Entscheidungsstichwort (Thema)

Ambulante Notfallbehandlung als Aufgabe des Krankenhausträgers. Liquidationsrecht des Chefarztes

 

Orientierungssatz

1. Auch wenn die Krankenhausträger den Chefärzten in ihren Dienstverträgen ein Liquidationsrecht für die ambulante Notfallbehandlung eingeräumt haben, wird die ambulante Notfallbehandlung nicht als Aufgabe des Krankenhauses auf die Aufgabenseite der (liquidationsberechtigten) Chefärzte verlagert. Denn mit der Übertragung des Liquidationsrechts hört die ambulante Notfallbehandlung nicht auf, eine Aufgabe des Krankenhausträgers zu sein.

2. Ein von den Krankenhausträgern eingeräumtes "Liquidationsrecht" kann lediglich die Befugnis des Chefarztes umgreifen, die aufgrund der vom Krankenhaus geschuldeten und erbrachten ambulanten Notfallbehandlungen selbst (statt des Krankenhauses) zu liquidieren. Das aber hat keinen Einfluß auf die zwischen dem Krankenhausträger und dem Sozialleistungsträger vereinbarten Vergütungen.

 

Normenkette

ZO-Ärzte § 29; RVO § 368n Abs 3, § 368a Abs 8

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 02.09.1987; Aktenzeichen L 11 Ka 99/85)

SG Düsseldorf (Entscheidung vom 13.11.1985; Aktenzeichen S 2 Ka 176/84)

 

Tatbestand

Es ist streitig, in welcher Höhe die Beklagte der Klägerin für die in den Abrechnungsquartalen I/1983 bis III/1983 in Krankenhäusern erbrachten Notfallbehandlungen Vergütungen zu zahlen hat.

Die Klägerin hat den Beigeladenen Ziffer 1 bis 6, die als Chefärzte von im Bezirk der Beklagten liegenden Krankenhäusern an der kassenärztlichen Versorgung beteiligt sind und vom Krankenhausträger ein Liquidationsrecht auch für ambulante Notfallbehandlungen eingeräumt bekommen haben, die auf Notfallscheinen abgerechneten Leistungen mit den vollen Punktwerten nach dem Bewertungsmaßstab Ärzte (BMÄ) vergütet. Von der Beklagten forderte sie den entsprechenden Betrag als Gesamtvergütung. Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, nicht die Beigeladenen hätten einen Anspruch gegen die Klägerin, sondern lediglich die jeweiligen Krankenhäuser, nämlich aus dem zwischen der Klägerin und der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen abgeschlossenen Vertrag vom 10. September 1980. Darin war vereinbart worden, daß die Klägerin bei direkter Abrechnung von Notfallbehandlungen den Krankenhausträgern 80 % der Punktwerte der kassenärztlichen Vergütung zu zahlen hat.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage auf Zahlung von 18.834,97 DM abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat, nachdem die Beklagte 80 % des Anspruches anerkannt hatte und der Rechtsstreit daher nur noch um 3.766,99 DM ging, die Berufungen der Klägerin und des Beigeladenen Ziffer 4 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt: Die in dem Vertrag vom 10. September 1980 aufgeführten Voraussetzungen einer (bloß) 80 %igen Vergütung, nämlich "die von dem Krankenhaus abgerechneten ärztlichen Leistungen", lägen vor. Einen Vergütungsanspruch habe allein das jeweilige Krankenhaus. Aus dem Gesamtvertrag vom 12. September 1979 ergebe sich keine gegenteilige Regelung. Es sei unerheblich, welche Vereinbarungen zwischen dem Krankenhaus und den Beigeladenen getroffen worden seien.

Die Klägerin und der Beigeladene Ziffer 2 haben Revision eingelegt. Die Klägerin hat ihre Revision zurückgenommen. Der Beigeladene Ziffer 2 - Revisionskläger - beantragt,

unter Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile die Beklagte zur Zahlung von 3.766,99 DM zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

In den im Bezirk der Beklagten liegenden Krankenhäusern, in denen die Beigeladenen als Chefärzte beschäftigt sind, wurden (in den drei ersten Abrechnungsquartalen 1983) unstreitig ambulante Notfallbehandlungen erbracht, für die die Beklagte als Träger der gesetzlichen Krankenversicherung Vergütungen schuldet. Wie das LSG ungerügt feststellte, hat der AOK-Landesverband Rheinland, dem die Beklagte angehört, in dem Gesamtvertrag vom 12. September 1979 mit der Klägerin vereinbart, daß "ärztliche Leistungen, die in poliklinischen Einrichtungen der Hochschulen, Krankenhäusern ... ausgeführt werden", "entsprechend den mit diesen Institutionen getroffenen Vereinbarungen vergütet" werden. Die Klägerin hat dementsprechend den Vertrag vom 10. September 1980 über die Abrechnung und Vergütung von Notfallbehandlungen abgeschlossen; daß sie hierzu ermächtigt war, ist unstreitig. Im übrigen regelt das Krankenhausgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (KHG-NW) vom 25. Februar 1975, wie das LSG ebenfalls unwidersprochen festgestellt hat, ausdrücklich die Verpflichtung der Krankenhäuser zur Versorgung von Notfallpatienten.

Aus den vorgenannten gesetzlichen und vertraglichen Regelungen ergibt sich, daß die streitigen Notfallbehandlungen rechtlich als solche des jeweiligen Krankenhauses anzusehen sind und damit auch der Vereinbarung vom 10. September 1980 über eine Vergütung in Höhe von 80 % der kassenärztlichen Punktwerte unterliegen. Ein Nachweis darüber, daß die jeweiligen Behandlungen von Ärzten ausgeführt wurden, die nicht für das Krankenhaus tätig geworden sind, ist hier nicht erbracht. Eine gesetzliche oder (Klägerin, Beklagte, abrechnende Krankenhäuser betreffende) allgemeinvertragliche Regelung im Sinne einer Alleinverpflichtung bestimmter Ärzte liegt nicht vor. Es ist auch unstreitig, daß keiner der Ärzte, die an der Erbringung der streitbefangenen Notfallbehandlungen beteiligt waren, insbesondere keiner der beigeladenen Chefärzte etwa als Belegarzt von dem jeweiligen Krankenhausträger, ohne dessen Arbeitnehmer zu sein, das Recht eingeräumt erhielt, im Krankenhaus unter Inanspruchnahme der hierfür bereitgestellten Räume und Einrichtungen stationär zu behandeln, dem dadurch also bei Notfallbehandlungen unter Umständen ein eigener Vergütungsanspruch auch ohne Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung gemäß § 368d Abs 1 Satz 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) erwachsen könnte ("Ärzte, die nicht an der kassenärztlichen Versorgung teilnehmen, dürfen nur in Notfällen in Anspruch genommen werden). Aber auch dadurch, daß die Krankenhausträger den Beigeladenen in ihren Dienstverträgen ein Liquidationsrecht (auch) für die ambulante Notfallbehandlung eingeräumt haben, wurde die ambulante Notfallbehandlung nicht als Aufgabe des Krankenhauses auf die Aufgabenseite der (liquidationsberechtigten) Chefärzte verlagert. Denn mit der Übertragung des Liquidationsrechts hört die ambulante Notfallbehandlung nicht auf, eine Aufgabe des Krankenhausträgers zu sein. Dementsprechend konnte der Krankenhausträger die ihn treffende öffentlich-rechtliche Verpflichtung auch nicht durch den Dienstvertrag auf den Chefarzt übertragen, ganz abgesehen davon, daß selbst dann keine höhere Vergütung als vom Krankenhausträger vereinbart verlangt werden könnte.

Anders läge der Fall dann, wenn der an der kassenärztlichen Versorgung beteiligte Chefarzt vom Versicherten entsprechend dem Inhalt des Beteiligungsbeschlusses unmittelbar oder auf Überweisung in Anspruch genommen wird (§ 29 Abs 2 bis 4 der Zulassungsordnung für Kassenärzte - ZO-Ärzte -). Ein entsprechendes "Liquidationsrecht", das die Berechtigung zur ambulanten Behandlung des Kassenpatienten innerhalb und mit den Mitteln des Krankenhauses enthält, überträgt keine Behandlungsverpflichtung des Krankenhauses; zur ärztlichen Leistungserbringung verpflichtet ist hier von Anfang an allein der beteiligte Chefarzt, nicht aber das Krankenhaus, das ihm im Chefarztvertrag lediglich die Möglichkeit einräumt, seiner - des beteiligten Chefarztes - Verpflichtung mit den Mitteln des Krankenhauses (ambulant) nachzukommen. Abgesehen davon, daß Notfallbehandlungen nicht unter den Regelleistungen der Chefarztbehandlungen nach § 29 Abs 2 ZO-Ärzte aufgeführt sind, wird hier jedenfalls nicht vorgetragen, daß der Beteiligungsinhalt der Beigeladenen auch eine ambulante Notfallbehandlung umfasse. Ein hier von den Krankenhausträgern eingeräumtes "Liquidationsrecht" kann daher lediglich die Befugnis des Chefarztes umgreifen, die aufgrund der vom Krankenhaus geschuldeten und erbrachten ambulanten Notfallbehandlungen selbst (statt des Krankenhauses) zu liquidieren. Das aber hat, wie gesagt, keinen Einfluß auf die zwischen dem Krankenhausträger und der Klägerin vereinbarten Vergütungen.

Entgegen der Ansicht des Revisionsklägers kommt es hier daher nicht darauf an, ob er die Leistungen persönlich erbracht hat oder nicht. Soweit er sich auf das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 28. April 1987 - VI ZR 176/86 - beruft, ist darauf hinzuweisen, daß dort bei der Darlegung der Rechtsbeziehungen zwischen beteiligtem Chefarzt und Kassenpatienten der Fall der Notfallbehandlung in der Ambulanz ausdrücklich ausgenommen wurde (BGHZ 100, 363, 368 Mitte). Der Revisionskläger beruft sich auch zu Unrecht auf das Urteil des Senats vom 24. Oktober 1961 - 6 RKa 19/60 - (BSGE 15, 169). Dort heißt es, daß die Vergütung für eine Notfallbehandlung dem Krankenhaus jedenfalls dann zustehe, wenn dem behandelnden Arzt die Ausübung eigener ärztlicher Praxis im Krankenhaus untersagt ist; sofern der Revisionskläger aus diesem "jedenfalls dann" ein "nur dann" macht (- Revisionsbegründung Bl 5 Mitte -), verkehrt er die Aussage in ihr Gegenteil. Soweit der Revisionskläger schließlich vorbringt, durch die Vereinbarung vom 10. September 1980 könne sein Honoraranspruch nicht gemindert werden, verkennt er, daß er mit seinen Notfallbehandlungen auch dann lediglich die Aufgaben des Krankenhauses im Rahmen des bestehenden Dienstvertrages erfüllt, wenn diese Behandlungen unter Beanspruchung der Einrichtungen und des Personals des Krankenhauses in dessen ihm aufgrund des Chefarztvertrages zur Verfügung gestellten Räumen erfolgte. Der Chefarztvertrag regelt lediglich die internen Beziehungen zwischen Chefarzt und Krankenhausträger. Über die öffentlich-rechtlichen Aufgaben des Krankenhauses kann in ihm nicht verfügt werden.

Die Revision konnte daher keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1663931

AusR 1990, 17

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