Entscheidungsstichwort (Thema)
Alterssicherung der Landwirte – Befreiung – Landswirtehegatte – Nebenerwerbslandwirt – Ehefrau – Wirtschaftswert – Stichtag – Pauschalierung – Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
Sinkt der Wirtschaftswert des landwirtschaftlichen Betriebes eines Nebenerwerbslandwirts unter den Grenzwert von DM 15.000 bis zum Stichtag (1.7.), so kann dies zur Befreiung seines Ehegatten von der Versicherungspflicht (nach § 1 Abs 3 ALG) erst ab dem 1.1. des Folgejahres führen (§ 85 Abs 3b iVm § 32 Abs 6 S 5 ALG).
Stand: 26. März 2001
Normenkette
ALG § 85 Abs. 3b S. 1 Teils. 2 Nr. 1 Buchst. b, S. 1 Teils. 1 Nr. 1, Sätze 2-3, § 32 Abs. 6 S. 5, § 1 Abs. 3; GG Art. 2 Abs. 1
Beteiligte
Landwirtschaftliche Alterskasse Schwaben |
Gesamtverband der landwirtschaftlichen Alterskassen |
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 4. August 1999 geändert; die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 20. April 1998 wird in vollem Umfang zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander für alle Rechtszüge keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Zwischen den Beteiligten ist noch streitig, ob die beklagte Landwirtschaftliche Alterskasse die Klägerin – statt zum 1. Januar 1998 – bereits zum 1. Juli 1997 von der Versicherungspflicht zu befreien hatte.
Die Klägerin ist die Ehefrau eines Nebenerwerbslandwirts, der zum 1. Januar 1995 über eine Fläche von ca 6 ha (unterhalb der Mindestgröße gemäß § 1 Abs 5 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte ≪ALG≫) verfügte. Zum 1. Mai 1996 bewirtschaftete er jedoch ein landwirtschaftliches Unternehmen in der Größe von 22,71 ha mit einem Wirtschaftswert von DM 18.691,–; mit Wirkung ab diesem Zeitpunkt hat die Beklagte die Versicherungspflicht der Klägerin nach § 1 Abs 3 ALG festgestellt. Am 1. Juli 1997 (laut Vortrag der Klägerin: bereits ab 1. Oktober 1996) unterschritt der Wirtschaftswert jedoch wiederum den Betrag von DM 15.000,–.
Mit ihrem Antrag vom Juni 1996 auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 85 Abs 3b ALG hatte die Klägerin zunächst keinen Erfolg (Bescheid vom 26. November 1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. April 1997); während des Klageverfahrens hat die Beklagte mit Bescheid vom 26. Januar 1998 die Klägerin ab 1. Januar 1998 von der Versicherungspflicht befreit: Am 1. Juli 1997 habe der Wirtschaftswert des Unternehmens weniger als DM 15.000,– betragen; das Einkommen des Ehegatten der Klägerin habe im Jahre 1997 über DM 40.000,– gelegen. Mit Urteil vom 20. April 1998 hat das Sozialgericht (SG) die auf Befreiung bereits ab 1. Mai 1996 gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hatte teilweise Erfolg: Mit Urteil vom 4. August 1999 hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) die Beklagte verpflichtet, die Klägerin bereits ab 1. Juli 1997 von der Versicherungspflicht als Landwirtin nach § 1 Abs 3 ALG gemäß § 85 Abs 3b ALG zu befreien; im übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen.
Mit der Revision wendet sich die Beklagte gegen ihre Verpflichtung, die Klägerin auch für die Zeit vom 1. Juli 1997 bis 31. Dezember 1997 von der Versicherungspflicht zu befreien. Die Verweisung in § 85 Abs 3b ALG auf die Stichtagsregelung des § 32 Abs 6 Satz 5 ALG verfolge Belange der Verwaltungspraxis. Ein Ausgleich für den „verzögerten” Beginn der Befreiung von der Versicherungspflicht ergebe sich dadurch, daß bei einem Wegfall der Befreiungsvoraussetzungen die Anpassung an die neuen Verhältnisse, also die Wiederaufnahme in die Versicherungspflicht, ebenfalls mit „Verzögerung” erfolge.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil des LSG insoweit aufzuheben, als das LSG sie verpflichtet hat, die Klägerin ab 1. Juli 1997 von der Versicherungspflicht als Landwirtin nach § 1 Abs 3 ALG gemäß § 85 Abs 3b ALG zu befreien, und die Berufung der Klägerin auch insoweit zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigt das Berufungsurteil.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) einverstanden erklärt.
II
Die Revision ist begründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 1 Abs 3 ALG gemäß der Übergangsvorschrift des § 85 Abs 3b ALG bereits zum 1. Juli 1997, sondern, wie von der Beklagten zutreffend entschieden, erst ab 1. Januar 1998.
Zu einem früheren Zeitpunkt sind die Befreiungsvoraussetzungen des § 85 Abs 3b ALG bei der Klägerin nicht erfüllt. Denn die erforderliche Verringerung des Wirtschaftswerts des landwirtschaftlichen Unternehmens ihres Ehegatten unter den Grenzbetrag von DM 15.000,– kann sich nach der von § 85 Abs 3b Satz 1 Teilsatz 1 Nr 1 ALG in Bezug genommenen Vorschrift des § 32 Abs 6 Satz 5 ALG erst ab 1. Januar 1998 auswirken. Dabei ist unerheblich, ob die tatsächliche Absenkung des Wirtschaftswerts, wie vom LSG festgestellt, jedenfalls zum 1. Juli 1997 oder, wie von der Klägerin vorgetragen, bereits zum 1. Oktober 1996 erfolgt war.
Nach beiden Alternativen steht außer Streit, daß die Klägerin bereits ab dem 1. Juli 1997 die materiellen Voraussetzungen für eine Befreiung nach § 85 Abs 3b ALG erfüllte: Der Wirtschaftswert des landwirtschaftlichen Unternehmens überschritt DM 15.000,– nicht (Satz 1 Teilsatz 1 Nr 1) und ihr Ehemann als Unternehmer nach § 1 Abs 2 ALG erzielte regelmäßig Erwerbseinkommen von mehr als DM 40.000,–/Jahr (Satz 1 Teilsatz 1 Nr 2). Ferner hat die Ehe bereits am 31. Dezember 1994 bestanden und in der Zeit vom 1. Januar 1995 bis zum 31. Dezember 1999 hat der Ehemann der Klägerin eine am 31. Dezember 1994 noch nicht ausgeübte (zu ergänzen: an sich versicherungspflichtige) landwirtschaftliche Tätigkeit aufgenommen (Satz 1 Teilsatz 2 Nr 1 Buchst b). Schließlich war der Ehemann der Klägerin als Unternehmer nach § 1 Abs 2 ALG von der Versicherungspflicht befreit (Satz 1 Teilsatz 2 Nr 2).
Ohne Berücksichtigung dessen, daß in § 85 Abs 3b Satz 1 Teilsatz 1 Nr 1 ALG ohne Einschränkung auf den „nach § 1 Abs 6 und § 32 Abs 6 Satz 5 ermittelten Wirtschaftswert des Unternehmens der Landwirtschaft” verwiesen wird, müßte demnach gemäß § 85 Abs 3b Satz 3 ALG die Befreiung „vom Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen an” wirken; der Antrag, auf den hin die Befreiung erging, stammte ja schon vom Juni 1996. Jedenfalls für den hier streitigen Zeitraum – ab 1. Juli 1997 – bestünde damit ein Anspruch auf Befreiung.
Aber gerade die Bezugnahme in § 85 Abs 3b Satz 1 Teilsatz 1 Nr 1 ALG auf § 32 Abs 6 Satz 5 ALG steht dem vom LSG gewonnenen Auslegungsergebnis entgegen. Diese Bestimmung hat folgenden Wortlaut: „Maßgebend für den zugrunde zu legenden Wirtschaftswert sind die am 1. Juli des vergangenen Kalenderjahres bestehenden betrieblichen Verhältnisse; beginnt die Versicherung nach dem 1. Juli des jeweiligen Vorjahres, sind die betrieblichen Verhältnisse zum Zeitpunkt des Beginns der Versicherung maßgebend.”
Aus dieser Bestimmung kann nichts anderes herausgelesen werden, als daß – hat eine Versicherung einmal iS des § 32 Abs 6 Satz 5 ALG begonnen – jede Änderung, die nach dem 1. Juli (zB 1996) stattfindet, erst ab dem 1. Januar des übernächsten Kalenderjahres (zB 1998) berücksichtigt werden kann. Dies bedeutet gleichzeitig, daß dann Schwankungen des Wirtschaftswerts jeweils zwischen den Stichtagen „1. Juli” jedes Kalenderjahres unberücksichtigt bleiben.
Aus den Materialien ergibt sich, daß die Worte „nach § 1 Abs 6 und § 32 Abs 6 Satz 5 ermittelte” in § 85 Abs 3b Satz 1 Teilsatz 1 Nr 1 ALG erst im Ausschußstadium in das Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Reform der agrarsozialen Sicherung vom 15. Dezember 1995 eingefügt wurden (Gegenüberstellung der Entwurfstexte BT-Drucks 13/3057 S 11); dies wurde wie folgt begründet (BT-Drucks 13/3057 S 28):
„Im übrigen wird mit der Ergänzung in Satz 1 Nr 1 aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität im Hinblick auf den Wirtschaftswert auf die betrieblichen Verhältnisse an einem festen, in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt (1. Juli des Vorjahres oder, wenn erstmals Versicherungspflicht nach diesem Zeitpunkt entstanden ist, Beginn der Versicherungspflicht) abgestellt, da der Wirtschaftswert sich uU laufend ändert und in der Praxis den Alterskassen der aktuelle Wirtschaftswert nicht bekannt ist; die Regelung entspricht der Regelung in § 32 Abs 6 Satz 5.”
Die während des Gesetzgebungsverfahrens eingefügte Verweisung auf § 32 Abs 6 Satz 5 ALG hat zur Folge, daß entscheidenden Verringerungen des Wirtschaftswerts nicht zeitnah durch die nunmehr zustehende Befreiung Rechnung getragen werden kann. Nichts anderes war jedoch mit der Neufassung bezweckt. Die Fassung des ursprünglichen Gesetzentwurfs hätte zur Folge gehabt, daß die Landwirtschaftlichen Alterskassen bei laufender Versicherung jeweils sofort auf Minderungen des Wirtschaftswerts hätten reagieren müssen; in aller Regel hätten Überzahlungen von Beiträgen rückabgewickelt werden müssen. Dies vermeidet die zum Gesetz gewordene Regelung des § 85 Abs 3b Satz 1 ALG dadurch, daß eine Absenkung des Wirtschaftswerts erst mit mindestens sechsmonatiger Verzögerung zu einer Befreiung führen kann. Damit wird die Rückabwicklung überzahlter Beiträge zum großen Teil vermieden. Denn in aller Regel wird der Befreiungsantrag in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem Absinken des Wirtschaftswerts gestellt werden; der Landwirtschaftlichen Alterskasse bleibt somit in aller Regel zumindest ein halbes Jahr Zeit, um die Befreiung einzuleiten. Der Senat kann im vorliegenden Zusammenhang offenlassen, welche Folgerungen aus der hier anzuwendenden Vorschrift für die Überprüfung laufender Befreiungen nach § 85 Abs 3b ALG oder für solche Fallkonstellationen zu ziehen sind, in denen eine Befreiung aufgrund anderer Vorschriften (zB § 3 ALG) durch eine Befreiung nach § 85 Abs 3b ALG abgelöst werden soll (vgl insoweit das Urteil vom heutigen Tage – B 10 LW 10/00 R).
Der Senat verkennt nicht, daß mit der im vorliegenden Fall anzuwendenden Vorschriften aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität eine überaus stark pauschalierende Regelung gewählt wurde. Sie bewirkt, daß Betroffene teilweise bis zu anderthalb Jahre warten müssen, um eine derartige Befreiung zu erreichen: Sinkt zB der Wirtschaftswert zum 2. Juli 1996, kann dem erst mit einer Befreiung ab 1. Januar 1998 Rechnung getragen werden. Eben dieser Effekt kann sich jedoch auch umgekehrt dahingehend auswirken, daß eine an sich nicht mehr zustehende Befreiung noch über jene anderthalb Jahre weiter läuft: Steigt der Wirtschaftswert zum 2. Juli 1996 auf über DM 15.000,–, so folgt hieraus eine erneute Versicherungspflicht ebenfalls erst ab 1. Januar 1998, wenn iS des § 32 Abs 5 Satz 6 ALG die Versicherung bereits vor dem 2. Juli 1996 begonnen hat.
Die pauschalierende Regelung des § 85 Abs 3b Satz 1 Teilsatz 1 Nr 1 ALG kann auch in anderer Hinsicht zu Verzerrungen führen: Besteht zB nur am 1. Juli 1996 ein Wirtschaftswert von über DM 15.000,–, am 2. Juli 1996 jedoch bereits nicht mehr, so führt dieses Überschreiten des Grenzwertes für die Dauer von lediglich einem Tag zur Versicherungspflicht für das gesamte Jahr 1997. Spiegelbildlich können Änderungen des Wirtschaftswertes, die längere Zeit, jedoch weniger als ein Jahr andauern, für die Frage der Befreiung nach § 85 Abs 3b ALG irrelevant sein, solange der Stichtag 1. Juli hiervon nicht betroffen ist.
Die geschilderten Effekte werden auch durch die Verfahrensregelungen in § 85 Abs 3b Sätze 2 und 3 ALG nicht beeinflußt. Nach Satz 2 der Vorschrift ist der Antrag bis zum 31. Dezember 1999 zu stellen; dies bewirkt lediglich, daß die Vorschrift des § 85 Abs 3b ALG nur für Anträge innerhalb dieses Übergangszeitraums gilt. Nach Satz 3 wirkt die Befreiung vom Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen an, wenn sie innerhalb von drei Monaten oder bis zum 31. März 1996 beantragt wird, sonst vom Eingang des Antrags an. Diese Regelung hatte zwar nach der ursprünglichen Entwurfsfassung des § 85 Abs 3b ALG zur Folge, daß zB bei einem Absinken des Wirtschaftswerts unter den Grenzwert von DM 15.000,– ab 1. Oktober 1996 (wie von der Klägerin behauptet) noch bei einem Antrag im Dezember 1996 die Befreiung rückwirkend ab Oktober zu erteilen gewesen wäre. Da die Verfahrensvorschrift des Satzes 3 jedoch von der Erfüllung der materiellen Voraussetzungen nach Satz 1 abhängig ist, folgt aus ihr nunmehr, daß bei einer Wirtschaftswertänderung ab 1. Oktober 1996 der Befreiungsantrag noch bis zum 1. April 1998 gestellt werden kann, um die Befreiung ab dem frühestmöglichen Zeitpunkt (1. Januar 1998) zu erreichen.
Der Senat vermag sich dennoch nicht der Rechtsansicht des LSG anzuschließen, daß zwar – aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung – grundsätzlich nur zu jedem 1. Juli zu überprüfen sei, ob der Wirtschaftswert den Vorgaben des § 85 Abs 3b Satz 1 Teilsatz 1 Nr 1 ALG entspricht; sei dies jedoch der Fall, solle dem dann sogleich Rechnung getragen werden (hier also ab dem 1. Juli 1997). Dies folgert das LSG aus dem Wort „solange” in § 85 Abs 3b Satz 1 Teilsatz 1 am Anfang Nr 1 ALG. Hieraus ergebe sich, „daß bei Änderung des Wirtschaftswertes entweder die Befreiung ausgesprochen werden kann oder die Befreiung hinfällig wird”. Eine Bedeutung dieses weitgehenden Inhalts kann der Senat jener Wendung nicht entnehmen. Das Wort „solange” grenzt vielmehr den Befreiungstatbestand des § 85 Abs 3b ALG von dem des Absatzes 3a dieser Vorschrift ab, der nach dem „Alles-oder-Nichts”-Prinzip ausgestaltet ist und eine Befreiung auf Dauer zur Folge hat, wenn die Befreiungsvoraussetzungen einmal erfüllt waren. Im Gegensatz dazu ist die Befreiung nach Abs 3b vom Bestehen der maßgebenden – wirtschaftlichen – Verhältnisse abhängig. Dabei zeigt erst der Maßstab des § 32 Abs 6 Satz 5 ALG, auf welche Zeitpunkte es dafür ankommt.
Die gesetzliche Regelung ist auch im Lichte der Auslegung durch den Senat mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar; einer verfassungskonformen Auslegung bedarf es nicht.
Ein Verstoß gegen die allgemeine Handlungsfreiheit (Art 2 Abs 1 GG) ergibt sich aus der Auslegung des Senats nicht. Daß die in § 1 Abs 3 ALG geregelte eigenständige Versicherungspflicht des Ehegatten eines Landwirts zur Alterssicherung der Landwirte insoweit mit dem GG vereinbar ist, hat der Senat bereits wiederholt – und gerade auch für Ehefrauen von entsprechend befreiten Nebenerwerbslandwirten – entschieden (zB Urteile vom 25. November 1998, BSGE 83, 145 = SozR 3-5868 § 1 Nr 2 und vom 12. Februar 1998, BSGE 81, 294 = SozR aaO Nr 1). Für den Fall der Klägerin gilt insoweit nichts anderes. Aus dem Gesichtspunkt des Art 2 Abs 1 GG ist keine großzügigere Auslegung des Befreiungstatbestandes nach § 85 Abs 3b ALG erforderlich. Im Gegenteil wäre es sogar nicht verfassungswidrig gewesen, eine Befreiungsvorschrift wie § 85 Abs 3b ALG von vornherein nicht vorzusehen. Sie wurde für sog „Zugangsbäuerinnen” geschaffen, zu denen die Klägerin gehörte, weil ihr Ehegatte zwischen dem 1. Januar 1995 und dem 31. Dezember 1999 ein landwirtschaftliches Unternehmen (oberhalb der Mindestgröße) übernommen hatte. Die Vorschrift begünstigt damit einen Personenkreis, der – jedenfalls bei Übernahme der Landwirtschaft erst im Jahre 1996 (wie hier) – die Folgen der Übernahme einer Landwirtschaft auf die Versicherungspflicht des Landwirts-Ehegatten übersehen und in seine Planung einbeziehen konnte.
Die Regelung bewirkt ferner zwar – wie oben aufgezeigt –, daß einerseits viele unterschiedliche Fallgestaltungen „über einen Kamm geschoren” werden, dh ohne Rücksicht auf diese Unterschiede den gleichen Rechtsfolgen unterliegen, während andererseits geringfügige Abweichungen zu wesentlich unterschiedlichen Ergebnissen führen können. Dies kann im übrigen auch die vom LSG vertretene Auslegung nicht vermeiden, sondern allenfalls abmildern. Aber selbst nach der Auslegung des Senats enthält die Regelung keinen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz für den Gesetzgeber je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (vgl BVerfG vom 26. Januar 1993, BVerfGE 88, 87, 96; BVerfG vom 8. Juni 1993, BVerfGE 89, 15, 22; BVerfG vom 10. Januar 1995, BVerfGE 91, 389, 401). Da der Grundsatz, daß alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, in erster Linie eine ungerechtfertigte Verschiedenbehandlung von Personen verhindern soll, unterliegt der Gesetzgeber bei einer Ungleichbehandlung von Personengruppen regelmäßig einer strengen Bindung. Eine Differenzierung ist hier im allgemeinen verfassungsrechtlich nur dann nicht zu beanstanden, wenn für sie Gründe von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleichen Rechtsfolgen rechtfertigen können (vgl BVerfG vom 7. Oktober 1980, BVerfGE 55, 72, 88; BVerfG vom 26. Januar 1993, BVerfGE 88, 87, 96 f; BVerfG vom 10. Januar 1995, BVerfGE 91, 389, 401).
Einer Prüfung anhand dieser Maßstäbe hält § 85 Abs 3b ALG in der Auslegung des Senats stand. Denn die Vorschrift wirkt sich, wie bereits aufgezeigt, nicht zielgerichtet und allein zu Lasten der Betroffenen aus, sondern kann uU auch zu deren Gunsten ausschlagen. Dieser Effekt ist zudem steuerbar, wenn das Datum einer Änderung im Wirtschaftswert nicht von äußeren Zwängen abhängig ist. Zudem ist die Belastung der betroffenen Versicherten nach § 1 Abs 3 ALG hinnehmbar. Sie besteht darin, daß während bestimmter Zeiträume, in denen „an sich” die Befreiungsvoraussetzungen vorliegen, eine Befreiung (noch) nicht erteilt werden kann. Dies kann aber schon deshalb nicht als verfassungswidrig gewertet werden, weil, wie oben aufgezeigt, auch eine generelle Versicherungspflicht ohne Befreiungsmöglichkeit für den Personenkreis der Klägerin mit der Verfassung vereinbar gewesen wäre.
Allgemein ist zudem beachtlich, daß es sich bei § 85 Abs 3b ALG um eine bloße Übergangsvorschrift handelt; eine Befreiung nach dieser Regelung ist bis zum 31. Dezember 1999 zu beantragen. Die Ankündigung in den Gesetzgebungsmaterialien, es solle „zu gegebener Zeit” geprüft werden, ob die Befreiungsregelung des § 85 Abs 3b ALG auch auf ab dem Jahr 2000 zugehende Ehegatten von Landwirten ausgeweitet werden könne (BT-Drucks 13/2774 S 14), hat zu keiner zeitlichen Erweiterung von dessen Geltungsbereich geführt. Bei der Gestaltung von Übergangsvorschriften aber ist der Gesetzgeber von vornherein freier als bei der Setzung von zeitlich unbegrenzt geltendem materiellen Recht (vgl BVerfG vom 8. Dezember 1976, BVerfGE 44, 1, 20 f). In der Rechtsprechung des BVerfG ist ferner anerkannt, daß der Gesetzgeber praktischen Erfordernissen der Verwaltung Rechnung tragen darf und dieser Gesichtspunkt auch eine Ungleichbehandlung rechtfertigen kann (BVerfG Kammerbeschluß vom 2. August 1990, SozR 3-5870 § 2 Nr 9 mwN).
Auch im Einzelfall der Klägerin ergibt sich keine unzumutbare Belastung. Sie war zwar (nach ihrem Vortrag) von Oktober 1996 bis Dezember 1997 (15 Monate) beitragspflichtig, obwohl sie „an sich” die Befreiungsvoraussetzungen des § 85 Abs 3b ALG erfüllte; jenen 15 Monaten gingen lediglich 5 Monate „echter” Versicherungspflicht voraus. Dennoch ergibt sich hieraus kein derart eklatantes Mißverhältnis, daß es verfassungsrechtliche Bedenken auslösen könnte. Dies gilt insbesondere auch unter Berücksichtigung dessen, daß die Klägerin für die Zeit bis zum 31. Dezember 1997 einen Anspruch auf Beitragszuschuß hatte (Bescheid der Beklagten vom 14. April 1997: 1996 DM 109,–/Monat; Januar und Februar 1997 DM 115,–/Monat; ab März 1997 DM 73,–/Monat). Hierbei darf nicht übersehen werden, daß aus der Beitragsentrichtung nicht nur in Zukunft uU Leistungsansprüche folgen können, sondern daß bereits während der Zeit der Versicherungspflicht ein Versicherungsschutz (für medizinische Rehabilitationsleistungen: § 8 Abs 2 ALG iVm § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI oder für eine Betriebs- oder Haushaltshilfe: § 36 Abs 5 ALG) bestand.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 557835 |
DStR 2001, 1448 |
SozR 3-5868 § 85, Nr. 4 |