Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufsschadensausgleich. individuelle Berechnung. Pauschalierung. Berufsstellung. Rentenempfänger
Orientierungssatz
1. Eine individuelle Berechnung des ohne die Schädigung wahrscheinlich erzielten Renteneinkommens ist nicht zulässig (vgl BSG vom 1974-10-16 10 RV 615/73 = SozR 3100 § 30 Nr 3). Der schädigungsbedingte Einkommensverlust ist vielmehr pauschalierend und generalisierend nach einem durchschnittlichen Berufserfolg festzustellen (vgl BSG vom 1980-03-05 9 RV 81/78 = SozR 3100 § 30 Nr 47).
2. Eine politische, an die nationalsozialistische Herrschaft gebundene Tätigkeit, die der Beschädigte naturgemäß nach Beendigung des 2. Weltkrieges und unabhängig von den Schädigungsfolgen nicht mehr hätte fortsetzen können, kann für die Festlegung des Vergleichseinkommens nicht als Grundlage dienen.
3. Ermittlung des Berufsschadens bei Rentnern und Empfängern von Zusatzversorgungsrente von einer kommunalen Zusatzversorgungskasse - Ausgleich des schädigungsbedingten Einkommensverlustes durch Zuerkennung von Ersatz- und Ausfallzeiten bei der Rentenberechnung.
Normenkette
BVG § 30 Abs. 4 S. 1, Abs. 3, 5
Verfahrensgang
SG Marburg (Entscheidung vom 16.06.1977; Aktenzeichen S-1/V-155/75) |
Hessisches LSG (Entscheidung vom 11.03.1980; Aktenzeichen L-4/V-671/77) |
Tatbestand
Der Kläger begehrt Berufsschadensausgleich ab Dezember 1974.
Er bezieht wegen der nunmehr anerkannten Schädigungsfolgen "Lungentuberkulose mit sekundären Bronchiektasen sowie Schwerhörigkeit beiderseits" ab Dezember 1974 Versorgungsrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 vH. Zuvor, nämlich zwischen August 1952 und November 1974, war die MdE in unterschiedlicher Höhe - zwischen 70 und 40 vH - festgesetzt worden.
Der Kläger besuchte bis Oktober 1923 die Oberrealschule. Anschließend unterzog er sich einer Ausbildung in der mittleren-gehobenen Beamtenlaufbahn (Supernumerar), die er erfolgreich abschloß. Für das Ausscheiden aus dem Beamtenverhältnis im Jahre 1930 sollen gesundheitliche Gründe maßgebend gewesen sein. Nach mehrjähriger Arbeitslosigkeit war der Kläger von 1934 bis 1939 verschiedentlich beschäftigt, so hauptamtlich bei der SA-Standarte M, als Angestellter bei der Deutschen L, bei den Flugzeugwerken H und bei der Erprobungsstelle der Luftwaffe in R, als Revisor bei der Gauleitung der NSDAP in B, außerdem bei dem R-B in B und schließlich als Sachbearbeiter beim W-B. Von Januar 1940 an bis zu seiner Einberufung zum Kriegsdienst im Januar 1943 war der Kläger in der "Gemeinnützigen Stiftung für A" als Abteilungsleiter nach Vergütungsgruppe TOA III eingesetzt. Die Aufgabe dieser Stiftungseinrichtung bestand in der sogenannten "Sterbehilfe", nämlich der Zwangstötung von Geistesschwachen und Geisteskranken sowie alten und unheilbar kranken Personen (seinerzeit als "Euthanasie" bezeichnet).
Wegen einer offenen Lungentuberkulose wurde der Kläger im April 1944 aus dem Heeresdienst entlassen und bezog von da an Versorgungsrente nach Versehrtenstufe III. Infolge eines mehrmonatigen Gefängnisaufenthaltes, der als politischer Gewahrsam im Sinne des § 1 Abs 1 und 3 Häftlingshilfegesetz (HHG) anerkannt ist, verschlimmerte sich die Tuberkuloseerkrankung. Der Kläger bezog deswegen von Februar 1947 bis zu seiner Übersiedlung nach Westberlin und anschließend in die Bundesrepublik im September 1951 Invalidenrente. Dort wurde er Ende 1951 in Untersuchungshaft genommen, jedoch mangels Beweises einer Mitwirkung bei der sogenannten "Euthanasie" außer Verfolgung gesetzt. Der Kläger meldete sich im Oktober 1952 arbeitslos, fand aber erst im Januar 1956 eine Anstellung zunächst bei einem Reisebüro und dann von Oktober 1956 an als Angestellter bei der Stadtverwaltung D, zunächst in Vergütungsgruppe TOA VIII. Er wurde mehrfach höhergruppiert, bis er schließlich am 1. Oktober 1963 die Vergütungsgruppe Vb BAT erreicht hatte. Mit Vollendung des 65. Lebensjahres schied er aus dem Berufsleben aus und bezieht seitdem Altersruhegeld von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) sowie eine Versorgungsrente von der Zusatzversorgungskasse der Stadt D. Bei der Versichertenrente sind ua Ausfall- und Ersatzzeiten von Januar 1943 bis Dezember 1955 mit Werteinheiten im Monatsdurchschnitt von 11,29 angerechnet.
Die Versorgungsbehörde lehnte die Gewährung von Berufsschadensausgleich ab. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG aufgehoben und den Beklagten verurteilt, dem Kläger ab 1. Dezember 1974 Berufsschadensausgleich zu zahlen. Für die Höhe des Berufsschadensausgleichs sollen 75 % des Vergleichseinkommens nach Gruppe IVb der jeweils für Angestellte des Bundes geltenden Tarifregelung maßgebend sein. Zur Begründung hat das LSG ua ausgeführt:
Der Kläger beziehe schädigungsbedingt ein niedrigeres Altersruhegeld. Die BfA habe für die Zeit vom 1. Februar 1947 bis 31. Dezember 1955 niedrigere Werteinheiten angesetzt. Ohne die Schädigungsfolgen hätten im Monatsdurchschnitt Werteinheiten von 14,20 - wie als Abteilungsleiter bei der sogenannten "Stiftung" entrichtet - in Ansatz gebracht werden müssen. Der Kläger wäre in dieser Zeit ohne die Schädigungsfolgen wahrscheinlich als Behördenangestellter oder in der gewerblichen Wirtschaft als Angestellter der Leistungsgruppe III tätig gewesen. Eine gleichartige Beschäftigung habe er schon zuvor und wiederum ab 1956 ausgeübt. Weil der Kläger in der Zeit von 1947 bis 1955 kein Arbeitseinkommen erzielt habe, erübrige sich die Ermittlung eines Vergleichseinkommens. Jedenfalls habe die schädigungsbedingt bezogene Invalidenrente unter dem Einkommen der hier maßgeblichen Angestelltengruppe gelegen. Der im Klageverfahren gehörte Sachverständige habe ab Dezember 1951 eine Reaktivierung der Tuberkulosenerkrankung festgestellt. Zwar habe der Arbeitsamtsarzt den Kläger im Oktober 1952 als arbeitsfähig für büromäßige Arbeiten angesehen. Jedoch könne davon ausgegangen werden, daß die Arbeitgeber bei Einstellungen auch ausgeheilter Tuberkulosekranker eine gewisse Zurückhaltung geübt hätten. Dies sei mitverantwortlich für die Arbeitslosigkeit nach Übersiedlung in das Bundesgebiet gewesen. Außerdem könne bei einem zunächst geringen Kräftebedarf der Wirtschaft in den Jahren 1952 bis 1955 das höhere Alter des Klägers von 48 Jahren ein Hindernis für eine Arbeitsaufnahme gewesen sein.
Der Beklagte rügt die Verletzung des § 30 Abs 3 bis 5 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und macht Verfahrensfehler geltend. Das LSG habe - so meint der Beklagte - seine Sachaufklärungspflicht (§ 103 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) verletzt. Es habe bis zur Übersiedlung des Klägers in das Bundesgebiet eine Angestelltentätigkeit nach Leistungsgruppe III ohne Ermittlungen als gegeben unterstellt. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) müsse konkret geprüft werden, welcher Beruf ohne die Schädigung ausgeübt worden wäre. Schließlich seien die Angaben des Klägers vor dem Notaufnahmeausschuß unberücksichtigt geblieben. Danach sei er in das Bundesgebiet gekommen, weil er mit der "Euthanasie" in Zusammenhang gebracht worden sei. Die Arbeitslosigkeit im Bundesgebiet sei durch die Arbeitsmarktlage verursacht gewesen. Gesundheitliche Gründe, so etwa auch die von LSG angenommene Zurückhaltung von Arbeitgebern bei der Einstellung von Tbc-Kranken, kämen nicht in Betracht. Überdies müßten gerichtskundige Tatsachen bekanntgegeben werden. Im übrigen sei mit den angerechneten Ausfall- und Ersatzzeiten ein etwaiger Minderverdienst ausgeglichen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts aufzuheben
und die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts
zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist insoweit erfolgreich, als das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist.
Nach der zutreffenden Revisionsrüge hat das LSG seine Pflicht, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären (§ 103 SGG), verletzt. Es hat die sachlich-rechtliche Auffassung vertreten (vgl BSGE 2, 84, 87), bei der Feststellung des Einkommensverlustes sei auf eine vergleichende Gegenüberstellung des Bruttoeinkommens (aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit: § 30 Abs 4 Satz 1 BVG idF des 8. Anpassungsgesetzes -AnpG-KOV- vom 1976-06-14 - BGBl I 1481) mit dem "höheren" Vergleichseinkommen abzustellen. Davon ausgehend soll sich die Ermittlung eines solchen Vergleichseinkommens im vorliegenden Falle erübrigen. Der Kläger habe nämlich in den Jahren 1947 bis 1955 kein Erwerbseinkommen erzielt; jedenfalls habe die gewährte Invalidenrente unter dem Einkommen eines Angestellten bei einer Behörde oder in der Wirtschaft gelegen. Insoweit hat die Revision hinreichend substantiiert gerügt (§ 164 Abs 2 Satz 2 SGG), das LSG hätte den wahrscheinlichen beruflichen Werdegang des Klägers ohne die Schädigungsfolgen konkret aufzeigen müssen. Darauf bezogene Feststellungen fehlten im wesentlichen. Auch hat das LSG die wirtschaftlichen Verhältnisse in der DDR nicht erkundet. Die Angabe des Klägers vor dem Notaufnahmeausschuß, er habe die Übersiedlung wegen der bekannt gewordenen Beschäftigung bei der "Euthanasie" betrieben, ist nicht erörtert worden. Vielmehr ist das LSG davon ausgegangen, für den Wohnortwechsel seien gesundheitliche und wirtschaftliche Gründe maßgebend gewesen. Demnach hat das Berufungsgericht nicht aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens entschieden (§ 128 Abs 1 S 1 SGG; BSG SozR Nr 40 und 56 zu § 128 SGG). Schließlich ist weder ein Erfahrungssatz kenntlich gemacht noch sind entsprechende Erfahrungsquellen angegeben, die belegen, daß der Kläger ohne die Schädigungsfolgen vor und nach der Übersiedlung als Angestellter der Leistungsgruppe III tätig gewesen wäre (BSG SozR Nr 87 zu § 128 SGG; SozR 1500 § 62 Nr 3; SozR 1500 § 128 Nr 4 und 15; SozR 3640 § 3 Nr 2; BSGE 41, 65 = SozR 3100 § 30 Nr 10). Ebenso verhält es sich mit der Annahme, der Widerstand der Arbeitnehmer gegen die Zusammenarbeit mit Tbc-Kranken und die daraus resultierende Zurückhaltung der Arbeitgeber seien für die Nichteinstellung des Klägers verantwortlich gewesen.
Es ist nicht auszuschließen, daß das LSG bei Vermeidung dieser Verfahrensfehler zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.
Überdies war das LSG zum Erlaß eines Grundurteils (§ 130 SGG) nicht befugt. Ein solches Urteil setzt einen Anspruch des Klägers wenigstens in einer Mindesthöhe voraus (BSGE 13, 178, 181 = SozR Nr 3 zu § 130 SGG; SozR Nr 4 zu § 130 SGG). Allerdings genügt es, wenn das Gericht, das den Anspruch dem Grunde nach für gegeben hält, nach den getroffenen Feststellungen als wahrscheinlich ansieht, daß der Anspruch in einer Mindesthöhe besteht (BSG aaO). Hiervon hätte das Berufungsgericht nur dann ausgehen dürfen, wenn es einen Einkommensverlust nach dem im BVG aufgezeigten Rechtsmaßstab hätte annehmen können. Das wäre - wie noch näher auszuführen sein wird - zumindest dann der Fall gewesen, wenn die Vergleichsberechnung ein gegenüber dem derzeitigen Bruttoeinkommen höheres Vergleichseinkommen (gekürzt um 25 vH) ergeben und nach den besonderen Umständen des Falles sich ein konkreter schädigungsbedingter Schaden abgezeichnet hätte. Rückschlüsse darauf sind nach dem bisherigen Verfahrensgang nicht gerechtfertigt.
Das LSG hat bei seiner Entscheidung in materiell-rechtlicher Hinsicht von folgendem auszugehen:
Entgegen der Meinung des Berufungsgerichts ist eine individuelle Berechnung des ohne die Schädigung wahrscheinlich erzielten Renteneinkommens nicht zulässig (vgl BSGE 38, 160, 167 = SozR 3100 § 30 Nr 3). Der schädigungsbedingte Einkommensverlust ist vielmehr pauschalierend und generalisierend nach einem durchschnittlichen Berufserfolg festzustellen (BSG SozR 3100 § 30 Nr 47). In § 30 Abs 3 und 4 BVG wird der individuelle Maßstab wesentlich durch einen durchschnittlichen ersetzt. Nicht nur die Höhe des Anspruchs auf Berufsschadensausgleich, sondern ein bereits durch die Schädigungsfolgen eingetretener wirtschaftlicher Schaden als Voraussetzung des Anspruchs ist gemäß § 30 Abs 4 BVG pauschal zu ermitteln (BSG aaO). Der Gesetzgeber hat sich für diese vereinfachte Bearbeitungsweise entschieden, die zudem eine gleichmäßige Rechtsanwendung gewährleistet und das Eindringen in persönliche Verhältnisse vermeidet (BSG aaO). Die Pauschalierung nimmt es in Kauf, daß im Einzelfall von einem größeren Einkommensverlust als dem tatsächlichen ausgegangen wird (BSGE 47, 220, 223 = SozR 3100 § 30 Nr 40). Infolgedessen hätte das LSG zur Ermittlung des schädigungsbedingten Mindereinkommens feststellen müssen, welche berufliche Tätigkeit der Kläger ohne die Schädigung nach seinen Lebensverhältnissen, Kenntnissen und Fähigkeiten und dem bisher betätigten Arbeits- und Ausbildungswillen während seines aktiven Berufslebens wahrscheinlich ausgeübt hätte (§ 30 Abs 4 Seite 2 BVG). Diese wahrscheinlich ausgeübte Berufsposition ist auf der Grundlage der in § 30 Abs 4 BVG erschöpfend normierten Vergleichskriterien nach näherem Maßstab der zur Durchführung der zu § 30 Abs 3 bis 5 BVG erlassenen Verordnung einer bestimmten Berufs- oder Wirtschaftsgruppe zuzuordnen. Das insoweit in Betracht kommende Durchschnittseinkommen ist als sogenanntes Vergleichseinkommen im Sinne des § 30 Abs 4 Satz 2 bis 4 BVG gekürzt um 25 vH (wegen Vollendung des 65. Lebensjahres gemäß § 8 Abs 1 der zu § 30 Abs 3 - 5 BVG erlassenen DV vom 1977-01-18 - BGBl I 162 -) dem derzeitigen Bruttoeinkommen - dazu rechnen die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und die Rente der Versorgungskasse der Stadt D nach § 9 Abs 1 Ziff 2 und 4 DV zu § 30 Abs 3 bis 5 BVG - gegenüberzustellen. Eine solche Kürzung des Vergleichseinkommens gilt, obwohl dies § 8 Abs 1 DV 1977 erst ab 1. Januar 1977 vorsieht, auch für die davorliegende Zeit und somit ab dem beantragten Berufsschadensausgleich im Dezember 1974. Dabei kann dahinstehen, ob die Rechtsprechung (BSGE 38, 1ö0 = SozR 3100 § 30 Nr 40 mwN) oder die klarstellende Bedeutung der Verordnungsvorschrift diese Kürzung rechtfertigt (BSG SozR 3100 § 30 Nr 41). Ergibt sich sonach ein geringeres Bruttoeinkommen, ist festzustellen, inwieweit sich dies wirtschaftlich nachteilig auf das Renteneinkommen auswirkt.
Das LSG hat im Ansatz richtig gesehen, daß die vor der Schädigung zuletzt erreichte Berufsposition bei der sogenannten "Stiftung" für die Festlegung des Vergleichseinkommens nicht als Grundlage dienen kann. Der Kläger hat dort eine politische, an die nationalsozialistische Herrschaft gebundene Tätigkeit ausgeübt (vgl Reitlinger, Die SS, 1956, 270 ff; Hohlfeld, Dokumente der deutschen Politik und Geschichte von 1948 bis zur Gegenwart, Band 5, 203 ff; Mitscherlich und Mielke, Medizin ohne Menschlichkeit, Dokumente des Nürnberger Prozesses, 1960, 183 bis 236; Göppinger, Arzt und Recht, Medizinisch-juristische Grenzprobleme unserer Zeit, München 1966, 96 bis 124; Redeker, NJW 1964, 1097 f; siehe auch BT-Drucks IV/3124 S 6). Diese hätte der Kläger naturgemäß nach Beendigung des 2. Weltkrieges und unabhängig von den Schädigungsfolgen nicht mehr fortsetzen können. Eine vor der Schädigung innegehabte Berufsstellung genießt Versorgungsschutz und ist dementsprechend nur dann relevant, wenn sie danach überhaupt noch von realer Bedeutung sein kann (BSGE 34, 216, 220 = SozR Nr 58 zu § 30 BVG; BSGE 40, 49, 51 = SozR 3100 § 30 Nr 7; BSGE 41, 65, 67 = SozR 3100 § 30 Nr 10; SozR 3100 § 30 Nr 48 und 49; zu § 40 a: SozR Nr 4, 8, 12 zu § 40 a BVG). Die in § 30 Abs 4 Satz 1 BVG genannte Berufstätigkeit stellt entsprechend der Begriffsbestimmung des "Berufs" auf Dauer ab und soll der Sicherung des Lebensunterhalts und der Existenzgrundlage dienen (BSG SozR 3100 § 30 Nr 47). Ungeachtet dessen sind gleichwohl die erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht unbeachtlich. Sie sind vielmehr Teilelemente des nach § 30 Abs 4 Satz 1 und 2 BVG zu bestimmenden wahrscheinlichen beruflichen Werdegangs als Orientierungshilfe für die Feststellung des Vergleichseinkommens.
Eine solche Bestimmung des Vergleichseinkommens bezogen auf die Jahre 1947 bis 1955 hat das Berufungsgericht für entbehrlich gehalten, da der Kläger in dieser Zeit ein Arbeitseinkommen nicht erzielt habe. Dabei ist unbeachtet geblieben, daß nach dem nicht mißzuverstehenden Wortlaut des § 30 Abs 4 Satz 1 BVG Vergleichsmaßstab das derzeitige Bruttoeinkommen ist. Dieses ist mit dem Vergleichseinkommen zu messen. Ergibt sich danach ein Unterschiedsbetrag zu Ungunsten des Klägers, mit anderen Worten ist das Vergleichseinkommen höher als das gegenwärtige Renteneinkommen, dann ist ein Einkommensverlust im Sinne des BVG gegeben. Ein solcher unterliegt allerdings nur dann der Entschädigungspflicht, wenn das Einkommen "durch die Schädigungsfolgen gemindert ist" (§ 30 Abs 3 BVG). Nach der in der Kriegsopferversorgung herrschenden Kausalitätstheorie der wesentlichen Bedingungen genügt es, daß die Schädigungsfolgen - unter Umständen im Zusammenwirken mit schädigungsunabhängigen Umständen - eine wesentliche (Mit)-Ursache für den Einkommensverlust darstellen (BSGE 45, 161, 162 = SozR 3100 § 30 Nr 3 mwN). Als Einkommensverlust kann nur ein konkreter, betragsmäßig nachzuweisender wirtschaftlicher Schaden berücksichtigt werden (BSG aaO). Daraus folgt, das das gegenwärtige Renteneinkommen deswegen niedriger als das um 25 vH geminderte Vergleichseinkommen sein müßte, weil der Kläger ohne die Schädigungsfolgen nach dem Kriege bis Dezember 1955 mehr verdient hätte, als der Rentenberechnung zugrundeliegt. Dabei ist zu beachten, daß entgegen der Hilfserwägung des Berufungsgerichts die Zeitspanne zwischen Schädigung bzw Entlassung aus dem Heeresdienst und dem Kriegsende unberücksichtigt bleiben muß, weil der Kläger ohne die Schädigung weiterhin Soldat geblieben wäre. Somit käme für diese Zeit eine versicherungspflichtige Tätigkeit ohnehin nicht in Betracht.
Tatsächliche Feststellungen darüber, inwieweit der Kläger an der Ausübung einer möglicherweise sich rentensteigernd auswirkenden Beschäftigung in den Jahren 1947 bis 1955 gehindert war, fehlen, wie bereits dargetan. Das LSG meint zwar, der Kläger wäre in dieser Zeit ohne die Schädigungsfolgen wahrscheinlich als Behördenangestellter oder in der gewerblichen Wirtschaft als Angestellter nach Leistungsgruppe III tätig gewesen. Woraus es diese Erkenntnisse gewonnen hat, die es notwendigerweise hätte darlegen müssen (BSG aaO), ist nicht näher aufgezeigt. Zudem schließt selbst die Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger habe von 1947 bis 1951 schädigungsbedingt eine Invalidenrente bezogen nicht aus, daß doch schädigungsunabhängige Beweggründe den Kläger veranlaßten, von einer unselbständigen Beschäftigung abzusehen. Ein Indiz dafür könnte die Angabe des Klägers vor dem Notaufnahmeausschuß sein. Danach will der Kläger die SBZ verlassen haben, weil seine Beschäftigung bei der Euthanasie bekannt geworden sei. Ein solches politisches Motiv für eine zunächst nicht angestrebte Arbeitsaufnahme insbesondere im öffentlichen Dienst könnte auch nach der Übersiedlung bestanden haben. Immerhin waren seinerzeit zahlreiche Strafverfahren wegen Euthanasie-Beteiligung anhängig, die zu Verurteilungen führten (vgl Urteil des OGH, MDR 1949, 370 f; Urteil des BGH, NJW 1953, 513 f; vgl auch NJW 1961, 276).
Schließlich hat das Berufungsgericht nicht die Arbeitsmarktlage für den Kläger in Betracht kommenden Berufssektor im bezeichneten Zeitraum erforscht. Hierzu hätte sich angeboten, statistisches Material (vgl "Wirtschaft und Statistik") auszuwerten oder Auskünfte bei Berufsverbänden, der Bundesanstalt für Arbeit bzw bei der Heimatortskartei einzuholen und gegebenenfalls Sachverständige zu befragen. Insbesondere hätte erkundet werden müssen, ob Angestellte im Alter des Klägers in der damaligen Zeit überhaupt Berufschancen gehabt hätten oder sich diese gerade wegen der seinerzeitigen Schwerbeschädigteneigenschaft des Klägers etwa auch schon vor Erlaß des Gesetzes über die Beschäftigung Schwerbeschädigter (SchwbG) vom 16. Juni 1953 (BGBl I 389) günstiger gestaltet hätten. Weshalb in diesem Zusammenhang das LSG eine etwaige Arbeitsaufnahme ohne die Schädigungsfolgen ab Oktober 1952 dahingestellt sein läßt und zudem noch einräumt, die wirtschaftliche Situation sowie der geringe Kräftebedarf in Verbindung mit dem Alter des Klägers könne ein Hindernis für eine Beschäftigung gewesen sein, ist nicht verständlich. Gerade letzteres spräche mehr für eine schädigungsunabhängige Kausalität und damit gegen eine der Anspruchsvoraussetzungen. Schließlich geht das Berufungsgericht von einer zurückhaltenden Einstellungspraxis der Arbeitgeber bei Tuberkulose-Kranken aus, ohne hierfür die Erfahrungsquelle zu benennen (BSG aaO). Selbst eine insoweit gerichtskundige Tatsache hätte, wie der Beklagte zutreffend rügt, den Beteiligten eröffnet werden müssen (BSG SozSich 1981, S 57; vgl auch BSG SozR Nr 86 zu § 128 SGG).
Im übrigen ist ein konkreter Schaden selbst dann noch nicht nachgewiesen, wenn sich aufgrund der Ermittlungen erweisen sollte, daß die Schädigungsfolgen kausal für die Nichtaufnahme einer Beschäftigung in dem bezeichneten Zeitraum waren. Nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG sind in der Rentenberechnung der BfA für die Zeit vom 14. Januar 1943 bis 30. Dezember 1955 Ersatz- und Ausfallzeiten (§ 28 und § 36 Angestelltenversicherungsgesetz -AVG-) im Monatsdurchschnitt von 11,29 Werteinheiten berücksichtigt. Damit wird der Kläger nach Rentenrecht auch für diese Zeit einem Versicherten gleichgestellt. Die Werteinheiten beziehen sich dabei auf das Bruttoarbeitsentgelt (vgl § 32 Abs 3 Buchst a AVG in Verbindung mit Anlage 1 hierzu). Die angerechneten Zeiten finden bei der Rentenbemessungsgrundlage (§ 32 a iVm § 32 AVG) sowie bei der Zahl der Versicherungsjahre (§ 35 AVG) Berücksichtigung und beeinflussen somit unmittelbar die Rentenhöhe. Mithin könnte versicherungsrechtlich ein Rentenmindereinkommen und damit ein Schaden nur dann entstanden sein, wenn der Kläger in der ohne die Schädigungsfolgen wahrscheinlich erreichten Berufsstellung ein höheres Bruttoeinkommen als das hier in Ansatz gebrachte erzielt hätte, das für die Rentenberechnung entsprechend den Werteinheiten maßgebend gewesen ist. Sollte allerdings das durch Zurückverweisung (vgl Urteil des BSG vom 1980-02-27 - 1 RA 41/79 -) wiederum beim Hessischen LSG anhängige Rentenverfahren eine andere Bewertung der bisher noch streitigen Versicherungszeit erfahren, wäre zu beachten, daß dies eine entsprechende Änderung der Werteinheiten für die Ersatz- und Ausfallzeit zur Folge hätte.
Auch hinsichtlich der Zusatzversorgungsrente wäre ein schädigungsbedingtes Mindereinkommen denkbar. So etwa, wenn der Kläger infolge der Schädigungsfolgen nicht mindestens 15 Jahre bei demselben öffentlichen Arbeitgeber hätte tätig sein können. Dann hätte er Anspruch auf eine Mindestversorgung. Insoweit wird auf § 39 Abs 1 Buchst e der Satzung der Versorgungskasse des Bundes und der Länder (VBL) verwiesen. Weitere schädigungsbedingte Einkommensminderungen erscheinen möglich. Dazu bedarf es weiterer Feststellungen. Auch die Frage, welche Satzungsbestimmungen für die Versorgungskasse der Stadt D Geltung besitzen, - etwa die Mustersatzung der VBL - bedarf der Klärung (vgl Knacke, Die kommunale Zusatzversorgung; Kleeberger, Das Satzungsrecht der kommunalen Zusatzversorgungskassen).
Damit die sonach erforderlichen Ermittlungen angestellt und die nötigen Feststellungen getroffen werden können, ist das Berufungsurteil aufzuheben und der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem das Verfahren abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen