Leitsatz (amtlich)
Beiträge, die vor dem 1942-07-01 in einer höheren als der dem Arbeitseinkommen entsprechenden Klasse entrichtet worden sind, erfüllen auch dann nicht die Voraussetzungen des AnVNG Art 2 § 15 Abs 2 = ArVNG Art 2 § 15 Abs 2 ("neben" Pflichtbeiträgen entrichtete freiwillige Beiträge), wenn Marken der nur für freiwillige Beiträge bestimmten Beitragsklassen H - K verwendet worden sind. Die über die Pflichtversicherung hinausgehenden Beitragsanteile gelten daher nicht als Beiträge der Höherversicherung; nach AVG § 32 Abs 3 = RVO § 1255 Abs 3) sind die Beiträge vielmehr mit ihren in der Tabelle zu AVG § 32 Anl 1 angegebenen Prozentwerten bei der Errechnung der persönlichen Bemessungsgrundlage zu berücksichtigen.
Normenkette
AnVNG Art. 2 § 15 Abs. 2 Fassung: 1957-02-25; ArVNG Art. 2 § 15 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; AVG § 32 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1255 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23; AVG § 32 Anl 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 4. Mai 1962 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Kläger bezieht seit Dezember 1958 Altersruhegeld aus der Angestelltenversicherung. Bei der Berechnung der Rente wurden die Beiträge, die für ihn als Bediensteten der früheren Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung von 1933 bis 1942 in einer höheren als der gesetzlichen Beitragsklasse - nämlich in den Klassen J und K - entrichtet worden sind, zwar für die Ermittlung der persönlichen Bemessungsgrundlage voll berücksichtigt; es wurden aber für die Überversicherungsanteile in diesen Beiträgen keine, Steigerungsbeträge nach den Grundsätzen der Höherversicherung (Art. 2 § 15 Abs. 2 Satz 1 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - AnVNG -) gewährt.
Der Kläger hält diese Art der Rentenberechnung für falsch. Die auf die Überversicherung entfallenden Beitragsanteile hätten - nach seiner Ansicht - von den Pflichtbeitragsanteilen getrennt und gesondert wie Beiträge zur Höherversicherung behandelt werden müssen. Klage und Berufung des Klägers waren ohne Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) ließ in seinem Urteil die Revision zu.
Der Kläger legte Revision ein mit dem Antrag, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und unter Abänderung des Bescheids vom 16. Februar 1959 die Beklagte zu verurteilen, ihm einen neuen Bescheid zu erteilen, in dem die in der Zeit vom 1. Mai 1933 bis 30. Juni 1942 entrichteten Beiträge, soweit sie den jeweiligen Pflichtbeitrag überstiegen, als Höherversicherungsbeiträge angerechnet werden. Hilfsweise beantragte er, das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Er rügt die Verletzung von Art. 2 § 15 Abs. 2 AnVNG.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Revision ist zulässig, aber unbegründet. Das Urteil des LSG ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Die für Beiträge der Höherversicherung bestimmten Steigerungsbeträge des § 38 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) werden nach Art. 2 § 15 Abs. 1 AnVNG für Beiträge der Höherversicherung neuen Rechts und nach Abs. 2 dieser Bestimmung für freiwillige Beiträge gewährt, die in der Zeit vor dem 1. Januar 1957 neben Pflichtbeiträgen oder in Ersatzzeiten entrichtet worden sind. Der erkennende Senat hat bereits in seinem Urteil vom 19. Juli 1963 (BSG 19, 237) entschieden, daß freiwillige Beiträge im Sinne des Art. 2 § 15 Abs. 2 AnVNG nur dann als Beiträge der Höherversicherung gesondert behandelt werden können, wenn sie als solche erkennbar zusätzlich neben Pflichtbeiträgen entrichtet worden sind. An dieser Voraussetzung fehlt es für die Zeit vor dem 1. Juli 1942 bei freiwilligen Beiträgen zur Höherversicherung alten Rechts (§ 170 a AVG aF), weil das bis zum 30. Juni 1942 geltende Markenverfahren im Regelfall, d. h. wenn Pflicht- und freiwilliger Beitragsanteil in einer Beitragsmarke verkörpert ist, eine sachgerechte Aufspaltung in Grund- und Höherversicherung nicht zuläßt. Bei der sog. Überversicherung für Angestellte im öffentlichen Dienst ist die Sachlage die gleiche; sie ist eine auf dem Dienstrecht oder Arbeitsrecht beruhende besondere Art der Höherversicherung alten Rechts. Die auf sie entfallenden Beitragsanteile sind nicht neben Pflichtbeiträgen, sondern zusammen mit ihnen in einer Marke entrichtet worden; Art. 2 § 15 Abs. 2 AnVNG kann daher auf sie nicht angewendet werden. Dafür ob freiwillige Beiträge neben Pflichtbeiträgen entrichtet worden sind, kommt es nicht darauf an, ob der Kläger wußte und es für ihn erkennbar war, wie die nachgewiesenen Beitragsmarken in Pflichtbeitragsanteile und Überversicherungsanteile aufzuspalten sind, sondern darauf, ob der Versicherungsträger die Höhe des versicherungspflichtigen Entgelts und damit die für die Pflichtversicherung maßgebende Klasse aus den Versicherungsunterlagen allein feststellen kann. Das gilt auch dann, wenn Beitragsmarken der nur für freiwillige Beiträge bestimmten Klassen H - K entrichtet worden sind (§ 170 AVG aF). Dann steht zwar fest, daß mindestens der über die höchste Beitrags lasse der Pflichtversicherung (Klasse G) hinausgehende Beitrag freiwillig entrichtet worden ist, der tatsächliche Entgelt läßt sich aber so nicht erkennen.
Wie der erkennende Senat schon in seiner früheren Entscheidung dargelegt hat, ist nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber bei Erlaß der Neuregelungsgesetze die bekannte Einrichtung der Höherversicherung alten Rechts, die die Überversicherung einschließt, übersehen hat. Aus den Vorschriften über die Errechnung der persönlichen Bemessungsgrundlage ergibt sich vielmehr, daß er davon ausgegangen ist, daß Beitragsmarken, und zwar auch die über die Pflichtversicherung hinausgehenden, nicht in Pflichtversicherung und freiwillige Versicherung aufgeteilt werden können und sollen. Er hat nämlich in § 32 Abs. 3 Buchst. a AVG bestimmt, daß für Zeiten, für die Beiträge nach Lohn- oder Beitragsklassen entrichtet sind, die Zahl der. entrichteten Beiträge jeder einzelnen Klasse mit den Werten zu vervielfältigen sind, die in der Tabelle zur Anlage angegeben sind. In dieser Tabelle sind aber nicht nur die Beitragsklassen für die Pflichtbeiträge enthalten, sondern auch die ausschließlich für freiwillige Beiträge bestimmten Klassen H - K, obwohl diese Beitragsklassen keine Rückschlüsse auf die Höhe des Arbeitsentgelts oder des Erwerbseinkommens des selbstständig Erwerbstätigen zulassen. Danach sind auch die diesen Klassen entsprechenden Werte in die Bemessung der persönlichen Bemessungsgrundlage und damit in die "dynamische" Rente einzubeziehen; auch eine Aufteilung in einen lohnbezogenen Pflichtbeitrag und einen darüber hinausgehenden "Höherversicherungsbeitrag" sieht das Gesetz weder in dieser Vorschrift noch in Art. 2 § 15 Abs. 2 AnVNG vor.
Es mag sein, daß dadurch im Einzelfall die persönliche Bemessungsgrundlage die in § 32 Abs. 1 AVG bestimmten Höchstgrenzen überschreitet, wenn lange Zeit hindurch Beiträge in der höchsten Klasse für freiwillige Beiträge entrichtet worden sind. Die "Aufwertung" weit zurückliegender Arbeitsentgelte und Versicherungsbeiträge auf die Werte des Jahres, in dem der Versicherungsfall eintritt, und die ständige weitere Anpassung der Renten zwingen den Gesetzgeber zu weitestgehender Vereinfachung, wie sie sich aus der Zusammenfassung der Prozentwerte für jeweils größere Jahresgruppen in der Tabelle der Anlage 1 zu § 32 AVG ergibt, und wie es auch die Begrenzungen zeigen, die sich sowohl in den Vorschriften über die allgemeine Bemessungsgrundlage (§ 32 Abs. 2) als auch in der Höchstgrenze des § 32 Abs. 1 AVG finden.
Auch die Bewertung der Höherversicherung alten Rechts aus der Zeit vor dem 1. Juli 1942 nach den für die Pflichtversicherung geltenden Maßstäben hält sich im Rahmen der durch die Neuregelung der Rentenversicherung und die "Aufwertung" alter Versicherungszeiten gebotenen Vereinfachung. Daß die Aufteilung der Beiträge in solche der Pflichtversicherung und solche der Höherversicherung im Einzelfall zu wesentlich niedrigeren oder aber auch zu höheren Renten führen könnte, ist eine unausbleibliche Folge der von der Sache her gebotenen Vereinfachung. Diese Vereinfachung verletzt weder den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes (Art. 3 GG) noch ein durch die Beitragsleistung erdientes eigentumsgleiches Recht (Art. 14 GG). Solche "erdienten Rechte" werden durch Art. 2 § 41 AnVNG geschützt; nach dieser Vorschrift hätte der Kläger aber nur Anspruch auf eine wesentlich niedrigere Rente.
Die Rente des Klägers ist somit richtig festgesetzt worden. Seine Revision ist deshalb unbegründet und muß zurückgewiesen werden (§§ 170 Abs. 1, 193 des Sozialgerichtsgesetzes).
Fundstellen