Entscheidungsstichwort (Thema)

Zurückweisung. Rechtsstreit. Sprungrevision. notwendige Beiladung. Universität. Arzneimittelregreß. Poliklinik

 

Orientierungssatz

1. Bei einer Sprungrevision ist eine Zurückverweisung des Rechtsstreits wegen fehlender notwendiger Beiladung nicht ausgeschlossen; § 161 Abs 1 SGG, wonach Verfahrensmängel im Rahmen der Sprungrevision nicht gerügt werden können, steht einer von Amts wegen erforderlichen Beachtung eines so wesentlichen Verfahrensmangels nicht entgegen.

2. Bei der Frage, ob die Prüfinstanzen der KÄV auf Antrag einen Prüfbescheid gegen eine zu einer Universität gehörende Poliklinik wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise erlassen können, ist die Universität an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt, daß die Entscheidung auch ihr gegenüber nur einheitlich ergehen kann, was eine notwendige Beiladung nach § 75 Abs 2 SGG erfordert.

 

Normenkette

SGG § 75 Abs. 2; RVO § 368n Abs. 5; SGG § 161 Abs. 1; RVO § 368e Fassung: 1975-08-28; SGG § 161 Abs. 4

 

Verfahrensgang

SG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 24.06.1987; Aktenzeichen S 1 Ka 1791/85)

 

Tatbestand

Umstritten ist, ob die Prüfungseinrichtungen der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) den Antrag der Kläger zur Verhängung eines Arzneimittelregresses in Höhe von 1.008,23 DM gegen die A.    -L.     -Universität (A-L-U) F.       mit Recht wegen Unzuständigkeit abgelehnt haben.

Nach § 1 Abs 1 des für die ambulante Behandlung der Versicherten von RVO-Kassen in Kliniken und Abteilungen der Kliniken der A-L-U F.       geltenden Poliklinikvertrages können die Versicherten die Polikliniken und Ambulanzen ohne Überweisungsschein zur Untersuchung und Behandlung aufsuchen. Zur ärztlichen Behandlung gehört auch die Verordnung von Arznei- und Heilmitteln; dabei sind die Bestimmungen des § 368e Reichsversicherungsordnung (RVO) zu beachten; Lehre und Forschung sind nicht Gegenstand des Vertrages (§ 3 Abs 3 des Poliklinikvertrages).

Die Klägerin zu 2. hat im Januar 1983 beantragt, die Verordnungsweise von Prof. Dr. K.     , Leiter der Sporttraumatologischen Spezialambulanz des Klinikums der A-L-U F.      , für den bei ihr in den Quartalen II und III/1983 versicherten Studenten Achim B.       (B.) zu überprüfen. Der Prüfungsausschuß erklärte sich für unzuständig. Der beklagte Beschwerdeausschuß wies den Widerspruch zurück. Mit ihrer Klage beantragten die Kläger, den Bescheid des Beschwerdeausschusses aufzuheben und den Beklagten zu 1. zu verurteilen, über den Widerspruch gegen den Bescheid des Prüfungsausschusses unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Das Sozialgericht (SG) hat mit diesem Verfahren einen Rechtsstreit verbunden, in dem die Klägerin zu 2. (Allgemeine Ortskrankenkasse -AOK- M.     ) zusätzlich beantragt hatte, die Beklagte zu 2. zu verurteilen, ihr Schadensersatz in Höhe von 1.008,23 DM zu zahlen sowie festzustellen, daß die A-L-U F.       (damals Beklagte zu 3.) verpflichtet sei, der AOK 1.008,23 DM Schadensersatz zu leisten. Die Klage gegen die A-L-U F.       hat die AOK in der mündlichen Verhandlung vor dem SG zurückgenommen.

Das SG hat mit dem angefochtenen Teilurteil die Klagen gegen den Beklagten zu 1. abgewiesen und ausgeführt: Der beklagte Beschwerdeausschuß habe es zu Recht abgelehnt, gegenüber der A-L-U F.   den Arzneikostenregreß durch Verwaltungsakt zu verhängen. Zwischen dem beklagten Beschwerdeausschuß und der Universität bestehe kein Über- und Unterordnungsverhältnis, da die Universität eine Körperschaft des öffentlichen Rechts sei. Auch aus dem Poliklinikvertrag ergebe sich keine Befugnis zum Erlaß von Verwaltungsakten. Dazu beruft sich das SG auf das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg vom 2. November 1983 - L 1 Ka 889/83 -, in dem ausgeführt worden ist, der hier streitige Poliklinikvertrag enthalte keine Regelung darüber, auf welchem Wege die Verletzung des Wirtschaftlichkeitsgebots und daraus herzuleitende Regreßansprüche geltend zu machen seien; er könne nicht die Befugnis der Prüfungseinrichtungen begründen, Verwaltungsakte gegenüber der Universität zu erlassen. Aus diesen Gründen wäre der richtige Weg eine Aufrechnung des Arzneimittelregresses gegen mögliche Vergütungsansprüche aus poliklinischen Leistungen der Universität.

Die Kläger haben Revision eingelegt und machen geltend, Arzneimittelregresse seien auch gegenüber Polikliniken von den Prüfungsausschüssen nach § 368n Abs 5 RVO festzusetzen. Die Stellung der Universität als Körperschaft des öffentlichen Rechts schließe den Erlaß von Verwaltungsakten ihr gegenüber nicht aus. Dafür sei nicht erforderlich, daß die Poliklinik in die Gesamtverträge nach § 368n Abs 5 Satz 3 oder Abs 3 Satz 3 RVO einbezogen werde; diese Einbeziehung sei auch nicht zulässig. Die KÄV'en hätten die Wirtschaftlichkeitsprüfung zu bewerkstelligen (Bundessozialgericht -BSG- 27. Januar 1987 - 6 RKa 27/86 -). Dafür stehe ihnen aber nur das Institut der Prüfung durch die Prüfungsausschüsse zur Verfügung. Jede Wirtschaftlichkeitsprüfung sei von den Ausschüssen vorzunehmen.

Die Kläger beantragen,

das Teilurteil des Sozialgerichts Freiburg vom 24. Juni 1987 zu ändern und unter Aufhebung des Bescheides des Beklagten zu 1. vom 26. Juli 1985 ihn zu verurteilen, über den Widerspruch vom 15. November 1984 in der Sache zu entscheiden.

Die Beklagten beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Sprungrevisionen der Kläger sind im Sinn der Zurückverweisung der Sache an das SG zu neuer Verhandlung und Entscheidung begründet.

Das Urteil des SG beruht auf einem wesentlichen Mangel des Verfahrens, der von Amts wegen zu beachten ist. Bei Vorliegen eines derartigen Verfahrensmangels ist das angefochtene Urteil auch auf eine Sprungrevision aufzuheben. In der Bestimmung des § 161 Abs 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sind bei der Sprungrevision Verfahrensmängel nur als Revisionsgründe ausgeschlossen. Das hindert aber nicht die Berücksichtigung eines Verfahrensmangels, der unabhängig von der Revisionsbegründung von Amts wegen zu beachten ist.

Ein solcher von Amts wegen zu beachtender Verfahrensmangel ist das Unterlassen der notwendigen Beiladung nach § 75 Abs 2 erste Alternative SGG (BSG SozR 1500 § 75 SGG Nr 1). Wenn eine notwendige Beiladung unterblieben ist, leidet darunter auch das Revisionsverfahren selbst, das Urteil des Revisionsgerichts würde ohne die Beteiligung des notwendig Beizuladenden auf einem Verfahrensmangel beruhen. Die Beiladung kann nicht vom BSG nachgeholt werden (§ 168 SGG).

Zum Rechtsstreit der Kläger gegen den Beklagten zu 1. ist die A-L-U F. beizuladen. Sie ist an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt, daß die Entscheidung auch ihr gegenüber nur einheitlich ergehen kann (§ 75 Abs 2 erste Alternative SGG). Die zu erwartende Entscheidung über das streitige Rechtsverhältnis greift unmittelbar zugleich in die Rechtssphäre der Universität ein. Mit der vom SG abgewiesenen Klage begehren die Kläger Aufhebung des Bescheids vom 26. Juli 1985 und Verurteilung zur Neubescheidung über den Widerspruch unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts. Der Beklagte zu 1. hatte mit dem Bescheid den Erlaß des beantragten Arzneimittelregresses abgelehnt, weil er unzuständig sei. Damit hat der Beklagte zu 1. den Erlaß eines Verwaltungsaktes gegenüber der Universität abgelehnt. Die Kläger haben dagegen nicht die Untätigkeitsklage, sondern zulässigerweise die Aufhebungs- und Verpflichtungsklage erhoben. Sie begehren mit dem Antrag auf Verurteilung des Beklagten zu 1. zur Entscheidung "in der Sache" die Verurteilung zum Erlaß eines Regreßbescheides, dh eines Bescheides, der den Regreß verfügt oder ihn nach Prüfung der sachlichen Voraussetzungen ablehnt. Mit der beantragten Verurteilung zum Erlaß eines solchen Verwaltungsaktes gegenüber der Universität wird unmittelbar über ein Rechtsverhältnis der Universität zum Beklagten zu 1. entschieden.

Die Universität ist auch nicht auf andere Weise am Revisionsverfahren beteiligt, so daß sich etwa die Beiladung erübrigen würde. Allerdings war sie neben dem Beschwerdeausschuß und der KÄV Beklagte in dem Verfahren des SG Freiburg - S 1 Ka 1791/85 -, in dem die AOK M.      Klägerin war. Die Klage gegen die Universität hatte die AOK M.      aber zurückgenommen; die Wirksamkeit dieser Rücknahme hing nicht von der Zustimmung der Universität ab (§ 102 SGG). Mit Beschluß vom 13. Oktober 1987 hat das SG die Erledigung des Rechtsstreits zwischen der AOK M.      und der A-L-U F.       festgestellt. Dieser Beschluß wurde der Universität am 23. Oktober 1987 zugestellt. Erst am 20. Januar 1988 beschloß das SG die Zulassung der Sprungrevision. Jedenfalls bei Einlegung der Revisionen am 29. Januar 1988 hatte die Universität mit dem jetzt zugrundeliegenden Verfahren nichts zu tun. Sie kann wegen ihrer früheren Stellung als Mitbeklagte bis zur mündlichen Verhandlung vor dem SG auch nicht ausnahmsweise vom Revisionsgericht beigeladen werden, denn im Revisionsverfahren ist die Beiladung nach dem eindeutigen Wortlaut des § 168 SGG, über den sich der Senat nicht hinwegsetzen kann, nicht zugelassen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1659752

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?