Entscheidungsstichwort (Thema)
Versagungsgründe bei Mitverursachung der Schädigung durch den Geschädigten. Geltendmachung des Anspruchs eines Dritten durch AOK im eigenen Namen. Anwendung des versorgungsrechtlichen Kausalitätsbegriffs im OEG
Leitsatz (amtlich)
Wechselseitige Straftatbestände der Beleidigung bzw Körperverletzung (sogenannte Kompensationsdelikte iS §§ 199, 233 StGB) führen nicht generell zum Leistungsausschluß nach § 2 Abs 1 OEG.
Leitsatz (redaktionell)
Versorgungsleistungen nach dem OEG sind für durch eine Ohrfeige verursachten Gesundheitsstörungen zu versagen, wenn der Geschädigte den Schädiger zuvor absichtlich in ehrenrühriger Weise als Lügner bezeichnete und somit die Schädigung iS des § 2 Abs 1 erste Alternative OEG mitverursacht hat; dabei ist es dem Revisionsgericht gestattet, ohne weitere Ermittlungen allein aufgrund der Tatsachenfeststellungen des Sozialgerichts und unabhängig von dem für die Feststellung eines Straftatbestandes nach § 233 StGB maßgebenden Kriterien zu entscheiden.
Orientierungssatz
1. Die Krankenkasse ist berechtigt, den Anspruch des Geschädigten nach dem OEG im eigenen Namen geltend zu machen, weil der Entscheidung über den Anspruch auf Opferentschädigung Tatbestandswirkung für den Ersatzanspruch nach § 19 BVG zukommt (vgl BSG vom 1981-11-17 9 RVg 2/81 = SozR 3800 § 2 Nr 3 und vom 1982-01-27 9a/9 RVg 3/81).
2. Die rechtliche Beurteilung einer Verursachung des eingetretenen Schadens durch den Geschädigten richtet sich nach der versorgungsrechtlichen Kausalitätstheorie der wesentlichen Bedingung. Sie gilt auch im Recht der Opferentschädigung (vgl ua BSG vom 1981-11-17 9 RVg 2/81 = SozR 3800 § 2 Nr 3).
Normenkette
OEG § 2 Abs. 1 Alt. 2 Fassung: 1976-05-11; StGB §§ 199, 233; OEG § 1 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1976-05-11; BVG § 19 Abs. 1, 3; OEG § 2 Abs. 1 Alt. 1 Fassung: 1976-05-11
Verfahrensgang
SG Duisburg (Entscheidung vom 25.08.1982; Aktenzeichen S 18 (22) V 302/81) |
Tatbestand
Die klagende Ortskrankenkasse begehrt von dem beklagten Land den Ersatz von Heilbehandlungskosten, die sie für ihr Mitglied G (Beigeladener) aufgewendet hatte.
Der Beigeladene sowie dessen Bekannter B, die einer sogenannten Thekengemeinschaft angehörten und ua zusammen Fußball spielten, hielten sich Anfang April 1980 in einer Gaststätte auf. Sie nahmen dort Alkohol zu sich. Im Verlaufe eines Wortwechsels nannte der Beigeladene den B einen "Lügner". Daraufhin verabreichte B dem Beigeladenen eine Ohrfeige. B entschuldigte sich sodann, woraufhin sich beide wieder vertrugen.
Wochen später ergab sich, daß infolge der Tätlichkeit des B das linke Auge des Beigeladenen verletzt worden war; eine Linsentrübung mußte operativ angegangen werden. Wegen der Heilbehandlung sowie einer längeren Arbeitsunfähigkeit sind der Klägerin Kosten in Höhe von 5.928,25 DM entstanden. Nach Bekanntwerden der Schadensfolgen stellte der Beigeladene im August 1980 Strafanzeige wegen Körperverletzung. Die Staatsanwaltschaft verwies ihn in Ermangelung eines öffentlichen Interesses auf den Privatklageweg. Hiervon machte der Beigeladene keinen Gebrauch. Er klagte vielmehr gegen B Schadensersatz ein, den das Amtsgericht ihm mit Versäumnisurteil zusprach.
Der Beigeladene beantragte im März 1981 auf Veranlassung der Klägerin Versorgungsleistungen nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG). Gleichzeitig meldete die Klägerin ihren Ersatzanspruch an. Das Versorgungsamt lehnte den Antrag des Beigeladenen ab (Bescheid vom 7. September 1981). Diesen Bescheid, den die Versorgungsbehörde auch der Klägerin am 24. September 1981 zuleitete, ließ der Beigeladene unangefochten.
Die Klägerin hat am 19. Oktober 1981 Klage erhoben und dabei die Aufhebung des Bescheides vom 7. September 1981 sowie Ersatz der durch die Verletzung ihres Mitgliedes - des Beigeladenen - entstandenen Kosten begehrt. Sie hat geltend gemacht, die fraglichen Gesundheitsstörungen seien Schädigungsfolge iS des § 1 Abs 1 OEG. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Es hat über den Hergang der zwischen dem Beigeladenen und B geschehenen Auseinandersetzung Beweis erhoben und hierbei mehrere Zeugen, ua den B, einvernommen und die Verwaltungsakten zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht. Es hat die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG bejaht; die Ohrfeige, die B dem Beigeladenen gegeben habe, sei - so das SG - als vorsätzliche Körperverletzung zu werten. Indes seien Leistungen zu versagen. Dabei könne dahingestellt bleiben, ob als Versagungsgrund § 2 Abs 1, 1. Alternative (Verursachung) in Betracht zu ziehen sei. Jedenfalls seien Leistungen nach der 2. Alternative des § 2 Abs 1 OEG unbillig, weil sie mit der grundsätzlichen Wertung des OEG nicht in Einklang stünden. Die sowohl von dem Beigeladenen wie auch von B begangenen Straftaten seien nach § 233 Strafgesetzbuch (StGB) zu beurteilen. In Fällen dieser Art sei generell die Anwendung des OEG nicht sachgerecht und damit unbillig.
Die Klägerin hat die - vom SG zugelassene - Sprungrevision mit Zustimmung des Beklagten eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des § 2 Abs 1, 2. Alternative OEG. Eine Kompensation komme nach § 233 StGB wegen der doch schwerwiegenden Folgen der einfachen Körperverletzung nicht in Betracht. Davon abgesehen könne die Leistungsgewährung nicht generell versagt werden. Vielmehr richte sich der Versagungsgrund "unbillig" nach den Eigenarten und besonderen Umständen des Einzelfalles. Eine individuelle Prüfung sei unerläßlich. Zudem habe das SG die Zeugenaussagen sowie die beigezogenen Strafakten nicht zutreffend gewürdigt. B habe den Beigeladenen zunächst einen Lügner genannt. Erst aufgrund dieser Provokation habe der Beigeladene selbst dieses Schimpfwort gegenüber B gebraucht, woraufhin dieser mit einer Ohrfeige geantwortet habe. Dieser Sachverhalt sei dem § 199 StGB unterzuordnen. Der Beigeladene habe infolgedessen nicht grob leichtfertig und vorwerfbar gehandelt.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des SG aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die dem Beigeladenen aus Anlaß der Arbeitsunfähigkeit gewährten Leistungen zu ersetzen.
Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Der Beklagte meint, Leistungen seien schon deswegen zu versagen, weil der Beigeladene die Schädigung wesentlich mitverursacht habe. Außerdem sei eine Leistungsgewährung unbillig.
Der Beigeladene stellt keinen Antrag.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Sprungrevision der Klägerin hat keinen Erfolg. Das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
Der Beklagte ist nicht verpflichtet, der Klägerin die Heilbehandlungskosten gemäß § 1 Abs 1 Satz 1 OEG (vom 11. Mai 1976, BGBl I 1181) iVm § 19 Abs 1, 2 und 3 Bundesversorgungsgesetz (BVG) idF vom 22. Juni 1976 (BGBl I 1633) zu ersetzen. Dem Beigeladenen stand wohl ein Anspruch auf Heilbehandlung der Klägerin gegenüber als deren Mitglied zu (§§ 234, 182 Abs 1 Nr 1 Buchst a und b, §§ 184, 565 Abs 1 Reichsversicherungsordnung -RVO-), nicht aber als Opfer einer Gewalttat (§ 1 Abs 1 Satz 1 OEG iVm § 10 Abs 1 Satz 1, § 11 Abs 1 Satz 1 Nr 5 Satz 2 Halbs 1, Satz 3, § 18c Abs 2 Satz 1 und 2 BVG), worauf noch näher einzugehen sein wird. Eine gleichzeitige Leistungspflicht nach der RVO bzw BVG, die gerade § 19 Abs 1 BVG voraussetzt, liegt sonach nicht vor.
Dem Ersatzanspruch der Klägerin steht grundsätzlich nicht entgegen, daß die beim Beigeladenen vorhandenen Gesundheitsstörungen nicht als Folge der Gewalttat anerkannt sind. Zwar kommt ein Kostenersatz nur für solche Aufwendungen in Betracht, die nach der Anerkennung entstanden sind (§ 19 Abs 1 Satz 2 BVG). Der Beigeladene hat eine solche Anerkennung beantragt. Im Falle einer positiven Entscheidung ist Versorgung auch für die Zeit vor der Antragstellung zu leisten, wenn der Antrag innerhalb eines Jahres nach Eintritt der Schädigung gestellt wird (§ 60 Abs 1 Satz 2 BVG idF des 10. Anpassungsgesetzes KOV -AnpGKOV- vom 10. August 1978, BGBl I 1217). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der Beigeladene hat auf Veranlassung der Klägerin Leistungen nach dem OEG innerhalb Jahresfrist (April 1980 - März 1981) beantragt. Für den Anspruch auf Heilbehandlung gilt im Ergebnis nichts anderes (BSG SozR 3100 § 18a Nr 2). Infolge der Rückwirkung, die dem Antrag auf Anerkennung von Schädigungsfolgen - wie ausgeführt - beigegeben ist, findet die einschränkende Vorschrift des § 19 Abs 3 Satz 1 BVG keine Anwendung (BSG SozR 3100 § 19 Nrn 7 und 9; BSG, KOV 1970, 154).
Die Klägerin war auch berechtigt, den Anspruch des Beigeladenen im eigenen Namen geltend zu machen, zum einen, weil der Entscheidung über den Anspruch auf Opferentschädigung Tatbestandswirkung auch für den Ersatzanspruch zukommt und zum anderen, weil die Klägerin als zum Verfahren zugezogen gilt. Diese Grundsätze sind auch im Opferentschädigungsrecht anwendbar (Urteile des erkennenden Senats: BSGE 52, 281, 282 f= SozR 3800 § 2 Nr 3 mwN; Urteil vom 27. Januar 1982 - 9a/9 RVg 3/81 -). Unschädlich ist, daß die Klägerin nicht ausdrücklich die Anerkennung der Augenverletzung als Schädigungsfolge verlangt hat. Ein solches Begehren als Voraussetzung für den Ersatzanspruch ist nach den Umständen zu unterstellen. Die Klägerin hält den ablehnenden Bescheid für rechtswidrig. Sie hat mit der Klage auch dessen Aufhebung beantragt. Sie will damit letztlich - wenn auch incidenter - Schädigungsfolgen geltend machen, weil auch nur unter diesen Voraussetzungen überhaupt ihr ein Ersatzanspruch zugebilligt werden kann. Das SG durfte diese offen zutage getretene Willensentschließung unterstellen und den Klageantrag als sachdienlich werten. Andernfalls hätte es auf eine Änderung des Klageantrages hinwirken müssen (§ 106 Abs 1 SGG).
Dem SG ist darin zu folgen, daß der Beigeladene die Gesundheitsstörung infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen und tätlichen Angriffs erlitten hat (§ 1 Abs 1 Satz 1 OEG). Die Ohrfeige, die B dem Beigeladenen gab, hat das SG zutreffend als vorsätzliche Körperverletzung iS des § 223 StGB qualifiziert. Die hiergegen vorgebrachten Verfahrensrügen der Klägerin sind unbeachtlich; die Sprungrevision kann darauf nicht gestützt werden (§ 161 Abs 4 SGG).
Indessen sind Versorgungsleistungen nach § 2 Abs 1 OEG zu versagen. Der Beigeladene hat die Schädigung im Sinne der 1. Alternative dieser Vorschrift selbst verursacht. Zwar hat das SG diesen Ablehnungsgrund dahingestellt sein lassen. Gleichwohl ist es dem Revisionsgericht gestattet, ohne weitere Ermittlungen allein aufgrund der Tatsachenfeststellung des SG die Handlungsweise des Beigeladenen als wesentliche Mitursache und damit als Ursache im Rechtssinne zu werten (BSGE 1, 150, 156 f).
Die rechtliche Beurteilung einer Verursachung des eingetretenen Schadens durch den Beigeladenen richtet sich nach der versorgungsrechtlichen Kausalitätstheorie der wesentlichen Bedingung. Sie gilt auch im Recht der Opferentschädigung (Urteile des erkennenden Senats: BSGE 49, 104, 105 = SozR 3800 § 2 Nr 1; BSGE 50, 95, 96 = SozR 3800 § 2 Nr 2; BSGE 52, 281, 283 = SozR 3800 § 2 Nr 3 mwN). Eine Ursache ist wesentlich, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges im Verhältnis zu den übrigen Umständen mindestens annähernd gleichwertig ist (BSGE 1, 72, 76; 1, 150, 157; 1, 268, 270; 33, 202, 204). Ein solches gleichgewichtiges Verhalten des Geschädigten ist dabei in der Regel nur dann als wesentlich bedeutsam für den Erfolg iS des § 2 Abs 1 OEG zu beurteilen, wenn es ebenso wie der rechtswidrige tätliche Angriff des Schädigers von der Rechtsordnung mißbilligt wird (BSGE 52, 281, 284). Diese Voraussetzungen liegen vor. Der Beigeladene hat seinen Gesprächspartner (B) als einen "Lügner" bezeichnet. Diese Bekundung enthält nicht allein die Tatsachenbehauptung der Unrichtigkeit der gemachten Äußerung. Vielmehr ist nach der Wortwahl "Lügner" offenkundig, daß der Beigeladene den B in abfälliger Weise charakterlich abzuwerten beabsichtigte. Die Äußerung ist in ehrenrühriger Weise geschehen und erfüllt damit den Straftatbestand der Formalbeleidigung (§ 185 StGB). Der Beigeladene mußte unter den gegebenen Umständen, zumal beide Alkohol zu sich genommen und sich in einen heftigen Wortwechsel verstrickt hatten, mit einer nicht nur verbalen Gegenreaktion des Beleidigten rechnen. Die Ohrfeige als spontane "tätliche Vergeltung" war naheliegend und geradezu vorprogrammiert. Wie die Erfahrung lehrt, führen zwischenmenschliche Auseinandersetzungen dieser Art recht häufig zu gegenseitigen Beleidigungen, teilweise gepaart mit Körperverletzungen. Solche Vorgänge sind gleichsam an der Tagesordnung. Nicht von ungefähr hat sich deshalb auch der Gesetzgeber veranlaßt gesehen, dieser alltäglich vorkommenden Fallgestaltung im strafrechtlichen Bereich gerecht zu werden. Er hat deshalb für sogenannte Kompensationsdelikte, die der Bagatellkriminalität zuzuordnen sind, einen Strafmilderungsgrund zugebilligt, wenn die Straftat "auf der Stelle erwidert" wird. Es handelt sich dabei um Straftatbestände der Beleidigung bzw Körperverletzung, die wechselseitig erfüllt werden. Beweggrund dafür ist, den psychischen Druck, der durch eine Provokation ausgelöst wird und der zu unbedachten "Affekthandlungen" führt, strafmildernd zu berücksichtigen (Herdegen, Leipziger Kommentar, 9. Aufl, 1974, § 233 RdNr 13). Andererseits kann aber auch beim Provokateur von Strafe abgesehen werden, weil er einer allerdings rechtswidrigen Selbstvergeltung ausgesetzt war (Herdegen, aaO, RdNr 3 mit zahlreichen Nachweisen).
Unter diesem Aspekt mag es verständlich erscheinen, wenn das SG in § 233 StGB einen absoluten Versagungsgrund iS des § 2 Abs 1 2. Alternative OEG sehen möchte. Allerdings kann diese Rechtsfrage im Streitfall nicht grundsätzlich bedeutsam sein. Wie ausgeführt, hat der Beigeladene selbst die Schädigung wesentlich mitverursacht, so daß Leistungen bereits nach der 1. Alternative des § 2 Abs 1 OEG entfallen. Das SG durfte diesen Versagungsgrund nicht dahingestellt sein lassen. Vielmehr ist er vor dem zweitgenannten (Unbilligkeit), auf den es das SG allein abgestellt hat, zu prüfen und hier maßgebend. Daß die wesentliche Mitverursachung durch den Geschädigten Leistungen ausschließt, fügt sich eher in das System der Sozialen Entschädigung ein als eine Unbilligkeit im Sinn der zweiten Alternative und läßt sich im allgemeinen leichter und berechenbarer entscheiden.
Gleichwohl könnten die Erwägungen des SG auch für den Versagungsgrund der Verursachung rechtlich bedeutsam sein. Der gegenwärtige Streitfall scheint dies zu bestätigen. Hier ist in der Tat der Straftatbestand des § 233 StGB gegeben und gleichzeitig eine wesentliche Verursachung der Schädigung durch den Geschädigten anzunehmen. Dennoch führt § 233 StGB nicht zwingend zum Leistungsausschluß, wie offenbar das SG meint. Gewichtige Gründe sprechen dagegen.
Zur Strafbarkeit einer Tat genügt es allein nicht, daß ein Straftatbestand objektiv vorliegt; der Täter muß ihn auch schuldhaft verwirklicht haben. Auf diese Erfordernisse stellt das Strafverfahren ab und gibt demzufolge auch der Beweisaufnahme das Gepräge. Hingegen sind im sozialgerichtlichen Verfahren entschädigungsrechtliche Gesichtspunkte maßgebend, die, etwa um der Amtsermittlungspflicht zu genügen (§ 103 SGG), regelmäßig eine eigene Beweisaufnahme geboten erscheinen lassen (BSG SozSich 76, 312 = Breithaupt 1977, 25). Zudem gehen nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast (BSGE 19, 52, 53; 24, 25, 27; 30, 121, 123; 37, 114, 117) nicht feststellbare Tatsachen zu Lasten desjenigen, der daraus ein Recht ableiten will. Insoweit ergeben sich wesentliche Unterscheidungskriterien zum Strafrecht. Hier gilt der Grundsatz "in dubio pro reo". Er findet nach der Rechtsprechung auf § 199 StGB Anwendung (BGHSt 10, 373; zustimmend BayObLG NJW 1959, 57 unter ausdrücklicher Ablehnung der teilweise in der Literatur vertretenen Gegenmeinung). Ebenso trifft dies auf die vergleichbare Vorschrift des § 233 StGB zu (Hirsch, Leipziger Kommentar, 9. Auflage, 1974, § 233 RdNr 8). Ein Strafmilderungsgrund iS des § 199 StGB (und somit auch des § 233 StGB s. o.) ist nach der genannten Rechtsprechung auch dann gegeben, wenn das Vorliegen einer Gegenbeleidigung nicht bewiesen, sondern nur unwiderlegt ist, mit anderen Worten, die vom Täter behauptete Gegenbeleidigung nicht auszuschließen ist. Bei der Ermittlung der angemessenen Strafe sei - betont das BayObLG aaO - bei der Unmöglichkeit einer vollständigen Sachverhaltsaufklärung jedenfalls von der für den Angeklagten günstigsten Möglichkeit auszugehen. Im Gegensatz hierzu gereicht im sozialgerichtlichen Verfahren - wie ausgeführt - die Nichtfeststellbarkeit einer Tatsache in der Regel zum Nachteil. Von daher gesehen verbietet es sich, § 233 StGB die Bedeutung eines absoluten Versagungsgrundes iS des § 2 Abs 1 OEG beizumessen. Maßgebend für einen Leistungsausschluß sind die jeweiligen Umstände des Einzelfalles, über die nach dem vom OEG vorgegebenen Maßstab zu befinden ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1655770 |
Breith. 1984, 405 |