Entscheidungsstichwort (Thema)
Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Heilbehandlung
Leitsatz (amtlich)
Reittherapie ist als Bewegungstherapie eine Heilbehandlungsmaßnahme iS des BVG § 11 Abs 1 S 1 Nr 3. Art und Umfang dieser Leistung hat die Versorgungsverwaltung (BVG § 18c Abs 1) - soweit das Gesetz nichts anderes anordnet (BVG § 11 Abs 1 S 3) - in entsprechender Anwendung des Leistungsrechts der Krankenversicherung (ua RVO § 182 Abs 2) zu bestimmen.
Leitsatz (redaktionell)
Den Versicherten dürfen neuere Behandlungsmethoden - wie etwa die Reittherapie - nicht grundsätzlich deswegen vorenthalten werden, weil sie von der Schulmedizin noch nicht allgemein anerkannt sind.
Normenkette
BVG § 10 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1974-08-07, § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 Fassung: 1974-08-07, S. 3 Fassung: 1974-08-07, § 18c Abs. 1 Fassung: 1974-08-07, Abs. 2 Fassung: 1974-08-07; RVO § 182 Abs. 2 Fassung: 1930-07-26; RehaAnglG § 10 Nr. 3 Fassung: 1974-08-07
Verfahrensgang
SG Braunschweig (Entscheidung vom 25.08.1978; Aktenzeichen S 1 V 164/76) |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 25. August 1978 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Niedersachsen zurückverwiesen.
Gründe
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig, oh der Klägerin für die in der Zeit vom 17. Januar 1974 bis 30. August 1975 durchgeführte Reittherapie ein Erstattungsanspruch in Höhe von 720, -- DM zusteht.
Bei der 1970 geborenen Klägerin ist nach dem Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Menschen (Bundesseuchengesetz -BSeuchG-) "Hirnschädigung nach Pockenimpfung" anerkannt (Bescheid des Versorgungsamtes München I vom 21. November 1973). Nach Begutachtung durch Prof. Dr. S... Psychiatrischen Klinik und Poliklinik der Nervenklinik der Universität G... setzte die Versorgungsverwaltung die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) über den 30. April 1973 hinaus mit 50 v.H. und ab 1. April 1974 mit 80 v.H. fest (Abhilfe- und Ergänzungsbescheid des Versorgungsamtes München I vom 14. April 1976).
Aufgrund ärztlicher Verordnung des Facharztes für Orthopädie Dr. H... nahm die Klägerin in der Zeit vom 17. Januar bis 28. März 1974, vom 18. April bis 24. Oktober 1974, vom 31. Oktober 1974 bis 12. April 1975 und vom 19. April 1975 bis 30. August 1975 am therapeutischen Reiten teil. In den jeweiligen Abrechnungszeitraum fielen je 10 Reitstunden. Dr. H... überwachte das therapeutische Reiter in Abständen von 4 bis 6 Wochen und nahm unter Anleitung eines Reitlehrers, der einen therapeutischen Kursus absolviert hatte, die erforderlichen Korrekturen vor. Fir die Reitstunde wurden je 18, - DM, insgesamt 720, - DM in Rechnung gestellt. Die Klägerin beantragte am 20. April 1974 beim Versorgungsamt, die Reittherapie zu genehmigen. Die Barmer Ersatzkasse, deren Mitglied der Vater der Klägerin ist, lehnte die Übernahme der Kosten für die Reittherapie ab, weil diesem Begehren das Gebot des § 182 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) entgegenstünde. Mit dieser Begründung lehnte es auch die Versorgungsverwaltung ab, die Aufwendungen für das therapeutische Reiten zu tragen (Bescheid vom 30. Oktober 1975; Widerspruchsbescheid vom 1. Juli 1976). Das Sozialgericht (SG) Braunschweig gab nach Anhörung eines ärztlichen Sachverständigen (Facharzt für Orthopädie Oberarzt Dr. H...) der Klage dem Grunde nach statt (Urteil vom 25. August 1978). Es führt aus, die Reittherapie könne nicht generell als Rehabilitationsleistung ausgeschlossen werden. Dr. H..., der die Übungsstunden persönlich überwacht und Korrekturmaßnahmen mit dem Reitlehrer besprochen habe, habe die Reittherapie für erforderlich gehalten.
Der Beklagte hat die zugelassene Sprungrevision eingelegt mit der Begründung, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Heilbehandlung nach § 51 Abs 1 BSeuchG iVm § 10 Abs 1 und § 11 Abs 1 Nr 3 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Das therapeutische Reiten könne nicht als Bewegungstherapie angesehen werden. Auch sei eine derartige Heilbehandlung wegen § 182 Abs 2 RVO nicht notwendig. Zumindest seien Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit nicht geklärt. Eine Besserung der anerkannten Hirnschädigung durch die verordnete Therapie sei nicht wahrscheinlich.
Der Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage gegen die angefochtenen Verwaltungsbescheide abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Sprungrevision des Beklagten zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
II
Die zulässige Revision des Beklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landessozialgericht (LSG).
Die Klägerin begehrt, ihr die Kosten der ärztlich verordneten Reittherapie in Höhe von 720, - DM zu erstatten. Ein solcher Erstattungsanspruch stünde der Klägerin zu, wenn die Verwaltungsbehörde ihrer gesetzlichen Verpflichtung, die fragliche Heilbehandlungsmaßnahme als Sachleistung zu erbringen, zu Unrecht nicht nachgekommen wäre. Die rechtlichen Voraussetzungen einer solchen Kostenerstattungspflicht hat das SG unzutreffend beurteilt.
Die Klägerin hat nach § 51 Abs 1 BSeuchG vom 18. Juli 1961 (BGBl I S. 1012, geändert durch das Gesetz vom 9. Juni 1975, BGBl I S. 1321) einen Rechtsanspruch auf Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Mithin finden auch die Vorschriften über die Heilbehandlung (§§ 10 ff. BVG) Anwendung. Nach § 10 Abs 1 BVG wird Heilbehandlung gewährt, um die Gesundheitsstörungen oder die durch sie bewirkte Beeinträchtigung der Berufs- oder Erwerbsfähigkeit zu beseitigen oder zu bessern, eine Zunahme des Leidens zu verhüten, körperliche Beschwerden zu beheben, die Folgen der Schädigung (hier des Impfschadens) zu erleichtern oder um den Beschädigten möglichst auf Dauer in Arbeit, Beruf und Gesellschaft einzugliedern. Dabei umfaßt die Heilbehandlung ua die Versorgung mit Heilmitteln einschließlich Krankengymnastik, Bewegungstherapie, Sprachtherapie und Beschäftigungstherapie (§ 11 Abs 1 Nr 3 BVG).
Zutreffend hat das SG in Anlehnung an das Gutachten des Sachverständigen Dr. H... die Reittherapie in die Bewegungstherapie eingeordnet. Unter Reittherapie versteht man die Verwendung des Pferdes als "Übungsgerät" unter medizinischen Gesichtspunkten bei entsprechender Indikationsstellung auf ärztliche Verordnung hin und unter ärztlicher Überwachung mit planmäßigem zielbewußten Vorgehen (Methode), individuell dosiert als spezielle bewegungstherapeutische Maßnahme bei behinderten und kranken Menschen (J. Bausenwein und M. Conradty, Gutachten zu Fragen des therapeutischen Reitens aus sportärztlicher Sicht, Schriftenreihe des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit, Bd 21, Verlag W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz). Innerhalb dieser Reittherapie unterscheidet man drei Stufen, die sich nach der Art, dem Schweregrad der Erkrankung oder Behinderung und nach ihren therapeutischen Bedürfnissen richten: Nämlich die Hippotherapie (diese bedeutet die passive Anpassung des Patienten an die Schwingungen des Pferderückens; das im Schritt gehende Pferd wird als lebendes Übungsgerät benutzt), die Reittherapie - im engeren Sinne - (sie umfaßt zusätzlich eine gezielte, individuell dosierte krankengymnastische Übungsbehandlung auf dem Pferderücken) und das therapeutische Reiten (es verbindet die krankengymnastische Zielsetzung mit der Erlernung reiterlicher Hilfen zum Zweck aktiver Einwirkung auf das Pferd). In all diesen drei Bereichen handelt es sich um Heilbehandlung (vgl Gutachten aa0 S. 42).
Die Therapieform "Reiten" kann aber nur dann als medizinische Maßnahme angesehen werden, wenn sie gezielt zur Bekämpfung der Krankheit eingesetzt wird (BSG SozR 2200 § 182 Nr 14). Die Beschränkung der Leistungsgewährung auf Maßnahmen medizinischer Natur, die gezielt der Krankheitsbekämpfung dienen, ergibt sich aus dem Zweck der gesetzlichen Krankenversicherung, im Krankheitsfall die Mittel und Maßnahmen zur Heilung oder Linderung der Krankheit zur Verfügung zu stellen (BSG SozR 2200 § 187 Nr 1). Diese Grundsätze besitzen auch im Rahmen der versorgungsrechtlichen Heilbehandlung Gültigkeit. Jedoch kann es nicht Aufgabe der Heilbehandlung sein, sonstige wegen einer Krankheit notwendige Hilfen in Bereich der Lebensführung zu bieten. Daraus folgt, daß bei Maßnahmen, deren medizinische Natur nicht ohne weiteres erkennbar ist - etwa weil wie hier das Reiten auch für eine sportliche Betätigung dienlich sein kann -, im Einzelfall ausdrücklich festgestellt wird, daß sie der Zweckbestimmung des § 10 Abs 1 BVG entsprechen. Die tatsächlichen Feststellungen des SG, die von der Revision nicht angegriffen werden und deshalb für das Bundessozialgericht (BSG) verbindlich sind (§ 163, § 161 Abs 4 SGG), bestätigen dies. Der behandelnde Facharzt für Orthopädie Dr. H... hat der Klägerin das therapeutische Reiten gerade wegen des anerkannten Impfschadens, der ua auch eine spastische Cerebralparese einschließt, verordnet.
Die Leistungsgewährung, die Heilbehandlung betreffend, unterliegt gewissen Beschränkungen. Nach § 11 Abs 1 letzter Satz BVG deckt sich Art und Umfang der Heilbehandlung - soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt - mit den Leistungen, zu denen die Krankenkasse ihren Mitgliedern verpflichtet ist. Wie der hierzu eingefügte Klammerzusatz "§ 18c Abs 2 BVG" verdeutlicht, bezieht sich diese Einschränkung der Leistungsverpflichtung unmittelbar auf die von der Krankenkasse durchzuführenden Heilbehandlungsmaßnahmen. Hingegen wird die Reittherapie als Bewegungstherapie, die nach § 18c Abs 1 BVG von der Verwaltungsbehörde zu gewähren ist, hiervon nicht unmittelbar erfaßt. Die unterschiedliche Zuständigkeitsregelung in § 18c Abs 1 und Abs 2 BVG (BSG SozR 3100 § 18c Nr 1) will allerdings nicht besagen, daß die für das Leistungsrecht in der Krankenversicherung geltenden Rechtsgrundsätze keine Anwendung finden (Vorberg/van Nuis, Das Recht der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen III Teil Anm 4 a zu § 11 Abs 1 Nr 3 BVG). Ausnahmen bestehen nur insofern, als abweichende Besonderheiten des Rechts der Kriegsopferversorgung gegeben sind. Dies ist im vorliegenden Falle zu verneinen (BSG SozEntsch IX/3 § 11 Nr 4; Rundschreiben des BMA vom 13. Januar 1971, BVBl 1971, 14). Mithin ist ua § 182 Abs 2 RVO entsprechend heranzuziehen. Von der Anwendbarkeit des § 182 Abs 2 RVO ist der erkennende Senat bereits in einem vergleichbaren Fall ausgegangen (Urteil vom 28. Oktober 1975 in SozR 3610 § 2 - DV § 11 Abs 3, §§ 13 und 15 BVG - Nr 1). Dort war die orthopädische Versorgung (§ 11 Abs 1 Nr 8 BVG) streitig, deren Durchführung ebenfalls wie hier der Verwaltungsbehörde oblag (18c Abs 1 BVG). § 182 Abs 2 RVO besagt, daß die Leistung ausreichend und zweckmäßig sein muß und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten darf. Entgegen der Rechtsauffassung des SG sind diese Leistungsvoraussetzungen nicht schon erfüllt, wenn die Reittherapie nicht kostenaufwendiger ist als etwa krankengymnastische Behandlung auf neurophysiologischer Grundlage oder eine krankengymnastische Übung im Bewegungsbad. Wohl spielen wirtschaftliche Gesichtspunkte, wie dies etwa auch dem § 368e RVO zu entnehmen ist, eine wichtige Rolle. Danach hat der Versicherte Anspruch auf ärztliche Versorgung, die zur Heilung oder Linderung nach den Regeln der ärztlichen Kunst zweckmäßig und ausreichend ist; er kann Leistungen, die für die Erzielung des Heilerfolges nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, nicht beanspruchen. Der an der Kassenversorgung teilnehmende Arzt darf sie nicht bewirken oder verordnen. Während § 182 Abs 2 RVO den materiell-rechtlichen Anspruch des Versicherten gegenüber der Krankenversicherung behandelt, bezieht sich § 368e RVO, der § 182 Abs 2 RVO entspricht, auf die Erfüllung dieses Anspruchs im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. - 9. Aufl, S. 386 b). Die in den genannten Vorschriften enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe "ausreichend und zweckmäßig"... "das Maß des Notwendigen nicht überschreiten" und "zweckmäßig und ausreichend... für die Erzielung des Heilerfolges nicht notwendig oder unwirtschaftlich" stehen in einem untrennbaren inneren Zusammenhang. Was zur Erzielung des Heilerfolges nicht notwendig oder zweckmäßig ist, ist begrifflich auch unwirtschaftlich. Die Unwirtschaftlichkeit der Behandlungsweise folgt daraus, daß Überflüssiges (dh was mehr als "notwendig" oder "ausreichend" ist) getan wird oder daß an sich geeignete Behandlungsmethoden gewährt werden, die aufwendiger als andere zum gleichen Erfolg führende Behandlungsmaßnahmen sind, es also an der Zweckmäßigkeit fehlt (BSGE 26, 16, 20 mwN). Somit ist die Frage der Wirtschaftlichkeit nur ein Teilaspekt. Er entbindet nicht von der Verpflichtung, Feststellungen über eine ausreichende und zweckmäßige Leistungsgewährung zu treffen. Nur bei Bejahung dieser Voraussetzungen ist ein Preisvergleich, wie seitens des SG geschehen, überhaupt angezeigt. Das SG hat dies offenbar nicht verkannt. Es hat die an den Sachverständigen gerichteten Beweisfragen auf § 182 Abs 2 RVO abgestellt, jedoch deren Nichtbeantwortung durch den Sachverständigen auf sich beruhen lassen.
Der unbestimmte Rechtsbegriff "ausreichend" besagt, daß die Krankenpflege den sich aus § 10 Abs 1 BVG ergebenden Erfordernissen genügen muß, also weder den Grad des Genügenden überschreiten noch mangelhaft oder ungenügend sein darf. Demgegenüber wird man unter "zweckmäßig" eine geeignete, planmäßige und dem Ziel der Krankenversorgung dienliche Heilbehandlungsmaßnahme zu verstehen haben (vgl Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Anm 5 b zu § 182 RVO). Überdies enthält das ärztliche Berufsethos - neben den sich aus § 368e RVO ergebenden Pflichten - auch die Verpflichtung, den Versicherten eine gründliche und sorgfältige ärztliche Versorgung zuteil werden zu lassen (BSGE 22, 220). Daraus folgt, daß den Versicherten neuere Behandlungsmethoden wie etwa die Reittherapie, die immerhin von mehreren Universitätskliniken angewandt wird (vgl Dr. Port in Niedersächsisches Ärzteblatt, Januar 1974) nicht grundsätzlich deswegen vorenthalten werden dürfen, weil sie von der Schulmedizin noch nicht allgemein anerkannt sind. Zwar ist nach Meinung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) die Frage des Heilerfolges und der Ungefährlichkeit des therapeutischen Reitens noch nicht ausreichend geklärt (vgl Stellungnahme des BMA vom 7. September 1976, BT-Drucks 7/5755 S. 33). Davon geht offenbar auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung aus, deren Ausschuß für Untersuchungs- und Heilmethoden in einer Sitzung vom Februar 1977 zu der Erkenntnis kam, für die Hippotherapie sei eine Empfehlung zur Erfüllung der Voraussetzungen nach § 368e RVO zur Zeit nicht zweckmäßig (vgl Leistungsrecht in der gesetzlichen Krankenversicherung, 12. Aufl, Teil A zu § 182 S. 101). Andererseits macht die durch das RehaAnglG erfolgte Änderung des § 11 Abs 1 Nr 3 BVG iVm dem Bericht des federführenden Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung des Deutschen Bundestages (BT-Drucks 7/2256) deutlich, daß der Gesetzgeber dem Anspruchsberechtigten jede denkbare Hilfe zukommen lassen will, die erforderlich ist, um den Heilbehandlungszweck, wie er etwa für Versorgungsberechtigte in § 10 Abs 1 BVG näher umschrieben ist, zu erfüllen (BSG SozR 2200 § 182 Nr 36). Unbestreitbar hat die Reittherapie nach vorliegenden wissenschaftlichen Untersuchungsergebnissen zu Übungserfolgen geführt (vgl Gutachten aa0 S. 84, 85). Dabei will die Reittherapie, wie etwa bei einer bestehenden Cerebralparese, als Ergänzung der herkömmlichen krankengymnastischen Maßnahmen und damit als Maßnahme, die mit anderen konventionellen Mitteln nicht erreicht wird, verstanden werden (Gutachten aa0 S. 58). Der Wert der Reittherapie besteht insbesondere darin, daß neben funktionalen und physischen gerade auch psychische Wirkungen erzeugt werden, die für den Heilerfolg ebenfalls bedeutsam sind. So können physische und psychische Verkrampfungen, Verspannungen und Hemmungen gelost werden. Der Umgang mit dem Pferd erfordert einen ständigen Wandel in Anpassung und führt zur Selbstkorrektur. Auf diese Weise werden festgefahrene Verhaltensnormen gelöst sowie Reaktion und Wendigkeit erzielt (vgl Gutachten aa0 S. 49, 50).
Aufgrund dessen ist nicht auszuschließen, daß die Reittherapie ebenfalls eine "ausreichende und zweckmäßige, das Maß des Notwendigen nicht überschreitende" Heilbehandlungsmaßnahme darstellt. Folglich bedarf es in analoger Anwendung der in § 182 Abs 2 RVO enthaltenen Rechtsgrundsätze einer sorgfältigen, konkret auf den Impfschaden der Klägerin abgestellten Prüfung, ob und ggf inwieweit die dortigen Leistungsvoraussetzungen gegeben sind. Dabei wird allerdings nicht unbeachtet bleiben können, daß Prof. Dr. S... in seinem Gutachten vom 9. Dezember 1975 neben einer antikonvulsiven Therapie eine kontinuierliche krankengymnastische Behandlung und zur Kompensation der Teilleistungsschwäche ein spezielles senso-motorisches Training für notwendig hielt. Eine Reittherapie ist in seinem Therapievorschlag nicht erwähnt. Daraus läßt sich aber nicht schließen, Prof. Dr. S... habe deren Notwendigkeit verneint oder etwa in Frage gestellt. Sonach wird die für notwendig erachtete Überprüfung nicht entbehrlich.
Einer Anwendung des § 11 Abs 1 Nr 3 BVG iVm § 10 Abs 1 BVG idF des RehaAnglG steht nicht entgegen, daß das therapeutische Reiten in den Zeiträumen vom 17. Januar 1974 bis 28. Februar 1974, vom 18. April bis 24. Oktober 1974 und danach, somit also wenigstens teilweise vor Inkrafttreten der Neufassung der genannten Gesetzesvorschriften zum 1. Oktober 1974 durchgeführt wurde. Allein daraus erwächst nicht zwangsläufig die Notwendigkeit, das vor dem 1. Oktober 1974 geltende Recht zum Teil anzuwenden. Das neue Recht erfaßt grundsätzlich alle in dem neuen Gesetz genannten Sachverhalte, die ihren Abschluß unter der Geltung des neuen Rechts finden, während andererseits das neue Recht nur solche Sachverhalte nicht erfaßt, die abgeschlossen in der Vergangenheit liegen (BSG SozR 2200 § 182b Nr 3, BSGE 45, 212, 214 = SozR 2200 § 182 Nr 29). Die rechtliche Beurteilung ist davon abhängig, ob es sich bei den mehrfachen Anwendungen des therapeutischen Reitens um die einmalige Gewährung einer einheitlichen Heilbehandlungsmaßnahme oder aber um die vielfache Gewährung mehrerer Heilbehandlungen handelt. In der Rechtsprechung besteht Einmütigkeit darüber, daß innerhalb einer einheitlichen Behandlungsbedürftigkeit nicht jede einzelne Behandlungsmaßnahme (zB Massage, Bäder oder wie hier Reiten) als selbständige Leistung gilt, sondern daß es sich grundsätzlich um eine einheitliche Leistung handelt (BSGE 28, 158, 159). Damit ist allerdings noch nicht die Frage beantwortet, ob die Reittherapie insgesamt als eine Einheit anzusehen oder ob sie nur in der Gruppierung der einzelnen Verordnung eine Einheit bildet. Letzterenfalls würde - wenigstens teilweise - das alte Recht gelten, das in § 11 Abs 1 Nr 3 BVG ua eine Bewegungstherapie als Heilbehandlungsmaßnahme nicht vorsah. Jedoch erscheint eine Gesamtbetrachtungsweise dann angebracht, wenn nach der Art der Erkrankung von vornherein feststeht, daß die Heilmaßnahme zur Behebung oder Linderung der Beschwerden oder gar Besserung auf unabsehbare Zeit erforderlich sein wird (BSG SozR Nr 46 zu § 182 RVO). Hiervon wird man bei der Art des Impfschadens, der keine Heilung, wohl aber bei entsprechender Langzeitbehandlung einer gewissen Linderung der Behinderung oder etwa deren Besserung zugänglich ist, auszugehen haben. Die Notwendigkeit weiterer ärztlicher Verordnung dürfte sich also, wenigstens in dem streitigen Behandlungszeitraum, nicht erst nach Beendigung der vorherigen Serie der Anwendung ergeben, vielmehr von vornherein für einen längeren Zeitraum bestanden haben.
In § 18c BVG ist das Sachleistungsprinzip verankert (BSG SozR 3100 § 19 Nr 4), das auch in der gesetzlichen Krankenversicherung allgemein gilt (BSG SozR 2200 § 182 Nr 32 mwN). Danach ist es dem Versorgungsberechtigten nicht erlaubt, sich die Art der Heilbehandlung selbst zu beschaffen und von der Versorgungsverwaltung hinterher Erstattung der verauslagten Kosten zu verlangen. Die Klägerin suchte erst am 20. April 1974 und damit mehrere Monate nach Anerkennung des Impfschadens und zu Beginn des zweiten Abrechnungszeitraumes (18. April bis 24. Oktober 1974) um Genehmigung der Reittherapie bei der Versorgungsverwaltung nach. Damit handelt es sich um eine selbstgewählte Heilbehandlung, die, weil nach der Anerkennung des Impfschadens selbst durchgeführt, eine Erstattung der Heilbehandlungskosten nur zuläßt, wenn unvermeidbare Umstände die Inanspruchnahme der Krankenkasse oder hier der Verwaltungsbehörde nach § 18c Abs 1 BVG unmöglich machten (§ 18 Abs 2 BVG). Ob diese gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, wird ebenfalls noch zu prüfen sein.
Da weitere Feststellungen zu treffen sind, ist die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - in den Tatsachenrechtszug zurückzuverweisen. Der Senat hielt eine Zurückverweisung an das LSG für angezeigt (§ 170 Abs 4 Satz 1 SGG).
Fundstellen