Entscheidungsstichwort (Thema)

Zuschuß zur Beschaffung eines Motorfahrzeuges

 

Leitsatz (redaktionell)

Zum Zuschuß zur Beschaffung eines Motorfahrzeuges:

1. Der Senat teilt die Auffassung des 9. Senats Anschluß an BSG 1968-06-28 9 RV 656/66 = SozR Nr 1 zu § 4 DVO zu § 13 BVG, daß unter Geltung der neuen Fassung des DV § 11 Abs 3, §§ 13 und 15 BVG § 4 Abs 4 S 1 die dritte Gruppe der Berechtigten allein nach objektiven gesundheitlichen Maßstäben zu bestimmen ist (wobei dahingestellt bleibt, ob die Änderung des Wortlautes dieser Vorschrift das Recht zum Nachteil der Beschädigten verändert oder nur die schon vorher geltende Rechtslage klargestellt hat). Hinsichtlich der Art und Schwere der Behinderung oder hinsichtlich des Ausmaßes der Gehbehinderung muß der Beschädigte im Unterschied zu anderen Beinprothesenträgern den Personen der ersten oder zweiten Gruppe gleichzuachten sein. Diese Voraussetzung ist für alle Beschädigten mit gleichen Gesundheitsstörungen gleich zu beurteilen, wobei nicht jeweils die spezielle Interessenlage des einzelnen Beschädigten maßgebend ist und demnach nicht - mehr - auf seine verschiedenartigen persönlichen Bedürfnisse kultureller, gesellschaftlicher oder sonstiger Art abzustellen ist. Eine besonders ungünstige Wohnlage und die durch sie bedingten Verkehrsverhältnisse, die keinen Zusammenhang mit der körperlichen Leistungsfähigkeit haben, waren schon nach altem Recht nicht zu beachten (vergleiche BSG 1969-01-21 9 RV 94/66 = SozR Nr 1 zu § 5 DVO zu § 13 BVG). Auch muß ebenso wie schon nach früherem Recht (vergleiche BSG aaO) die für den einzelnen Beschädigten gegebene Notwendigkeit, aus beruflichen Gründen ein Kraftfahrzeug zu benutzen, außer Betracht bleiben.

2. Die Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse bei der Gewährung von Zuschüssen im Rahmen der Kriegsopferversorgung wird dadurch nicht gänzlich ausgeschlossen. Vielmehr sind die Besonderheiten des Einzelfalles - auch örtliche Verhältnisse - zB Lage der Wohnung und des Arbeitsplatzes -, im Rahmen der Kriegsopferfürsorge zu berücksichtigen.

 

Normenkette

BVG § 11 Abs 3 § 13 DV § 4 Abs. 4 S. 1; BVG§11Abs3§13DV § 5

 

Tenor

Auf die Sprungrevision des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Speyer, Zweigstelle Mainz, vom 26. Februar 1973 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Der Kläger erhält eine Versorgungsrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 90 v.H. wegen: "1) Verlust des rechten Oberschenkels; 2) Weichteilstecksplitter im linken Bein, in der linken Leistengegend, im rechten Mittelbauch und in den Gesäßweichteilen". Von der orthopädischen Versorgungsstelle wird er mit einer Beinprothese (Oberschenkel-Kunstbein), einem Paar Stockstützen und einem Handstock versorgt. Der Kläger ist bei der Stadtverwaltung W als Verwaltungsangestellter beschäftigt, er wohnt in W. Seine Arbeitsstelle liegt etwa 7 km von dem Wohnort entfernt. In den Jahren 1953 (550,- DM) und 1962 (2000,- DM) wurde dem Kläger jeweils ein Zuschuß zur Beschaffung eines Motorfahrzeugs gewährt. Außerdem erhielt er einen jährlichen Zuschuß zu den Instandhaltungskosten des Motorfahrzeugs.

Im Oktober 1970 beantragte der Kläger erneut die Bewilligung eines Zuschusses zur Beschaffung eines Motorfahrzeugs. Nach einer versorgungsärztlichen Stellungnahme bestehen bei dem Kläger ungünstige Stumpfverhältnisse und Durchblutungsstörungen am linken Bein mit Krampfgefühlen; Prothese und Stock werden laufend getragen; der Gang ist beschwerlich. Die Versorgungsverwaltung lehnte den Antrag zunächst durch formlose Mitteilung vom 31. März 1971 und dann durch Bescheid des Landesversorgungsamtes (LVersorgA) vom 22. Juli 1971 ab. Der Widerspruch des Klägers wurde durch Bescheid vom 30. Mai 1972 zurückgewiesen. Zur Begründung ist angegeben, der Kläger falle nach der Art und Schwere der bei ihm anerkannten Gesundheitsstörungen nicht unter den in § 5 der Verordnung zur Durchführung des § 11 Abs. 3 und der §§ 13 und 15 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) - DVO - genannten Personenkreis. Auch eine Gleichstellung mit diesem Personenkreis sei nicht möglich. Der Kläger könne auch keine Ansprüche daraus herleiten, daß ihm in früheren Jahren ein Zuschuß gewährt worden sei. Zwischenzeitlich habe sich die Rechtsgrundlage geändert; der anspruchsberechtigte Personenkreis werde durch die Änderung der DVO eingeengt. Die Gewährung eines Zuschusses aus beruflichen Gründen sei nicht mehr vorgesehen.

Das Sozialgericht (SG) hat eine Augenscheinseinnahme (Ortstermin) durchgeführt und den Beklagten durch Urteil vom 26. Februar 1973 verurteilt, dem Kläger einen Zuschuß zur Beschaffung eines Motorfahrzeugs zu gewähren. In den Gründen wird ausgeführt, entgegen der Ansicht des Beklagten sei der Kläger dem Personenkreis gleichzusetzen, der wegen der Art und Schwere der körperlichen Behinderung einen Anspruch auf einen solchen Zuschuß habe. Der Anspruch sei nach der DVO vom 18. Dezember 1967 (BGBl I S. 1285) in der Neufassung vom 19. Januar 1971 (BGBl I S. 43) begründet. Dieser Anspruch setze zunächst voraus, daß der Beschädigte Anspruch auf ein handbetriebenes Krankenfahrzeug habe. Nach § 5 Abs. 1 der DVO könne die Versorgungsverwaltung dem Beschädigten an Stelle eines handbetriebenen Krankenfahrstuhles einen Zuschuß zur Beschaffung eines Motorfahrzeuges gewähren, sofern er dem dort aufgezeigten Personenkreis angehöre oder diesen Personen hinsichtlich der Art und Schwere der Behinderung gleichzuachten sei. Der Kläger gehöre allerdings weder dem in § 5 Abs. 1 DVO genannten Personenkreis an noch sei er diesem gleichzuachten. Das ergebe sich aus der Art der anerkannten Schädigungsfolgen. Andererseits sei die Kammer der Ansicht, daß dem Kläger dem Grunde nach ein handbetriebenes Krankenfahrzeug für den Straßengebrauch zum Ausgleich seiner funktionellen Gehbehinderung zustehe. Denn der Kläger erziele trotz Ausstattung mit einem Kunstbein und Gehstöcken in Anbetracht der bei ihm anerkannten Schädigungsfolgen und wegen der schlechten Wegeverhältnisse an seinem Wohnort nicht eine solche Gehfähigkeit, die seinen Bedürfnissen entspreche, um am sozialen und kulturellen Leben teilnehmen zu können. Das habe das Gericht aufgrund der Augenscheinseinnahme festgestellt. Auch bei Benutzung eines handbetriebenen Krankenfahrzeugs sei eine ausreichende Gehfähigkeit nicht zu erzielen. Obwohl es sich um eine Ermessensentscheidung der Versorgungsverwaltung handele, habe das Gericht die Verpflichtung zur Gewährung des Zuschusses aussprechen können. Weil die Verwaltungsbehörde infolge der Erfüllung des gesetzlichen Tatbestandes den Zuschuß zu gewähren habe. Die Höhe dieses Zuschusses betrage 3.000,- DM (§ 2 DVO).

Das SG hat die Berufung zugelassen. Der Beklagte hat mit Einwilligung des Klägers Sprungrevision eingelegt.

Er beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 26. Februar 1973 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 22. Juli 1971 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Mai 1972 abzuweisen.

In seiner Revisionsbegründung rügt der Beklagte die Verletzung materiellen Rechts, insbesondere der Vorschriften der §§ 10, 11 und 13 BVG sowie der §§ 2, 4 und 5 der DVO zu § 11 Abs. 3 und §§ 13 und 15 BVG idF vom 19. Januar 1971 (BGBl I S. 43) und vom 31. Januar 1972 (BGBl I S. 105). Er führt dazu aus, das SG habe zunächst die Vorschrift des § 5 Abs. 1 Nr. 2 der genannten DVO übersehen. Da der Kläger nicht Empfänger einer Pflegezulage mindestens nach Stufe III sei, könnten ihm Zuschüsse nach § 2 Nr. 1 DVO nur "an Stelle" eines - handbetriebenen oder elektrisch betriebenen - Krankenfahrzeugs gewährt werden. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Krankenfahrzeugen seien in § 4 Abs. 4 DVO geregelt. Der Kläger gehöre unstreitig nicht zu dem in § 4 Abs. 4 Satz 1, erste Alternative, genannten Personenkreis. Er sei diesem Personenkreis auch nicht hinsichtlich der Art und der Schwere der Behinderung oder hinsichtlich des Ausmaßes der Gehbehinderung gleichzuachten (2. Alternative). Darauf, ob trotz Ausstattung mit einem Kunstbein und Gehstöcken eine den Bedürfnissen des Klägers entsprechende Gehfähigkeit nicht erzielt werden könne, sei seit der ab 1. Januar 1967 geltenden Neufassung der DVO im Gegensatz zu den davor geltenden Fassungen der DVO nicht mehr abzustellen. Die medizinischen Untersuchungsergebnisse würden in dem angefochtenen Urteil nicht in Frage gestellt. Unstreitig sei auch, daß der Kläger prothetisch ausreichend versorgt sei. Fehle es aber an den Voraussetzungen des § 4 Abs. 4 DVO, dann komme die Gewährung eines Zuschusses nach § 2 Nr. 1 DVO nur für Empfänger einer Pflegezulage mindestens nach Stufe III in Betracht. Ergänzend sei auf das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Rheinland-Pfalz vom 16. Januar 1973 und die Stellungnahme des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) vom 15. Februar 1973 hingewiesen. Der Hinweis des Klägers, daß ihm bereits früher Zuschüsse zur Beschaffung eines Motorfahrzeugs gewährt worden seien, vermöge seinem Begehren nicht zum Erfolg zu verhelfen. Die vom SG ausgesprochene Verurteilung des Beklagten zur Gewährung des Zuschusses sei keinesfalls zulässig gewesen, da es sich bei diesem Zuschuß um eine Ersatzleistung handele, die in das Ermessen der Verwaltung gestellt sei. Das Urteil erscheine auch hinsichtlich der Höhe des Zuschusses mit 3.000,- DM bedenklich. Der Kläger selbst habe nur einen Zuschuß in Höhe von 2.500,- DM begehrt, wobei es sich um den höchstzulässigen Betrag nach § 5 Abs. 1 Buchst. b der DVO 1971 (ebenso DVO 1972) handele.

Der Kläger beantragt,

1.

Die Revision des Beklagten als unbegründet zurückzuweisen;

2.

den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Er meint, die angefochtene Entscheidung des SG beruhe entgegen dem Revisionsvorbringen auf zutreffender Rechtsanwendung; die für die Entscheidung des Rechtsstreits maßgebenden materiell-rechtlichen Gesetzesvorschriften seien nicht verletzt. Der Anspruch auf ein handbetriebenes Krankenfahrzeug als Voraussetzung für die Gewährung einer geldlichen Ersatzleistung in Form eines Zuschusses zur Beschaffung eines Motorfahrzeugs i.S. des § 5 Abs. 1 Nr. 1 b der DVO setze nach § 4 Abs. 4 DVO voraus, daß mit Hilfe von Körperersatzstücken, orthopädischen oder anderen Hilfsmitteln eine den Bedürfnissen des Beschädigten entsprechende Gehfähigkeit nicht erzielt werden könne. Diese Voraussetzung, die nicht nur ärztlicher Entscheidung unterliege, habe das Klagegericht zutreffend bejaht. Da das SG nach einer Ortsbesichtigung wegen der festgestellten gefährlichen Verkehrsverhältnisse die Benutzung eines handbetriebenen Krankenfahrzeugs für den Straßengebrauch ausdrücklich für unmöglich angesehen habe, habe es den vom Kläger erhobenen Anspruch auf die begehrte Ersatzleistung als begründet ansehen können. Hinsichtlich der Höhe des Zuschusses erscheine ein Irrtum des Klagegerichts nicht ausgeschlossen.

Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 SGG) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Der Beklagte hat die Sprungrevision form- und fristgerecht eingelegt (§ 161, 164 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Die besonderen Voraussetzungen für die Einlegung der Sprungrevision sind gegeben (§§ 144 Abs. 1 Nr. 1, 150 Nr. 1, 161 SGG). Die Sprungrevision ist daher zulässig (§ 169 SGG); sie ist auch insoweit erfolgreich, als sie zur Aufhebung und Zurückverweisung führt.

Nach § 10 BVG (idF des Dritten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts vom 28. Dezember 1966, BGBl I S. 250 - 3. NOG - und den seither erfolgten Änderungen) wird dem Beschädigten u.a. Heilbehandlung gewährt. Diese umfaßt nach § 11 Abs. 1 Ziff. 7 BVG den Anspruch auf orthopädische Versorgung. Nach Abs. 3 Satz 1 dieser Vorschrift können Zuschüsse zu den Kosten der Beschaffung, Instandhaltung und Änderung von Motorfahrzeugen an Stelle bestimmter Hilfsmittel (§ 13 Abs. 1 BVG) Beschädigten unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1, 2, 5 und 6 (jetzt Abs. 1, 2, 6 und 7) BVG zur Ergänzung der orthopädischen Versorgung gewährt werden. Der Wortlaut des Gesetzes ("kann") macht deutlich, daß es sich bei der Gewährung der Zuschüsse um eine Ermessensleistung der Versorgungsverwaltung handelt (vgl. zur gerichtlichen Nachprüfung von Ermessensentscheidungen § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG). Weiterhin geht aus der Formulierung des Gesetzes ("an Stelle") hervor, daß ein Anspruch auf einen Zuschuß nur dann besteht, wenn zuvor der Anspruch auf das bestimmte Hilfsmittel (§ 13 Abs. 1 BVG) gegeben ist (vgl. auch § 5 Abs. 1 Nr. 2 der DVO zu §§ 11 und 13 BVG). Lediglich bei Pflegezulageempfängern mindestens nach Stufe III hängt die Gewährung von Zuschüssen zu den Kosten der Beschaffung, Instandhaltung, Änderung und Unterbringung von Motorfahrzeugen "nicht von der Versorgung mit bestimmten Hilfsmitteln ab" (vgl. § 11 Abs. 3 Satz 3 BVG).

Nach § 2 Satz 1 Nr. 1 der Verordnung zur Durchführung des § 11 Abs. 3 und der §§ 13 und 15 BVG in der hier maßgebenden, später nicht mehr einschlägig geänderten Neufassung vom 19. Januar 1971 (BGBl I S. 43 - DVO 71 -) kann als Ersatzleistung "ein Zuschuß bis zu 3.000,- DM zur Beschaffung eines Motorfahrzeugs" gewährt werden. Diese DVO ist aufgrund der in § 24 a BVG enthaltenen Ermächtigung durch die Bundesregierung rechtswirksam erlassen worden. - Durch § 6 der VO zur Durchführung des § 15 BVG vom 31. Januar 1972 (BGBl I S. 105) ist lediglich die Überschrift der DVO geändert worden in "Verordnung zur Durchführung des § 11 Abs. 3 und des § 13 BVG". - Die allgemeine Vorschrift des § 2 Satz 1 Nr. 1 wird in § 5 Abs. 1 Nr. 2 DVO 1971 dahin näher ausgestaltet und zugleich eingeengt, daß Beschädigte, die nicht Empfänger einer Pflegezulage mindestens nach Stufe III sind (vgl. § 35 Abs. 1), die Zuschüsse nach § 2 Nr. 1 DVO nur an Stelle eines handbetriebenen Kraftfahrzeuges für den Straßengebrauch oder eines elektrisch betriebenen Krankenfahrzeugs für den Haus- und Straßengebrauch erhalten. Die DVO entspricht damit der bereits in § 11 Abs. 3 BVG getroffenen gesetzlichen Regelung.

Der Kläger ist nicht Empfänger einer Pflegezulage mindestens nach Stufe III. Sein Anspruch auf den Zuschuß (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 1 DVO) setzt daher voraus, daß ihm ein handbetriebenes - oder elektrisch betriebenes - Krankenfahrzeug geliefert werden kann. Handbetriebene Krankenfahrzeuge für den Straßengebrauch und für den Hausgebrauch (vgl. § 1 Satz 1 Nr. 10 DVO) werden nach § 4 Abs. 4 Satz 1 DVO 1971 an drei Gruppen von Schwerbeschädigten geliefert:

1.

Querschnittgelähmte, Drei- und Vierfachamputierte, Doppelbeinamputierte und Hüftexartikulierte;

2.

einseitig Beinamputierte, die a) dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen, b) nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder c) zugleich armamputiert sind;

3.

andere Berechtigte und Leistungsempfänger, die diesen Personen hinsichtlich der Art und der Schwere der Behinderung oder hinsichtlich des Ausmaßes der Gehbehinderung gleichzuachten sind.

Der Kläger gehört nach den Feststellungen des SG weder zum ersten noch zum zweiten Personenkreis. Auch eine eindeutige Feststellung dahin, daß der Kläger hinsichtlich der Art und der Schwere der Behinderung oder des Ausmaßes der Gehbehinderung den in Nr. 1 und 2 genannten Personen gleichzuachten ist, kann dem Urteil des SG nicht entnommen werden. Im Gegenteil hat das SG ausdrücklich festgestellt (vgl. Bl. 8 unten des Urteils), daß der Kläger weder dem in § 5 Abs. 1 genannten Personenkreis angehört noch diesem gleichzuachten ist. In § 5 Abs. 1 DVO in der hier maßgebenden Fassung wird aber der Personenkreis, an den Zuschüsse zur Beschaffung von Motorfahrzeugen gewährt werden, nahezu wörtlich übereinstimmend mit § 4 Abs. 4 DVO umschrieben. Wenn das SG andererseits ausgesprochen hat, daß dem Kläger "dem Grunde nach" ein handbetriebenes Krankenfahrzeug für den Straßengebrauch zum Ausgleich seiner funktionellen Gehbehinderung zusteht (§ 1 Satz 1 Nr. 10 und § 4 Abs. 4 DVO), so ist nicht deutlich zu erkennen, welche Feststellungen das SG hinsichtlich der Art und der Schwere der Behinderung oder hinsichtlich des Ausmaßes der Gehbehinderung hat treffen wollen.

Das SG scheint insoweit, worauf bereits der 9. Senat des BSG in seinem Urteil vom 18. Dezember 1973 (abgedruckt in SozR Nr. 1 zu § 4 DVO zu § 11 Abs. 3, §§ 13 und 15 BVG vom 18. Dezember 1967) hingewiesen hat, übersehen zu haben, daß die genannte DVO durch die Neufassungen vom 18. Dezember 1967 (BGBl I S. 1285) und vom 19. Januar 1971 (aaO) in den hier einschlägigen Bestimmungen geändert worden ist. Insbesondere die vom SG geprüfte Voraussetzung für ein handbetriebenes Krankenfahrzeug (vgl. Bl. 9 und 10 des Urteils), daß der Beschädigte mit Hilfe von Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln eine seinen Bedürfnissen entsprechende Gehfähigkeit nicht erzielen kann (vgl. § 4 Abs. 4 Satz 1 DVO aF), ist seit dem Außerkrafttreten des § 5 Abs. 1 und 2 und des § 4 Abs. 4 Satz 1 DVO idF der Bekanntmachung vom 30. Oktober 1964 (BGBl I S. 842) seit dem 1. Januar 1967 nicht mehr anzuwenden (vgl. § 16 DVO 1967). Damit entfällt aber auch der vom SG nach ausführlicher Prüfung bejahte Gesichtspunkt, der Kläger könne die so bestimmte Gehfähigkeit nicht erzielen, um am sozialen und kulturellen Leben teilnehmen zu können. Ebensowenig kommt es insoweit auf die vom SG erörterten schlechten Wegeverhältnisse am Wohnort des Klägers an.

Die DVO in den seit 1967 geltenden Fassungen macht die Lieferung eines handbetriebenen Krankenfahrzeugs - und damit die Gewährung eines Zuschusses für ein Motorfahrzeug - bei bestimmten Gruppen von Schwerbeschädigten nicht mehr von einem Maßstab abhängig, der durch die "den Bedürfnissen des Beschädigten entsprechende Gehfähigkeit" - also einem subjektiven Maßstab - bestimmt wird. Der Bundesrat hatte zwar am 13. Oktober 1967 auf Empfehlung seines Ausschusses für Arbeit und Sozialpolitik gegenüber dem Entwurf der Bundesregierung, der bereits die später endgültig beschlossene Fassung des § 4 Abs. 4 DVO enthielt, eine an die zitierte frühere Fassung anknüpfende Formulierung, die u.a. auf die Bedürfnisse des Beschädigten abstellte, vorgeschlagen und in der Begründung sich gegen eine Schlechterstellung vieler Beschädigter gewandt, die sich bei der Wahl ihrer Wohnung von der Erwartung, von Zeit zu Zeit einen Zuschuß zur Beschaffung eines Motorfahrzeugs zu erhalten, hätten leiten lassen (vgl. BR-Drucks. 451/67). Die Bundesregierung ist aber bei der ursprünglich vorgesehenen Fassung geblieben und hat dazu schließlich die Zustimmung des Bundesrates am 15. Dezember 1967 erhalten (BR-Drucks. 596/67). Ob diese Änderung des Wortlautes der DVO das Recht zum Nachteil der Beschädigten verändert oder nur die schon vorher geltende Rechtslage klargestellt hat (vgl. die in der Revisionsbegründung wörtlich zitierte Stellungnahme des BMA vom 15. Februar 1973) kann hier dahingestellt bleiben (vgl. Urteil des 9. Senats, aaO). Der VO-Geber hat sich offenbar von der Erwägung leiten lassen, daß die verbesserte prothetische Versorgung und die zunehmende Motorisierung aller Bevölkerungskreise in den 60-iger Jahren die Gewährung eines Zuschusses zur Beschaffung eines Motorfahrzeugs nur dann geboten erscheinen lassen, wenn so schwerwiegende körperliche Beeinträchtigungen vorliegen, daß eine sichere körperliche Fortbewegung nahezu unmöglich gemacht oder zumindest sehr erschwert ist (vgl. die Aufzählung in § 5 Abs. 1 Nr. 1 und § 4 Abs. 4 DVO 1967 und 1971).

Der Senat teilt die Auffassung des 9. Senats aus der Entscheidung vom 18. Dezember 1973 (aaO), daß unter der Geltung der neuen Fassung des § 4 Abs. 4 Satz 1 DVO die dritte Gruppe der Berechtigten allein nach objektiven gesundheitlichen Maßstäben zu bestimmen ist. Hinsichtlich der Art und der Schwere der Behinderung oder hinsichtlich des Ausmaßes der Gehbehinderung muß der Beschädigte im Unterschied zu anderen Beinprothesenträgern den Personen der ersten oder zweiten Gruppe gleichzuachten sein. Diese Voraussetzung ist für alle Beschädigten mit gleichen Gesundheitsstörungen gleich zu beurteilen, wobei nicht jeweils die spezielle Interessenlage des einzelnen Beschädigten maßgebend ist und demnach nicht - mehr - auf seine verschiedenartigen persönlichen Bedürfnisse kultureller, gesellschaftlicher oder sonstiger Art abzustellen ist. Eine besonders ungünstige Wohnlage und die durch sie bedingten Verkehrsverhältnisse, die keinen Zusammenhang mit der körperlichen Leistungsfähigkeit haben, waren schon nach altem Recht nicht zu beachten (vgl. BSG in SozR Nr. 1 zu § 5 DVO 1964). Auch muß ebenso wie schon nach früherem Recht (vgl. BSG aaO) die für den einzelnen Beschädigten gegebene Notwendigkeit, aus beruflichen Gründen ein Kraftfahrzeug zu benutzen, außer Betracht bleiben. § 4 Abs. 4 Satz 1 DVO ist in der dargelegten Auslegung auch nicht etwa deshalb mit § 13 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 BVG unvereinbar, weil die orthopädischen Hilfsmittel nach dieser Vorschrift in technischer Hinsicht den persönlichen und beruflichen Bedürfnissen des Berechtigten angepaßt sein müssen. Diese Vorschrift normiert nicht eine Voraussetzung dafür, ob Hilfsmittel beansprucht werden können, sondern allein die Art und Beschaffenheit derselben.

Die Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse bei der Gewährung von Zuschüssen im Rahmen der Kriegsopferversorgung wird dadurch nicht gänzlich ausgeschlossen. Vielmehr sind die Besonderheiten des Einzelfalles - auch örtliche Verhältnisse, z.B. Lage der Wohnung und des Arbeitsplatzes - im Rahmen der Kriegsopferfürsorge zu berücksichtigen (vgl. §§ 25 ff BVG; VO zur Kriegsopferfürsorge idF der Bekanntmachung vom 27. August 1965 - BGBl I S. 1031 -; s. auch Richtlinien für die Gewährung von Leistungen der Kriegsopferfürsorge zur Beschaffung von Kraftfahrzeugen für Beschädigte vom 4. Januar 1974 in BVBl 1974 S. 16). Die DVO zu § 11 Abs. 3 und § 13 BVG erhält dadurch ihre notwendige und sinnvolle Ergänzung für alle die Fälle, in denen im Hinblick auf die besonderen Bedürfnisse und die wirtschaftliche Lage eine weitergehende Hilfe erforderlich ist.

Der Kläger vermag auch keine Rechte daraus herzuleiten, daß ihm in früheren Jahren (1953 und 1962) jeweils Zuschüsse zur Beschaffung eines Motorfahrzeugs gewährt worden sind. Dabei kann wiederum dahinstehen, ob durch die DVO idF seit dem 18. Dezember 1967 tatsächlich eine Verschlechterung für die Beschädigten eingetreten ist oder ob die Versorgungsbehörden die Anspruchsberechtigung nach der DVO (aF) nur verschieden - und teilweise fehlerhaft - gehandhabt hatten (vgl. die erwähnte Stellungnahme des BMA vom 15. Februar 1973). Abgesehen davon, daß kein Anspruch des Klägers auf Wiederholung einer etwaigen fehlerhaften Entscheidung bestehen würde, ist der jetzt streitige Anspruch auf Gewährung eines Zuschusses nach der DVO in der zur Zeit der letzten Verwaltungsentscheidung gültigen Fassung zu beurteilen; das aber ist die DVO in der Fassung vom 31. Januar 1972 (aaO), die der Fassung vom 19. Januar 1971 entspricht.

Da das angefochtene Urteil keine bzw. widersprüchliche Feststellungen über die Tatsachen enthält, die als Voraussetzung für den geltend gemachten Anspruch gegeben sein müssen, war das Urteil des SG - auch ohne ausdrückliche Rüge von Verfahrensmängeln im Sinne der §§ 162 Abs.1 Nr. 2, 164 Abs. 2 Satz 2 SGG - aufzuheben (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG). Der Senat konnte nicht in der Sache selbst entscheiden (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG), da es an den notwendigen tatsächlichen Feststellungen fehlt (§ 163 SGG). Der Senat hat von der Möglichkeit des § 170 Abs. 3 SGG Gebrauch gemacht und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen, um eine Entscheidung des zuständigen Oberen Landesgerichts herbeizuführen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1648646

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