Entscheidungsstichwort (Thema)
Feststellung über das Vorliegen einer Behinderung. befristeter Ausweis. Ausweisverlängerung. Bindung wegen früherer Leistungen
Orientierungssatz
1. Der vom Sozialamt ausgestellte Schwerbehindertenausweis zählt nicht zu den Entscheidungen iS des § 3 Abs 2 SchwbG. Nach Art 3 § 5 Abs 3 SchwbWG idF vom 14.6.1976 genügt er als Nachweis über das Vorliegen einer Behinderung und über den Grad der auf ihr beruhenden MdE nur bis zum Ablauf seines Geltungszeitraumes. Wegen dieser Befristung ist eine Berufung auf den Ausweis nicht möglich (vgl BSG vom 1981-08-19 9 RVs 5/81 = unveröffentlicht).
2. Es können auch keine Rechte daraus hergeleitet werden, daß der Ausweis durch Vorbehaltsbescheide des Versorgungsamtes, also der nunmehr zuständigen Behörde, verlängert wurde. Diese Verlängerungen erfolgten nur vorläufig und unter dem Vorbehalt einer endgültigen Feststellung nach § 3 Abs 1 SchwbG. Sie können deswegen keine Grundlage eines Schwerbehindertenausweises sein, da sie mit Ablauf des angegebenen Gültigkeitszeitraums gegenstandslos würden.
3. Auch die Grundsätze des Vertrauensschutzes sind nicht anwendbar. Eine Bindung der Behörde auf der Grundlage früher gewährter Leistungen kennt das Verwaltungsrecht grundsätzlich nicht; dies widerspräche dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (vgl BSG vom 1982-10-27 9a RV 14/82).
Normenkette
SchwbG § 3 Abs 2; SchwbG § 3 Abs 1; SchwbWG Art 3 § 5 Abs 3 Fassung: 1976-06-14
Verfahrensgang
LSG Hamburg (Entscheidung vom 10.02.1982; Aktenzeichen IV VSBf 6/81) |
SG Hamburg (Entscheidung vom 25.02.1981; Aktenzeichen 31 VS 147/81) |
SG Hamburg (Entscheidung vom 25.02.1981; Aktenzeichen 31 VS 674/79) |
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten besteht Streit, ob die Beklagte zu Recht die Behinderung des Klägers mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 vH festgestellt und die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises mit der für die Berechtigung zur unentgeltlichen Beförderung im öffentlichen Personenverkehr vorgesehenen Kennzeichnung abgelehnt hat, obwohl der Kläger im Besitz eines nach den früheren Ausweisrichtlinien bis zum 31. Dezember 1977 gültigen Schwerbehindertenausweises war, in dem eine MdE um 80 vH bescheinigt worden war.
Dem Kläger war 1960 ein Ausweis für Schwererwerbsbeschränkte ausgestellt worden. Die Art seines Leidens war als "doppelseitige Nieren-Tbc" und der Grad der MdE mit "80 %" bezeichnet worden. 1967 wurde dem Kläger ein Ausweis für Schwerbehinderte mit demselben MdE-Grad ausgestellt, dessen Gültigkeit später bis zum 31. Dezember 1977 verlängert wurde. Entsprechend den Vorbehaltsbescheiden der Versorgungsverwaltung vom 9. Januar 1978 und 4. Januar 1979 wurden dem Kläger für das Jahr 1978 und das Jahr 1979 Schwerbehindertenausweise erteilt.
Mit Bescheid vom 24. Januar 1979 lehnte die Versorgungsverwaltung die Erteilung eines Schwerbehindertenausweises ab. Der Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 26. November 1979). Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, einen Schwerbehindertenausweis mit einer MdE um 80 vH zu erteilen. Es war der Ansicht, daß zwar in den Leiden des Klägers eine wesentliche Besserung eingetreten sei; die Verwaltung habe aber weder eine Neufeststellung getroffen noch einen Berichtigungsbescheid erteilt und sei deshalb weiter an die frühere Entscheidung gebunden. Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt: Der im Jahre 1967 ausgestellte und später verlängerte Schwerbehindertenausweis habe als in zulässiger Weise befristeter Verwaltungsakt mit Ablauf des Jahres 1977 seine Wirkung verloren. Das gelte auch, obwohl die Versorgungsverwaltung die Gültigkeit des Schwerbehindertenausweises des Klägers nochmals verlängert habe. Diese Bescheide hätten nur eine vorläufige Weitergeltung des Ausweises ausgesprochen, seien also weder Ausweis iS von § 3 Abs 2 Gesetz zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft -SchwbG-) noch Verwaltungsakte mit Dauerwirkung, die eine Neufeststellung nach § 62 Bundesversorgungsgesetz (BVG) notwendig machten.
Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und rügt die Verletzung des § 3 Abs 2 SchwbG und des § 62 Abs 1 BVG. Das Bundessozialgericht (BSG) habe mehrfach ausgesprochen, daß die Feststellung iS des § 3 Abs 2 SchwbG eine echte Entscheidung sei und daher nicht ohne weiteres aufgehoben oder geändert werden dürfe. Auch durch einen befristet ausgestellten Schwerbehindertenausweis habe der Schwerbeschädigte einen Vertrauensschutz erlangt, insbesondere dann, wenn die Ausweise viele Jahre hindurch verlängert worden seien.
Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 25. Februar 1981 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG).
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet. Das LSG hat zu Recht das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Dem Kläger ist ein Schwerbehindertenausweis nicht auszustellen.
Das LSG hat mit dem SG festgestellt, daß auf den derzeitigen Behinderungen des Klägers ein Grad von 30 vH der MdE beruht. Hiergegen hat der Kläger keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen geltend gemacht; das BSG ist nach § 163 SGG daran gebunden. Aus dieser Feststellung ergibt sich, daß der Kläger kein Schwerbehinderter ist. Nur Personen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Erwerbsfähigkeit nicht nur vorübergehend um wenigstens 50 vH gemindert sind, sind Schwerbehinderte (§ 1 SchwbG). Die Versorgungsbehörde mußte es deshalb ablehnen, dem Kläger einen Schwerbehindertenausweis auszustellen. Der Kläger meint jedoch aus einem anderen Grunde den Anspruch auf Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises zu haben. Nach seiner Auffassung darf die Versorgungsverwaltung eine Feststellung über seine Behinderungen nicht mehr treffen, weil er schon seit 1960 Ausweise besessen habe, die von einer MdE um 80 vH ausgegangen sind. Der Ansicht des Klägers ist nicht beizutreten.
Nach § 3 Abs 2 SchwbG sind erneute Feststellungen nicht zu treffen, wenn in einem Rentenbescheid, einer entsprechenden Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung oder einer vorläufigen Bescheinigung der für diese Entscheidung zuständigen Dienststellen der Grad der MdE festgesetzt worden ist. Die dem Kläger früher ausgestellten und verlängerten Schwerbehindertenausweise zählen nicht zu diesen Entscheidungen. Zwar ist die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers in den Bescheiden des Sozialamtes und in den Verlängerungsausweisen bescheinigt worden. Darauf kann der Kläger sich aber nicht mehr berufen, denn diese Ausweise haben ihre Wirkung verloren.
Der vom Sozialamt ausgestellte Schwerbehindertenausweis war zunächst bis zum Monat Dezember 1977 verlängert worden. Dieser Ausweis war gemäß den Richtlinien vom 11. Oktober 1965 ausgestellt worden. Für ihn bestimmt das Gesetz zur Weiterentwicklung des Schwerbeschädigtenrechts vom 24. April 1974 (BGBl I S 981) idF des 8. Anpassungsgesetzes-KOV vom 14. Juni 1976 (BGBl I S 1481) in Art III § 5 Abs 3, daß sie als Nachweis über das Vorliegen einer Behinderung und über den Grad der auf ihr beruhenden MdE genügen, und zwar bis zum Ablauf ihres derzeitigen Geltungszeitraumes. Wegen dieser Befristung kann der Kläger sich auf diese Ausweise nicht berufen (vgl BSG Urteil vom 19. August 1981 - 9 RVs 5/81).
Der Kläger kann ferner keine Rechte daraus herleiten, daß sein Ausweis nach 1977 durch Vorbehaltsbescheide des Versorgungsamtes, also der nunmehr zuständigen Behörde, verlängert wurde. Diese Verlängerungen erfolgten nur vorläufig und unter dem Vorbehalt einer endgültigen Feststellung nach § 3 Abs 1 SchwbG. Sie können deswegen keine Grundlage eines Schwerbehindertenausweises sein, da sie mit Ablauf des angegebenen Gültigkeitszeitraums gegenstandslos würden.
Die ärztlichen Bescheinigungen und sonstigen Äußerungen, die der jeweiligen Ausweiserteilung oder -verlängerung vorausgingen, schlossen eine neue Feststellung der Behinderungen des Klägers und der darauf beruhenden MdE nicht aus. Abgesehen davon, daß auch diese Äußerungen nur als Grundlage für befristete Ausweise dienen sollten, stellen sie nur Vorbereitungshandlungen der Verwaltungsbehörde dar, die keine eigenständige Regelungsbedeutung haben. Das gilt auch für amtsärztliche Beurteilungen, wie das BSG im einzelnen bereits entschieden hat (BSG Urteil vom 19. August 1981 - 9 RVs 5/81 - in Versorgungsbeamter 1982, 11 und SozR 3870 § 3 Nr 7).
Schließlich kann sich der Kläger nicht auf Grundsätze des Vertrauensschutzes berufen. Eine Bindung der Behörde auf der Grundlage früher gewährter Leistungen kennt das Verwaltungsrecht grundsätzlich nicht; dies widerspräche dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (vgl dazu Urteil des BSG vom 27. Oktober 1982 - 9a RV 14/82). Im übrigen ist nicht davon auszugehen, daß auf Grund der jeweils für ein Jahr erfolgten Verlängerung sich ein Vertrauen auf zukünftige weitere Verlängerungen begründen könnte. Auf die in Ausführungen des Urteils des SG erfolgte längerfristige Verlängerung kann sich der Kläger ebensowenig berufen; diese war an den Bestand des Urteils gebunden und verlor mit Aufhebung des Urteils durch das Berufungsgericht jegliche Bedeutung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen