Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfallversicherungsschutz nach RVO § 539 Abs 1 Nr 15 beim steuerlich begünstigten Umbau eines Familienheimes. Unfallversicherungsschutz beim Bau eines Familienheimes
Orientierungssatz
Sind die mit dem (Aus-)Bau des Familienheimes zusammenhängenden umfangreichen Abriß- und Bauarbeiten und die damit verbundene Umgestaltung des gesamten Familienheimes eine wesentliche Ursache auch für das Verputzen des gesamten Hauses, dann stehen auch die Putzarbeiten an Teilen des Hauses, die baulich nicht verändert wurden, im ursächlichen Zusammenhang mit dem Umbau des Familienheimes. Beim Entfernen des Kellerfenstergitters, das wegen der Verputzarbeiten erforderlich wird, besteht Versicherungsschutz nach RVO § 539 Abs 1 Nr 15.
Normenkette
RVO § 539 Abs 1 Nr 15 Fassung: 1963-04-30
Verfahrensgang
LSG für das Saarland (Entscheidung vom 23.01.1980; Aktenzeichen L 2 U 33/79) |
SG für das Saarland (Entscheidung vom 26.04.1979; Aktenzeichen S 4 U 166/77) |
Tatbestand
Der Kläger erhielt durch Bauschein vom 17. April 1972 die Genehmigung, sein Eigenheim umzubauen und eine Garage anzubauen. Der Bauschein enthielt ua die Auflage, das Äußere des Umbaues nach Fertigstellung zu verputzen und zu streichen. Die durch den Umbau neu geschaffenen Wohnräume wurden gemäß §§ 42, 43 des Wohnbaugesetzes für das Saarland vom 17. Juli 1959 idF vom 7. März 1972 (Amtsblatt S 149) als steuerbegünstigte Wohnungen (Wohnräume) anerkannt. Für den Wohnungsumbau war es erforderlich, das alte Stallgebäude und den gesamten Dachstuhl des alten Hauses abzureißen, auf der linken Seite des Hauses einen Giebel neu aufzumauern und den Steinkranz des Dachstuhles um zwei bzw drei Steinreihen zu erhöhen.
Am 4. Juli 1975 mußte der Kläger beim Anbringen des Außenputzes die Außengitter des Kellerfensters abmontieren. Einer der Messingdübel löste sich nicht von der Schraube. Er mußte mit dem Gitter aus der Mauer gezogen werden. Beim Versuch, die Schraube vom Dübel zu lösen, flog dem Kläger ein Messingsplitter in das linke Auge, das sofort auslief.
Der Beklagte lehnte durch Bescheid vom 26. Oktober 1977 Entschädigungsleistungen ab, da das Entfernen des Kellerfensters ebenso wie die Putzarbeiten nicht der Schaffung neuen Wohnraumes gedient hätten.
Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 26. April 1979 den Beklagten zur Entschädigungsleistung verurteilt, da die Arbeiten, bei denen sich der Unfall ereignet habe, im ursächlichen Zusammenhang mit der Schaffung neuer Wohnräume gestanden hätten.
Die Berufung des Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 23. Januar 1980 mit der Begründung zurückgewiesen: Aufgrund des steuerbegünstigten Wohnungsumbaues sei das Verputzen des gesamten Eigenheimes und hierbei ua das Entfernen des Kellergitters notwendig gewesen. Somit bestehe ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Schaffung neuer Wohnräume sowie dem Verputzen und dem Entfernen des Fenstergitters.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Der Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt.
Er trägt vor: Unstrittig sei, daß Versicherungsschutz gemäß § 539 Abs 1 Nr 15 der Reichsversicherungsordnung (RVO) bestanden habe, soweit sich die Baumaßnahmen auf den Wohnhausumbau im Dachgeschoß erstreckt hätten. Von diesen Baumaßnahmen würden jedoch lediglich der Umbau des Daches als Satteldach, die Erhöhung der Wände sowie der Verputz und das Streichen des durch den Umbau bedingten erhöhten Mauerwerkes erfaßt. Nicht hierunter fielen die Erneuerung des weiteren Verputzes am gesamten Wohnhaus und die hierdurch bedingten Arbeiten. Hierbei handele es sich um Renovierungsarbeiten. Wären diese Verputzarbeiten noch Arbeiten gewesen, die dem steuerbegünstigten Ausbau des Dachgeschosses zuzurechnen seien, so hätte die Auflage im Bauschein nicht nur "zu verputzen", sondern "neu zu verputzen" gelautet.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG vom 23. Januar 1980
und das Urteil des SG vom 26. April 1979 aufzuheben
und die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Sache
an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung
zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Der Senat hat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Die zulässige Revision ist insoweit begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist.
Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Kläger beim Bau eines Familienheimes iS des § 539 Abs 1 Nr 15 RVO verunglückt ist.
Unter Bau, insbesondere eines Familienheimes, sind nicht nur ein Neubau, sondern auch ein Wiederaufbau sowie der Ausbau und die Erweiterung eines bestehenden Familienheimes anzusehen, falls hierdurch für die Familie des Bauherrn zusätzlicher Wohnraum geschaffen und die Wohnflächengrenzen des öffentlich geförderten oder steuerbegünstigten Wohnungsbaues nicht überschritten werden (BSGE 28, 128, 130 und 131, 132; BSG Urteil vom 28. August 1971 - 2 RU 207/68; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1.-9. Aufl, S 475; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl § 539 Anm 93; Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, 3. Aufl, Kennzahl 300, S 41; aA Vollmar, Sozialversicherung 1967, 280). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Durch den Ausbau wurde neuer steuerbegünstigter Wohnraum für den Kläger als Bauherrn geschaffen. Das Bauvorhaben war als steuerbegünstigt anerkannt (vgl BSGE 28, 134; 34, 82, 84; 45, 258; Brackmann aaO S 475 b; Lauterbach aaO § 539 Anm 92).
Der Kläger ist auch beim (Aus-)Bau des Familienheimes verunglückt. Die Herausnahme und die vom Kläger vorgesehene Wiederbefestigung des Kellerfenstergitters standen im Zusammenhang mit dem Verputzen des umgebauten Wohnhauses. Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß nach dem Abriß des alten - an das Haus angebauten - Stallgebäudes, dem Neubau des gesamten Dachstuhles und der Errichtung eines neuen Giebels sowie der Erhöhung des Steinkranzes der Verputz des gesamten Hauses erneuert werden mußte. Die Putzarbeiten waren danach nicht nur, wie die Revision meint, soweit sie den Umbau des Daches und die Erhöhung der Wände betrafen Teil des Umbaus und damit Arbeiten beim Bau der steuerbegünstigten Wohnungen. Auch soweit das Verputzen den übrigen baulich nicht veränderten Bereich des Hauses betraf, war es aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des LSG Teil der diesem Umbau unmittelbar dienenden Arbeiten. Die Verputzarbeiten an den baulich nicht veränderten Gebäudeteilen bildeten nicht wesentlich allein Renovierungsarbeiten, die unter Ausnutzung der günstigen Gelegenheit nur gelegentlich und somit nur im zeitlichen Zusammenhang mit dem (Aus-)Bau des Familienheimes durchgeführt wurden. Die mit dem (Aus-)Bau des Familienheimes zusammenhängenden umfangreichen Abriß- und Bauarbeiten und die damit verbundene Umgestaltung des gesamten Familienheimes waren vielmehr eine wesentliche Ursache auch für das Verputzen des gesamten Hauses. Damit standen auch die Putzarbeiten an Teilen des Hauses, die baulich nicht verändert wurden, im ursächlichen Zusammenhang mit dem (Aus-)Bau des Familienheimes. Das LSG hat außerdem festgestellt, daß das Entfernen des Kellerfenstergitters, bei dem der Kläger den Unfall erlitt, wegen der Verputzarbeiten erforderlich war.
Nach der Rechtsprechung des Senats begründet eine Selbsthilfe, die nach Art und Umfang für die Finanzierung des Bauvorhabens keine erhebliche Bedeutung hat, keinen Versicherungsschutz; der durch den Wert der Selbsthilfe gegenüber den üblichen Unternehmerkosten ersparte Betrag muß in der Regel wenigstens 1,5 vH der Gesamtkosten des Bauvorhabens decken (BSGE 28, 122, 126; 34, 82, 84; 45, 258, 262; LSG Rheinland-Pfalz Breithaupt 1972, 649; Brackmann aaO S 475 a; Lauterbach aaO 539 Anm 93; Podzun aaO Kennzahl 300 S 43; Bereiter-Hahn/Schieke, Unfallversicherung, 4. Aufl, § 539 RdNr 30). Nach den Angaben des Klägers im Verwaltungsverfahren erscheinen auch diese Voraussetzungen als erfüllt. Der Beklagte geht in seiner Revisionsbegründung ebenfalls davon aus, daß der durch den Wert der Selbsthilfe des Klägers gegenüber den üblichen Unternehmerkosten ersparte Betrag wenigstens 1,5 vH der Gesamtkosten des Bauvorhabens gedeckt hat, da sonst auch nicht der von dem Beklagten angenommene Versicherungsschutz gemäß § 539 Abs 1 Nr 15 RVO bei den Baumaßnahmen im Dachgeschoß bestanden hätte. Das Urteil des LSG enthält jedoch insoweit keinerlei tatsächliche Feststellungen. Der Senat kann somit nicht abschließend entscheiden und muß die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen.
Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen