Leitsatz (amtlich)

Ein "Krankheitsbericht" (Nr 17 des Gebührenverzeichnisses der Gebührenordnung für Ärzte) setzt voraus, daß - in der Regel nach mehrmaliger Untersuchung - die jeweiligen ärztlichen Feststellungen in ihrem Zusammenhang erörtert werden und dadurch der gesamte Verlauf der Krankheit deutlich gemacht wird; er kann nur nach Beendigung der Behandlung oder am Abschluß eines Behandlungsabschnitts abgegeben werden und muß eine Epikrise enthalten (Anschluß an BSG 1970-02-18 6 RKa 13/69 = BSGE 31, 30).

 

Normenkette

RVO § 368f Abs. 1 Fassung: 1955-08-17; GOÄ Nr. 17

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 5. Dezember 1973 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die gebührenmäßige Bewertung von schriftlichen Äußerungen eines Kassenarztes.

Die klagende Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) beanstandete die Honorarabrechnungen des Beigeladenen, der als leitender Krankenhausarzt an der kassenärztlichen Versorgung beteiligt ist, und beantragte bei der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV), sie sachlich und rechnerisch zu berichtigen. Der Beigeladene habe schriftliche Berichte an überweisende Ärzte nach der Gebühren-Nr. 17 der Amtlichen Gebührenordnung für Ärzte vom 18. März 1965 (BGBl I 89) - GOÄ - abgerechnet, obwohl er von den Kranken nur einmal, im Höchstfall zweimal in Anspruch genommen worden sei. Der in der Gebührenposition Nr. 17 GOÄ aufgeführte "Krankheitsbericht" setze voraus, daß der Arzt eine längere Behandlung durchgeführt habe und darüber seine Beobachtungen mitteile. Die Berichte des Beigeladenen könnten nur nach der Gebühren-Nr. 14 oder Nr. 15 GOÄ honoriert werden. Die Berichtigung betreffe 160 Fälle im Quartal IV 1968, 168 Fälle im Quartal I 1969 und 159 Fälle im Quartal II 1969.

Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin ab. Den Widerspruch wies der Vorstand der Bezirksstelle S der Beklagten durch Beschluß vom 5. August 1970 zurück. Die Beklagte war der Auffassung, daß die Berichte des Beigeladenen den Voraussetzungen genügten, die nach der Leistungsbeschreibung der Gebühren-Nr. 17 GOÄ zu fordern seien. Außerdem sei die Frage, ob für eine kassenärztliche Leistung die Bewertung nach den Gebühren-Nrn. 14 bis 17 GOÄ angesetzt werden müsse, nicht bei der rechnerischen und sachlichen Berichtigung zu prüfen. Sie sei vielmehr den Prüfinstanzen bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung vorbehalten.

Gegen diesen Beschluß hat die AOK Anfechtungsklage erhoben und außerdem gefordert, die Beklagte zur Berichtigung der Honorarbescheide zu verpflichten. Das Sozialgericht Hannover hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 10. Januar 1973). Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen hat die Berufung der Klägerin durch Urteil vom 5. Dezember 1973 zurückgewiesen. Die Einordnung der Berichte des Beigeladenen unter die zutreffende Gebühren-Nummer der GOÄ sei eine Frage der rechnerischen und sachlichen Berichtigung der Honorarabrechnung, die vom Vorstand der Beklagten zu entscheiden sei. Dessen Entscheidung sei inhaltlich nicht zu beanstanden. Für die Einordnung eines ärztlichen Berichtes unter die Gebühren-Nr. 17 GOÄ sei es nicht erheblich, ob die Angaben des Arztes zum Krankheitsverlauf auf eigenen Beobachtungen während eines längeren Behandlungszeitraums beruhten und ob der Krankheitsfall abgeschlossen sei, denn aus dem Begriff der Krankheit folge nicht, daß sie länger andauern müsse. Der Informationszweck des ärztlichen Berichts erfordere schließlich auch keine eigenen Wahrnehmungen des Arztes. Vielmehr sei es gleichgültig, woraus er seine Angaben zum Krankheitsverlauf entnehme. Wenn auch der Bericht eine Epikrise enthalten müsse, so setze das noch nicht den Abschluß des Krankheitsfalles voraus. Es genüge, wenn eine Phase des Krankheits- oder Behandlungsfalls abgeschlossen sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die zugelassene Revision der Klägerin. Sie rügt die unrichtige Anwendung der Nr. 17 GOÄ sowie eine Verletzung des § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Der Inhalt der Nr. 17 GOÄ zuzuordnenden ärztlichen Leistung könne nicht aus dem Krankheitsbegriff entnommen werden, der im Leistungsrecht der Krankenversicherung entwickelt worden sei. Er lasse sich nur aus dem Zusammenhang der Gebühren-Nrn. 14 bis 20 GOÄ erschließen.

Der "Krankheitsbericht" sei dafür vorgesehen, einen Längsschnitt durch den gesamten Krankheitsverlauf oder eines wesentlichen Teils davon zu geben, und setze schon deshalb einen längeren Beobachtungszeitraum mit eigenen Wahrnehmungen des Arztes voraus. Er unterscheide sich wesentlich von dem Befundbericht mit kritischer Stellungnahme, der nach Nr. 14 GOÄ, und dem Brief ärztlichen Inhalts, der nach Nr. 15 GOÄ zu honorieren sei. Da der ärztliche Bericht nach Nr. 17 GOÄ auch eine Epikrise enthalten müsse, könne es sich dabei nur um eine abschließende Beurteilung handeln. Das LSG habe nicht festgestellt, ob die Behandlungen in den streitigen Abrechnungsfällen abgeschlossen gewesen seien. Es bedürfe deshalb weiterer Ermittlungen zur Feststellung der tatsächlichen Gegebenheiten.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 5. Dezember 1973 - L 5 Ka 1/73 -, das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 10. Januar 1973, den Beschluß des Vorstandes der Bezirksstelle Stade der Beklagten vom 5. August 1970 und den Bescheid vom 23. Februar 1970 aufzuheben sowie die Bescheide vom 21. Januar und 27. Februar 1970 abzuändern;

die Beklagte für verpflichtet zu erklären, die Honoraranforderungen des Beigeladenen für die Quartale IV/68, I/69 und II/69 unter Beachtung der Rechtsauffassung zu berichtigen, daß der Leistungsinhalt der Ziffer 17 GOÄ in den von der Klägerin beanstandeten Fällen nicht erfüllt ist.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Empfehlung Nr. 33 der Partner des Bundesmantelvertrages/Ärzte (BMVÄ) interpretiere verbindlich den Inhalt der Gebühren-Nr. 17 GOÄ. Danach müsse der Krankheitsbericht Angaben zur Anamnese, zum Status und zum Krankheitsverlauf, die Epikrise und ggf. Angaben über die seitherige Therapie oder Therapievorschläge enthalten. Die Empfehlung besage jedoch nichts darüber, ob die Krankheit oder die Behandlung länger dauern müßte. Die streitigen Berichte des Beigeladenen erfüllten diese Anforderungen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Ausgangspunkt des Rechtsstreits sind die Honorarabrechnungen des Beigeladenen für die Quartale IV 1968 sowie I und II 1969. In diesen hatte er Berichte an überweisende Ärzte nach der Gebühren-Nr. 17 GOÄ qualifiziert und entsprechend abgerechnet. Die Beklagte hatte diese Art der Bewertung gebilligt. Die Beanstandungen der Klägerin richten sich materiell gegen diese Bewertungsfeststellungen in den Honorarbescheiden der Beklagten. Da sie die kassenärztliche Tätigkeit nach Einzelleistungen vergütet (§ 368 f Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung i.V.m. § 1 der Rahmenvereinbarung zwischen der KÄV Niedersachsens und dem Landesverband der AOKen Niedersachsens vom 11. April 1970 - Rahmenvereinbarung - (Niedersächsisches Ärzteblatt 1970, S. 222)), entfaltet die Zuordnung ärztlicher Leistungen zu bestimmten Gebührenpositionen der GOÄ auch gegenüber der Klägerin materielle Wirkungen.

Das LSG hat festgestellt, daß der Vorstand der Bezirksstelle Stade der Beklagten über die Beanstandung der Klägerin zu befinden hatte. Da das LSG die Beantwortung dieser Rechtsfrage zutreffend aus der Rahmenvereinbarung erschlossen hat, ist insoweit eine Nachprüfung durch das Revisionsgericht ausgeschlossen, weil es sich dabei um die Auslegung irrevisiblen Rechts handelt (§ 162 SGG). Hingegen unterliegen die von ihrem Vorstand bestätigten Bescheide der Beklagten insoweit voll der Nachprüfung des Revisionsgerichts, wie sie darüber entscheiden, nach welcher Gebühren-Nummer der im gesamten Gebiet der Bundesrepublik Deutschland geltenden GOÄ die schriftlichen Berichte des Beigeladenen zu bewerten sind.

Für schriftliche Stellungnahmen eines Kassenarztes, soweit sie für den vorliegenden Rechtsstreit von Bedeutung sind, sieht die GOÄ als Abrechnungspositionen die Gebühren-Nr. 14 "Befundberichte mit kritischer Stellungnahme", Nr. 15 "Briefe ärztlichen Inhalts" und Nr. 17 "Krankheitsberichte oder Gutachten ohne nähere Begründung" vor. Die Nrn. 18 und 19 GOÄ sind ausführlichen schriftlichen Gutachten vorbehalten. Sie kommen nach Lage der Sache hier nicht in Betracht und werden auch von keinem Beteiligten beansprucht.

Zu der Gebühren-Nr. 14 GOÄ hat der erkennende Senat bereits in dem Urteil vom 18. März 1965 (BSG 31, 30) entschieden, daß diese Bewertung auf eine zugrunde liegende Untersuchung Bezug nimmt und nur dann in Betracht kommt, wenn der Bericht neben den Angaben des Untersuchungsbefundes, die bereits durch die Gebühr für die Untersuchung abgegolten werden, eine kritische Stellungnahme enthält. Der Senat hat in diesem Zusammenhang dargelegt, daß es für die Klassifizierung des Berichts nicht darauf ankommt, ob er dem Arzt eine nennenswerte Mehrarbeit verursacht hat, und daß es auch nicht ausreicht, wenn dieser einen einfachen Vergleich mit früheren Befunden anstellt und eine abwägende Prüfung vornimmt. Die zu Nr. 14 GOÄ gehörende kritische Stellungnahme fordert von dem berichtenden Arzt vielmehr, die von ihm erhobenen Befunde nicht nur kritisch abwägend zu prüfen, sondern die verschiedenen Möglichkeiten ihrer Bewertung, insbesondere differential-diagnostische Zweifel, im Bericht selbst zu erörtern (BSG 31, 30, 32).

Von diesem Leistungsinhalt der Gebühren-Nr. 14 GOÄ her ist derjenige der Gebührenpositionen 15 und 17 GOÄ zu erschließen, wobei nicht nur die Leistungsbeschreibung dieser Positionen, sondern auch deren Bewertung in Betracht gezogen werden muß.

Der Beigeladene hat seine schriftlichen Berichte nach Überweisungsaufträgen behandelnder Ärzte auf Grund einmaliger, mitunter auch zweimaliger Untersuchung der Patienten abgegeben und darin zur Vorgeschichte, Diagnose, Differentialdiagnose, Therapie und Prognose Stellung genommen. Nähere Feststellungen darüber hat das LSG nicht getroffen. Es hat die Leistung "Krankheitsbericht" der Gebührenposition 17 GOÄ als erfüllt angesehen; da sich aus dem Begriff der Krankheit nichts über die Dauer des Krankheitszustandes entnehmen lasse, komme die Honorierung nach Nr. 17 GOÄ auch schon für eine schriftliche Äußerung nach einmaliger Untersuchung in Betracht.

Diese Auffassung wird weder dem Leistungsinhalt der Gebühren-Nr. 17 GOÄ noch der Bewertung dieser Gebührenposition gerecht. Bei der gebührenmäßigen Bewertung schriftlicher ärztlicher Äußerungen ist davon auszugehen, daß ein "Bericht", wie schon die Wortbedeutung erkennen läßt, die Wiedergabe von Tatsachen erfordert. Er muß mithin in erster Linie Wahrnehmungen wiedergeben, die der Beobachter selbst gemacht hat. Deshalb gehört es zum Inhalt des Krankheitsberichts nach Nr. 17 GOÄ, daß der Kassenarzt darin die tatsächlichen Feststellungen niederlegt, die er selbst getroffen hat. Damit ist keineswegs gesagt, daß in dem Krankheitsbericht nicht auch Beobachtungen aufgenommen werden könnten oder müßten, die von anderen Personen (Ärzten) gemacht worden sind. Sofern die Wiedergabe solcher Beobachtungen erforderlich oder dienlich ist, um den Krankheitsverlauf zu erläutern, stellen sie eine zweckmäßige Ergänzung der eigenen Wahrnehmungen dar, sind als Bestandteile des Berichts anzusehen und dienen dessen Vervollständigung. Kern des Berichts bleiben jedoch die eigenen Beobachtungen; beschränkt sich die schriftliche Äußerung auf die Wiedergabe oder Erörterung von Wahrnehmungen Dritter, so kann allenfalls ein Aktengutachten oder eine ärztliche Stellungnahme in Rede stehen.

Dieser Leistungsinhalt des "Krankheitsberichts" nach Nr. 17 GOÄ wird noch deutlicher bei einem Vergleich mit der Leistung nach Nr. 14 GOÄ. Verlangt diese Gebührenposition eine kritische Stellungnahme mit abwägender Prüfung früherer und derzeitiger Befunde und Erörterung differential-diagnostischer Zweifel zu den durch eigene Untersuchung erhobenen Befunden, so kann der Leistungsinhalt des mit dem dreifachen Gebührenwert versehenen Krankheitsberichts der Gebühren-Nr. 17 GOÄ in aller Regel nicht durch eine einmalige Untersuchung und Erörterung daraus resultierender Ergebnisse erfüllt werden. Das gilt selbst dann, wenn diese Untersuchung schwierig oder langwierig gewesen ist, weil die Einzelumstände der Untersuchung durch die dafür bestimmte Gebühr abgegolten werden (BSG 31, 30, 32). Ein Krankheitsbericht nach Nr. 17 GOÄ fordert vielmehr, daß - in der Regel nach mehrmaliger Untersuchung - die jeweils getroffenen ärztlichen Feststellungen in ihrem Zusammenhang erörtert werden und dadurch der gesamte Verlauf der Krankheit - einschließlich Behandlung - deutlich gemacht wird. Demgemäß kann ein Krankheitsbericht auch nur nach Beendigung der Behandlung oder jedenfalls am Abschluß eines Behandlungsabschnitts abgegeben werden und muß somit auch eine Epikrise enthalten.

Diesem Inhalt der Gebührenposition entspricht es, wenn die Partner des BMVÄ in ihrer Empfehlungsvereinbarung 33 zu Nr. 17 GOÄ zu der Auffassung gelangt sind, daß die schriftliche Äußerung eines Arztes nur dann als Krankheitsbericht in diesem Sinn zu werten ist, wenn sie Angaben zur Anamnese, zum Status, zum Krankheitsverlauf, die Epikrise und ggf. Angaben über die seitherige Therapie oder Therapievorschläge umfaßt. Der Krankheitsbericht beinhaltet somit einen Längsschnitt durch den Krankheitsverlauf (vgl. Brück, Komm. zum Bewertungsmaßstab (Arzt), 2. Aufl. 1975, Anm. 11 zu Nrn. 14 bis 20 BMÄ), während der Befundbericht einen Querschnitt wiedergibt.

Ob die von der Klägerin beanstandeten schriftlichen Berichte des Beigeladenen die dargelegten Voraussetzungen eines Krankheitsberichts nach Nr. 17 GOÄ erfüllen oder ob sie lediglich als Befundberichte mit kritischer Stellungnahme nach Nr. 14 GOÄ einzuordnen sind oder ob sie schließlich über diesen Leistungsinhalt hinausgehen und deshalb als Briefe ärztlichen Inhalts nach Nr. 15 GOÄ qualifiziert werden müssen, vermag der Senat nicht zu entscheiden. Dazu fehlt es an tatsächlichen Feststellungen über Inhalt und Umfang der einzelnen beanstandeten schriftlichen Äußerungen. Da der Senat die Feststellungen nicht nachzuholen vermag, muß der Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen werden, das nunmehr die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben wird.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.

 

Fundstellen

NJW 1976, 388

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