Entscheidungsstichwort (Thema)

Ersatzanspruch des Krankenversicherungsträgers bei Familienkrankenpflege. Unfallversicherungsschutz bei Feuerwehrübung. zuständiger Unfallversicherungsträger

 

Orientierungssatz

1. Der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung, der Familienkrankenhauspflege wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls gewährt hat, in entsprechender Anwendung des § 1510 Abs 2 RVO in der bis zum 30.6.1983 geltenden Fassung einen Ersatzanspruch gegen den Träger der Unfallversicherung (vgl BSG 1974-12-18 2/8 RU 34/73 = BSGE 39, 24).

2. Zur Frage des Unfallversicherungsschutzes und des zuständigen Unfallversicherungsträgers im Falles eines Internatsschülers, der in dem Wohngebäude des Internats bei einer von der Freiwilligen Feuerwehr veranstalteten Feuerwehrübung als ein "zu rettendes Opfer" eine Rauchvergiftung erlitt.

 

Normenkette

RVO § 539 Abs 1 Nr 8 Fassung: 1963-04-30, § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst b Fassung: 1971-03-18, § 539 Abs 2 Fassung: 1963-04-30, § 1504 Abs 1, § 1510 Abs 2, § 205

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 18.08.1982; Aktenzeichen L 3 U 208/81)

SG Speyer (Entscheidung vom 07.10.1981; Aktenzeichen S 2 U 123/81)

 

Tatbestand

Die Klägerin fordert von dem Beklagten Ersatz ihrer Aufwendungen in Höhe von 1.940,40 DM für die stationäre Behandlung des Internatsschülers K.-D. B.(B.) vom 27. Mai bis 6. Juni 1978 im Kreiskrankenhaus C., in das der Schüler eingewiesen worden war, weil er Rauchpatronendämpfe eingeatmet hatte. Der Vater des Schülers ist bei der Klägerin für den Fall der Krankheit versichert.

Der Schüler B. besuchte die M.L.-S.in C.- S. und wohnte an diesem Ort im Evangelischen Kinder- und Jugendheim S. e.V. Das Gebäude, in dem B. mit seiner Gruppe wohnte, wurde von der Freiwilligen Feuerwehr S.- C. am 27. Mai 1978 für eine Feuerwehrübung benutzt. Der Ausbruch eines Brandes wurde angenommen und mit Rauchpatronen simuliert. Die Jugendlichen wurden angewiesen, in den Zimmern zu bleiben und die Rettung durch die Feuerwehr abzuwarten. Der Schüler B. soll entgegen der Anordnung des Gruppenerziehers ein Zimmerfenster geöffnet haben, wodurch es zu einer Rauchvergiftung kam.

Da der Beklagte den am 5. September 1978 geltend gemachten Kostenersatz ablehnte, hat die Klägerin Klage erhoben mit der Begründung, B. sei zur Zeit der Übung nach § 539 Abs 1 Nr 8 der Reichsversicherungsordnung (RVO), hilfsweise nach § 539 Abs 2 RVO gegen Arbeitsunfall versichert gewesen, da die Jugendlichen an der Feuerwehrübung teilgenommen hätten. Die Rettung der Jugendlichen sei ein wesentlicher Bestandteil der Feuerwehrübung gewesen.

Das Sozialgericht (SG) Speyer hat den Beklagten verurteilt, der Klägerin 1.940,40 DM zu ersetzen (Urteil vom 7. Oktober 1981). Die Berufung des Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz zurückgewiesen (Urteil vom 18. August 1982). Es hat als Rechtsgrundlage des Ersatzanspruchs § 1504 Abs 1 RVO angesehen. Der Schüler B. sei als Teilnehmer an einer Ausbildungsveranstaltung der Feuerwehr nach § 539 Abs 1 Nr 8 RVO gegen Arbeitsunfall versichert gewesen und habe den Unfall bei der versicherten Tätigkeit erlitten. Der Unfall sei daher ein Arbeitsunfall.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Der Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt und im wesentlichen wie folgt begründet: Die Urteilsformel in der Niederschrift vom 18. August 1982 sei nur von zwei Richtern des Senats unterschrieben. Es fehle die Unterschrift des Richters am LSG W.. Darin liege ein Verstoß gegen § 132 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Das LSG hätte auch entsprechend ihrem schriftsätzlich gestellten Antrag vom 17. August 1982 die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege beiladen müssen, deren Mitglied das Evangelische Kinder- und Jugendheim S. e.V. sei. Da sich der Unfall des Schülers B. im Rahmen einer Feuerwehrübung im Kinder- und Jugendheim ereignet und der zuständige Gruppenerzieher hierzu offenbar Anweisungen gegeben habe, könne die Teilnahme des B. an der Übung dem Kinder- und Jugendheim gedient haben. Das LSG habe auch seine Sachaufklärungspflicht verletzt. Es habe mit Schreiben vom 4. August 1982 an die M.L.-S. und an das Evangelische Kinder- und Jugendheim Ersuchen um Auskünfte gerichtet, die das Sprachheilzentrum C.-S. erst nach Schluß der mündlichen Verhandlung am 23. August 1982 beantwortet habe. Wenn auch durch diese Antwort nicht bewiesen werde, daß die Teilnahme der Kinder an der Feuerwehrübung durch die Schulleitung angeordnet worden sei, so hätte das LSG jedoch ermitteln müssen, ob die Voraussetzungen eines Versicherungsschutzes des Schülers B. nach § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst b RVO erfüllt gewesen seien. Das LSG habe auch nicht festgestellt, ob die Jugendlichen bewußt und gewollt an der Feuerwehrübung teilgenommen hätten, obwohl es die Rechtsauffassung vertreten habe, daß die Teilnehmer an der Feuerwehrübung unter den Versicherungsschutz des § 539 Abs 1 Nr 8 RVO fielen, zumindest soweit sie bewußt und gewollt zu einer solchen Übung herangezogen würden oder aufgefordert seien. Die Anwesenheit bei einer Feuerwehrübung, bei der eine aktive Tätigkeit nicht entfaltet werde, sondern der Anwesende allenfalls als eine Person gedacht werde, die im Rahmen der Übung gerettet werden soll, könne entgegen der Auffassung des LSG nicht dem Unternehmen der Feuerwehr zugerechnet werden. Der Schüler B. sei weder im Unternehmen der Feuerwehr noch als Teilnehmer an einer Ausbildungsveranstaltung der Feuerwehr tätig geworden. Schließlich sei Rechtsgrundlage für den Ersatzanspruch nicht § 1504 RVO, wie das LSG angenommen habe und auch nicht § 1510 Abs 2 RVO, sondern seit dem Inkrafttreten des Sozialgesetzbuches (SGB) - Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehungen zu Dritten vom 4. November 1983 (BGBl I 1450) am 1. Juli 1983 (Art II § 25 Abs 1 SGB X) Art I § 91 SGB X.

Der Beklagte beantragt,

die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie beziehe sich auf ihr Vorbringen in den beiden Tatsacheninstanzen und die Urteilsgründe.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten ist insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist.

Das LSG hat § 1504 Abs 1 RVO als Grundlage des Ersatzanspruchs die Klägerin angesehen. Diese Vorschrift bezieht sich schon ihrem Wortlaut nach nur auf den Ersatz von Kosten, die einer Krankenkasse durch Leistungen an den Verletzten entstanden sind, der bei einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung "versichert" ist. Der Schüler B. war jedoch nicht selbst bei einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung versichert, sondern die Klägerin hat für ihn aufgrund der Versicherung seines Vaters Familienkrankenhauspflege gewährt. Für Fälle der vorliegenden Art hat der erkennende Senat bereits entschieden (BSGE 39, 24), daß der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung, der Familienkrankenhauspflege wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls gewährt, in entsprechender Anwendung des § 1510 Abs 2 RVO in der bis zum 30. Juni 1983 geltenden Fassung einen Ersatzanspruch gegen den Träger der Unfallversicherung hat. Das Bundessozialgericht (BSG) ist der Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts (RVA in EuM 44, 55 und 162) folgend davon ausgegangen, daß dabei zwischen der Krankenkasse und dem Träger der Unfallversicherung ein auftragsähnliches Verhältnis besteht und der Träger der Unfallversicherung der Krankenkasse nach § 1510 Abs 2 RVO die ihr erwachsenen Aufwendungen zu ersetzen hat (BSGE 39, 24, 30). Ob, wie der Beklagte meint, im anhängigen Verfahren nunmehr die Vorschriften der §§ 87 ff. SGB X und insbesondere die Ausschlußfrist des § 111 SGB X - rückwirkend - anzuwenden sind, bedarf keiner Entscheidung. Denn der Beklagte geht zutreffend davon aus, daß die Klägerin ihren Anspruch auf Ersatz von 1. 940,40 DM vor Ablauf der Ausschlußfrist geltend gemacht hat. Im übrigen hängt sowohl nach § 1510 Abs 2 RVO aF als auch nach §§ 87 ff SGB X der Ersatzanspruch der Klägerin davon ab, ob der Schüler B. am 27. Mai 1978 einen Arbeitsunfall erlitten hat und ob der Beklagte der für die Entschädigung zuständige Unfallversicherungsträger ist.

Nach § 548 Abs 1 Satz 1 RVO ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Das SG hat den Versicherungsschutz des Schülers B. nach § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst b RVO bejaht, wonach Schüler während des Besuchs allgemeinbildender Schulen gegen Arbeitsunfall versichert sind. Ferner hat es auch die Voraussetzungen für einen Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 8 iVm Abs 2 RVO als gegeben angesehen, wonach die in einem Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen Tätigen gegen Arbeitsunfall versichert sind, aber auch diejenigen, die wie solche Personen tätig werden. In beiden Fällen wäre der Beklagte der für die Entschädigung zuständige Unfallversicherungsträger (§ 655 Abs 2 Nr 5 RVO bzw § 655 Abs 2 Nr 1 iVm § 656 Abs 4 Satz 1 RVO).

Das LSG hat den Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst b RVO dahingestellt sein lassen und den Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 8 RVO bejaht, und zwar als Teilnahme an einer Ausbildungsveranstaltung eines Unternehmens zur Hilfe bei Unglücksfällen.

Dem Senat fehlen die für eine Revisionsentscheidung erforderlichen tatsächlichen Feststellungen über die Planung und den Verlauf der Übung. Im Tatbestand des angefochtenen Urteils ist hinsichtlich der Anwesenheit der Jugendlichen lediglich ausgeführt: "Die Jugendlichen wurden angewiesen, in den Zimmern zu bleiben und die Rettung durch die Feuerwehr abzuwarten". Die Beklagte greift diese Feststellung mit der Rüge an, im Laufe des Verfahrens sei nicht festgestellt worden, daß derjenige, der die Jugendlichen angewiesen hatte, in den Zimmern zu bleiben, die Jugendlichen darüber informiert habe, daß die Feuerwehr eine Rettungsübung durchführe. Diese Rüge ist begründet. Es ist nicht ersichtlich, worauf das LSG die zitierte Feststellung stützt. Eigene Ermittlungen hat es nicht angestellt bzw ihr Ergebnis nicht abgewartet. In der Verwaltungsakte des Beklagten ist ein entsprechender Hinweis lediglich in der Auskunft des Abteilungsleiters der Freiwilligen Feuerwehr vom 9. Oktober 1979 enthalten. Es ist jedoch schon nicht ersichtlich, ob der Abteilungsleiter der Freiwilligen Feuerwehr auch bei dem entscheidenden Gespräch zwischen dem Gruppenleiter und den Jugendlichen dabei war oder ob er nur Kenntnis hatte, was der Gruppenleiter mit den Jugendlichen besprechen sollte. Das LSG hätte sich schon insoweit gedrängt fühlen müssen, eine Person zu hören, die über die unmittelbare Unterrichtung der Jugendlichen aussagen konnte, oder zumindest eine entsprechende schriftliche Auskunft einzuholen und abzuwarten. Für das LSG konnte es zu keinem Zeitpunkt zweifelhaft sein, daß der am 27. Mai 1978 von der Freiwilligen Feuerwehr S.-C.durchgeführten Übung im Evangelischen Kinderheim S. Absprachen mit denjenigen Stellen stattgefunden haben, die darüber zu befinden hatten, welche Personen neben der Feuerwehr dabei mitwirken werden und in welchem Gebäude die Übung stattfinden sollte. Aus der Beilage zur Unfallanzeige der Stadt C. vom 8. Dezember 1978 geht hervor, daß die Übung im Gebäude Nr 24 des Evangelischen Kinder- und Jugendheimes stattfinden sollte, wobei ua von der Annahme ausgegangen wurde, daß sich in dem bewohnten Stockwerk dieses Gebäudes 18 um Hilfe schreiende und in Panik geratene Kinder befinden, die mit Atemschutzgeräten gerettet werden sollten. An den Außenwänden des Gebäudes wurden Rauchpatronen gezündet, um die Übung wirklichkeitsnah zu gestalten. Wer der Feuerwehr gestattet hat, im Gebäude Nr 24 des Evangelischen Kinder- und Jugendheimes eine Übung zu veranstalten, an den Außenwänden Rauchpatronen anzubringen und zu zünden ist vom LSG ebensowenig geklärt worden, wie die Frage, ob die Jugendlichen nur für den Fall ihrer Anwesenheit in den Räumen angewiesen waren, die Fenster nicht zu öffnen, oder ob sie sich für eine Rettung im Rahmen der Übung dort aufhalten sollten und wer es dann übernommen hatte, dafür zu sorgen, daß sich zum Zwecke der Feuerwehrübung Kinder oder Jugendliche im Kinder- und Jugendheim aufhielten, um von der Feuerwehr "gerettet" zu werden. Das LSG hat am 4. August 1982 je ein Auskunftsersuchen an das Evangelische Kinder- und Jugendheim und an die M.L.- S. gerichtet. Jedoch hat es die Auskünfte nicht abgewartet und hat am 18. August 1982 durch Urteil entschieden. Die Auskunftsersuchen wurden wegen der Schulferien erst am 23. August 1982 (beim LSG eingegangen am 24. August 1982) von dem Sprachheilzentrum C.-S. beantwortet. Darin ist ua ausgeführt, daß die Teilnahme der Kinder an der Feuerwehrübung von der Schulleitung angeordnet wurde. Hiernach besteht für das LSG Anlaß, sich eingehend um die Absprachen zwischen der Feuerwehr und dem Evangelischen Kinder- und Jugendheim e.V., das nach dem Vorbringen des Beklagten sowohl Träger der Schule war, die B. besuchte, als auch den Internatsbetrieb unterhielt, zu bemühen - möglicherweise liegen darüber schriftliche Aufzeichnungen vor - und auch die internen Anweisungen des Kinder- und Jugendheims oder der M.L.- S. über die Teilnahme von Schülern und Lehrern oder Erziehern an der Feuerwehrübung zu ermitteln. Erst dann kann entschieden werden, welchem Unternehmen die Tätigkeit des Schülers B. als ein von der Feuerwehr zu rettendes Kind zuzurechnen ist, dem Kinder- und Jugendheim, der Schule oder der Feuerwehr. Gegebenenfalls wird das LSG auch in Betracht ziehen müssen, daß der Schüler B. möglicherweise nach § 539 Abs 1 Nr 1 iVm Abs 2 RVO wie ein Beschäftigter des Kinder- und Jugendheims e.V. an der Feuerwehrübung teilgenommen hat. Der hier für eine Entschädigung zuständige Unfallversicherungsträger, die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege, würde nach § 75 Abs 2 SGG notwendig beigeladen werden müssen.

Zur Rüge des Beklagten, daß die Urteilsformel in der Niederschrift vom 18. August 1982 nur von zwei Richtern des LSG unterschrieben und damit gegen § 132 SGG verstoßen worden ist, ist auf folgendes hinzuweisen: Für die Niederschrift gelten nach § 122 SGG die §§ 159 bis 165 der Zivilprozeßordnung (ZPO). Nach § 160 Abs 3 Nr 6 ZPO sind im Protokoll die Entscheidungen (Urteile, Beschlüsse und Verfügungen) des Gerichts festzustellen. Das ist im vorliegenden Fall dadurch geschehen, daß in dem Protokoll die vom Vorsitzenden des LSG bei der Verkündung des Urteils verlesene Urteilsformel (§ 132 Abs 2 Satz 1 SGG) festgestellt ist. Zu unterschreiben ist das Protokoll - auch soweit es die Urteilsformel betrifft - nach § 163 Abs 1 Satz 1 ZPO nur von dem Vorsitzenden und dem Urkundsbeamten. Das Protokoll trägt daher zutreffend die Unterschrift des Vorsitzenden K. und des Urkundsbeamten P..

Wegen der mangelnden Sachaufklärung war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das LSG zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1663460

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