Leitsatz (amtlich)
Bei der Neuberechnung der Rente nach AnVNG Art 2 § 37 Abs 2 S 2 (= ArVNG Art 2 § 38 Abs 2 S 2) ist die bisher in der umgestellten Rente pauschal enthaltene Zurechnungszeit auch dann nur vom Rentenbeginn bis zum Monat der Vollendung des 55. Lebensjahres des Versicherten anzurechnen, wenn der Rentenbeginn und der dafür maßgebliche Versicherungsfall nicht in dasselbe Jahr fallen. Die Anrechnung einer Ausfallzeit nach AVG § 36 Abs 1 Nr 5 (= RVO § 1259 Abs 1 Nr 5) ist ausgeschlossen (Anschluß an BSG 1970-11-17 1 RA 95/70 = BSGE 32, 90, BSG 1970-11-17 1/4 RJ 417/69 = BSGE 32, 85, BSG 1971-12-01 12 RJ 96/70 = SozR Nr 21 zu § 1268 RVO).
Normenkette
AnVNG Art. 2 § 37 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1972-10-16; ArVNG Art. 2 § 38 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1972-10-16; AVG § 30 Abs. 2 S. 3 Fassung: 1965-06-09; RVO § 1253 Abs. 2 S. 3 Fassung: 1965-06-09; AVG § 36 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1259 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 Fassung: 1957-02-23; AVG § 37 Fassung: 1965-06-09; RVO § 1260 Fassung: 1965-06-09
Verfahrensgang
LSG Hamburg (Entscheidung vom 14.05.1976; Aktenzeichen IV ANBf 72/74) |
SG Hamburg (Entscheidung vom 20.05.1974; Aktenzeichen 12 AN 233/73) |
SG Hamburg (Entscheidung vom 20.05.1974; Aktenzeichen 12 AN 657/74) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 14. Mai 1976 wird zurückgewiesen.
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 14. Mai 1976 aufgehoben, soweit es die Änderung der Bescheide der Beklagten vom 25. Juli und 15. Dezember 1975 betrifft. Die Klage wird im vollen Umfang abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, inwieweit bei der Neuberechnung einer Rente nach Art 2 § 37 Abs 2 Satz 2 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) idF des Rentenreformgesetzes (RRG) Zurechnungszeiten anzurechnen sind und ob die von der Beklagten anerkannte und mit einer Rentenbezugszeit zusammenfallende Zurechnungszeit gemäß § 36 Abs 1 Nr 5 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) als Ausfallzeit zu behandeln ist.
Der 1915 geborene Kläger erhielt wegen eines am 11. April 1942 eingetretenen Versicherungsfalles zunächst Krankengeld und seit 1. April 1943 ein Ruhegeld wegen Berufsunfähigkeit. Diese Rente wurde 1957 nach Art 2 § 31 AnVNG umgestellt und galt gemäß Art 2 § 37 Abs 2 AnVNG als Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.
Die gegen den Rentenneufeststellungsbescheid vom 27. Februar 1973 erhobene Klage blieb ohne Erfolg (Urteil vom 20. Mai 1974). Während des Berufungsverfahrens entrichtete der Kläger 12 freiwillige Monatsbeiträge und erfüllt so die Voraussetzungen für eine Neuberechnung seiner Rente gemäß Art 2 § 37 Abs 2 Satz 2 AnVNG. Bei der deswegen erforderlichen Rentenneufeststellung berücksichtigte die Beklagte ua Zurechnungszeiten vom 1. April 1943 bis 31. Dezember 1970 (Bescheide vom 25. Juli und 15. Dezember 1975).
Das Landessozialgericht (LSG) verpflichtete die Beklagte, ab 1. Januar 1974 rentensteigernd eine weitere Zurechnungszeit vom Eintritt des Versicherungsfalles (1.4.1942) bis 31. März 1943 anzurechnen: Die Regelung der Neuberechnung der Rente nach Art 2 § 37 Abs 2 Satz 2 AnVNG enthalte hinsichtlich der Berücksichtigung von Zurechnungszeiten eine ausfüllbare Gesetzeslücke. Da die Neuberechnung wesensmäßig einer Rentenumwandlung entspreche, sei § 30 Abs 2 AVG analog anzuwenden. Hierbei sei auf § 37 Abs 1 AVG zurückzugreifen und als besitzgeschützte Zeit diejenige vom Eintritt des Versicherungsfalles bis zur Vollendung des 55. Lebensjahres anzurechnen. Dagegen könne dem weiteren Klagebegehren, die Zurechnungszeit nach § 36 Abs 1 Nr 5 AVG als Ausfallzeit zu behandeln, nicht entsprochen werden, weil durch die Neuberechnung nach Art 2 § 37 Abs 2 Satz 2 AnVNG die alte Rente nicht weggefallen, sondern umgewandelt worden sei (Urteil vom 14. Mai 1976).
Gegen das Urteil des LSG haben sowohl der Kläger als auch die Beklagte die - zugelassene - Revision eingelegt. Der Kläger rügt, daß mit dem Urteil die Behandlung der Zurechnungszeit als Ausfallzeit zu Unrecht abgelehnt worden sei. Die Beklagte hält die Anrechnung einer weiteren Zurechnungszeit vom 1. April 1942 bis 31. März 1943 nicht für zulässig.
Der Kläger beantragt, unter Änderung des angefochtenen Urteils und der Bescheide der Beklagten vom 25. Juli und 15. Dezember 1975 die Beklagte zu verpflichten, die Zurechnungszeit als Ausfallzeit zu behandeln; außerdem beantragt er, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit sie verurteilt worden ist, ab 1. Januar 1974 rentensteigernd eine weitere Zurechnungszeit vom 1. April 1942 bis 31. März 1943 anzurechnen, und die Klage in vollem Umfang abzuweisen; weiterhin beantragt sie, die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Von den durch Zulassung statthaften Revisionen ist nur diejenige der Beklagten begründet.
Entgegen der Rechtsauffassung des LSG durfte die Beklagte in den beiden gemäß §§ 96 Abs 1, 153 Abs 1 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens gewordenen Bescheiden vom 25. Juli und 15. Dezember 1975 bei der Neuberechnung der Rente des Klägers gemäß Art 2 § 37 Abs 2 Satz 2 AnVNG die Zeit vom Eintritt des Versicherungsfalles (11.4.1942) bis zum Rentenbeginn (1.4.1943) nicht zusätzlich als Zurechnungszeit berücksichtigen. Nach dieser durch Art 2 § 2 Nr 11 Buchst a RRG eingefügten und mit Wirkung vom 1. Januar 1974 in Kraft getretenen Vorschrift (Art 6 § 8 Abs 2 RRG) ist bei Empfängern einer nach Art 2 § 31 AnVNG umgestellten Rente, die - wie der Kläger - das 55. Lebensjahr vollendet haben, erwerbsunfähig sind und wenigstens für zwölf Monate Beiträge nach dem 55. Lebensjahr entrichtet haben, auf Antrag die Rente nach den Vorschriften der §§ 30 bis 39 AVG neu zu berechnen, wenn die sich dadurch ergebende Rente ohne Kinderzuschuß höher als 15/13 des bisherigen Rentenzahlbetrags ohne Kinderzuschuß ist. Wie das LSG zutreffend erkannt hat, ist hierbei die Berücksichtigung von Zurechnungszeiten, wie sie § 37 AVG bereits vom Eintritt des Versicherungsfalles bis zur Vollendung des 55. Lebensjahres vorsieht, schon deshalb ausgeschlossen, weil für die Neuberechnung der Rente nach Art 2 § 37 Abs 2 Satz 2 AnVNG der Tag der Antragstellung als Eintritt des Versicherungsfalles der Erwerbsunfähigkeit gilt (Art 2 § 37 Abs 2 Satz 3 AnVNG) und dieser Zeitpunkt erst nach Vollendung des 55. Lebensjahres liegt.
Die deswegen vom Berufungsgericht angenommene Lücke im Gesetz besteht indes nicht. Dem LSG ist zwar insoweit beizupflichten, als es unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien (vgl BT-Drucks VI/2915 zu Nr 9 - § 38 - S. 47/48) davon ausgeht, der Gesetzgeber habe es als selbstverständlich angesehen, "daß bei Umstellungsrenten die bisher durch den Umstellungsfaktor berücksichtigte pauschale Zurechnungszeit auch weiterhin der Rentenberechnung zugrunde gelegt werden muß". Dies ist aber - was das LSG nicht genügend beachtet - dadurch geschehen, daß bei der Neuberechnung nach Art 2 § 37 Abs 2 Satz 2 AnVNG - ua - § 30 AVG Anwendung findet, nach dessen Absatz 2 Satz 3 bei der Umwandlung der Berufsunfähigkeitsrente in die Erwerbsunfähigkeitsrente eine bisher angerechnete Zurechnungszeit im gleichen Umfang und mit gleichem Wert anzurechnen ist. Aus der ausdrücklichen Bezugnahme in der Neuberechnungsregelung des Art 2 § 37 Abs 2 Satz 2 AnVNG auf § 30 Abs 2 AVG ergibt sich somit, daß der Gesetzgeber hier an den Fall der Rentenumwandlung denkt, bei der die bisher angerechnete Zurechnungszeit besitzgeschützt ist (vgl BSGE 32, 90 = SozR Nr 17 zu § 1268 RVO). Insoweit hat der erkennende Senat seine frühere in BSGE 26, 247 (= SozR Nr 8 zu Art 2 § 38 ArVNG) vertretene Rechtsauffassung, daß die - mit der neuen Regelung in Art 2 § 37 Abs 2 Satz 2 AnVNG vergleichbare - Neuberechnung der Rente nach Art 2 § 37 Abs 3 Satz 4 AnVNG nicht wie ein Fall der Rentenumwandlung zu behandeln ist, im Urteil vom 17. November 1970 (BSGE 32, 85 = SozR Nr 13 zu Art 2 § 38 ArVNG) aufgegeben. Für die Neuberechnung einer Rente nach Art 2 § 37 Abs 2 Satz 2 AnVNG muß dies gleichermaßen gelten.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist aber in den nach Art 2 §§ 30 ff AnVNG umgestellten Renten eine nach Wert und Umfang pauschalierte - und bei der Neuberechnung nach Art 2 § 37 Abs 2 Satz 2 AnVNG iVm § 30 Abs 2 Satz 3 AVG zu berücksichtigende - Zurechnungszeit erst vom Rentenbeginn und nicht bereits vom Eintritt des Versicherungsfalles an enthalten (so übereinstimmend BSG in SozR Nr 17 und Nr 21 zu § 1268 RVO und BSGE 26, 247, 250; ebenso Hanow/Lehmann/Bogs, Reichsversicherungsordnung, 5. Aufl, Randbem 95 zu § 1259 RVO). Der Senat sieht keinen Anlaß, hiervon abzuweichen, zumal der Umstellungsfaktor, der sich nach Art 2 § 31 Abs 1 AnVNG ergibt und in dem eine Zurechnungszeit pauschal einbezogen ist, allein vom Geburtsjahr des Versicherten und dem Jahr des Rentenbeginns bestimmt wird, wobei das Gesetz aus Gründen der technischen Durchführbarkeit der Umstellung unterstellt, daß Versicherungsfall und Rentenbeginn in das gleiche Jahr fallen (vgl hierzu Verbandskommentar zur Reichsversicherungsordnung, 4. und 5. Buch, 6. Aufl, Band III Randbem 2 zu Art 2 § 32 ArVNG). Wenn dieser vom Gesetz angenommene Regelfall beim Kläger nicht zutrifft, muß er gleichwohl diese bewußt typisierende gesetzliche Regelung gegen sich gelten lassen (vgl hierzu Urteil des erkennenden Senats vom 24.11.1976 in SozR 2200 § 1255 Nr 6 mit weiteren Nachweisen).
Da somit der Gesetzgeber im Rahmen der Neuberechnung nach Art 2 § 37 Abs 2 Satz 2 AnVNG - wie aus der dortigen Bezugnahme auf § 30 Abs 2 AVG erhellt - einen Bestandschutz bisher angerechneter Zurechnungszeiten gewollt hat, bleibt für die vom LSG angenommene unbewußte und auszufüllende Regelungslücke durch entsprechende Anwendung des § 37 AVG kein Raum, so daß die Berücksichtigung einer Zurechnungszeit bereits vom Eintritt des Versicherungsfalles an nicht zulässig ist. Auf die Revision der Beklagten muß deshalb das Berufungsurteil insoweit aufgehoben werden, als es die Beklagte zur rentensteigernden Anrechnung einer weiteren Zurechnungszeit vom 1. April 1942 bis 31. März 1943 verpflichtet hat (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG).
Die Revision des Klägers erweist sich schon deswegen als unbegründet, weil nach dem Vorstehenden die Neuberechnung nach Art 2 § 37 Abs 2 Satz 2 AnVNG wie ein Fall der Rentenumwandlung zu behandeln ist. Die vom Kläger begehrte Abgeltung der Zurechnungszeit als Ausfallzeit würde nach § 36 Abs 1 Nr 5 AVG aber den Wegfall der bisherigen Rente voraussetzen. Eine solche ist bei einer Rentenumwandlung begrifflich ausgeschlossen (ebenso Eicher/Haase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, 5. Aufl, Anm 13 zu § 1259 RVO und Anm 4 zu § 37 AnVNG; Hanow/Lehmann/Bogs aaO, Randbem 97 zu § 1259 RVO; Verbandskommentar aaO Randbem 23 zu § 1259 RVO/§ 36 AVG; die gegenteilige Meinung bei Koch/Hartmann/v. Altrock/Fürst, AVG, Kommentar, Band IV Anm VI 1 zu § 36 AVG nimmt noch auf die vom erkennenden Senat in BSGE 26, 247 vertretene und im Urteil vom 17. November 1970 aaO aufgegebene Rechtsauffassung Bezug).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen