Verfahrensgang
Tenor
Die Sprungrevision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6. Juni 1980 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Ab 2. August 1978 war der Kläger, der im Baugewerbe beschäftigt war, während des Streiks in der Berliner Bauindustrie von der Industriegewerkschaft Bau – Steine – Erden (IG BSE), deren Mitglied er war, als mobiler Helfer eingesetzt. Auf Seiten der Gewerkschaft waren bei der Durchführung des Streiks die hauptamtlich bei dem Bezirksverband Berlin Beschäftigten, Beschäftigte anderer Landesverbände sowie Helfer aus dem Mitgliederkreis tätig. Die Helfer erhielten pro Tag eine Unkostenpauschale in Höhe von DM 15,–; ihre Aufgaben waren dieselben wie die der entgeltlich Tätigen. Bei dieser Tätigkeit verunglückte der Kläger am 4. August 1978.
Die Beklagte lehnte die Gewährung von Leistungen ab (Bescheid vom 27. November 1978, Widerspruchsbescheid vom 25. Oktober 1979), weil kein Beschäftigungsverhältnis (§ 539 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung –RVO–) vorgelegen habe und der Kläger auch nicht wie ein Versicherter (§ 539 Abs. 2 RVO) tätig geworden sei. Gegen das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses spreche vor allem das Fehlen eines Entgelts. Ein Tätigwerden „wie ein Versicherter” setze voraus, daß die Tätigkeit dem allgemeinen Erwerbsleben zugänglich sei. Eine Beschäftigung als Streikhelfer sei im Erwerbsleben aber nicht bekannt; sie beruhe vielmehr auf solidarischem Verhalten der Arbeitnehmer untereinander.
Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 6. Juni 1980 die Beklagte verurteilt, den Unfall vom 4. August 1978 als Arbeitsunfall anzuerkennen. Es hat die Sprungrevision zugelassen. In den Gründen des Urteils ist ua ausgeführt, gegen das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses iS von § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO sprächen sowohl die Zahlung einer nur geringen Unkostenpauschale als auch die Freiwilligkeit der Übernahme der Tätigkeit. Der Kläger sei aber wie ein Versicherter tätig geworden. Eine mitgliedschaftliche Verpflichtung zur Ausübung der Tätigkeit habe nicht vorgelegen. Der Kläger habe eine Aufgabe übernommen, die in erster Linie von hauptamtlichen Mitarbeitern der Gewerkschaft ausgeübt werde.
Die Beklagte hat das zugelassene Rechtsmittel eingelegt und im wesentlichen wie folgt begründet: Eine etwa vorhandene Verpflichtung des Klägers als Mitglied der IG BSE, die Tätigkeit eines Streikhelfers zu übernehmen, schließe den Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 1 und Abs. 2 RVO von vornherein aus (BSGE 14, 1 ff). Der Solidaritätscharakter der Streikhilfe erweise deren mitgliedschatlichen Ausfluß. Im übrigen könne die Tätigkeit als Streikhelfer nur ehrenamtlich ausgeübt werden, so daß der Kläger nicht „wie ein Versicherter” tätig geworden sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Der Einsatz von freiwilligen Helfern sei erforderlich, um personelle Engpässe, welche im Arbeitskampf entstehen, zu überbrücken. Die Helfer übten dabei Tätigkeiten aus, welche den Verwaltungsaufgaben der Angestellten der Gewerkschaft entsprächen. Diese Arbeit sei dem allgemeinen Arbeitsmarkt zugänglich.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.
Das SG und auch die Beklagte in ihren Bescheiden gehen davon aus, daß der Kläger am 4. August 1978 vor allem deshalb nicht gemäß § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO versichert war, weil er unentgeltlich tätig geworden ist. Dem vermag der Senat nicht zuzustimmen. Entgeltlichkeit ist in der Unfallversicherung nach § 539 Abs. 1 RVO – anders als in der Krankenversicherung nach § 165 Abs. 2 RVO und in der Rentenversicherung nach § 1227 Abs. 1 Nr. 1 und 2 RVO – nicht Voraussetzung der Versicherung (BSG SozR 2200 § 539 Nr. 68). Ebensowenig spricht auch die „Freiwilligkeit der Tätigkeit”, wie das SG weiter meint, gegen das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses; denn sie charakterisiert die Tätigkeit lediglich als eine auf freiem Entschluß beruhende und unterscheidet sie damit nicht von jeder anderen vertraglichen Beschäftigung. Auch die Mitgliedschaft in einem – rechtsfähigen oder nicht rechtsfähigen – Verein schließt die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses iS von § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO nicht, wie die Beklagte annimmt, von vornherein aus (BSGE 14, 1, 3; 17, 211, 217; zuletzt das zur Veröffentlichung vorgesehene Urteil des Senats vom 12. Mai 1981 – 2 RU 40/79 –). Das SG hat allerdings keine Feststellungen getroffen, welche das Vorhandensein persönlicher Abhängigkeit des Klägers bei der Tätigkeit für die Gewerkschaft am 4. August 1978 abschließend beurteilen lassen, wie sie für eine Versicherung nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO vorausgesetzt ist und wie sie das Bundessozialgericht –BSG– (SozR aaO) beispielsweise beim Verrichten umfangreicher Bauarbeiten für den Verein angenommen hat.
Dennoch brauchte eine weitere Sachaufklärung nicht durchgeführt zu werden. Für die hier allein zu entscheidende Frage, ob der Kläger im Unfallzeitpunkt versichert war oder nicht, ist es gleichgültig, ob gesetzlicher Unfallversicherungsschutz nach § 539 Abs. 1 oder Abs. 2 RVO gegeben war. Die Feststellungen des SG reichen für die notwendige Entscheidung aus; denn wenn ein Beschäftigungsverhältnis nicht vorlag, so war der Kläger nach § 539 Abs. 2 RVO versichert.
Nach den tatsächlichen Feststellungen des SG verrichtete der Kläger am 4. August 1978 für die IG BSE eine deren Unternehmen dienende Tätigkeit, die zudem ihrem erklärten Willen entsprach und in innerem Zusammenhang mit dem Unfallvorgang stand (vgl. zuletzt BSG SozR 2200 § 539 Nr. 55). Hiergegen spricht nicht, wie die Beklagte meint, daß eigenwirtschaftliche Interessen der Gewerkschaftsmitglieder mit berührt gewesen sein können. Grundsätzlich schließen auch Dienste von Personen, die zu dem Unternehmen in einem Mitgliedschaftsverhältnis stehen, den Versicherungsschutz nicht aus. Das SG hat jedoch mit Recht geprüft, ob die Arbeitsleistung des Klägers auf Mitgliedspflichten (auf der Satzung, auf Beschlüssen der zuständigen Vereinsgremien, auf allgemeiner Übung) beruhte. Wäre das der Fall gewesen, hätte der Kläger die Hilfe als Vereinsmitglied und nicht wie ein Versicherter geleistet, so daß Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 2 RVO ausgeschieden wäre (vgl. die zuvor zitierten Entscheidungen des BSG sowie BSGE 42, 36, 40; BSG SozR Nrn 24 und 27 zu § 539 RVO; BSG BG 1972, 234, 235; BSG ZfS 1976, 121, 122; LSG Rheinland-Pfalz Breithaupt 1964, 101 ff sowie Breithaupt 1972, 464, 466; LSG Baden-Württemberg Breithaupt 1972, 384, 385; Bayer LSG Breithaupt 1978, 733, 734; Hess LSG Breithaupt 1979, 686, 688; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 9. Aufl., S 476 e ff mwN; Riedmaier VersR 1979, 981 ff). Weder der Satzung der IG BSE noch den Richtlinien für Arbeitskämpfe des Gewerkschaftsbeirats ist eine Verpflichtung der Mitglieder zu entnehmen, während eines Streikes als Helfer tätig zu werden. Ob eine dahingehende Übung gegeben war, hat das SG nicht ausdrücklich verneint. Das kann hier auch offenbleiben. Der Senat hat in seinem Urteil vom 12. Mai 1981 (aaO mwN) entschieden, daß nur geringfügige Tätigkeiten, die ein Verein von jedem seiner Mitglieder erwarten kann und die von den Mitgliedern dieser Erwartung entsprechend auch verrichtet werden, als unmittelbarer Ausfluß der Mitgliedschaft anzusehen sind. Bei über diesen Rahmen hinausgehenden umfangreicheren Arbeiten kann eine Mitgliedspflicht dagegen nur angenommen werden, wenn die Satzung oder ein Beschluß der Mitgliederversammlung oder eines sonstigen dafür zuständigen Vereinsgremiums den Mitgliedern eine rechtliche Verpflichtung zur Arbeitsleistung auferlegt hat. Im vorliegenden Fall hat der Kläger eine umfangreiche Tätigkeit ausgeübt, für die es eine solche Verpflichtung nicht gab.
Dem Urteil des SG ist zu entnehmen, daß der Kläger ganztägig und für die Ungewisse Dauer des Streiks die Verpflichtung zur Hilfe übernommen hatte. Dies folgt bereits aus dem in dem Urteil enthaltenen umfangreichen Aufgabenkatalog, wonach ua eine Kontrolle hinsichtlich des Stillstandes aller Tätigkeiten auf den Baustellen durchzuführen war. Der Umfang der Verpflichtungen des Klägers ergibt sich weiterhin aus der Feststellung, daß die ehrenamtlichen Helfer wie die hauptamtlich Beschäftigten eingesetzt wurden. Schließlich zeigt auch die Zahlung einer täglichen Unkostenpauschale von DM 15,–, neben der Streikunterstützung, daß der Kläger seine Arbeitskraft jedenfalls zu einem erheblichen Teil täglich der IG BSE zur Verfügung gestellt hatte. Damit hatte er eine derart umfangreiche Tätigkeit übernommen, für die es, wie bereits dargelegt, eine rechtliche Verpflichtung aus der Mitgliedschaft der IG BSE nicht gab und wie sie nicht von jedem Mitglied der IG BSE erwartet werden konnte und von der Gewerkschaft, wie auch die Zahlung einer Unkostenpauschale neben der Streikunterstützung zeigt, nicht erwartet wurde.
Die Beklagte weist zutreffend darauf hin, daß nicht jede unter den genannten Voraussetzungen geleistete Tätigkeit dem Versicherungsschutz unterliegt. Erforderlich ist vielmehr weiterhin, daß Art und Umstände, unter denen im Einzelfall die Arbeit verrichtet worden ist, einer Tätigkeit aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses der in § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO bezeichneten Art ähnlich sind (BSG SozR 2200 § 539 Nr. 49; Brackmann aaO S 476 b). An dieser Ähnlichkeit fehlt es bei Tätigkeiten, die nur von ehrenamtlich Tätigen verrichtet werden dürfen (BSGE 17, 73, 74; 42, 36, 40). Das übersieht die Beklagte. Eine ehrenamtlich verrichtete Tätigkeit kann hiernach nur dann nicht der Art nach wie eine solche nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO angesehen werden, wenn die für den Verein maßgeblichen Vorschriften nur eine ehrenamtliche Verrichtung zulassen (BSGE 40, 36, 40). So lagen die Dinge hier jedoch nicht, weil derartige Bestimmungen bei der IG BSE fehlten und die ehrenamtlich tätigen Helfer zudem – was für den Senat bindend festgestellt ist – in derselben Weise wie hauptamtlich bei der Gewerkschaft Angestellte eingesetzt wurden.
Der Kläger ist folglich am 4. August 1978 jedenfalls wie ein nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO Versicherter tätig geworden und hat nach Abs. 2 dieser Vorschrift iVm § 548 RVO unter Versicherungsschutz gestanden. Die Sprungrevision war zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen