Leitsatz (amtlich)
Beiträge aus der Zeit vor der Währungsreform sind im Falle der Erstattung nach AVG § 47 , RVO § 1309a gemäß UmstG im Verhältnis 10:1 auf Deutsche Mark umzustellen; die Beitragserstattung nach AVG § 47 ist keine Versicherungsleistung im Sinne von UmstG § 23 , weil sie das Wagnis nicht deckt, das Gegenstand der Versicherung ist.
Normenkette
AVG § 47; UmstG §§ 16, 23; RVO § 1309a; SGG § 16 Abs. 4 Fassung: 1954-08-10
Tenor
Die Urteile des Landessozialgerichts ... vom 27. Oktober 1955 und des Sozialgerichts ... vom 8. Oktober 1954 werden aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen den Bescheid der Landesversicherungsanstalt ... vom 25. August 1949 wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Die Klägerin heiratete am 14. Mai 1949; am 10. Juni 1949 beantragte sie, ihr nach §§ 47 AVG , 1309 a RVO die Beiträge zur Angestellten- und Invalidenversicherung zu erstatten. Die Landesversicherungsanstalt ... entsprach dem Antrag mit Bescheid vom 25. August 1949 und setzte den Erstattungsbetrag auf 77,10 DM fest; dabei wurde der Teil des Erstattungsbetrages, der auf Beiträge vor der Währungsreform entfiel, im Verhältnis 10:1 auf DM umgestellt. Auf die „Berufung“ der Klägerin verurteilte das Sozialgericht ... die Beklagte am 8. Oktober 1954, „der Klägerin auch die bis zur Währungsreform vom 20. Juni 1948 entrichteten Beiträge im Nennbetrag in Deutscher Mark zu erstatten“ mit der Begründung, Beitragserstattungen nach §§ 47 AVG und 1309 a RVO seien als „Versicherungsleistungen“ im Sinne von § 23 des Umstellungsgesetzes vom 20. Juni 1948 anzusehen. Die Berufung, die hiergegen von der Beklagten eingelegt wurde, wies das Landessozialgericht ... durch Urteil vom 27. Oktober 1955 zurück; die Revision ließ es zu. Die Beklagte legte Revision ein und beantragte, die Urteile des Landessozialgerichts ... vom 27. Oktober 1955 und des Sozialgerichts ... vom 8. Oktober 1954 „abzuändern“ und die Klage abzuweisen: Das Landessozialgericht habe den § 23 UG zu Unrecht angewendet, die Beitragserstattungen nach §§ 47 AVG , 1309 a RVO seien zwar „Regelleistungen“ ( §§ 23 AVG , 1250 RVO ), jedoch keine „Versicherungsleistungen“ im Sinne des § 23 UG; von „Versicherungsleistungen“ im Sinne des § 23 UG könne nur gesprochen werden, wenn das Versicherungsverhältnis fortbestehe und daraus sich eine Leistungspflicht ergebe, nicht aber, wenn das Versicherungsverhältnis rückwirkend aufgehoben werde und dann Beiträge zu erstatten seien; die Beiträge, die von der Klägerin vor der Währungsreform entrichtet worden seien, seien nach § 16 UG im Verhältnis 10 RM = 1 DM umgestellt; das sei nur folgerichtig, weil die Pflichtbeiträge für die Zeit vor der Währungsreform auch im Verhältnis 10 RM = 1 DM nachzuentrichten seien. Auch nach dem ersten Weltkrieg seien Beiträge aus der Zeit vor dem 1. Januar 1924 nicht im Verhältnis 1:1 erstattet worden; damals seien diese Beiträge überhaupt nicht erstattungsfähig gewesen. Es dürfe auch nicht außer Acht gelassen werden, daß die Beitragserstattung nach den §§ 47 AVG , 1309 a RVO heute außer in Südbaden und im Lande Rheinland-Pfalz im ganzen Bundesgebiet suspendiert sei.
Die Klägerin beantragte, die Revision zu „verwerfen“:
Die Verpflichtung der Beklagten sei erst nach der Währungsreform, nämlich mit der Heirat der Klägerin am 14. Mai 1949, entstanden; ihr Anspruch auf Beitragserstattung unterliege daher nicht dem Umstellungsrecht; wenn er von ihm erfaßt werde, komme nur Umstellung im Verhältnis 1 RM = 1 DM in Betracht.
II.
1. Die Revision ist statthaft, weil das Landessozialgericht sie zugelassen hat ( § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG ); sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet ( § 164 SGG ); sie ist deshalb zulässig (vgl. § 169 SGG ).
2. Die Revision ist auch begründet.
a) Zunächst ist streitig, ob der Anspruch der Klägerin auf Erstattung von Beiträgen, der auf die §§ 47 AVG , 1309 a RVO und Art. 1 des Gesetzes über die Änderung des § 1309 a RVO und des § 46 Abs. 1 AVG des Landes Rheinland-Pfalz vom 5.9.1949, GVOBl. 1949 S. 438, gestützt ist, unter das Umstellungsgesetz vom 20. Juni 1948 fällt. Dazu ist allgemein festzustellen, daß das Umstellungsgesetz nicht nur Ansprüche des Privatrechts, sondern auch solche des öffentlichen Rechts erfaßt, wenn sie auf Zahlung einer Geldsumme gerichtet sind; dies ergibt sich daraus, daß das Umstellungsgesetz auch die Gerichtskosten, Strafen und die Ansprüche in der Sozialversicherung ausdrücklich in seine Regelung einbezieht (vgl. §§ 13 Abs. 1 und 3, 23 UG und Harmening-Duden, Die Währungsgesetze, 1949, Anm. 3 zu § 13, S. 165). Weiter ist festzustellen, daß das UG auch auf den vorliegenden Rechtsstreit anzuwenden ist. Es ist nicht entscheidend, daß der Anspruch auf Beitragserstattung erst nach der Währungsreform entstanden ist, weil die Klägerin erst im Jahre 1949 geheiratet hat; entscheidend ist vielmehr, daß der Erstattungsanspruch der Klägerin sich auf Reichsmarkbeträge bezieht; die Klägerin will Beiträge erstattet haben, die vor der Währungsreform entrichtet worden sind. Das Umstellungsgesetz ist auch anzuwenden auf Ansprüche, die zwar nach dem Stichtag der Währungsreform (20.6.1948) entstanden sind, die aber durch vorher geleistete Reichsmarkbeträge bestimmt werden (vgl. von Caemmerer, SJZ 1948 S. 497 ff. (508), Harmening-Duden a. a. O. Anm. 32 zu § 13, S. 195 und Coing, NJW 1948, S. 441 ff., 443). Unerheblich ist, daß der Erstattungsanspruch der Klägerin sich auch auf Beiträge bezieht, die nach der Währungsreform geleistet sind; der Erstattungsanspruch der Klägerin ist seinem Inhalt nach ohne weiteres teilbar.
b) Streitig ist sodann, ob der Erstattungsanspruch der Klägerin, soweit er sich auf die Beiträge bezieht, die in Reichsmark geleistet sind, nach der allgemeinen Regel des § 16 UG im Verhältnis 10 RM = 1 DM umgestellt ist, oder ob er eine „Versicherungsleistung“ im Sinne der Ausnahmevorschrift des § 23 UG und deshalb im Verhältnis 1 RM = 1 DM umgestellt ist. § 23 UG bestimmt, daß bis zur Neuordnung der Sozialversicherung die Versicherungsleistungen „zu demselben Nennbetrag in Deutscher Mark zu bewirken sind, wie sie bisher in Reichsmark zu bewirken waren“. „Versicherungsleistungen“ im Sinne des § 23 UG sind jedoch nach Sinn und Zweck der Vorschrift nur die Leistungen, die das Wagnis decken, gegen das der Einzelne „versichert“ ist, nicht aber Beitragserstattungen, die sich aus Anlaß der Beendigung des Versicherungsverhältnisses ergeben und nur den Sinn haben, aus Billigkeitsgründen einen Teil der gezahlten Beiträge zurückzugewähren, wobei es gleichgültig ist, ob die Beitragserstattungen - so wie nach §§ 23 AVG , 1250 RVO die Erstattungen auf Grund der §§ 46 , 47 AVG - im Gesetz ausdrücklich als „Regelleistungen“ vorgesehen sind oder ob dies - wie etwa im Fall der Erstattung irrtümlich entrichteter oder unwirksamer Beiträge - nicht der Fall ist (vgl. Harmening-Duden a. a. O., Anm. 2 zu § 23 UG, sowie Erlaß des Bayer. Staatsministeriums für Arbeit und Sozialfürsorge vom 7.7.1948, veröffentlicht in der Zeitschrift „Versicherungswissenschaft und Versicherungspraxis“, 1948 S. 149 Ziff. 2 i und o). Daß die Beitragserstattungen nach den §§ 46 , 47 AVG im § 23 UG als „Regelleistungen“ bezeichnet sind, bedeutet nur, daß sie anders als die Mehrleistungen, die in den Satzungen der Versicherungsträger festgelegt sind, Leistungen darstellen, die im Gesetz ausdrücklich vorgeschrieben sind (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. II, S. 665 und 759).
c) Der Anspruch der Klägerin auf Beitragserstattung ist mithin, soweit er sich auf die Beiträge bezieht, die vor der Währungsreform geleistet sind, nach der allgemeinen Regel des § 16 UG im Verhältnis 10 RM = 1 DM umgestellt. Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, daß die §§ 16 - 21 UG unter der Überschrift „Allgemeine Schuldverhältnisse“ stehen und „Versicherungsansprüche“ nach § 13 Abs. 2 UG nicht unter die umstellungsrechtliche Regelung für „allgemeine Schuldverhältnisse“ fallen; „Versicherungsansprüche“ i. S. des § 13 Abs. 2 UG sind nur die Ansprüche aus privat rechtlichen Versicherungsverhältnissen (vgl. Harmening-Duden a. a. O. Anm. 1 zu § 23 S. 278). Im übrigen ist noch darauf hinzuweisen, daß auch die „Versicherungsleistungen“ des § 23 UG, wie das Bundessozialgericht bereits in dem Urteil vom 13.10.1955, 1 RA 17/54 , entschieden hat, im Verhältnis 10 RM = 1 DM umgestellt sind, soweit sie für die Zeit vor der Währungsreform geschuldet sind.
d) Die Revision der Beklagten ist hiernach begründet, die Urteile des Landessozialgerichts ... vom 27. Oktober 1955 und des Sozialgerichts ... vom 8. Oktober 1954 sind deshalb aufzuheben; die Berufung der Klägerin gegen den Bescheid der Landesversicherungsanstalt ... vom 25. August 1949 ist zurückzuweisen (vgl. § 170 SGG ).
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten (vgl. § 193 SGG ).
Fundstellen
BSGE, 3, 83 (Leitsatz 1 und Gründe) |
NJW 1957, 808 |
NJW, 808 (Leitsatz 1 und Gründe) |
RegNr, 165 |
SozR, Nr 1 zu § 1309a RVO aF (Leitsatz) |
SozR, allg v 20.6.1948 (Leitsatz) |