Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf jugoslawisches Kindergeld. Zahlungsanspruch. Rentenstammrecht
Orientierungssatz
1. Während des gewöhnlichen Aufenthaltes in dem Gebiet des anderen Vertragsstaates kann iS des Art 26 Abs 2 S 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit eine entsprechende Leistung für dasselbe Kind nur dann "beansprucht" werden, wenn ein Recht sowohl auf die Bewilligung dieser Leistung als auch auf ihre Auszahlung an den Berechtigten besteht (vgl BSG 19.5.1983 1 RA 51/82 = BSGE 55, 131).
2. Zur Auslegung der Begriffe Anspruch, Beanspruchen-Können, Anspruch auf Leistungen und Anspruch dem Grunde nach.
3. Die Leistung für Kinder von Rentenberechtigten ist kein Ausfluß des Rentenstammrechts. Sie ist aber auch nicht nur ein Zuschuß, sondern auch Bestandteil der Rente iS der monatlichen Einzelleistung (vgl BSG 27.2.1986 1 RA 5/85 = SozR 2200 § 1262 Nr 33).
Normenkette
RVO § 1262 Abs 1 Fassung: 1983-12-22; SozSichAbk YUG Art 25 Abs 2; SozSichAbk YUG Art 26 Abs 2 S 1; SozSichAbk YUG Art 26 Abs 2 S 4
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 11.03.1985; Aktenzeichen L 5 Ar 561/83) |
SG Landshut (Entscheidung vom 15.09.1983; Aktenzeichen S 3 Ar 269/82) |
Tatbestand
Streitig ist der Anspruch des Klägers auf den Kinderzuschuß zur Erwerbsunfähigkeitsrente für die Kinder D. (geb am 22.04. 1966), I. (geb am 21.05.1968), M. (geb am 21.05.1968) und I. (geb am 16.11.1972).
Der im Jahre 1945 geborene Kläger, jugoslawischer Staatsangehöriger und wohnhaft in Jugoslawien, hat in der Bundesrepublik Deutschland zwischen 1970 und 1978 Pflichtbeiträge für 78 Monate und in Jugoslawien für 3 Monate und 4 Tage entrichtet. Durch Bescheid vom 27. September 1980, ergänzt durch Bescheid vom 24. Januar 1981, bewilligte die Beklagte dem Kläger Erwerbsunfähigkeitsrente vom 1. August 1979 an. Die Bescheide enthielten den Zusatz, daß die Rente ohne Kinderzuschuß gewährt werde bis zu einer Äußerung des jugoslawischen Versicherungsträgers über einen vorrangigen Anspruch auf jugoslawisches Kindergeld.
Im Oktober 1981 teilte der jugoslawische Träger mit, daß der Antrag des Klägers auf Kindergeld abgelehnt worden sei, weil "der Versicherte den Anspruch auf anteilmäßige Invalidenrente nicht verwirklichte."
Hierauf lehnte auch die Beklagte durch Bescheid vom 11. Juni 1982 die Gewährung von Kinderzuschüssen ab mit der Begründung, es bestehe wegen der jugoslawischen Versicherungszeit "dem Grunde nach" ein Anspruch auf jugoslawisches Kindergeld. Der hiergegen erhobene Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 21. Juli 1982).
Die Klage hatte dagegen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat im angefochtenen Urteil vom 11. März 1985 die Berufung der Beklagten gegen die Kinderzuschüsse zusprechende Entscheidung des Sozialgerichts (SG) vom 15. September 1983 zurückgewiesen. Zur Begründung führt das LSG aus, nach Art 26 Abs 2 Satz 1 des deutsch-jugoslawischen Abkommens über Soziale Sicherheit vom 12. Oktober 1968 (Abkommen) könne in Übereinstimmung mit dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19. Mai 1983 - 1 RA 51/82 - (BSGE 55, 131 = SozR 6555 Art 26 Nr 1) ein Anspruch auf Kinderzuschuß zur deutschen Rente nur dann nicht geltend gemacht werden, wenn ein Anspruch auf Auszahlung und nicht nur dem Grunde nach gegenüber dem jugoslawischen Träger bestehe. Im vorliegenden Fall sei ein jugoslawisches Kindergeld nicht zu zahlen. Dies begründe einen Anspruch auf den deutschen Kinderzuschuß.
Gegen diese Rechtsauffassung wendet sich die Beklagte mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision. Sie rügt eine Verletzung von Art 26 Abs 2 des Abkommens und trägt dazu vor, die bisherige Rechtsprechung des BSG, die darauf abstelle, ob das jugoslawische Kindergeld gezahlt werde, beruhe auf zivilrechtlichen Erwägungen, berücksichtige zu wenig die Besonderheiten des Abkommens und widerspreche der verbindlichen Auslegung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA). Die Kinderzuschüsse seien kein Ausfluß des Rentenstammrechts, sondern ein Zuschuß zum Unterhalt des Kindes, sofern dieser nicht anderweitig gesichert sei. Dies gelte auch für die nach jugoslawischem Recht zu erbringenden Leistungen für Kinder. Das Abkommen regele die Leistungsbeständigkeit nach dem Wohnlandprinzip. Der Kläger habe aufgrund seiner jugoslawischen Versicherungszeiten dem Grunde nach einen Anspruch auf eine jugoslawische Invaliditätsrente und damit auch auf das jugoslawische Kindergeld. Übernommen werde nur die jugoslawische Zeit, nicht aber ein darauf beruhender Anspruch auf jugoslawisches Kindergeld. Diese Rechtsauffassung decke sich mit der des BMA.
Die Beklagte beantragt, die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 11. März 1985 und des Sozialgerichts Landshut vom 15. September 1983 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid der Landesversicherungsanstalt Niederbayern-Oberpfalz vom 11. Juni 1982 idF des Widerspruchsbescheides vom 21. Juli 1982 abzuweisen.
Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet.
Der Kläger hat Anspruch auf Kinderzuschuß nach Maßgabe des § 1262 der Reichsversicherungsordnung (RVO), auch idF des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 vom 22. Dezember 1983 (BGBl I 1532). Diesem Anspruch steht das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über soziale Sicherheit (Abkommen) vom 12. Oktober 1968 (BGBl 1969 II 1438) nicht entgegen.
Nach Art 26 Abs 2 Satz 1 des Abkommens kann, wenn Anspruch auf Leistungen besteht, die mit Rücksicht auf die Kinder des Berechtigten gewährt werden, der Anspruch nicht geltend gemacht werden, solange der Berechtigte sich im Gebiet des anderen Vertragsstaates gewöhnlich aufhält und nach den in Art 2 genannten Rechtsvorschriften dieses Vertragsstaates für dasselbe Kind entsprechende Leistungen beansprucht werden können. An letzterem fehlt es. Der Kläger kann derartige Leistungen in Jugoslawien, zu denen auch das dortige Kindergeld gehört (vgl Nr 9 des Schlußprotokolls zum Abkommen iVm Art 2 Abs 1 Nr 2 Buchst d des Abkommens), nicht beanspruchen; ihm steht darum der Anspruch auf Kinderzuschuß zur deutschen Rente zu.
Der 1. Senat des BSG hat in dem zitierten Urteil untersucht, wie in Art 26 Abs 2 Satz 1 des Abkommens die Begriffe "Anspruch" (auf Leistungen, die mit Rücksicht auf Kinder des Berechtigten gewährt werden - hier: Anspruch auf den Kinderzuschuß zur deutschen Rente -) und "beansprucht werden können" (bezogen auf entsprechende Leistungen im Aufenthaltsland des Berechtigten - hier: jugoslawisches Kindergeld) auszulegen sind. Er hat überzeugend dargelegt, daß im Falle der Inanspruchnahme einer Geldleistung aus der Sozialversicherung unter "Anspruch" regelmäßig auch der auf Auszahlung des Betrages zu verstehen ist (aaO S 134 f). Da nach dem Abkommenswortlaut bereits ein "Beanspruchen-Können" der entsprechenden Leistungen - hier des jugoslawischen Kindergeldes - den Anspruch auf den Kinderzuschuß zur deutschen Rente ausschließt, wird diese Rechtsfolge allerdings bereits ausgelöst, wenn ein realisierbarer Zahlungsanspruch auf jugoslawisches Kindergeld besteht; sofern also jugoslawisches Kindergeld nur auf Antrag gewährt werden sollte, könnte durch das Unterlassen eines solchen Antrages nicht die Gewährung des Kinderzuschusses zur deutschen Rente bewirkt werden.
Der demgegenüber von der Beklagten - offenbar im Anschluß an das Schreiben des BMA vom 11. Dezember 1984 - eingenommene Standpunkt, für das "Beanspruchen-Können" einer entsprechenden jugoslawischen Leistung reiche es aus, wenn der Anspruch "dem Grunde nach" bestehe, überzeugt nicht. Ergänzend zu den Ausführungen des 1. Senats des BSG ist dabei das Augenmerk darauf zu richten, daß Art 26 Abs 2 Satz 1 des Abkommens den "Anspruch auf Leistungen" betrifft. Dieser Begriff kennzeichnet im deutschen Rentenversicherungsrecht die einzelnen zahlbaren monatlichen Rentenleistungen, nicht den Anspruch auf Versicherungsleistungen schlechthin, also nicht das "Recht auf Rente" (BSG, Großer Senat, Beschluß vom 21. Dezember 1971 - GS 4/71 = BSGE 34, 1, 4), auch nicht das sogenannte Rentenstammrecht. Zutreffend geht daher auch die Beklagte in ihrer Revisionsschrift davon aus, daß die Leistung für Kinder des Berechtigten kein Ausfluß des Rentenstammrechts ist. Sie ist aber auch nicht, wie die Beklagte meint, im deutschen Recht "nur ein Zuschuß", sondern - worauf es im Zusammenhang mit der hier vorzunehmenden Auslegung ankommt - Bestandteil der Rente im Sinne der monatlichen Einzelleistung (vgl auch BSG, Urteil vom 27. Februar 1986 - 1 RA 5/85 - und die dort S 10 zitierte Rechtsprechung). Deshalb gehen auch diejenigen Überlegungen der Beklagten am Kern der zu treffenden Entscheidung vorbei, die sich damit befassen, daß vorliegend ein an sich auch gegen den jugoslawischen Träger bestehender Rentenanspruch nach jugoslawischem Recht nicht geltend gemacht werden kann, weil nach jugoslawischem Recht eine Versicherungszeit von weniger als zwölf Monaten anzurechnen ist, und daß deshalb der deutsche Träger diese Zeit berücksichtigt (Art 25 Abs 2 des Abkommens). Sollte die Auffassung der Beklagten zutreffen, daß hinsichtlich dieser sog Minizeit eine Art Rentenstammrecht in Jugoslawien entstanden und verblieben ist, so folgt auch unter Zugrundelegung ihrer Ansicht daraus nicht, daß in Jugoslawien ein realisierbarer Anspruch auf Zahlung von Kindergeld besteht.
Im übrigen ist unklar, was unter dem von der Beklagten als erheblich angesehenen Kriterium des Anspruches (auf Leistungen) "dem Grunde nach" verstanden werden soll. Es bleibt offen, wie eine wiederkehrende Leistung in bezug auf Zeiträume verlangt werden könnte, für die der "Verpflichtete" nichts zu leisten hat (vgl auch § 130 SGG und § 304 Abs 1 der Zivilprozeßordnung). In § 42 Abs 1 SGB 1 wird beispielsweise ein bestehender Anspruch auf Geldleistungen "dem Grunde nach" in bezug darauf, daß "zur Feststellung seiner Höhe voraussichtlich längere Zeit erforderlich" sei, für die Zahlung von Vorschüssen vorausgesetzt; es wird also vom Anspruch auf Zahlung der Leistung ausgegangen.
Nach alledem kann, zumal bei der Auslegung zwischenstaatlicher Abkommen dem Vertragstext im allgemeinen noch größere Bedeutung beizumessen ist als bei der Auslegung innerstaatlichen Rechts dem Gesetzeswortlaut (BSGE 36, 123, 126), mit dem "Beanspruchen-Können" entsprechender Leistungen nur gemeint sein, daß ein realisierbarer Zahlungsanspruch besteht. Dafür spricht auch die Konzeption des Abkommens. Zwar mag der Einwand der Beklagten gegen das Urteil des 1. Senats, das den in Art 4 Abs 1 Satz 1 des Abkommens verankerten Grundsatz des Leistungsexports betont hat (aaO 138), nicht ganz von der Hand zu weisen sein; denn Art 26 Abs 2 des Abkommens geht vom Wohnlandprinzip insofern aus, als die Kinderleistung - wenn darauf in beiden Staaten ein Anspruch besteht - der Staat zu erfüllen hat, in dessen Gebiet sich der Berechtigte "gewöhnlich aufhält". Dies gilt aber gerade dann nicht, wenn der Anspruch auf die Kinderleistung nur nach den Rechtsvorschriften eines der beiden Vertragsstaaten gegeben ist; dann wird nur dieser Staat zur Leistung verpflichtet. Das ergibt sich nicht nur aus Art 26 Abs 2 Satz 1 des Abkommens, sondern auch aus dem damit korrespondierenden Satz 4, wonach in einem solchen Fall die Leistung nur zur Hälfte gewährt wird, wenn die Voraussetzungen für den Anspruch nur unter Berücksichtigung des Art 25 Abs 1 des Abkommens erfüllt sind, also wenn zum Leistungserwerb Versicherungszeiten herangezogen werden müssen, die nach den Rechtsvorschriften des anderen Staates anrechnungsfähig sind. Dies zeigt, daß die Vertragsstaaten selbst für den Fall, daß der Berechtigte nach den Vorschriften des ersten Staates allein keinen Rentenanspruch hat, von einer Gewährung der Leistung zur Hälfte durch diesen Staat ausgegangen sind, wenn sich der Berechtigte im zweiten Staat ständig aufhält und dort keine Kinderleistung beansprucht werden kann. Da nach dem Sinnzusammenhang unter "Gewährung" eine Zahlung zu verstehen ist, bedeutet dies, daß mit der Abkommensregelung zwar einerseits die gleichzeitige Zahlung sowohl des deutschen Kinderzuschusses wie auch des jugoslawischen Kindergeldes ausgeschlossen, andererseits aber auch verhindert werden sollte, daß - beim Bestehen eines innerstaatlichen Leistungsanspruches - kraft Abkommens für ein Kind überhaupt keine Leistung gewährt wird.
Entspräche die von der Beklagten vertretene Rechtsauffassung dem Willen des deutschen Vertragspartners, so hätte sie im Abkommen zum Ausdruck gebracht werden müssen. Die Gerichte können an dem innerstaatliches Recht gewordenen Vertragsinhalt (vgl Art 59 Abs 2 des Grundgesetzes) eine Korrektur in diesem Sinne nicht im Wege der Auslegung herbeiführen.
Der innerstaatliche Anspruch des Klägers auf Zahlung der Kinderzuschüsse ist somit nicht entfallen. Die Revision war deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen