Leitsatz (amtlich)
1. Wird dem Ausgleichsberechtigten rückwirkend eine Rente gewährt und dadurch die Rente des Ausgleichsverpflichteten gemindert (§ 96a Abs 4 S 2 RKG = § 1304a Abs 4 S 2 RVO), so ist die - zeitlich entsprechende - rückwirkende Aufhebung des Rentenbescheides des Ausgleichsverpflichteten nur unter den Voraussetzungen des § 48 Abs 1 S 2 Nr 4 SGB 10 zulässig (Fortführung von BSG 13.3.1985 - 5a RKn 2/84 = BSGE 58, 59 = SozR 2600 § 96a Nr 1; Anschluß an BSG 26.3.1987 11a RA 38/86 = SozR 2200 § 1304a Nr 10).
2. Die nach § 4 Abs 2 VersorgAusglHärteG wieder erhöhte Rente steht dem Ausgleichsverpflichteten bereits ab Durchführung des Versorgungsausgleichs und nicht erst ab dem Ende des Todesmonats des Ausgleichsberechtigten zu.
Orientierungssatz
Absplittung von Rentenanwartschaften durch den Versorgungsausgleich wird von Anfang an wieder rückgängig gemacht, wenn die Ehefrau stirbt und keine 2 Jahresrenten erhalten hat.
Normenkette
RKG § 96a Abs 4 S 2; RVO § 1304a Abs 4 S 2; SGB 10 § 48 Abs 1 S 2 Nr 4; VersorgAusglHärteG § 4 Abs 2; SGB 10 § 44 Abs 1, § 50 Abs 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten eine Rentennachzahlung. Er ist der Auffassung, daß die Rückgängigmachung des Versorgungsausgleiches gemäß § 4 Abs 2 des Gesetzes zur Regelung von Härten im Versorgungsausgleich vom 21. Februar 1983 (BGBl I 105) -VAHRG- bereits vom Zeitpunkt des Versorgungsausgleiches an zu erfolgen hat und nicht erst vom Ablauf des Todesmonats des Berechtigten an.
Der Kläger bezieht seit dem 1. Mai 1978 Knappschaftsruhegeld (Rentenbescheid vom 2. Juni 1978). Er wurde von seiner Ehefrau geschieden. Das Familiengericht übertrug durch Urteil vom 28. April 1980 bezogen auf den 31. Oktober 1977 Rentenanwartschaften in Höhe von 632,15 DM auf die geschiedene Ehefrau des Klägers. Sie verstarb bereits am 9. November 1980. Mit Bescheid vom 14. November 1980 bewilligte ihr die Landesversicherungsanstalt (LVA) Rheinprovinz ab dem 1. Juli 1980 ausschließlich aus den übertragenen Rentenanwartschaften Altersruhegeld. Die Rentennachzahlung für die Zeit vom 1. Juli bis zum 30. November 1980 zahlte die LVA an die Rechtsnachfolger aus. Durch Bescheid vom 15. Mai 1981 kürzte die Beklagte das Knappschaftsruhegeld des Klägers ab dem 1. August 1980 wegen der im Versorgungsausgleich übertragenen Rentenanwartschaften, stellte für die dem Kläger in der Zeit vom 1. August bis 30. November 1980 bereits ausgezahlten Kürzungsbeträge eine Rentenüberzahlung von 2.746,-- DM fest, forderte die insgesamt festgestellte Überzahlung von 4.787,-- DM zurück und behielt deswegen ab 1. Juni 1981 von der monatlichen Rente des Klägers Raten von jeweils 100,-- DM ein.
Nach Erlaß des VAHRG im Jahre 1983 berechnete die Beklagte das Altersruhegeld neu. Sie legte den Tod der geschiedenen Ehefrau des Klägers als neuen Versicherungsfall zugrunde und bestimmte in Anwendung des § 82 Reichsknappschaftsgesetz (RKG) den 1. Dezember 1980 als Beginn der neu zu berechnenden Rente. Sie ermittelte eine Rentennachzahlung und zog davon die von der LVA Rheinprovinz an die Rechtsnachfolger der Ehefrau des Klägers gewährten Leistungen von 3.837,45 DM und die dem Kläger für die Zeit vom 1. August bis 30. November 1980 bereits ausgezahlten Kürzungsbeträge von insgesamt 2.746,-- DM ab (Bescheid vom 15. April 1983; Widerspruchsbescheid vom 20. Juli 1983).
Mit seiner Klage hat der Kläger geltend gemacht, daß ihm die Beträge zustünden, um die seine Rente deshalb gekürzt worden sei, weil Rentenanwartschaften an seine Frau übertragen worden seien. Die Kürzung beruhe auf der Durchführung des Versorgungsausgleiches, der nach dem VAHRG wieder rückgängig gemacht werden müsse. Der von der Rentennachzahlung einbehaltene Kürzungsbetrag von 2.746,-- DM müsse ihm deshalb ausgezahlt werden.
Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 9. März 1984). Das Landessozialgericht (LSG) hat die - vom SG zugelassene - Berufung der Beklagten zurückgewiesen und im wesentlichen ausgeführt (Urteil vom 11. März 1986): Zwar werde in der Literatur die Auffassung vertreten, die Kürzung der Rente des Ausgleichsverpflichteten entfalle erst für die Zeit nach Ablauf des Kalendermonates, in dem der Ausgleichsberechtigte verstorben sei. Diese Auffassung widerspreche indes nicht nur dem Wortlaut, sondern auch dem Sinn und Zweck des § 4 Abs 2 VAHRG.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 4 Abs 2 VAHRG.
Sie beantragt, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.
Die Beklagte ist schon deswegen nicht berechtigt, von dem sich aus der Durchführung des VAHRG für den Kläger ergebenden Rentennachzahlungsanspruch den im vorliegenden Rechtsstreit allein noch streitigen Betrag von 2.746,-- DM einzubehalten, weil insoweit die durch den Rentenneufeststellungsbescheid vom 15. Mai 1981 erfolgte rückwirkende Aufhebung des ursprünglichen Knappschaftsruhegeldbescheides vom 2. Juni 1978 für den Rentenbezugszeitraum vom 1. August bis 30. November 1980 gemäß § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB 10) rechtswidrig ist. Selbst wenn man davon ausgeht, daß die wesentliche Änderung im Sinne des Satzes 1 der Vorschrift bereits mit der rückwirkenden Gewährung einer Rente an die ausgleichsberechtigte geschiedene Ehefrau des Klägers ab 1. Juli 1980 eingetreten ist, wäre die rückwirkende Aufhebung des Knappschaftsruhegeldbescheides für die Rentenbezugszeiten vom 1. August bis 30. November 1980 nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB 10 nur zulässig gewesen, wenn der Kläger bereits in diesem Zeitraum wußte oder hätte wissen müssen, daß seine bisherige Rente "teilweise weggefallen ist". Hinsichtlich der für die genannte Zeit festgestellten Überzahlung von 2.746,-- DM wird diese Voraussetzung weder im Rentenneufeststellungsbescheid vom 15. Mai 1981 noch in dem nunmehr angefochtenen Bescheid dargetan. Sie kann auch im Hinblick auf den erst am 14. November 1980 zugunsten der Ausgleichsberechtigten erlassenen Bescheid schon aus rein zeitlichen Gründen nicht vorgelegen haben, weil der Kläger erst aufgrund dieses Bescheides von der rückwirkenden Rentengewährung an seine frühere Ehefrau und der dadurch gemäß § 96a Abs 4 Satz 2 RKG bewirkten Minderung seiner eigenen Rente erfahren haben konnte.
Wie der 11a Senat des Bundessozialgerichts (BSG) mit Urteil vom 26. März 1987 - 11a RA 38/86 - entschieden hat, ist es auch unter Berücksichtigung der grundsätzlichen Kostenneutralität des Versorgungsausgleichs für die Versicherungsträger nicht gerechtfertigt, die Rentenbewilligung an den ausgleichspflichtigen Ehegatten im Falle der Rentengewährung an den ausgleichsberechtigten Ehegatten im Umfang der durch § 83a Abs 4 Satz 2 Angestelltenversicherungsgesetz -AVG- (= § 96a Abs 4 Satz 2 RKG) bewirkten Rentenminderung ohne Rücksicht auf den in § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB 10 vorgesehenen Vertrauensschutz rückwirkend aufzuheben. Dieser Rechtsauffassung schließt sich der erkennende Senat für den vorliegenden Fall aus den genannten Gründen an. Sie hat - ebenso wie die noch den Geltungsbereich des § 93 Abs 2 RKG alter Fassung betreffende Entscheidung des Senats vom 13. März 1985 (BSGE 58, 59 = SozR 2600 § 96a Nr 1) - zur Folge, daß der hier streitige Betrag mangels zulässiger Aufhebung des ursprünglichen Knappschaftsruhegeldbescheides bezüglich der für die Zeit vom 1. August bis 30. November 1980 ausgezahlten Rente nicht gemäß § 50 Abs 1 SGB 10 an die Beklagte zu erstatten ist.
Die gegenteiligen Feststellungen im rechtsverbindlichen Bescheid der Beklagten vom 15. Mai 1981 stehen dem nicht entgegen, weil durch sie das Recht beim Erlaß dieses Verwaltungsakts unrichtig angewandt worden ist und deshalb insoweit die Beklagte gemäß § 44 Abs 1 SGB 10 zur Rücknahme des Bescheides vom 15. Mai 1981 auch mit Wirkung für die Vergangenheit verpflichtet ist. Dies hätte bei dem nunmehr angefochtenen Bescheid von Amts wegen berücksichtigt werden müssen.
Bei dieser Sach- und Rechtslage hat im übrigen das LSG auch zutreffend der Regelung des § 4 VAHRG entnommen, daß der durchgeführte Versorgungsausgleich nach Absatz 2 dieser Vorschrift von Anfang an und nicht erst vom Todesmonat des Ausgleichsberechtigten an rückgängig zu machen ist. § 4 VAHRG ist gemäß § 13 Abs 2 des Gesetzes mit Wirkung vom 1. Juli 1977 in Kraft getreten und durch Art 2 des Gesetzes über weitere Maßnahmen auf dem Gebiet des Versorgungsausgleichs vom 8. Dezember 1986 (BGBl I 2317) nicht geändert worden.
Nach § 4 Abs 1 VAHRG wird die Versorgung des Verpflichteten oder seiner Hinterbliebenen nicht aufgrund des Versorgungsausgleichs gekürzt, wenn der Berechtigte vor seinem Tod keinerlei Leistungen aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht erhalten hat. Eine Zeitangabe, ab wann die ungekürzten Leistungen zu gewähren sind, fehlt. Erkennbar ist aber gemeint, daß von vornherein keine Kürzung eintreten soll. Denn § 4 Abs 1 VAHRG ordnet an, daß die Versorgung nicht gekürzt wird, also für keinen Zeitraum. Gemäß § 4 Abs 2 VAHRG gilt Abs 1 entsprechend, wenn der Berechtigte gestorben ist und - anders als in Abs 1 - Leistungen erhalten hat, jedoch nur solche, die "insgesamt zwei Jahresbeträge einer auf das Ende des Leistungsbezuges berechneten Rente aus dem erworbenen Anrecht nicht übersteigen". Die letztere Voraussetzung liegt zugunsten des Klägers vor. Die geschiedene Ehefrau des Klägers ist gestorben, ohne daß sie mehr als die genannten Leistungen erhalten hatte. Anders als Abs 1, in dessen Fällen vom Rentenversicherungsträger überhaupt keinerlei Leistungen an den aus dem Versorgungsausgleich Berechtigten erbracht worden sind, müssen in den Fällen des Abs 2 jedoch die an den Ausgleichsberechtigten erbrachten Leistungen auf die wieder erhöhte Rente des Ausgleichsverpflichteten angerechnet werden, was im angefochtenen Bescheid auch geschehen ist. Da im übrigen § 4 Abs 1 VAHRG "entsprechend" gilt, tritt mit Ausnahme der genannten Anrechnung dieselbe Rechtsfolge wie in dieser Vorschrift ein, die Leistungen aus der Rentenversicherung stehen also dem aus dem Versorgungsausgleich Verpflichteten von vornherein ungekürzt zu.
Wenn demnach die wieder erhöhte Rente ab Durchführung des Versorgungsausgleichs und nicht erst ab dem Ende des Todesmonats des Berechtigten zu zahlen ist, so wird damit das hier bereits aufgrund der §§ 44 Abs 1, 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4, 50 Abs 1 SGB 10 gewonnene Ergebnis durch die in § 4 Abs 2 VAHRG getroffene Regelung bestätigt.
Zu Recht ist das LSG der Auffassung der Beklagten, die Kürzung der Rente des Ausgleichsverpflichteten entfalle erst nach dem Tode des Ausgleichsberechtigten, nicht gefolgt. Es hat vielmehr zutreffend darauf hingewiesen, daß das VAHRG auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 28. Februar 1980 - 1 BvL 17/77 - (BVerfGE 53, 257; SozR 7610 § 1587 Nr 1) zurückgeht. Die dort gegebenen Gründe zeigen demnach auch, wie das VAHRG auszulegen ist. Die Rechtfertigung des Versorgungsausgleiches, der immerhin in Eigentumsrechte des aus dem Versorgungsausgleich Verpflichteten eingreift, entfällt, wie das BVerfG ausgeführt hat, "wenn einerseits beim Verpflichteten eine spürbare Kürzung der Rentenansprüche erfolgt, ohne daß sich andererseits der Erwerb eines selbständigen Versicherungsschutzes angemessen für den Berechtigten auswirkt. In einem solchen Fall erbringt der Verpflichtete ein Opfer, das nicht mehr dem Ausgleich zwischen den geschiedenen Ehegatten dient; es kommt vielmehr ausschließlich dem Rentenversicherungsträger, in der Sache der Solidargemeinschaft der Versicherten, zugute". Wann der Erwerb eines selbständigen Versicherungsschutzes sich für den Berechtigten noch angemessen auswirkt, ist nun durch § 4 Abs 2 VAHRG typisiert worden: Die Bezüge des Berechtigten müssen wenigstens "zwei Jahresbeträge einer auf das Ende des Leistungsbezuges berechneten Rente aus dem erworbenen Anrecht" überstiegen haben. Ist das nicht der Fall, wird - zur Vermeidung des dann nach der Entscheidung des BVerfG nicht gerechtfertigten "Opfers" - der Versorgungsausgleich in der durch § 4 Abs 1 VAHRG genannten Weise rückabgewickelt bzw als rückabgewickelt behandelt. Wie das LSG richtig erkannt hat, ist folglich die Durchführung des Versorgungsausgleichs bei einer Leistungsgewährung an den Ausgleichsberechtigten bis zu zwei Jahren auflösend bedingt.
Entgegen der Meinung der Beklagten ist auch eine sinngemäße Anwendung des § 82 RKG (§ 1290 Reichsversicherungsordnung -RVO-) zur Ergänzung des § 4 VAHRG nicht geboten, da bereits der Wortlaut der Vorschrift selbst erkennen läßt, von welchem Zeitpunkt die Abwicklung gelten soll. Wie ausgeführt ist es der Wille des Gesetzes, die Rückabwicklung als von Anfang an geschehen (ex tunc) zu behandeln. Der Tod des ausgleichsberechtigten Ehepartners ist im übrigen für den Ausgleichsverpflichteten auch kein Versicherungsfall, was für die Anwendung des § 82 RKG Voraussetzung wäre. Ebensowenig kann der Grundsatz, daß Unterhalt für die Vergangenheit nicht verlangt werden kann (vgl § 1613 Bürgerliches Gesetzbuch -BGB-) herangezogen werden. Bei den Renten handelt es sich nicht - wie etwa bei Unterhaltsforderungen - um Ansprüche, die von einem Bedürfnis abhängen, das in die Vergangenheit hinein nicht mehr zu befriedigen ist. Rentenansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung unterliegen nach der genannten Entscheidung des BVerfG dem Schutz des Eigentums nach Art 14 des Grundgesetzes. Konsequenterweise gibt es daher bei Renten auch Nachzahlungen, ohne daß - wie bei Unterhaltsansprüchen (§ 1613 BGB) - Verzug oder Rechtshängigkeit vorliegen muß.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen