Beteiligte

…, Kläger und Revisionsbeklagter

Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz, Düsseldorf, Königsallee 71, Beklagte und Revisionsklägerin

 

Tatbestand

G r ü n d e :

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger Halbwaisenrente unter Berücksichtigung seines spanischen Wehrdienstes über die Vollendung des 25. Lebensjahres hinaus, für die Zeit vom 1. März 1990 bis 28. Februar 1991 zu gewähren ist.

Der Kläger (geboren am 16. Februar 1965) ist spanischer Staatsangehöriger und lebt in Spanien. Er bezog zunächst aus der Versicherung des am 14. Januar 1969 aufgrund eines Arbeitsunfalls während seiner Beschäftigung in Deutschland verstorbenen E  M D Halbwaisenrente von der Beklagten. Diese Rentenzahlung entfiel, als am 30. November 1987 sein Besuch eines Internates zur Erlangung des Abiturs in Valencia wegen seiner Einberufung zum Wehrdienst endete. Sein Wehrdienst in der spanischen Armee erstreckte sich auf die anschließende Zeit bis zum 30. November 1988. Er erhielt für diese Zeit keine Waisenrente. Ab 1. Dezember 1988 wurde die Zahlung von Waisenrente wieder aufgenommen, weil er sich erneut in Schul- und Berufsausbildung befand (Bescheide der Beklagten vom 19. Mai 1989 und 6. März 1990). Der letztgenannte Bescheid enthielt den Hinweis, die Rentenzahlung entfalle ab 1. März 1990, weil der Kläger im Februar 1990 das 25. Lebensjahr vollendet habe.

Der hiergegen vom Kläger eingelegte Widerspruch wurde als Klage an das Sozialgericht Düsseldorf (SG) weitergeleitet. Die Klage blieb ohne Erfolg (Urteil vom 18. März 1993). Auf die Berufung des Klägers hat jedoch das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum vom 1. März 1990 bis 28. Februar 1991 Halbwaisenrente zu gewähren. Es hat in seinem Urteil vom 17. Mai 1995 die Auffassung vertreten, daß § 1267 Abs 1 Satz 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) im Lichte des Diskriminierungsverbotes des Art 7 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGVtr) dahin auszulegen sei, daß dem nach dem deutschen Wehrpflichtgesetz abzuleistenden Wehrdienst der Pflichtwehrdienst nach den Vorschriften der anderen Mitgliedstaaten der EG gleichgestellt sei. Da der Kläger seiner Wehrpflicht nach spanischem Recht nachgekommen sei, sei eine Verzögerung seiner Berufsausbildung durch Erfüllung der gesetzlichen Wehrdienstpflicht iS von § 1267 Abs 1 Satz 3 RVO eingetreten.

Mit ihrer Revision macht die Beklagte geltend, daß nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), insbesondere dem Urteil vom 16. November 1984 - 10 RKg 11/83 - (SozR 5870 § 2 Nr 37), eine Gleichstellung nur erfolgen könne, soweit der ausländische Wehrdienst an Stelle des inländischen Wehrdienstes geleistet worden sei. Der Zweck der Vorschrift beschränke sich auf einen Ausgleich, den der Staat denjenigen gewähre, die der von ihm auferlegten Wehrpflicht nachkämen. Eine Verantwortung für die Wehrdienstverpflichtung, die ein anderer Staat begründe, bestehe insoweit nicht. Außerdem seien Dauer und Umfang des gesetzlichen Wehrdienstes in jedem Mitgliedstaat unterschiedlich; ebenso sei es problematisch festzustellen, was als gleichgestellte Dienste in anderen Staaten angesehen werden könne.

Angesichts dieser Unterschiede könne eine unterschiedliche Behandlung des in Spanien abgeleisteten Wehrdienstes und des zur Erfüllung deutscher Wehrpflicht geleisteten Dienstes nicht als Verstoß gegen Art 7 EGVtr angesehen werden, auch nicht mittelbar. Ebenso liege kein Verstoß gegen das Recht auf Freizügigkeit vor. Dieses stehe nur Arbeitnehmern und nicht Studenten zu. Außerdem lasse sich kein Arbeitnehmer von der Annahme einer Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat abhalten, weil die dortigen Vorschriften im Falle seines Todes für die im Heimatland verbliebenen oder in dieses zurückgekehrten Kinder nicht unter allen Umständen für den Fall des Wehrdienstes dieselben sozialen Vergünstigungen vorsähen.

Die Beklagte beantragt dem Sinne nach,

das Urteil des LSG vom 17. Mai 1995 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG vom 18. März 1993 zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Er bezieht sich in der Sache im wesentlichen auf das Urteil des LSG.

Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]) einverstanden erklärt.

II

Im vorliegenden Verfahren geht es um die Frage, welche Auswirkungen die Ableistung spanischen Wehrdienstes auf die Dauer des Waisenrentenanspruchs des Klägers aus der deutschen Rentenversicherung haben kann. Diese Frage kann der erkennende Senat jedoch zur Zeit nicht abschließend entscheiden, da sie von der Auslegung europäischen Rechts (EG-Recht) abhängig ist, die dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorbehalten ist. Das Verfahren wird deshalb ausgesetzt und der EuGH gemäß § 177 EGVtr zur Vorabentscheidung angerufen.

Rechtsgrundlage des vom Kläger geltend gemachten Anspruchs, im Hinblick auf die Ableistung des spanischen Wehrdienstes Waisenrente auch für Zeiten seiner Ausbildung nach Vollendung des 25. Lebensjahres zu erhalten, ist § 1267 Abs 1 RVO. Diese zur Zeit der Ableistung des Wehrdienstes und danach bis 31. Dezember 1991 geltende Vorschrift ist für den vorliegenden Fall nicht durch das am 1. Dezember 1992 in Kraft getretene Sechste Buch des Sozialgesetzbuches (SGB VI) verdrängt worden; denn es handelt sich um einen Anspruch, der vor dem 31. März 1992 geltend gemacht worden ist und sich auf Zeiten vor dem 1. Januar 1992 erstreckt (vgl § 300 Abs 2 SGB VI).

Die hier maßgeblichen Sätze 2 und 3 des § 1267 Abs 1 RVO lauten:

"Die Waisenrente wird längstens bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres für ein Kind gewährt, das sich in Schul- oder Berufsausbildung befindet ... Im Falle der Unterbrechung oder Verzögerung der Schul- oder Berufsausbildung durch Erfüllung der gesetzlichen Wehr- oder Ersatzdienstpflicht des Kindes wird die Waisenrente auch für einen der Zeit dieses Dienstes entsprechenden Zeitraum über das 25. Lebensjahr hinaus gewährt."

Dies bedeutet für Waisen, die bei Einberufung zum Wehrdienst bereits das 18. Lebensjahr vollendet hatten, daß die Waisenrente zunächst eingestellt wird, weil keine Ausbildung mehr stattfindet, aber dafür anschließend bei Vorliegen einer Schul- oder Berufsausbildung auch über das 25. Lebensjahr hinaus für eine entsprechende Dauer weitergewährt wird. Die Zahlungszeiträume werden also gewissermaßen verschoben.

§ 1267 Abs 1 Satz 3 RVO ist in der bisherigen Rechtsprechung des BSG stets dahin verstanden worden, daß er sich nur auf den Wehrdienst in der deutschen Armee (oder gleichgestellte Tatbestände) erstreckt. Das BSG hat zum Beispiel einen freiwilligen Wehrdienst in Österreich, der an die Stelle des deutschen Wehrdienstes getreten ist, wegen der besonderen dort gegebenen Konstellation als gleichgestellten Tatbestand behandelt; es ist dabei aber davon ausgegangen, daß ausländischer Wehrdienst nicht ohne weiteres zu berücksichtigen ist (BSG SozR 5870 § 2 Nr 37). Diese Auffassung hat das BSG in zwei weiteren Entscheidungen zu bilateralen Abkommen ebenfalls betont (BSGE 34, 198; BSG, Urteil vom 2. August 1979 - 11 RAr 64/87 - Deutsche Angestelltenversicherung 1979, 469; ebenso LSG Niedersachsen Breithaupt 1982, 815; LSG für das Saarland Rechtsprechungsdienst 1400 § 1267 RVO, 19 bis 22).

Zu der Frage, welche Auswirkung das EG-Recht auf den Anwendungsbereich von § 1267 RVO hat, läßt sich der bisherigen Rechtsprechung des BSG und des EuGH keine Aussage entnehmen. Es ist deshalb zu prüfen, ob die Normen des EGVtr und der dazu ergangenen EWG-Verordnungen eine ausdehnende Anwendung auch auf den in anderen EG-Mitgliedstaaten geleisteten Wehrdienst gebieten.

Hierzu ist zunächst darauf hinzuweisen, daß der EGVtr auf den vorliegenden Fall Anwendung findet. Die Rente des Klägers wurde zwar ursprünglich aufgrund des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Spanischen Staat über Soziale Sicherheit vom 29. Oktober 1959 (BGBl II 1961, 599) gewährt. Später galt dann aufgrund des Art 55 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Spanischen Staat über Soziale Sicherheit vom 4. Dezember 1973 (BGBl II 1977, 687) dieses letztgenannte Abkommen. Auch dieses Abkommen wurde aber nach dem Beitritt Spaniens zur EG durch EG-Recht verdrängt (Art 6 iVm Art 94 der Verordnung [EWG] Nr 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern - EWGV 1408/71 -). Hier einschlägige Normen blieben nicht neben dem EG-Recht erhalten (Art 7 Abs 2 Buchst c EWGV 1408/71 iVm Anhang III Nr 28).

Nach Ansicht des erkennenden Senats spricht viel für die Ansicht der Beklagten, daß der Grundsatz der Freizügigkeit (Art 48 EGVtr) eine Ausdehnung von § 1267 Abs 1 Satz 3 RVO auf Wehrdienst in den Armeen anderer Mitgliedstaaten nicht gebietet.

Die Freizügigkeit der Wanderarbeitnehmer wäre durch diese Norm nur dann beeinträchtigt, wenn sie inhaltlich so gestaltet wäre, daß das Gebrauchmachen von dem Recht auf Freizügigkeit durch den Versicherten oder seine Kinder zu Nachteilen bei der Waisenrente führen würde (vgl Willms in Groeben/Thiesing/Ehlermann, Komm zum EWG-Vertrag Art 51 Rz 13). Derartige Nachteile erscheinen aber bei Beschränkung der Vergünstigung des § 1267 Abs 1 Satz 3 RVO auf deutschen Wehrdienst weitgehend ausgeschlossen:

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Der Anspruch des Klägers auf Waisenrente ist nicht davon abhängig, wo der Versicherte vor seinem Tode wohnte oder wo er verstarb. Hierauf wird in Art 78 EWGV 1408/71 nicht abgestellt.

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Die Nichtberücksichtigung spanischen Wehrdienstes in der deutschen Rentenversicherung ist nicht davon abhängig, wo die Waise wohnt.

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Eine Verlängerung der Bezugszeit von Waisenrente wegen spanischen Wehrdienstes war auch im spanischen Recht nicht vorgesehen, so daß ein Wohnsitzwechsel des Versicherten oder der Waisen zwischen Spanien und Deutschland oder umgekehrt für die spätere Gewährung von Waisenrente während der Berufsausbildung der Kinder keine Nachteile bringen konnte.

Aus diesen Gründen sind auch die in den Schriftsätzen der Beteiligten zitierten Entscheidungen des EuGH hier nicht einschlägig.

In der Rechtssache Paraschi (Urteil vom 4. Oktober 1991 - C-349/87 - SozR 3-6030 Art 48 Nr 5) hat zwar der EuGH zu den Streckungstatbeständen für die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten entschieden, daß der EGVtr Regelungen entgegensteht, die unter bestimmten Voraussetzungen eine Verlängerung des Rahmenzeitraums gestatten, aber keine Verlängerungsmöglichkeit für den Fall vorsehen, daß Tatsachen und Umstände, die den verlängerungswirksamen Tatsachenumständen entsprechen, in einem anderen Mitgliedstaat eintreten. Ob sich diese Entscheidung auf Wehrdienstzeiten ausdehnen ließe, ist bereits fraglich. Gegenstand der Entscheidung war diese Frage nicht. Entscheidend ist hier aber, daß dieses Urteil des EuGH ganz unter dem Gesichtspunkt der Freizügigkeit ergangen ist; der EuGH wollte es ausschließen, daß Personen, die bestimmte Tatbestände in Deutschland verwirklichen konnten, ihre Rechte verlieren, wenn sie in ihr Heimatland zurückkehren und dort zwar entsprechende, nicht aber die deutschen Tatbestände verwirklichen können. Diese Voraussetzungen liegen bei der Wehrpflicht von Waisen nicht vor. Gleiches gilt für die Entscheidungen in den Rechtssachen Stanton (Urteil vom 7. Juli 1988 - C-143/87 - SozR 6030 Art 52 Nr 2), Bronsino (Urteil vom 22. Februar 1990 - C-12/89 - SozR 3-6050 Art 74 Nr 1) und Gatto (Urteil vom 22. Februar 1990 - C-228/88 - SozR 3-6050 Art 73 Nr 1).

Einschlägig ist auch nicht die Sache Athanasopoulos (C-251/91 - EuGH I 1991, 2797 = SozR 3-6050 Art 77 Nr 1). Auch dort ging es nur darum sicherzustellen, daß dem Versicherten Familienleistungen sowie Anwartschaften auf Waisenrenten, die ihm zustehen, solange er mit seiner Familie in Deutschland wohnt, bei der Rückkehr in den Heimatstaat nicht verlorengehen.

Der erkennende Senat bezieht die Frage nach der Auslegung von Art 48/51 EGVtr und Art 7 der Verordnung (EWG) des Rates über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (Nr 1612/68) - EWGV 1612/68 - dennoch in die Vorlagefrage ein, um dem EuGH eine umfassende Prüfung zu ermöglichen.

Die Auslegung spitzt sich mithin auf die Frage zu, welche Folgerungen sich aus dem Diskriminierungsverbot des Art 6 EGVtr ergeben. Insofern kommt es zunächst darauf an, welches Ziel der verlängerten Waisenrente bei Ableistung von Wehrdienst zugrundeliegt: Gehört die Fortzahlung der Waisenrente über die Vollendung des 25. Lebensjahres hinaus in den Bereich der allgemeinen Absicherung von Lebensrisiken durch eine vom Solidaritätsprinzip geprägte Versicherung (wie zB in anderem Zusammenhang die Absicherung von Arbeitslosigkeit der Versicherten), so wäre auch dieser Teil der Waisenrente eine Leistung der Rentenversicherung, die auch Angehörigen anderer Mitgliedstaaten bei gleichartigen, im EG-Ausland verwirklichten Tatbeständen nicht vorenthalten werden könnte. Handelt es sich dagegen um eine Leistung mit Entschädigungscharakter, die der Staat den Waisen - auf dem Wege über die Rentenversicherung - als Ausgleich für die durch Wehrdienstverpflichtung entstehenden Nachteile zukommen läßt, dann wäre es eine Leistung, die eher dem nationalen Wehrrecht zuzuordnen ist, für welches das EG-Recht keine Gleichbehandlungsbestimmungen enthält.

Der erkennende Senat ist hierzu der Auffassung, daß § 1267 Abs 1 Satz 3 RVO eine Bestimmung ist, die ihrem Charakter nach Teil eines Entschädigungskonzepts ist, mit dem der deutsche Gesetzgeber Nachteile ausgleichen will, die sich für den Wehrpflichtigen aus der aufgrund deutscher Rechtsvorschriften angeordneten (zwangsweisen) Ableistung von Wehr- oder Ersatzdienst ergeben (s zu diesem Konzept ua auch § 1262 Abs 3 Satz 3 RVO iVm § 270 SGB VI sowie § 48 Abs 5 SGB VI; ferner § 595 Abs 2 Satz 2 RVO, § 111 Abs 1 des Arbeitsförderungsgesetzes [AFG] iVm § 32 Abs 4 Nrn 3 bis 5 des Einkommensteuergesetzes [EStG], § 2 Abs 3 Satz 2 des Bundeskindergeldgesetzes [BKGG]).

Die Beschränkung des Bezuges von Waisenrente - auch bei fortdauernder Ausbildung - auf die Zeit bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres grenzt das Risiko der Rentenversicherung generell ab. § 1267 Abs 1 Satz 2 RVO setzt damit eine seit Bestehen der deutschen Rentenversicherung vorhandene Tradition fort, das Risiko der Rentenversicherung bei Waisenrenten generell auf die Zeit bis zum Erreichen eines bestimmten Lebensalters zu beschränken (s dazu § 1259 RVO idF vom 19. Juli 1911 - RGBl S 509). Es wird gleichsam bestimmt, bis zu welchem Zeitpunkt Abkömmlinge äußerstenfalls noch als Kinder iS des Waisenrentenrechts angesehen werden können. Maßstab ist dabei das Alter, bis zu dem in der Masse der Fälle die Ausbildung abgeschlossen ist. Dementsprechend spielte es bis zu der mit Wirkung vom 1. Juli 1964 erfolgten Einfügung des § 1267 Abs 1 Satz 3 RVO durch das BKGG vom 14. April 1964 (BGBl I, 265) keine Rolle, aus welchen Gründen der einzelne seine Ausbildung bis zum Erreichen der für Waisenrenten geltenden Altersgrenze nicht abschließen konnte; das gilt im übrigen auch noch heute. Die Grenze von 25 Jahren gilt demnach für diejenigen, die ihre Ausbildung aus eigenem Entschluß nicht zügig genug betrieben haben, ebenso wie für diejenigen, die durch Schicksalsschläge, gesundheitliche Einschränkungen, Zwangsmaßnahmen oder sonstige Pflichten am rechtzeitigen Beginn oder an der Durchführung der Ausbildung gehindert waren. Die Verlängerung der Waisenrentenbezugszeit bei Ableistung von Wehr- und Ersatzdienst nach den deutschen Gesetzen in § 1267 Abs 1 Satz 3 RVO ist in diesem Rahmen eine auf einen eng begrenzten Zweck ausgerichtete Ausnahme. Der Staat mildert hier die Folgen von Pflichten, die er selbst einem Teil der Nachkommen von Versicherten auferlegt hat.

Allerdings besteht hier die Besonderheit, daß der deutsche Staat die Absicherung der Wehrpflichtigen nicht durch eine eigenständige Leistung, sondern durch Ansprüche an das System der allgemeinen Rentenversicherung bewerkstelligt. Bei einer solchen Norm, die inhaltlich in zwei verschiedene Rechtsgebiete hineinwirkt, sind stets die Grundanliegen und Bedürfnisse beider Rechtsgebiete herauszuarbeiten und alsdann abzuwägen, welchen dieser Anliegen im konkreten Fall auf Kosten anderer Normziele der Vorrang einzuräumen ist.

Grundsätzlich müssen in einem beitragsfinanzierten Rentensystem alle Beitragszahler gleichmäßig Anspruch auf die vorgesehenen Absicherungen bei Eintritt von Lebensrisiken haben. Das gilt auf der Grundlage von Art 6 EGVtr auch für die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten. Demgegenüber ist aber zu bedenken, daß die deutsche Rentenversicherung nicht lediglich ein beitragsfinanziertes System zur Absicherung von Risiken des Arbeitslebens ist. Sie wird in vielfältiger Weise auch als Instrument eingesetzt, um Entschädigungen für Aufopferungstatbestände zu gewähren. Hierzu zählen ua die Ersatzzeittatbestände für Zeiten des Wehrdienstes in der deutschen Armee bis 1945 sowie für Zeiten der Verfolgung und Vertreibung (§ 1251 Abs 1 RVO, § 250 Abs 1 SGB VI). Zum Ausgleich leistet der Bund den Rentenversicherungsträgern Bundeszuschüsse (§ 1389 RVO, § 213 SGB VI; s dazu Eitenmüller/Hain DRV 1996, 55 f), die pauschal diese versicherungsfremden Leistungen abdecken sollen.

Bei einem solchen "Mischsystem" erscheint es vertretbar, Leistungen wie die verlängerte Waisenrente für Wehrdienstleistende nicht als Leistungen der Rentenversicherung anzusehen, sondern als Leistungen anderen Charakters, die nur auf dem Wege über die Rentenversicherung erbracht werden.

Der EuGH hat sich allerdings in seinem Urteil vom 15. Oktober 1969 - RS 15/69 - (Südmilch) [EuGHE 1969, 363] im Zusammenhang mit § 6 Abs 2 Arbeitsplatzschutzgesetz (APlSchG) dafür entschieden, die Sicherung von Zeiten der Betriebszugehörigkeit während des Wehrdienstes vornehmlich den Arbeitsbedingungen zuzuordnen mit der Folge, daß den Angehörigen anderer Mitgliedstaaten, die ihren Wehrpflichtdienst im Heimatland ableisten, gleichermaßen die Wehrdienstzeiten als Zeiten der Betriebszugehörigkeit angerechnet werden. Dieser Fall unterscheidet sich allerdings in mehrfacher Hinsicht von dem vorliegenden. Es handelte sich bei der Anrechnung von Zeiten des Wehrdienstes auf die Betriebszugehörigkeit und bei den sich daraus ergebenden Ansprüchen um reguläre, gesetzlich festgelegte Arbeitsbedingungen, für die der Arbeitgeber einzustehen hat, und nicht um staatliche Leistungen, die nur auf dem Wege über das Arbeitsverhältnis erbracht, dem Arbeitgeber also letztlich erstattet werden. Eine Beschränkung auf deutsche Arbeitnehmer hätte dementsprechend dazu geführt, daß diejenigen Arbeitgeber weniger Lohnkosten hätten, die Angehörige aus anderen EG-Mitgliedstaaten beschäftigen. Dafür gäbe es keine Rechtfertigung. Zu bedenken ist auch noch, daß es bei Zeiten der Betriebszugehörigkeit regelmäßig keine Möglichkeit gibt, diese Zeiten im Heimatstaat abzusichern, weil es nur um Ansprüche gegen den Arbeitgeber im Beschäftigungsstaat geht. Diese Überlegungen zeigen, daß aus der Sache Südmilch keine für die Lösung des vorliegenden Falles verwertbare Erkenntnisse übernommen werden können.

Demgegenüber verdeutlicht der Schlußantrag des Generalanwalts D. Ruiz-Jarabo Colomer vom 14. Dezember 1995 in der Rechtssache C-315/94 - de Vos gegen Stadt Bielefeld -, daß eine Einordnung als reine Arbeitsbedingung nicht mehr gerechtfertigt ist, wenn dem Arbeitgeber die Aufwendungen für die Absicherung des Arbeitnehmers für Zeiten des Wehr- oder Ersatzdienstes vom Staat erstattet werden; denn in solchen Fällen handelt es sich letztlich um eine staatliche Entschädigungsleistung, die nur auf dem Wege über das Arbeitsverhältnis transportiert wird. Diese Überlegungen decken sich im Ansatz mit denjenigen, die der erkennende Senat zur Leistung von Waisenrente nach Vollendung des 25. Lebensjahres angestellt hat.BUNDESSOZIALGERICHT

 

Fundstellen

Dokument-Index HI517710

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