. im Bescheid vom 26. Juli 1958, die auch dem streitigen Abhilfebescheid vom 27. November 1967 zugrunde gelegt worden sei, allein die MdE im allgemeinen Erwerbsleben maßgebend gewesen sei, und daß nicht allein der Verlust des linken Beines im oberen Drittel des Oberschenkels, vielmehr zusätzlich die Versteifung des Hüftgelenks in Abduktion als Schädigungsfolge anerkannt gewesen sei. Auch die Auffassung des SG, daß eine Erhöhung der Rente wegen beruflichen Betroffenseins nur auf Grund einer Anwendung des § 62 Abs. 1 BVG erfolgen könne, sei unrichtig. Da das LSG auf die prozessual erheblichen Tatsachen nicht eingegangen sei und nicht dargelegt habe, weshalb das Erstgericht seine Überzeugung aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens habe gewinnen können, entbehre das Urteil insoweit auch der Entscheidungsgründe und verstoße gegen § 136 Abs. 1 Nr. 6 SGG. Das LSG hätte deshalb zur Frage der Höhe der MdE die Zulässigkeit der Berufung nach § 150 Nr. 2 SGG bejahen müssen, wenn es die Verfahrensfehler des SG erkannt hätte.
Nach § 4 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG) ist auf Grund der nach Einlegung der Revision erfolgten Abgabe der Akten an das für den Wohnsitz des Klägers zuständige VersorgA Koblenz das Land Rheinland-Pfalz an die Stelle des bis dahin zur Sache legitimierten Landes Berlin getreten (BSG 27, 200, 204). Durch diese Abgabe der Akten ist ein gesetzlicher Parteiwechsel eingetreten, der, wenn er für die prozessualen Wirkungen der Entscheidung im Revisionsverfahren - bei Verwerfung der Revision - auch keine besondere praktische Bedeutung hat, doch nicht ebenso zu behandeln ist wie der gewillkürte Parteiwechsel durch Einführung eines neuen Beklagten in den Prozeß; nur ein solcher Parteiwechsel stellt eine Klageänderung dar und ist deshalb gemäß § 168 SGG im Revisionsverfahren unzulässig (BSG 8, 113, 114 f; 10, 97, 102). Im vorliegenden Fall handelt es sich jedoch um eine kraft Gesetzes eingetretene Rechts- und Funktionsnachfolge des Beklagten, somit um eine Änderung des Prozeßrechtsverhältnisses, die das Prozeßführungsrecht, nämlich das Recht des Beklagten betrifft, einen bestimmten Prozeß als richtige Partei zu führen (Baumbach-Lauterbach, ZPO, 28. Aufl. Grundz. 4 vor § 50 ZPO), und die deshalb als eine das Revisionsverfahren unmittelbar berührende unverzichtbare Prozeßvoraussetzung ebenso zu berücksichtigen ist wie etwa der Tod eines Beteiligten oder der Verlust der Prozeßfähigkeit (vgl. BSG, Urteil vom 23. November 1966 - 3 RK 90/63 - in SozR Nr. 3 zu § 168 SGG). In dem durch Urteil vom 23. November 1966 entschiedenen Falle handelte es sich zwar um eine zugelassene Revision. Bei der nicht zugelassenen Revision kann jedoch nichts anderes gelten, weil die Aufrechterhaltung der Klage und der Revision gegen das Land Berlin, nachdem dieses die Prozeßführungsbefugnis eingebüßt hat, das ganze Verfahren unzulässig machen würde (vgl. BSG 6, 278, 282 f; 14, 230, 233 und Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 8. Aufl. § 45 I 2 S. 193). Deshalb ist als Beklagter das Land Rheinland-Pfalz in das Rubrum eingesetzt worden.
Die Rügen des Klägers sind nicht geeignet, die Revision statthaft zu machen. Das SG hat geprüft, ob die mit dem Abhilfebescheid vom 27. November 1967 versagte Höherbewertung der MdE gemäß § 30 Abs. 2 BVG wegen besonderen beruflichen Betroffenseins rechtswidrig sei. In dem Bescheid vom 27. November 1967 ist hierzu ausgeführt, daß der (am 17. Juni 1894 geborene) Kläger das 65. Lebensjahr vollendet habe und nicht mehr im Erwerbsleben stehe. Das SG hat ausgeführt, eine Erhöhung der MdE nach § 62 BVG sei nicht gerechtfertigt, weil in Bezug auf eine besondere berufliche Betroffenheit eine Änderung in den Verhältnissen nicht eingetreten sei, da der Kläger im Jahre 1958 (d.h. bei Erlaß des Bescheides vom 26. Juli 1958) seinen erlernten Beruf nicht mehr ausgeübt habe. Der Kläger hat diese Feststellung des SG im Berufungsverfahren nicht beanstandet. Welchen Beruf er erlernt hatte (vgl. den Schriftsatz des Klägers vom 7. Mai 1969), war für die Frage einer Neufeststeilung des Versorgungsanspruchs nach § 62 Abs. 1 BVG, d. h. "zu diesem verfahrens- rechtlichen Teil des klägerischen Begehrens", ohne Bedeutung. Zutreffend hat das SG ausgeführt, mit Rücksicht darauf, daß der Bescheid vom 26. Juli 1958 bindend geworden sei und die besondere berufliche Betroffenheit nur einen der Bemessungsfaktoren für die Höhe der MdE darstelle, sei davon auszugehen (d.h. grundsätzlich), daß die MdE 1958 in der richtigen Höhe festgesetzt und eine berufliche Betroffenheit, sofern sie vorliege, auch berücksichtigt worden sei. Diese die Festsetzung des MdE-Grades betreffenden allgemeinen Ausführungen sowie der Hinweis, daß die Zuerkennung eines Berufsschadensausgleichs auch die Anerkennung eines besonderen beruflichen Betroffenseins bedeute, halten sich im Rahmen sachlich-rechtlicher Erwägungen, denen das LSG bei der verfahrensrechtlichen Prüfung des Urteils des SG nicht nachzugehen hatte (BSG 2, 84, 87), zumal die für die Neufeststellung des Versorgungsanspruchs nach § 62 Abs. 1 BVG erforderlichen Voraussetzungen jedenfalls nicht vorlagen. Wenn das SG in diesem Zusammenhang nicht geprüft hat, ob ein Zugunstenbescheid nach § 40 Abs. 1 VerwVG hätte ergehen können oder müssen, so handelt es sich hierbei allenfalls nur um das Übersehen einer sachlich-rechtlichen Vorschrift des Versorgungsrechts. Im übrigen hatte der Kläger, der den Antrag auf Anerkennung einer höheren Rente nach § 30 Abs. 2 BVG erst im März 1967 gestellt hatte, eine berufliche Tätigkeit (als Angestellter) überhaupt nur bis zum 31. Dezember 1959 ausgeübt. Daß das LSG die Anwendbarkeit des § 40 Abs. 1 VerwVG nicht erwähnt hat, beruht anscheinend darauf, daß es eine ermessene fehlerhafte Ablehnung einer rückwirkenden Erhöhung der MdE nach § 40 Abs. 1 VerwVG (für die Zeit von 1959 bis März 1967) wohl für ausgeschlossen hielt. Das Fehlen eines Hinweises auf § 40 Abs. 1 VerwVG beruht aber nicht auf einer Verkennung des Sachverhalts und damit des Gesamtergebnisses des Verfahrens. Das ergibt sich schon daraus, daß das SG nur hilfsweise festgestellt und begründet hat, weshalb es der Auffassung sei, daß das Vorliegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins bei der Festsetzung der MdE im Jahre 1958 bereits berücksichtigt worden sei. Es hat nämlich damit klargestellt, daß von seiner sachlich-rechtlichen Auffassung aus nach bindender Festsetzung der MdE im Bescheid vom 26. Juli 1958 ein Anspruch auf eine höhere Rente als nach einer MdE um 80 v.H. nur nach § 62 Abs. 1 BVG in Betracht gezogen werden könne und - im übrigen - auch anzunehmen sei, daß das besondere berufliche Betroffensein hier nicht unberücksichtigt geblieben sei. An die sachlich-rechtliche Auffassung des SG war das LSG bei der Prüfung des Urteils des SG auf Verfahrensmängel gebunden, soweit das Urteil auf ihr beruhte. Auf der Hilfserwägung beruht das Urteil des SG aber nicht. Wenn das SG bei seiner Hilfserwägung nicht ausreichend beachtet haben sollte, daß unter Berücksichtigung der anerkannten "Versteifung des Hüftgelenks in Abduktion" (neben dem Verlust des linken Beines im oberen Drittel des Oberschenkels) und der ungünstigen Stumpfverhältnisse sowie des beruflichen Betroffenseins unter Umständen auch eine höhere Rente als nach einer MdE um 80 v.H. hätte festgesetzt werden können, so war, wie ausgeführt, ein solcher Irrtum für das Urteil des SG nicht entscheidend. Deshalb konnte das LSG im Ergebnis zu der Auffassung kommen, daß ein Irrtum des SG bei der Bemessung des Grades der MdE wegen Außerachtlassung der anerkannten Versteifung des Hüftgelenks in Abduktion das materielle Recht, nicht das prozessuale Verfahren betreffe. Das Urteil des LSG enthält auch keine Verletzung der §§ 136 Abs. 1 Nr. 6, 128 Abs. 1 Satz 2 SGG, denn es entbehrt nicht der Entscheidungsgründe zu dem von dem Kläger geltend gemachten Anspruch auf eine höhere Rente und gibt den Grund an, der für die richterliche Überzeugung leitend gewesen ist (vgl. BSG in SozR Nr. 9 zu § 136 SGG). Das LSG hat die Unzulässigkeit der Berufung hinsichtlich des Anspruchs auf eine höhere MdE zwar nur kurz begründet. Für eine hinreichende Würdigung der Sach- und Rechtslage bedarf es aber nicht notwendig eines Eingehens auf jedes einzelne Vorbringen eines Beteiligten, sofern sich nur aus dem Urteil ergibt, daß das Berufungsgericht alle für seine Entscheidung maßgebenden Umstände sachentsprechend gewürdigt hat (BSG 1, 91). Dies ist hier durch die Hervorhebung des tragenden Gesichtspunktes der Bindung des LSG an die sachlich-rechtliche Auffassung des SG geschehen.
Da hiernach ein wesentlicher Verfahrensmangel nicht mit Erfolg gerügt und eine Gesetzesverletzung im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG nicht geltend gemacht worden ist, war die somit unstatthafte Revision nach § 169 Satz 2 SGG als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen