Entscheidungsstichwort (Thema)
Absenkung. Kieferorthopädie. Vergütungsregelung. Punktwert. Korrektur von Überbewertungen im EBM-Z. Ausgabenbegrenzung in der gesetzlichen Krankenversicherung. gesetzgeberische Einschätzungsprärogative. kieferorthopädische Leistungen. Verfassungsmäßigkeit. Überleitungsvorschrift. volljähriger Versicherter
Leitsatz (amtlich)
1. Die Absenkung der Punktwerte für kieferorthopädische Leistungen zum 1.1.1993 für die Dauer eines Jahres durch § 85 Abs 2b SGB 5 ist mit Art 12 Abs 1 GG vereinbar.
2. Art 33 § 5 GSG regelt nicht die Höhe des Punktwertes, nach dem kieferorthopädische Leistungen bei volljährigen Versicherten in Behandlungsfällen aus der Zeit vor 1993 honoriert werden.
Stand: 24. Oktober 2002
Normenkette
SGB V § 85 Abs. 2b S. 1, § 28 Abs. 2 S. 2; GSG Art. 33 § 5; GG Art. 12 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 8. Dezember 1994 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat der Beklagten die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Der als Kieferorthopäde in B. … zugelassene Kläger legte Widerspruch gegen die Honorarabrechnung seiner kieferorthopädischen Leistungen im Quartal I/93 ein, soweit die von ihm gegenüber erwachsenen Versicherten erbrachten Leistungen, für die schon vor dem 5. November 1992 eine verbindliche Leistungszusage der Krankenkasse vorlag, mit einem um 10 % gegenüber dem Vorjahr reduzierten Punktwert honoriert worden waren. Der Widerspruchsausschuß der beklagten Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZÄV) wies den Widerspruch zurück.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Es hat die Absenkung des Punktwertes für kieferorthopädische Leistung zum 1. Januar 1993 durch § 85 Abs 2b Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) für verfassungskonform gehalten. Ein Anspruch auf eine höhere Vergütung ergebe sich auch nicht aus der Übergangsregelung in Art 33 § 5 Gesundheits-Strukturgesetz (GSG). Diese befasse sich nicht mit der Höhe des Punktwertes, weil dort nur bestimmt sei, daß Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben und deren kieferorthopädische Behandlung vor dem 1. Januar 1993 begonnen hat, Anspruch auf Übernahme der Kosten der kieferorthopädischen Behandlung einschließlich zahntechnischer Leistungen in der Höhe haben, wie sie das am 31. Dezember 1992 geltende Recht vorsah. Die Vorschrift normiere lediglich die Leistungspflicht der Krankenkassen für bereits begonnene kieferorthopädische Behandlungen von erwachsenen Versicherten, treffe aber keine Regelungen hinsichtlich der Höhe des Punktwertes für die nach dem 1. Januar 1993 (auch) gegenüber Erwachsenen erbrachten kieferorthopädischen Leistungen (Urteil vom 8. Dezember 1994).
Mit seiner Sprungrevision hält der Kläger an seiner Auffassung fest, die Absenkung des Punktwertes für (ua) kieferorthopädische Leistungen zum 1. Januar 1993 sei verfassungswidrig, weil sie gegen Art 12 Abs 1 und Art 3 Abs 1 GG verstoße. Die Regelung des § 85 Abs 2b Satz 1 SGB V, wonach die am 31. Dezember 1992 geltenden Punktwerte für zahnärztliche Leistungen bei Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und bei kieferorthopädischer Behandlung zum 1. Januar 1993 für die Dauer eines Kalenderjahres um 10 vH abgesenkt werden, sei nicht durch vernünftige Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt. Der Gesetzgeber habe in dieser Vorschrift etwas geregelt, was er nach der amtlichen Begründung des Entwurfs zum GSG gar nicht habe regeln wollen. In der Begründung sei formuliert worden, daß mit der Absenkung eine gleichgewichtigere Bewertungsrelation zwischen zahnerhaltenden und prothetischen sowie kieferorthopädischen Leistungen hergestellt werden solle. Diese Wendung lasse sich nur so verstehen, daß der Gesetzgeber einen Gegensatz zwischen zahnerhaltenden auf der einen und prothetischen sowie kieferorthopädischen Leistungen auf der anderen Seite hergestellt habe, der aber nicht bestehe. Kieferorthopädische Leistungen dürften nicht mit prothetischen Leistungen gleichgesetzt werden, sie dienten vielmehr – ähnlich wie andere zahnärztliche Leistungen – ausschließlich der Zahnerhaltung und rechneten zu Prävention und Prophylaxe. Da der Gesetzgeber diese Bereiche der zahnärztlichen Tätigkeit gerade habe stützen und fördern wollen, sei es unverständlich, daß er hinsichtlich der Punktwertabsenkung die kieferorthopädischen Leistungen genauso wie die prothetischen behandelt habe. Ursprünglich sei im Regierungsentwurf auch nur vorgesehen gewesen, die Punktwertabsenkung auf den Bereich der prothetischen Leistungen zu beschränken; für die Einbeziehung der Kieferorthopädie fehle eine Begründung vollständig. Auffällig sei weiterhin, daß im Verlaufe der Gesetzesberatungen die für prothetische Leistungen ursprünglich in Aussicht genommene Absenkungshöhe von 20 % auf 10 % zurückgenommen worden sei, daß im Gegenzug aber die kieferorthopädischen Leistungen in die Absenkung einbezogen worden seien, was auf eine sachwidrige Einflußnahme auf das Gesetzgebungsverfahren hindeute. Schließlich sei der mit der Punktwertabsenkung verbundenen Eingriff nicht erforderlich, weil der gesetzlichen Regelung kein zutreffend bezeichnetes Regelungsziel zugrunde liege, und zudem übermäßig, weil der Gesetzgeber etwas an sich gezogen habe, was bisher durch Vereinbarungen der KZÄVen mit den Landesverbänden der Krankenkassen in Gesamtverträgen geregelt worden sei. Für diesen Eingriff in die Selbstverwaltung gebe es keine nachvollziehbare Begründung.
Selbst wenn § 85 Abs 2b Satz 1 SGB V verfassungsgemäß sei, könne die Punktwertabsenkung nicht die kieferorthopädische Behandlung Erwachsener erfassen, weil diese im Hinblick auf § 28 Abs 2 Satz 2 SGB V ab dem 1. Januar 1993 gar nicht mehr Gegenstand der vertragszahnärztlichen Versorgung sei. Die Höhe des Honoraranspruchs des Vertragszahnarztes für die kieferorthopädische Behandlung Erwachsener in Altfällen ergebe sich vielmehr aus Art 33 § 5 GSG. Da die kieferorthopädische Behandlung Erwachsener ab dem 1. Januar 1993 auch in Fällen, in denen die Behandlung schon 1992 begonnen worden sei, nicht mehr Gegenstand der vertragszahnärztlichen Versorgung sei, hätten die Versicherten ohnehin nur einen unter Vertrauensschutzgesichtspunkten gewährten Kostenerstattungsanspruch. Dessen Höhe sei in § 5 des Art 33 GSG in der Weise geregelt, daß das bis Ende 1992 geltende Recht maßgeblich sei. Da der Kostenerstattungsanspruch auf den alten Rechtszustand Bezug nehme, richte sich auch der Honoraranspruch des Zahnarztes nach dem bis Ende 1992 geltenden Recht.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 8. Dezember 1994 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Honorarbescheides für das Quartal I/93 und Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 1993 zu verpflichten, der Honorarabrechnung des Klägers für die kieferorthopädische Behandlung von Versicherten, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, deren kieferorthopädische Behandlung vor dem 1. Januar 1993 begonnen hat und über deren Anspruch die Krankenkassen vor dem 5. November 1992 schriftlich entschieden haben, den 1992 geltenden Punktwert ohne Absenkung zugrunde zu legen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, bei einer quartalsbezogenen Abrechnung (auch) der kieferorthopädischen Leistungen könnten alle Leistungen des Vertragszahnarztes im jeweiligen Quartal nur nach einem einheitlichen Punktwert honoriert werden. Da sich kieferorthopädische Behandlungen üblicherweise über einige Jahre erstreckten, sei es nicht ausgeschlossen, die Quartal für Quartal anfallenden Leistungen jeweils nach einem anderen Punktwert zu honorieren. Der Vorschrift des Art 33 § 5 GSG könne nicht entnommen werden, daß die kieferorthopädische Behandlung Erwachsener über den 1. Januar 1993 hinaus nach dem Punktwert zu honorieren sei, der am 31. Dezember 1992 gegolten habe. Das ergebe sich daraus, daß sich Art 33 § 5 GSG überhaupt nicht mit dem Punktwert für die Honorierung der kieferorthopädischen Leistungen befasse sondern lediglich die notwendige Übergangsregelung zur Neufassung des § 28 SGB V darstelle und die Grundlage dafür sei, daß die Krankenkassen über den Zeitpunkt des Inkrafttretens des GSG hinaus überhaupt berechtigt seien, für die kieferorthopädische Behandlung Erwachsener Zuschüsse zu leisten.
Die Klage könne daher nur Erfolg haben, wenn die Regelung in § 85 Abs 2b Satz 1 SGB V verfassungswidrig sei, was indessen nicht der Fall sei. Die Punktwertabsenkung sei aus der Sicht der Zahnärzteschaft politisch unerwünscht, angesichts des weiten Beurteilungs- und Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers aber nicht verfassungswidrig.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist zulässig aber nicht begründet. Das SG hat zutreffend entschieden, daß die Leistungen des Klägers für die Fortsetzung der kieferorthopädischen Behandlung Erwachsener in Fällen, in denen die Behandlung noch 1992 begonnen hat, nur mit dem um 10 % abgesenkten Punktwert (§ 85 Abs 2b Satz 1 SGB V) honoriert werden können. Die Vorschrift ist verfassungskonform und ihre Anwendung durch Art 33 § 5 GSG nicht ausgeschlossen.
Die Höhe des Honoraranspruchs des Klägers für die kieferorthopädische Behandlung erwachsener Versicherter im Quartal I/93 richtet sich ausschließlich nach § 85 Abs 2b Satz 1 SGB V. Art 33 § 5 GSG trifft zum Honoraranspruch des Vertragszahnarztes in kieferorthopädischen Behandlungsfällen keine Regelung, weil diese Norm vom Gesetzgeber erkennbar als Übergangsregelung zu § 28 SGB V ausgestaltet worden ist. Durch das GSG ist der Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung bei der kieferorthopädischen Behandlung neu bestimmt worden. Nach § 28 Abs 2 Satz 2 SGB V gehört die kieferorthopädische Behandlung von Versicherten, die zu Beginn der Behandlung das 18. Lebensjahr vollendet haben, nicht (mehr) zur zahnärztlichen Behandlung, soweit nicht schwere Kieferanomalien vorliegen. Diese erstmals durch den gemeinsamen Antrag der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP vom 5. November 1992 in den Gesetzentwurf eingefügte Regelung (BT-Drucks 12/3608 S 5) ist damit begründet worden, daß die Kosten der kieferorthopädischen Behandlung von Versicherten, die bei Beginn der Behandlung das 18. Lebensjahr vollendet haben, grundsätzlich nicht mehr von den Krankenkassen übernommen werden sollten, da die Behandlung aus medizinischen Gründen vor Abschluß des Körperwachstums zu beginnen sei, und kieferorthopädische Maßnahmen bei Erwachsenen überwiegend aus ästhetischen Gründen oder wegen mangelnder zahnmedizinischer Vorsorge in früheren Jahren erfolgen (BT-Drucks 12/3608 S 79 zu Nr 15). Ergänzend wird auf die Übergangsregelung hingewiesen, die damals in Art 31 ≪heute Art 33≫ § 5 GSG enthalten war. Diese Vorschrift sollte gewährleisten, daß bei schon begonnenen Behandlungsfällen in kieferorthopädischen Behandlungen bis zum Abschluß des einzelnen Behandlungsfalls „keine Leistungsminderung für die Versicherten eintritt” (BT-Drucks 12/3608 S 157). In den Fällen einer Leistungszusage der Krankenkasse vor dem 5. November 1992 müssen daher die Krankenkassen über den 31. Dezember 1992 hinaus die Behandlungskosten in derselben Höhe wie bisher übernehmen. Gesetzestext und Gesetzesbegründung lassen keinen Zweifel, daß in Art 33 § 5 GSG lediglich das Rechtsverhältnis zwischen den Versicherten und der Krankenkasse in den kieferorthopädischen „Altfällen” und nicht der Honoraranspruch des Vertragszahnarztes gegenüber seiner KZÄV geregelt werden sollte. Die Annahme, das zahnärztliche Honorar in diesen „Altfällen” sei von der Punktwertabsenkung ausgenommen, hätte zur Folge, daß die kieferorthopädischen Leistungen gegenüber Erwachsenen, die der Gesetzgeber gesundheitspolitisch für entbehrlich hält und nur noch unter Vertrauensschutzgesichtspunkten für eine kurze Übergangszeit als Kassenleistung ansieht, besser vergütet würden als die medizinisch auch in Zukunft unumstritten notwendige kieferorthopädische Versorgung von Kindern und Jugendlichen. Dafür besteht kein sachlicher Grund.
Nach § 85 Abs 2b Satz 1 SGB V werden die am 31. Dezember 1992 geltenden Punktwerte für die zahnärztliche Leistung bei Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und „bei kieferorthopädischer Behandlung” zum 1. Januar 1993 für die Dauer eines Kalenderjahres um 10 vH abgesenkt. Diese Vorschrift steht mit dem GG im Einklang.
Die Einbeziehung der kieferorthopädischen Leistungen in die Punktwertabsenkung war im Gesetzentwurf der Bundesregierung zu einem GSG noch nicht enthalten. Die von ihr vorgeschlagene Neufassung von § 85 Abs 2b SGB V sah vor, daß die am 31. Dezember 1991 geltenden Punktwerte für zahnärztliche Leistungen bei Zahnersatz einschließlich Zahnkronen zum 1. Januar 1993 um 20 vH abgesenkt und für die Jahre 1993, 1994 und 1995 festgeschrieben werden (BT-Drucks 12/3209 S 7). In der Begründung ist dazu ausgeführt, daß die Absenkung der Punktwerte für Regelleistungen beim Zahnersatz einen notwendigen Beitrag der Zahnärzte zur Erhaltung der Beitragsstabilität in der gesetzlichen Krankenversicherung darstelle und daß dadurch gleichzeitig eine gleichgewichtigere Bewertungsrelation zwischen zahnerhaltenden und prothetischen Leistungen im kassenzahnärztlichen Bewertungsmaßstab hergestellt werde (BT-Drucks 12/3209 S 47). Im GSG-Entwurf idF des Antrags der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP vom 5. November 1992 wird die Vorschrift des § 85 Abs 2b Satz 1 SGB V dann wie folgt gefaßt: „Die am 31. Dezember 1992 geltenden Punktwerte für zahnärztliche Leistungen bei Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und bei kieferorthopädischer Behandlung werden zum 1. Januar 1993 für die Dauer eines Kalenderjahres um 10 vH abgesenkt. Ab dem 1. Januar 1994 erfolgt die Anpassung auf der abgesenkten Basis”. In der Begründung werden erneut der notwendige Beitrag der Zahnärzte zur Erhaltung der Beitragsstabilität in der gesetzlichen Krankenversicherung und die Schaffung von gleichgewichtigeren Bewertungsrelationen zwischen zahnerhaltenden und prothetischen sowie kieferorthopädischen Leistungen erwähnt. Die kieferorthopädische Behandlung wird nunmehr ausdrücklich angesprochen: „Auch nach der Umstrukturierung sind – gemessen an einer gleichgewichtigen Bewertung – prothetische Leistungen um 24,5 % und kieferorthopädische Leistungen um 28 % zu hoch bewertet ≪vgl Institut für Funktionsanalyse Hamburg: Sonderuntersuchung zu den Bewertungsrelationen der zahnärztlichen Gebührenordnung nach der Bema-Umstrukturierung 1986 vom 13. September 1989≫” (BT-Drucks 12/3608 S 87). Die von den Fraktionen vorgeschlagene Fassung ist dann mit einer geringfügigen Modifikation durch den 15. Ausschuß (BT-Drucks 12/3930 S 26) Gesetz geworden, ohne daß sich im Ausschußbericht Hinweise zur Begründung der Regelung bzw zu der vom Ausschuß vorgenommenen Modifikation finden. Angesichts dieses Materialienbefundes kann offenbleiben, ob der Begründung des Fraktionsentwurfs iS der Ansicht des Klägers entnommen werden kann, die Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP seien der Auffassung gewesen, kieferorthopädische Leistungen dienten nicht der Zahnerhaltung und seien eher mit prothetischen Leistungen vergleichbar. Der Wortlaut von § 85 Abs 2b Satz 1 SGB V erfaßt auch die kieferorthopädischen Leistungen, und die Gesetzesbegründung läßt keinen Zweifel, daß dies so gewollt war. Sie benennt hinreichend deutlich zwei Regelungsziele des Gesetzgebers, nämlich einen Beitrag der Zahnärzte zur Beitragsstabilität in der gesetzlichen Krankenversicherung und eine Korrektur der vom Gesetzgeber als unbefriedigend angesehenen Bewertungsrelationen zwischen konservierend-chirurgischen Zahnerhaltungsmaßnahmen und Leistungen der Prothetik bzw der Kieferorthopädie. Beide Gesichtspunkte tragen die Punktwertabsenkung, die sich als verfassungskonforme Regelung der Berufsausübung der Vertragszahnärzte iS von Art 12 Abs 1 Satz 2 GG erweist.
Der Gesetzgeber hat mit der Schaffung des GSG ua das Ziel verfolgt, dem kontinuierlichen Anwachsen des Defizits in der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl BT-Drucks 12/3608 S 66) entgegenzutreten, mittelfristig die Beitragssätze zu stabilisieren und die Finanzierbarkeit und Leistungsfähigkeit des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung auf Dauer zu sichern. Dazu sind neben längerfristig wirksamen strukturellen Veränderungen auch Sofortmaßnahmen getroffen worden, die unmittelbar mit Inkrafttreten des GSG zu Entlastungen bei den Kostenträgern führen sollten (vgl Dudda, NZS 1996, S 211). Dazu gehören im zahnärztlichen Bereich die Absenkung des Punktwertes für vertragszahnärztliche Leistungen bei Zahnersatz und kieferorthopädischer Behandlung um 10 % für die Dauer eines Jahres (§ 85 Abs 2b Satz 1 SGB V) sowie die Absenkung der zahntechnischen Vergütung für gewerbliche Labore und Praxislabore im selben Leistungsbereich um 5 vH (§ 88 Abs 2a Satz 1 SGB V). Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat bereits mehrfach entschieden, daß gesetzliche Vergütungsbestimmungen Regelungen der Berufsausübung iS von Art 12 Abs 1 GG darstellen, die der Gesetzgeber treffen darf, wenn sie durch vernünftige Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt sind, die gewählten Mittel zur Erreichung des verfolgten Zweckes geeignet und erforderlich sind und die durch sie bewirkte Beschränkung dem Betroffenen zumutbar ist (vgl BVerfGE 70, 1, 28; 46, 246, 256). Die Absenkung der Vergütung für kieferorthopädische Leistungen dient – nicht anders als die Regelungen in Art 5 Nrn 5 und 6 Kostendämpfungs-Ergänzungsgesetz (KVEG) vom 22. Dezember 1981, die Gegenstand der Entscheidungen des BVerfG vom 31. Oktober 1984 und 14. Mai 1985 waren (BVerfGE 68, 193; 70, 1 ff) – der Sicherung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung und damit einem Gemeinwohlbelang von hoher Bedeutung. Dieses Ziel zu verfolgen ist der Gesetzgeber, wie das BVerfG entschieden hat, nicht nur berechtigt; er dürfte sich dieser Aufgabe nicht einmal entziehen (BVerfGE 68, 193, 218).
Die auf ein Jahr begrenzte Punktwertabsenkung ist geeignet, die Ausgaben der Krankenkassen für kieferorthopädische Leistungen zu reduzieren, und diese Eignung besteht unabhängig davon, ob das auf diese Weise erzielte Einsparvolumen auch durch geeignete Maßnahmen in anderen Leistungsbereichen hätte erreicht werden können (vgl BVerfGE 68, 193, 218). Unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit läßt sich gegen die unmittelbar durch Gesetz erfolgte Punktwertabsenkung nicht einwenden, der Gesetzgeber hätte sich mit einem Regelungsauftrag an die Partner der gemeinsamen Selbstverwaltung von Zahnärzten und Krankenkassen begnügen können und müssen. Ob der Gesetzgeber einen von ihm für unerläßlich gehaltenen Eingriff in das vertragszahnärztliche Vergütungssystem selbst vornimmt oder die gemeinsame Selbstverwaltung zur Schaffung neuer Vergütungsstrukturen auffordert, wie das zB in Art 5 Nr 5 KVEG im Hinblick auf die kieferorthopädischen Leistungen geschehen ist, obliegt seiner politischen Entscheidung. Bei dieser Entscheidung durfte er sich auch von den Erfahrungen leiten lassen, die mit der Selbstverwaltungslösung des KVEG gerade im Bereich der Vergütung kieferorthopädischer Leistungen in den vergangenen nahezu 15 Jahren gemacht worden sind. Die Rechtmäßigkeit der vom Bewertungsausschuß zum 1. Januar 1986 in Ausführung des gesetzlichen Auftrags aus Art 5 Nr 5 KVEG vom 21. Dezember 1981 neugestalteten Bewertung bestimmter kieferorthopädischer Leistungen ist erst durch Senatsurteil vom heutigen Tage in der Sache 6 RKa 49/95 – zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen – endgültig geklärt worden.
Die auf ein Jahr begrenzte Absenkung der Vergütung kieferorthopädischer Leistungen erweist sich schließlich auch im engeren Sinne als verhältnismäßig; insbesondere bewirkt sie für die betroffenen Kieferorthopäden keine unzumutbare wirtschaftliche Einbuße. Bei der Prüfung gesetzlicher Preis- und Vergütungsregelungen innerhalb des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung ist stets zu beachten, daß solche Regelungen nicht Preise für Güter oder Leistungen festsetzen, die Gegenstand freien Aushandelns im Rahmen eines freien Marktes sind. Vielmehr betrifft die Regelung der Vergütung vertragszahnärztlicher Leistungen die Teilnahme von Zahnärzten an einem von anderen finanzierten Leistungssystem, welche wegen der sozialstaatlichen Verantwortung für ein funktionsfähiges Krankenversorgungssystem dem staatlichen Zugriff leichter zugänglich ist. Die Vertragszahnärzte unterliegen im Rahmen ihrer Einbeziehung in das öffentlich-rechtliche Vertragssystem des Vertragszahnarztrechtes in erhöhtem Maße den Einwirkungen sozialstaatlicher Gesetzgebung. Bei der Bestimmung der Grenze, bis zu der der Gesetzgeber zulässigerweise zur Anpassung der Ausgaben an die Einnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung die Höhe von zahnärztlichen Vergütungen regulieren darf, kann das nicht unberücksichtigt bleiben, wie das BVerfG für den Bereich der zahntechnischen Leistungen bereits entschieden hat (BVerfGE 68, 193, 220).
Daß die zeitlich begrenzte Absenkung der Punktwerte für kieferorthopädische Leistungen um 10 vH im Jahre 1993 für die Praxis des Klägers existenzbedrohende Wirkung haben könnte, ist weder von ihm geltend gemacht worden noch für den Senat ersichtlich. Im übrigen steht das BVerfG bei der verfassungsrechtlichen Prüfung von Vergütungsregelungen innerhalb des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung auf dem Standpunkt, daß bei der Beurteilung der Zumutbarkeit einer wirtschaftsordnenden gesetzlichen Regelung im Bereich der Berufsausübung nicht die Interessenlage eines Einzelnen maßgebend ist, sondern eine generalisierende Betrachtungsweise geboten ist, die auf den betreffenden Wirtschaftszweig insgesamt abstellt, so daß eine Vergütungsregelung selbst dann nicht verfassungswidrig ist, wenn sie im Einzelfall tatsächlich zur Existenzgefährdung einzelner Praxen oder Betriebe führen sollte (vgl BVerfGE 68, 193, 219 f).
Keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen gegen die Regelung in § 85 Abs 2b Satz 1 SGB V auch insoweit, als der Gesetzgeber über den Einsparungseffekt hinaus strukturelle Korrekturen im Bewertungsgefüge für vertragszahnärztliche Leistungen insgesamt hat verwirklichen wollen. Die Einschätzung des Gesetzgebers, wie sie in der Gesetzesbegründung der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP vom 5. November 1992 zum Ausdruck kommt, die kieferorthopädischen Leistungen seien ähnlich wie die prothetischen Leistungen in Relation zu anderen zahnärztlichen Verrichtungen durch die Honorierungsregelungen in den Teilen C und D des Bewertungsmaßstabs für kassenzahnärztliche Leistungen (Bema) nach dem Stand von 1992 überbewertet (BT-Drucks 12/3608 S 87), hält sich im Rahmen der gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative. Der Gesetzgeber hat sich bei seiner Beurteilung an vorhandenen wissenschaftlichen Studien und Untersuchungen orientiert, auf die in der Gesetzesbegründung ausdrücklich Bezug genommen wird (BT-Drucks 12/3608 S 87). Damit hat der Gesetzgeber der Forderung entsprochen, die die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seit dem sog Mitbestimmungsurteil vom 1. März 1979 im Rahmen der verfassungsrechtlichen Überprüfung gesetzgeberischer Prognosen stellt (vgl BVerfGE 50, 290, 332 ff). Es ist nicht Aufgabe der Gerichte zu überprüfen, ob die in der Gesetzesbegründung der Fraktionen vom 5. November 1992 und zuvor schon in der Gesetzesbegründung der Bundesregierung vom September 1992 erwähnte Studie in der Wissenschaft umstritten ist und ob auch andere Positionen zur Bewertung kieferorthopädischer Leistungen vertreten werden. Die gesetzgeberische Einschätzungs- und Gestaltungsfreiheit wird, soweit lediglich Regelungen der Berufsausübung getroffen werden, allenfalls überschritten, wenn Grundrechtseingriffe auf offenkundige Fehleinschätzungen gestützt werden oder wenn der Gesetzgeber weitgehend unbestrittene Feststellungen fachkundiger Gremien oder Personen bewußt ignoriert. Daß dies hinsichtlich der Bewertung kieferorthopädischer Leistungen der Fall gewesen sein könnte, wird vom Kläger nicht geltend gemacht und ist für den Senat nicht erkennbar. Die in der Gesetzesbegründung der Fraktionen zitierte Sonderuntersuchung zu den Bewertungsrelationen der zahnärztlichen Gebührenordnung nach der Bema-Umstrukturierung 1986 befaßt sich auch mit der Bewertung kieferorthopädischer Leistungen, so daß der Frage nicht näher nachgegangen werden muß, aus welchen Gründen die kieferorthopädischen Leistungen durch den Gesetzentwurf der Fraktionen vom November 1992 im Gegensatz zum Gesetzentwurf der Bundesregierung vom September 1992 in die Punktwertabsenkung mit einbezogen worden sind. Wenn der Gesetzgeber aufgrund vorhandener Studien zu der Auffassung gelangt, im Verhältnis zu konservierend-chirurgischen Leistungen seien die vertragszahnärztlichen Leistungen im Rahmen der Prothetik und Kieferorthopädie überbewertet, ist er im Hinblick auf das Gleichbehandlungsgebot des Art 3 Abs 1 GG nicht nur berechtigt, sondern möglicherweise sogar verpflichtet, steuernd einzugreifen, will er sich nicht dem Vorwurf derjenigen Vertragszahnärzte, die nur konservierend-chirurgische Leistungen erbringen, aussetzen, er verweigere sachlich gebotene Bewertungskorrekturen entgegen besserer Erkenntnis.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1049468 |
BSGE 78, 185 |
BSGE, 185 |
SozR 3-2500 § 85, Nr.13 |