Entscheidungsstichwort (Thema)
Abrechnungsfähigkeit von fachfremden Leistungen und von sogenannten Annexleistungen
Leitsatz (redaktionell)
1. In der Ersatzkassenpraxis können vom Vertragszahnarzt nur solche Leistungen abgerechnet werden, für die er die Beteiligung erhalten hat; maßgebend ist der im Beteiligungsbeschluß festgestellte Umfang der Behandlungsbefugnis.
2. Über den Umfang der Beteiligung hinaus sind lediglich solche Leistungen abrechnungsfähig, die als Nebenleistungen von untergeordneter Bedeutung im Rahmen eines einheitlichen Behandlungsvorganges in unmittelbarem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit einer (erlaubten) Grundbehandlung notwendig werden (sogenannte Annexleistungen).
Normenkette
ZHG § 19 Fassung: 1952-03-31; ZHG§19ZG § 3 Fassung: 1970-04-27, § 5 Fassung: 1970-04-27
Tenor
Auf die Sprungrevision des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 28. März 1973 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten über die Abrechnungsfälligkeit von Leistungen des Klägers, die er für das zweite Quartal 1971 (II/71) auf Krankenschein einer - dem beigeladenen Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V. (VdAK) angehörenden - Ersatzkasse abgerechnet hat. Er ist aufgrund einer Übergangsbestimmung (§ 19) des Gesetzes über die Ausübung der Zahnheilkunde (ZHG) vom 31. März 1952 (BGBl I S. 221) als Dentist tätig, für seinen derzeitigen Praxisort seit März 1971 zur Kassenpraxis zugelassen und seit April 1971 auch an der Ersatzkassenpraxis beteiligt (Gesetz über die Zulassung von nach § 19 des Zahnheilkundegesetzes berechtigten Personen zur Behandlung der Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung - ZulG - vom 27. April 1970, BGBl I S. 415). Der Umfang seiner zahnheilkundlichen Tätigkeit ist im Beteiligungsbeschluß auf Füllungen, Extraktionen, Wurzelbehandlungen und Zahnersatz festgelegt worden (Beschluß des VdAK-Beteiligungsausschusses der Beklagten vom 31. März 1971, gegen den der Kläger keinen Widerspruch erhoben hat). Mit dem gleichen Behandlungsumfang war er vorher von der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KZVW-L), in deren Bereich er bis März 1971 gewohnt hatte, in das Verzeichnis nach § 3 Abs. 2 ZulG eingetragen, vom Zulassungsausschuß Westfalen-Lippe zur Kassenpraxis zugelassen und vom VdAK-Beteiligungsausschuß der KZVW-L an der Ersatzkassenpraxis beteiligt worden; auf seinen Widerspruch hatte ihm jedoch die KZVW-L mitgeteilt, daß er die gesamte Zahnheilkunde im Rahmen der Kassenzulassung in dem bis zum 31. März 1952 ausgeübten Umfange weiterhin ausüben dürfe, einer besonderen Fixierung dieser Feststellung in der Registerakte bedürfe es nicht, die Erwähnung der vier Behandlungsgruppen stelle lediglich eine "Grobklassifizierung" dar. Nach der Übersiedlung in den Bezirk der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KZVN) war er in deren Verzeichnis nach § 3 Abs. 2 ZulG im Wege der "Umregistrierung" eingetragen worden. Der Zulassungsausschuß Westfalen-Lippe hatte infolge seines Wegzugs das Ende der früheren Zulassung festgestellt.
Für II/71 rechnete der Kläger u.a. eine Leistung nach Position Ä 161 des Gebührentarifs A zum Zahnarzt/Ersatzkassenvertrag - EKV-Zahnärzte - (Eröffnung eines oberflächlichen, unmittelbar unter der Haut oder Schleimhaut gelegenen Abszesses) und eine mit dieser Leistung in Zusammenhang stehende Leistung nach Position 39 (Oberflächenanästhesie) ab. Nachdem die örtliche Abrechnungsstelle dies mit Schreiben vom 20. Juli 1971 beanstandet und der Kläger dagegen Widerspruch erhoben hatte, wies der Vorstand der Beklagten den Widerspruch in einem Beschluß vom 4. Dezember 1971 als unbegründet zurück, weil seine Beteiligung an der Ersatzkassenpraxis die streitigen Leistungen nicht umfasse; auf die Auskunft der KZVW-L könne er sich nicht berufen (Bescheid vom 10. Dezember 1971).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen, aber die Berufung zugelassen: Die KZVN habe hier nach § 12 des EKV-Zahnärzte über die Abrechnungsfähigkeit der streitigen Leistungen zu entscheiden gehabt und deren Abrechnungsfähigkeit auch mit Recht verneint, weil der Kläger - unabhängig von seiner Behandlungsbefugnis bei Privatpatienten - insoweit nicht an der Ersatzkassenpraxis beteiligt sei. Maßgebend sei für den Umfang seiner Beteiligung der bindend gewordene Beschluß des VdAK-Beteiligungsausschusses der Beklagten vom 31. März 1971; ob dieser nur deklaratorische Bedeutung habe, könne dahinstehen, denn er stimme hinsichtlich des Behandlungsumfangs mit der - ebenfalls bindend gewordenen - Eintragung des Klägers in das Verzeichnis nach § 3 Abs. 2 ZulG überein, auf den Inhalt der Registerakten komme es nicht an. Der Beteiligungsbeschluß erwähne die Behandlung von Mundkrankheiten nicht, diese gehörten auch nicht zu den vier Behandlungsarten, für die der Kläger beteiligt worden sei. Die Beklagte sei schließlich nicht verpflichtet, von Amts wegen eine Ergänzung des Beteiligungsbeschlusses und der Registereintragung herbeizuführen, denn zur Behandlung von Mundkrankheiten könne der Kläger - als ein nicht staatlich anerkannter Dentist - nicht beteiligt werden, wenn sogar die staatlich anerkannten Dentisten nach § 123 der Reichsversicherungsordnung (RVO) idF des ZHG davon ausgeschlossen seien. Das ZulG habe beide Gruppen von Dentisten gleichstellen, den nicht staatlich anerkannten Dentisten aber keine weitergehenden Behandlungsbefugnisse als den staatlich anerkannten einräumen wollen. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Februar 1969 und aus Art. 12 des Grundgesetzes (Urteil vom 28. März 1973).
Der Kläger hat mit Einwilligung der Beklagten Sprungrevision eingelegt und im wesentlichen geltend gemacht: Der Umfang seiner Behandlungsbefugnis sei im Beteiligungsbeschluß zu Unrecht auf Füllungen, Extraktionen, Wurzelbehandlungen und Zahnersatz beschränkt worden. Unbestritten habe er bis zum Inkrafttreten des ZHG die Zahnheilkunde in vollem Umfange - einschließlich einer Behandlung von Mundkrankheiten - ausgeübt. In gleichem Umfange sei er deshalb nach § 19 ZHG weiter ausübungsberechtigt, nach dem ZulG zur Kassenpraxis zugelassen und an der Ersatzkassenpraxis beteiligt, wie ihm auch die KZVW-L bestätigt habe. Hierauf habe der Kläger vertrauen dürfen. Die Bestimmungen über die Eintragung des Behandlungsumfangs in das Verzeichnis nach § 3 Abs. 2 ZulG und in den Zulassungsbeschluß hätten als Ordnungsvorschriften lediglich deklaratorische Bedeutung und änderten am Umfang seiner Behandlungsbefugnis nichts; im übrigen sei für deren Umfang - jedenfalls hier - auch der Inhalt der Registerakten heranzuziehen. Daß sich die staatlich anerkannten Dentisten damit abgefunden hätten, daß sie - nach § 123 RVO - in der Kassenpraxis von der Behandlung von Mundkrankheiten ausgeschlossen seien, sei unerheblich.
Der Kläger Beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 28. März 1973, den Beschluß des Vorstandes der Beklagten vom 4. Dezember 1971 und den Bescheid der Abrechnungsstelle der Beklagten vom 20. Juli 1971 aufzuheben.
Die Beklagte und der Beigeladene beantragen unter Bezug auf die Gründe des angefochtenen Urteils,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Die Beklagte bestreitet vorsorglich, daß der Kläger bis zum 31. März 1952 die Zahnheilkunde in vollem Umfang ausgeübt habe.
II
Der Senat hat über die Sprungrevision - wie schon das SG über die Klage - mit zwei Kassenzahnärzten als ehrenamtlichen Richtern entschieden; denn der Rechtsstreit gehört zu den "Angelegenheiten der Kassenzahnärzte" im Sinne des § 12 Abs. 3 Satz 2 SGG. Ob die beklagte KZW (ihre Abrechnungsstelle und - auf den Widerspruch des Klägers - ihr Vorstand) über die Abrechnungsfähigkeit der streitigen Leistungen zu entscheiden hatte, wie das SG unter Hinweis auf § 12 des EKV-Zahnärzte angenommen hat ("Die KZV stellt die Abrechnungen rechnerisch richtig ..."), oder ob insoweit die Prüfungseinrichtungen der KZVN (Prüfungsausschuß, Beschwerdeausschuß) zuständig waren (nach § 14 Satz 3 des EKV-Zahnärzte sind sie "berechtigt, und ggf. verpflichtet, in den Fällen, in denen die vertraglichen Bestimmungen nicht beachtet worden sind, die Abrechnungen entsprechend zu berichtigen"), kann dahinstehen (in BSG 31, 33, 35 sind die Prüfungsinstanzen auch für die Berichtigung von Honorarforderungen wegen eines unrichtigen Gebührenansatzes für zuständig gehalten worden; in einem Urteil vom 6. Mai 1975, 6 RKa 25/74, das eine Honorarberichtigung nach dem Arzt-Ersatzkassenvertrag betraf, ist die Frage der Zuständigkeit offen geblieben). In jedem Falle hatten hier über die Abrechnungsfähigkeit der Leistungen des Klägers Stellen der KZVN zu entscheiden, die bei der Beschlußfassung ausschließlich mit Vertragszahnärzten besetzt sind. Das gilt auch für die Prüfungseinrichtungen, ungeachtet dessen, daß an den Sitzungen des Beschwerdeausschusses ein Vertreter des VdAK-Ortsausschusses mit beratender Stimme teilnehmen kann (§ 13 Ziff. 2 Abs. 3 des EKV-Zahnärzte). Auch im Gerichtsverfahren haben deshalb nur Zahnärzte als ehrenamtliche Richter mitzuwirken.
Die Sprungrevision des Klägers ist zulässig. Ihre Zulässigkeit richtet sich noch nach § 161 SGG aF, da das Urteil des SG vor dem 1. Januar 1975 verkündet worden ist (Art. III, VI des Gesetzes zur Änderung des SGG vom 30. Juli 1974, BGBl I S. 1625). Nach § 161 SGG aF war die Sprungrevision nur gegen ein "nach § 150 mit der Berufung anfechtbar(es)" Urteil des SG statthaft und bedurfte der Einwilligung des "Rechtsmittelgegner(s)". Das Urteil des SG war hier nach § 150 Nr. 1 SGG (Zulassung der Berufung durch das SG) anfechtbar, weil der Rechtsstreit lediglich Honoraransprüche des Klägers aus einem einzigen Quartal, mithin wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum bis zu 13 Wochen (3 Monaten) betrifft, für die die Berufung an sich nach § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG ausgeschlossen ist (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. SozR 1500 § 144 SGG Nr. 1). Rechtsmittelgegner des Klägers ist allein die Beklagte (Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 16. März 1976, MDR 1976, 735). Die Einwilligung der Beklagten zur Einlegung der Sprungrevision war deshalb ausreichend; einer Einwilligung auch des beigeladenen VdAK bedurfte es nicht.
Der Senat hat den Rechtsstreit an das SG zurückverwiesen, weil dessen Feststellungen eine abschließende Entscheidung nicht zulassen.
In einer anderen, gleichzeitig entschiedenen Sache des Klägers (6 RKa 20/73), in der über die Abrechnungsfähigkeit von Leistungen aus seiner RVO-Kassenpraxis gestritten worden war, hat der Senat ausgeführt, daß der Kläger nur solche Leistungen abrechnen kann, für die er zur Kassenpraxis zugelassen worden ist. Maßgebend ist dabei grundsätzlich der im Zulassungsbeschluß festgestellte Umfang seiner Behandlungsbefugnis (§ 5 ZulG). Das gleiche gilt für die hier streitigen Leistungen aus der Ersatzkassenpraxis des Klägers. Dabei entspricht der Kassenzulassung die - ebenfalls dem öffentlichen Recht angehörende (BSG 11, 1) - Beteiligung an der Ersatzkassenpraxis; auch für sie gilt daher der im Verzeichnis nach § 3 Abs. 2 ZulG eingetragene und im Beteiligungsbeschluß festgestellte Umfang der Behandlungsbefugnis (vgl. die Vereinbarung zwischen dem VdAK und dem Verband der Arbeiter-Ersatzkassen e.V. mit der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung über die Beteiligung von nach § 19 ZHG berechtigten Personen an der Vertragstätigkeit vom 4. August 1970).
Im Beteiligungsbeschluß des Klägers vom 31. März 1971 ist der Umfang seiner Behandlungsbefugnis auf Füllungen, Extraktionen, Wurzelbehandlungen und Zahnersatz festgelegt worden. Nur in diesem Umfang kann er daher, solange die Feststellung des Behandlungsumfangs nicht geändert worden ist, mit einer noch zu erörternden Einschränkung Leistungen aus der Ersatzkassenpraxis abrechnen. Ob eine Änderung (Ergänzung) des festgestellten Behandlungsumfangs auf Antrag des Klägers oder von Amts wegen vorgenommen werden könnte oder müßte, ist für die Abrechnungsfähigkeit der streitigen Leistungen unerheblich, solange eine entsprechende Änderung (Ergänzung) nicht erfolgt ist. Der Senat nimmt insoweit auf das genannte Urteil in der Sache 6 RKa 20/73 Bezug.
In einer Hinsicht hat allerdings der Senat den Grundsatz, daß für die Abrechnung von Leistungen nur die im Zulassungs- bzw. Beteiligungsbeschluß enthaltene Feststellung des Behandlungsumfangs maßgebend ist, eingeschränkt, soweit es sich nämlich um Leistungen handelt, die "in unmittelbarem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einer (erlaubten) Grundbehandlung als Nebenleistungen von untergeordneter Bedeutung im Rahmen eines einheitlichen Behandlungsvorganges notwendig" werden (Urteil vom 24. Januar 1974, SozR 5528 § 4 ZulG Nr. 1 S. 4 oben, dort entschieden für Mundbehandlungen im Zusammenhang mit prothetischen Leistungen). Die Abrechnungsfähigkeit solcher - vom Wortlaut des Zulassungs- bzw. Beteiligungsbeschlusses nicht unmittelbar gedeckten - "Annex-Leistungen" hat der Senat vor allem aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art. 12 GG), aber auch wegen der häufig fließenden Grenzen zwischen erlaubter und unerlaubter Tätigkeit bejaht (aaO S. 3). Ob die genannten Voraussetzungen bei den hier streitigen Leistungen des Klägers Vorgelegen haben, hat das SG bisher nicht geprüft. Das wird nunmehr nachzuholen sein. Der Senat hat deshalb den Rechtsstreit an das SG zurückverwiesen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG); dieses wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen