Orientierungssatz
Aus einem Bescheid eines Rentenversicherungsträgers betreffend die Erstattung von Beiträgen ergibt sich nicht zwangsläufig, daß ein Anspruch auf eine einmalige Leistung geltend gemacht wird; das richtet sich vielmehr allein nach dem Klagebegehren.
Wie im Zivilprozeß ist auch im sozialgerichtlichen Verfahren als Streitgegenstand nicht der Gegenstand (im wirtschaftlich- tatsächlichen Sinne) anzusehen, auf den sich die Klage bezieht, sondern die Rechtsfolge, über die nach dem Klageantrag entschieden werden soll (vergleiche BSG 1959-01-29 2 RU 113/56 = BSGE 9, 101, 102) sowie Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 8. Aufl, § 88 2 1a und § 91 2 2a). Das Ziel der Klage ist für die Frage nach dem Streitgegenstand entscheidend (vergleiche BSG 1963-02-19 GS 1/61 = SozR Nr 22 zu § 144 SGG ). Hier aber geht es dem Kläger gerade nicht um die Durchführung der Erstattung, also eine einmalige Leistung, sondern um die Aufhebung des nach seiner Ansicht rechtswidrigen und ihm nachteiligen Bescheides, der sie angeordnet hat.
Normenkette
SGG § 54 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03, § 144 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 3. September 1971 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Der 1925 geborene Kläger, für den Beiträge sowohl zur Invalidenversicherung als auch zur Angestelltenversicherung (AnV) entrichtet worden sind und der vom 1. Juli 1955 an wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze versicherungsfrei wurde, beantragte im Dezember 1957 bei der Beklagten die Rückerstattung der zur AnV geleisteten Beiträge. Die Beklagte entsprach seinem Antrag und erstattete dem Kläger 818,50 DM (Bescheid vom 6. März 1958). Die von ihm beantragte Erstattung der zur Arbeiterrentenversicherung geleisteten Beiträge wurde von der Landesversicherungsanstalt (LVA) R durch Bescheid vom 30. November 1959 abgelehnt, weil seit der letzten Beitragsleistung mehr als fünf Jahre verstrichen seien.
Auf Grund des Finanzänderungsgesetzes wurde der Kläger vom 1. Januar 1968 an in der AnV wieder beitragspflichtig. Von der Möglichkeit einer Befreiung von der Beitragszahlung machte er keinen Gebrauch. Am 30. Dezember 1968 beantragte er bei der Beklagten die Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen; er wollte dadurch möglichst bald die erforderliche Halbdeckung erreichen.
Die Beklagte erließ daraufhin am 3. Dezember 1969 einen Bescheid, in dem sie dem Kläger unter Hinweis auf ein Schreiben der LVA R - wonach seinerzeit bei der Ablehnung der vom Kläger beantragten Beitragserstattung nicht beachtet worden sei, daß er auch Beiträge zur AnV entrichtet habe - mitteilte, seinem Antrag auf Beitragserstattung werde auch insoweit entsprochen und der Erstattungsbetrag in Höhe von 11,80 DM an ihn überwiesen.
Der Kläger hat diesen Bescheid angefochten mit der Begründung, die Beklagte habe ihm den Betrag von 11,80 DM zu Unrecht erstattet. Diesem Bescheid stehe die Bindungswirkung des Bescheides der LVA R vom 30. November 1959 entgegen. Durch den Bescheid der Beklagten vom 3. Dezember 1969 werde er belastet; denn er sei davon ausgegangen, daß wegen der Wirksamkeit der Beiträge zur Arbeiterrentenversicherung für ihn die Möglichkeit der Anrechnung von Ersatz- und Ausfallzeiten weiter bestehe, und er habe deswegen bei Inkrafttreten des Finanzänderungsgesetzes den Weg des Wiedereintritts in die AnV anstelle einer möglichen Beitragsbefreiung gewählt. Andernfalls hätte er seine Lebensversicherungsbeträge entsprechend höher aufgestockt. Inzwischen habe er im Einvernehmen mit der Beklagten für die Zeit vom 1. Januar 1956 bis 31. Dezember 1961 Beiträge in Höhe von 8.280,- DM freiwillig nachentrichtet. Daraus sei erkennbar, daß es ihm auf eine Erstattung eines so geringfügigen Betrages (11,80 DM) nicht ankomme; sie werde wegen der damit verbundenen nachteiligen Folgen von ihm nicht gewollt und sei auch nicht beantragt worden. Er sei auch bereit, den von der Beklagten seinerzeit erstatteten Betrag in Höhe von 818,50 DM wieder einzuzahlen. Er beantragte, den Bescheid der Beklagten vom 3. Dezember 1969 aufzuheben.
Das Sozialgericht (SG) wies seine Klage ab, weil es sich bei dem angefochtenen Bescheid um keine neue Entscheidung über den Erstattungsantrag gehandelt habe, sondern lediglich um eine nachträgliche Erstattung nur der Höhe nach. Die Berufung des Klägers wurde vom Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen durch Urteil vom 3. September 1971 als unzulässig verworfen. Nach der Ansicht des LSG betrifft der geltend gemachte Anspruch eine einmalige Leistung im Sinne des § 144 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Daran ändere nichts, daß der Kläger nur eine Anfechtungsklage gegen den die Beitragsrückgewähr anordnenden Bescheid erhoben habe. Die im Berufungsantrag liegende Klageerweiterung könne die Zulässigkeit der Berufung nicht begründen, weil diese nicht schon vorher zulässig gewesen sei. Die Rechtsmittelbelehrung des SG enthalte keine wirksame Zulassung der Berufung im Sinne von § 150 Nr. 1 SGG. Ein wesentlicher Mangel im Verfahren des SG liege nicht vor (§ 150 Nr. 2 SGG).
Das LSG hat die Revision nicht zugelassen. Der Kläger hat gleichwohl dieses Rechtsmittel eingelegt; er rügt die im einzelnen aus seinem Schriftsatz vom 11. Oktober 1971 ersichtlichen Verfahrensmängel und beantragt,
das angefochtene Urteil sowie den Bescheid der Beklagten vom 3. Dezember 1969 aufzuheben und außerdem festzustellen, daß die Erstattung aller Sozialversicherungsbeiträge durch die Beklagte unwirksam ist.
Die Beklagte beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.
II
Die Revision ist nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft; sie ist auch begründet. Zutreffend macht der Kläger u. a. geltend, das LSG habe die Berufung zu Unrecht nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG als ausgeschlossen angesehen; es hätte in der Sache entscheiden müssen. In dieser Unterlassung liegt ein wesentlicher Verfahrensmangel (BSG 1, 284).
Nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG ist die Berufung bei Ansprüchen auf einmalige Leistungen nicht zulässig. Der Bescheid der Beklagten vom 3. Dezember 1969 betrifft zwar die im Jahre 1957 vom Kläger beantragte Beitragserstattung. Daraus ergibt sich jedoch nicht, daß ein Anspruch auf eine einmalige Leistung geltend gemacht wird; das richtet sich vielmehr allein nach dem Klagebegehren. Der Kläger hat sowohl in erster Instanz als auch - worauf es entscheidend ankommt (vgl. SozR Nr. 20 zu § 144 SGG) - im Berufungsverfahren in erster Linie die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt, durch den nach seiner Ansicht seine Rechtsposition verschlechtert worden ist und dem die Bindungswirkung des Bescheides der LVA R vom 30. November 1959 entgegenstehe. Der Meinung des LSG, daß das Klagebegehren keine andere Beurteilung rechtfertige, weil das formelle Verfahrensrecht, nämlich der Erlaß des angefochtenen Verwaltungsaktes, von dem ihm zugrunde liegenden materiellen Recht, der Gewährung einer Beitragserstattung, nicht zu trennen sei, kann der Senat nicht folgen. Wie im Zivilprozeß ist auch im sozialgerichtlichen Verfahren als Streitgegenstand nicht der Gegenstand (im wirtschaftlich-tatsächlichen Sinne) anzusehen, auf den sich die Klage bezieht, sondern die Rechtsfolge, über die nach dem Klageantrag entschieden werden soll (vgl. BSG 9, 101, 102 sowie Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 8. Aufl., § 88 II la und § 91 II 2 a). Das Ziel der Klage ist für die Frage nach dem Streitgegenstand entscheidend (SozR Nr. 22 zu § 144 SGG). Hier aber geht es dem Kläger gerade nicht um die Durchführung der Erstattung, also eine einmalige Leistung, sondern um die Aufhebung des nach seiner Ansicht rechtswidrigen und ihm nachteiligen Bescheides, der sie angeordnet hat. Das ist der Kern und somit Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens. Da es mithin auf die Höhe des Erstattungsbetrages nicht ankommt, kann auch nicht gesagt werden, daß es sich um einen minder bedeutsamen Streitfall handelt, der nach dem Gesetz der Berufung nicht zugänglich sein soll.
Das LSG hätte somit sachlich das Berufungsbegehren des Klägers nachprüfen müssen. Da es das nicht getan hat, muß das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen werden, ohne daß auf die übrigen Verfahrensrügen einzugehen war (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil des LSG vorbehalten.
Fundstellen