Entscheidungsstichwort (Thema)
Verwertung von im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten. Verwertung von Privatgutachten im gerichtlichen Verfahren
Orientierungssatz
1. Ein im Verwaltungsverfahren eingeholtes Gutachten ist kein Privatgutachten; es ist im gerichtlichen Verfahren urkundlich verwertbar.
2. Von Beteiligten in das gerichtliche Verfahren eingebrachte Gutachten sind Bestandteil des Parteivorbringens.
Leitsatz (redaktionell)
Das Gericht überschreitet die Grenzen seines Rechts auf freie richterliche Beweiswürdigung, wenn es ohne Begründung bei seiner Entscheidung ärztlichen Stellungnahmen folgt, denen zufolge die auf beruflicher Lärmschwerhörigkeit beruhende Berufskrankheit keine meßbare MdE bedinge, weil Einschränkungen der Gleichgewichtsfunktion, seitendifferente Hörminderung sowie progrediente Zunahme der Schwerhörigkeit nach Aufgabe der Berufstätigkeit für einen überwiegend degenerativen Prozeß und weniger für Verursachung durch die berufliche Lärmexposition sprächen, und diese medizinische Bewertung im Gegensatz stehe zu Äußerungen anderer Gutachter, deren ärztlicher Sachverstand nicht von vornherein auf einen geringen Beweiswert ihrer Gutachten schließen lasse. Insoweit muß sich das Gericht zu einer abschliessenden medizinischen Klärung gezwungen sehen.
Normenkette
SGB X § 21 Abs. 1; SGG § 118 Abs. 1 S. 1; ZPO § 415; SGG § 128 Abs 1 S. 1; RVO § 551 Abs 1, § 581 Abs. 1 Nr. 2; BKVO Anl 1 Nr 2301
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 24.09.1987; Aktenzeichen L 10 U 2749/86) |
SG Konstanz (Entscheidung vom 30.09.1986; Aktenzeichen S 4 U 1574/82) |
Tatbestand
Der am 18. Juni 1920 geborene Kläger begehrt Verletztenrente wegen einer als Berufskrankheit (BK) anerkannten Lärmschwerhörigkeit.
Er war im Verlaufe seines Berufslebens ua von 1948 bis 1968 als Hauer bei der Firma F. T. , Bergbau AG in D. -H. , einem Beurteilungsschallpegel von 90 bis 95 dB und von 1968 bis kurz vor seinem Eintritt in den Ruhestand am 1. Dezember 1980 als Revolverdreher bei der Maschinenfabrik -F. in G. einem solchen von 85 bis 89 dB ausgesetzt.
Der HNO-Arzt Dr. W. zeigte der beklagten Berufsgenossenschaft (BG) am 16. Oktober 1978 unter Vorlage eines Tonschwellenaudiogramms eine seit 1964 bestehende Lärmschwerhörigkeit an. Die Ermittlungen der BG ergaben ua, daß der Kläger im Jahre 1960 von Dr. T. wegen einer akuten Otitis media rechts und eines Tuben-Mittelohrkatarrhs links behandelt worden war. Der mit der Begutachtung betraute Direktor der HNO-Universitätsklinik T. , Prof. Dr. P. , stellte in seinem Gutachten vom 6. Februar 1980 eine rechts an Taubheit grenzende, links hochgradige reine Innenohrschwerhörigkeit fest. Nach den Untersuchungsergebnissen - sensori-neuraler Hörverlust mit überwiegend retrocochleärer Komponente - und aufgrund der Asymmetrie der Innenohrschwerhörigkeit, die nach der Fachliteratur nicht einer lärmbedingten Innenohrschwerhörigkeit entspräche, sei rechtsseitig nur ein geringer Teil der Lärmeinwirkung zuzuordnen. Linksseitig könne man die Hörkurve einer Lärmschwerhörigkeit zuordnen, wobei hier ebenso eine retrocochleäre Komponente abzuziehen sei. Eine korrekte Trennung zwischen endogen-degenerativer Schwerhörigkeit und lärmbedingter cochleärer Schwerhörigkeit sei nicht möglich. Aufgrund 30-jähriger Einwirkung gehörschädigenden Lärms sei bei einer Gesamt-MdE um 50 vH der lärmbedingte Anteil mit 20 vH zu schätzen.
Zusätzlich erstatteten im Auftrag der BG Prof. Dr. B. und Prof. Dr. Wi. von der HNO-Klinik der Universität H. am 29. Juni 1982 ein Gutachten. Danach habe beim Vergleich der Hörprüfungsergebnisse in den Jahren 1978, 1980 und 1982 die Schwerhörigkeit progredient zugenommen, insbesondere seit der Begutachtung in der T. HNO-Universitäts-Klinik im Februar 1980, obwohl der Kläger seit 1. Oktober 1980 im Ruhestand sei. Aufgrund dessen sei die Schwerhörigkeit überwiegend auf einen degenerativen Prozeß zurückzuführen. Ein geringer Lärmanteil sei nicht sicher auszuschließen, da der SISI-Test und Langenbeck-Test links für einen Haarzellschaden sprächen, wie man ihn bei einer Lärmschwerhörigkeit finde. Aufgrund der raschen Progredienz der Schwerhörigkeit bei fehlender Lärmexposition in den letzten zwei Jahren sowie wegen der starken Asymmetrie der Schwerhörigkeit und des Kurvenverlaufs im Tonschwellenaudiogramm sei der lärmbedingte Anteil mit unter 10 vH einzuschätzen. Dieser Beurteilung pflichtete der Arzt für Arbeitsmedizin, Prof. Dr. W. , sowie Regierungsmedizinalrat Dr. O. vom gewerbeärztlichen Dienst des Gewerbeaufsichtsamtes F. bei.
Die Beklagte erkannte mit Bescheid vom 24. September 1982 eine Lärmschwerhörigkeit als BK nach Nr 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) an, lehnte aber Entschädigungsleistungen ab, da die Lärmschwerhörigkeit keine meßbare Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bedinge.
Dagegen wandte sich der Kläger mit seinem Widerspruch, der mit seiner Zustimmung dem Sozialgericht (SG) als Klage weitergeleitet wurde. Der als Sachverständige gehörte Leiter der HNO-Klinik der Universität U. , Prof. Dr. Pf. , ging in seinem Gutachten vom 28. Juni 1983 von einer Progredienzbeschleunigung zwischen 1968/70 und 1978 aus, die durch einen zusätzlichen "degenerativen" Prozeß erklärt werden könne. Seit 1978 habe das Gehör sich konstant gehalten. Die seit dem Jahre 1978 aufgezeichneten Audiogramme seien bei einer derart hochgradigen Schwerhörigkeit durchgeführt worden, daß eine Abgrenzung zwischen Haarzelltyp und retrolabyrinthärem Typ nicht mehr klar möglich sei. Darauf seien die widersprechenden Gutachten von 1978, 1980 und 1982 zurückzuführen. Die Abgrenzung des beruflich bedingten Lärmanteils vom degenerativen Anteil sei audiologisch nicht möglich. Wegen der starken Lärmbelastung sowie der Konstanz des Hörschadens seit 1978 lasse sich bei einer Gesamt-MdE von 50 vH ein lärmbedingter Anteil von 20 vH begründen. Nachdem die Beklagte eine kritische Stellungnahme ihres beratenden Arztes Prof. Dr. W. vom 9. Januar 1984 vorgelegt hatte, holte das SG von dem Ärztlichen Direktor der F. HNO-Universitäts-Klinik, Prof. Dr. B. , ein weiteres Sachverständigengutachten ein, das dieser am 30. August 1984 erstellte. Nach seiner Auffassung habe im Gegensatz zu Prof. Dr. W. eine deutliche und beträchtliche Verschlimmerung des Hörvermögens seit 1977 nicht stattgefunden. Auf dem linken Ohr bestünde ein cochleärer Schaden, der infolge der 30-jährigen Lärmeinwirkung als Lärmschaden anzusehen sei. Auf dem rechten Ohr sei eine sichere Differenzierung nicht möglich. Da jedoch als einzige Noxe eine 30-jährige Lärmbelastung bekannt sei, sei die Schwerhörigkeit vorwiegend Folge der Lärmeinwirkung. Die Lärmschwerhörigkeit sei auf 30 vH zu schätzen. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 7. April 1986 führte Prof. Dr. B. aus, die im Jahre 1960 durchgemachte Mittelohrentzündung auf dem rechten Ohr könne - wenn auch selten - eine Innenohrschädigung zur Folge gehabt haben. Nach der von der Beklagten vorgelegten Stellungnahme der Professoren Dr. B. und Dr. W. vom 15. Mai 1986 spräche für einen lärmbedingten Innenohrschaden die Tatsache, daß der Kläger 20 Jahre lang einem Beurteilungsschallpegel von 90 bis 95 dB und weitere 12 Jahre von 85 bis 89 dB ausgesetzt gewesen sei und der zeitweise positiv ausgefallene SISI-Test und der Langenbeck-Test. Gegen den Lärmschaden seien die Seitendifferenz der Schwerhörigkeit und ihre jedenfalls leichte Progredienz auch nach Aufgabe der lärmschädlichen Berufsarbeit anzuführen. Insbesondere die langsam-progrediente Minderung der Funktion der Gleichgewichtsorgane mit subjektivem Schwindel, wie sie anläßlich der Untersuchungen in T. , H. , U. und F. festgestellt worden seien, sei für eine Lärmschwerhörigkeit absolut untypisch. Daraus folge, daß es sich überwiegend um einen degenerativen Prozeß handele mit einem Lärmanteil an der Schwerhörigkeit unter 10 vH. Aufgrund der in den letzten Jahren zunehmenden Erregbarkeitsminderung der Gleichgewichtsorgane wäre es interessant, in ein bis zwei Jahren nochmals das Gehör des Klägers zu prüfen, ob nicht doch eine entscheidende Progredienz der Schwerhörigkeit einsetze.
Das SG hat daraufhin die Klage abgewiesen (Urteil vom 30. September 1986). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 24. September 1987). Zur Begründung führt das Berufungsgericht ua aus, es lasse sich nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit feststellen, daß die durch die BK bedingte Lärmschwerhörigkeit den rentenberechtigenden Grad um 20 vH erreiche. Die gehörten Ärzte seien sich dahingehend einig, daß eine exakte Abgrenzung zwischen dem auf Lärmeinwirkung beruhenden und dem auf einen degenerativen Prozeß zurückzuführenden Anteil nicht möglich sei. Prof. Dr. B. und Prof. Dr. W. hätten in ihrem urkundenbeweislich verwerteten Gutachten vom 29. Juni 1982 mit der ergänzenden Stellungnahme vom 15. Mai 1986 überzeugend die für und gegen einen lärmbedingten Innenohrschaden sprechenden Umstände aufgezeigt. Auch nach Prof. Dr. Pf. handele es sich bei dem Nachlassen des Gleichgewichtsorgans rechts um die Auswirkungen einer degenerativen, berufslärmunabhängigen Erkrankung des Gehörs. Die von Prof. Dr. B. gefundene, lediglich leichte Verschlechterung des Gehörs seit 1980 stünde der Annahme eines degenerativen Prozesses nicht entgegen. Demgegenüber habe Prof. Dr. Pf. das allmähliche Nachlassen des Gleichgewichtsorgans in seiner Beurteilung unberücksichtigt gelassen. Ebenso habe Prof. Dr. B. die fehlende Symmetrie der Hörstörung nicht ausreichend gewürdigt. Richtig sei, daß Elster in "Berufskrankheitenrecht", 4. Lieferung Mai 1986, S 138/6 ff die Meinung vertrete, der Gehörschaden sei in seiner Gesamtheit zu entschädigen, wenn der Innenohrschaden aufgrund konkurrierender Umstände entstanden sei und lärmbedingte Faktoren im Sinne einer wesentlich mitwirkenden Verursachung zu dem Eintritt des Gesamtschadens geführt hätten. Es sei nicht zu erkennen, inwiefern eine Wechselwirkung zwischen Lärmeinwirkung und sonstigen Ursachen bestanden habe. Bei fehlender Abgrenzbarkeit müsse die Nichterweislichkeit anspruchsbegründender Tatsachen zu Lasten des eine Leistung begehrenden Versicherten gehen. Wegen der in Teilen des Schrifttums vertretenen, mit der Rechtsprechung des BSG unvereinbaren Auffassung zur Verteilung der Beweislast bei fehlender Abgrenzbarkeit lärmbedingter und sonstiger Komponenten der Schwerhörigkeit sei die Revision zuzulassen.
Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung materiellen Rechts und Verfahrensrechts (§ 581 Reichsversicherungsordnung -RVO-, § 128 Abs 1 Satz 1, § 103, § 118 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG- iVm § 15 ff Zivilprozeßordnung -ZPO-). Die auf Veranlassung der Beklagten erstattete und im Verlauf des Klageverfahrens eingereichte Stellungnahme von Prof. Dr. B. /Prof. Dr. W. vom 15. Mai 1986 könne nicht, wie seitens des LSG geschehen, als Urkundenbeweis Verwertung finden. Diese Unterlage sei lediglich als Privatgutachten und nicht als Gutachten zu werten und habe somit nicht die Beweiskraft, ein vom Gericht eingeholtes Sachverständigengutachten zu entkräften. Das Berufungsgericht könne das Vorbringen der Beteiligten bei seiner Überzeugungsbildung berücksichtigen, aufgetretene Zweifel müßten dann aber durch eine ergänzende Stellungnahme der bestellten Sachverständigen geklärt werden. Indem das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung ausschließlich auf die Stellungnahme der Professoren Dr. B. und Dr. W. abhebe, habe es seine Pflicht zur Sachaufklärung sowie das Recht auf freie richterliche Beweiswürdigung verletzt. Auf diesen Verfahrensverstößen beruhe das angefochtene Urteil. Ohne Berücksichtigung der von der Beklagten eingereichten ärztlichen Stellungnahme hätte das Berufungsverfahren auf der Grundlage der eingeholten Sachverständigengutachten einen für den Kläger günstigen Verlauf genommen. Zudem sei bei einer 32-jährigen erheblichen Lärmeinwirkung nach dem Beweis des ersten Anscheins davon auszugehen, daß der gesamte Hörschaden mit Wahrscheinlichkeit darauf beruhe. Bei fehlender Abgrenzbarkeit lärmbedingter und lärmunabhängiger Ursachen sei stets der Gesamthörverlust zu entschädigen. Eine daraus resultierende Beweisnot könne nicht zu Lasten des Klägers gehen, wenn es dem Unfallversicherungsträger nicht möglich sei, anspruchshindernde Tatsachen festzustellen, welcher Schadensanteil dem konkurrierenden Mitfaktor zuzurechnen sei.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des SG und LSG aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ab Antragstellung eine Teilrente in Höhe von 50 vH der Vollrente, zumindest von 20 vH der Vollrente zu gewähren, hilfsweise das angefochtene Urteil des Berufungsgerichts aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Berufungsurteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers hat insoweit Erfolg, als entsprechend seinem Hilfsantrag das Urteil des LSG aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen ist. Das Berufungsgericht ist in nicht verfahrensfehlerfreier Weise davon ausgegangen, daß beim Kläger ein lärmbedingter Anteil der Schwerhörigkeit unterhalb eines rentenberechtigenden Grades der MdE (§ 581 Abs 1 Nr 2 RVO) bestehe und demgemäß Verletztenrente zu versagen sei. Der aufgrund dessen notwendigen Zurückverweisung an das Berufungsgericht steht nicht entgegen, daß die Revisionszulassung mit einer Rechtsfrage (hier grundsätzliche Bedeutung: § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) begründet ist (BSG SozR Nr 170 zu § 162 SGG; BSG SozSich 84, 29; Meyer-Ladewig, SGG, 3. Aufl, § 160 RdNr 26; Hennig/Danckwerts/ König, Sozialgerichtsgesetz, 33. Ergänzung, Anm 6.3 zu § 160).
Die Gewährung einer Verletztenrente setzt den Eintritt eines Arbeitsunfalles voraus. Als ein solcher gilt nach § 551 Abs 1 RVO auch eine BK, welche die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats durch Rechtsverordnung als solche bezeichnet hat und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Eine BK in diesem Sinne ist nach Anlage 1 Nr 2301 der BKVO vom 20. Juni 1968 (BGBl I 721) in der hier anwendbaren Fassung der Verordnung zur Änderung der 7. BKVO vom 8. Dezember 1976 (BGBl I 3329) die Lärmschwerhörigkeit. Sie ist von der Beklagten rechtsverbindlich anerkannt und somit für die Beteiligten bindend (§ 77 SGG). Für diese Anerkennung war erheblich, daß der Kläger während seiner Berufstätigkeit von 1948 bis 1968 einem Beurteilungsschallpegel von 90 bis 95 dB und danach bis Anfang 1980 einem solchen von 85 bis 89 dB ausgesetzt war. Diese berufliche Lärmexposition ist seitens des LSG bindend festgestellt (§ 163 SGG). Dennoch meint das Berufungsgericht, es lasse sich nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit feststellen, daß die durch die Berufstätigkeit bedingte Schwerhörigkeit bei dem Kläger ein solches Ausmaß habe, daß die MdE im rentenberechtigenden Mindestgrad erreicht sei (sog haftungsausfüllende Kausalität). Insoweit stützt es seine Entscheidung allein auf das "urkundenbeweislich verwertete Gutachten" vom 29. Juni 1982 mit der ergänzenden Stellungnahme vom 15. Mai 1986, die beide von den Professoren Dr. B. und Dr. W. verfaßt sind; es hält die entgegenstehende sozialmedizinische Beurteilung der Sachverständigen Prof. Dr. Pf. und Prof. Dr. B. nicht für stichhaltig.
Die vorgenannten ärztlichen Äußerungen der Professoren Dr. B. und Dr. W. sind keine Beweismittel im Sinne des Beweises durch Sachverständige (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Auflage, Band I/2, S 244 o III mwN). Insoweit rügt die Revision zu Recht eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 iVm § 103 SGG. Zwar ist es in der Rechtsprechung grundsätzlich anerkannt, daß schriftliche Äußerungen von Ärzten, die im Verwaltungsverfahren als Gutachten eingeholt werden (§ 21 Abs 1 und 3 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - SGB X) als Urkunde iS des § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 415 ff ZPO verwertet werden können (BSG SozEntsch I/4, § 103 SGG Nr 11); sie sind keine Privatgutachten (SozR Nr 66 zu § 128 SGG). Hierzu rechnet indessen nicht die von der Beklagten eingereichte Stellungnahme, in der sich die Professoren Dr. B. und Dr. W. mit den Sachverständigengutachten der Professoren Dr. Pf. und Dr. B. kritisch auseinandersetzen. Ein von einer Partei in Auftrag gegebenes Gutachten oder eine gutachtliche Stellungnahme ist, jedenfalls sofern sie von einem Beteiligten in das gerichtliche Verfahren eingebracht wird, in erster Linie Bestandteil des Parteivorbringens und wie dieses zu würdigen (Meyer-Ladewig, SGG, 3. Aufl, Anm 12 zu § 118; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 14. Aufl, § 124 II 4; Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann, Zivilprozeßordnung, 47. Aufl, Anm 5 zu §401). Ein solches auf ein sogenanntes "Privatgutachten" gestütztes Vorbringen eines Beteiligten ist, sofern entscheidungserheblich, bei der Überzeugungsbildung des Gerichts zu berücksichtigen (BSG SozR Nr 68 zu § 128 SGG); es kann gegebenenfalls auch allein als Entscheidungsgrundlage dienen (BSG SozR Nr 3 zu § 118 SGG).
Indessen hat das LSG, wie die Revision zutreffend rügt, die Grenzen seines Rechts auf freie richterliche Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 SGG: BSGE 10, 46, 48) überschritten. Es hat der ärztlichen Stellungnahme der Professoren Dr. B. und Dr. W. den Vorrang gegenüber dem Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. Pf. und Prof. Dr. B. eingeräumt, ohne im einzelnen darzutun, welche Gründe leitend gewesen sind, gerade dieser ärztlichen Äußerung zu folgen und sie allein zur Grundlage der Entscheidung zu machen und weshalb nicht die im gerichtlichen Verfahren bestellten gerichtlichen Sachverständigen oder wenigstens einer von ihnen zu dieser Stellungnahme gehört wurden. Hierzu hätte um so mehr Anlaß bestanden, da sowohl die Verfasser der Stellungnahme wie auch die gehörten Sachverständigen als Universitätsprofessoren eine hohe Sachkunde besitzen, mithin nicht von vornherein von einem unterschiedlichen Beweiswert ausgegangen werden kann. Deshalb kann auf ein näheres Eingehen darauf, weshalb das LSG den Äußerungen der Professoren Dr. B. und Dr. W. gefolgt ist, auch nicht deswegen verzichtet werden, weil sich diese Ärzte kritisch mit dem Gutachten der Sachverständigen auseinandergesetzt haben. Diese Umstände allein sind keine ausreichende verfahrensrechtliche Rechtfertigung, ohne weitere Ermittlungen abschließend über den Streitgegenstand zu entscheiden. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Einschränkung der Gleichgewichtsfunktion, die den Professoren Dr. B. und Dr. W. als entscheidendes Argument für ihre These diente, beim Kläger bestehe trotz einer langjährigen Lärmexposition eine darauf bezogen nur geringfügige Schwerhörigkeit. Ersichtlich sind lediglich Professor Dr. B. und Prof. Dr. W. darauf eingegangen, während die Sachverständigen Professor Dr. Pf. und Professor Dr. B. demgegenüber die Beeinträchtigung der Gleichgewichtsfunktion zwar festgestellt und somit nicht übersehen, dem aber keine Beachtung geschenkt haben. Dies könnte dafür sprechen, daß sie im Gegensatz zu den Professoren Dr. B. und Dr. W. daraus keine Erkenntnisse für einen degenerativen Prozeß zu gewinnen vermochten. Bei dieser noch nicht ausreichenden Abklärung war es geboten, die gehörten Sachverständigen, zumindest einen von ihnen, zur Ergänzung ihres Gutachtens anzuhalten. Das erfordert die den Sozialgerichten von Amts wegen auferlegte Sachermittlungspflicht (§ 103 SGG), auf deren Verletzung der Kläger seine Revision zutreffend stützt. Sollte diese Ergänzung dennoch nicht als genügende Entscheidungsgrundlage dienen können, wäre ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen (BGH VersR 1981, 577).
Aus diesen Gründen erscheint es bei dem derzeitigen Erkenntnisstand nicht zulässig, die Asymmetrie der Hörminderung als Beweis für eine degenerative Entwicklung anzuführen. Der Sachverständige Professor Dr. B. deutete hierzu an, daß die unterschiedliche Hörminderung mit der durchgemachten Otitis media rechts erklärt werden könnte. Vorausgesetzt diese Annahme träfe zu, entfiele ein für die degenerative Entwicklung sprechendes Argument. Ebenso scheint die Zunahme der Hörminderung während und insbesondere nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben besonderen Aussagewert für die Frage zu besitzen, ob die Hörminderung zum Teil oder in ihrer Gesamtheit auf eine 32jährige Lärmexposition mit Wahrscheinlichkeit zu beziehen ist. Es ist daher unumgänglich, insoweit Feststellungen zu treffen, die nach Möglichkeit jeglichen Zweifel ausschließen. Derzeit besteht offenbar in der Beurteilung der tatsächlich eingetretenen Hörverschlechterung nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben eine nicht unerhebliche Schwankungsbreite, so daß jedenfalls bei dem derzeitigen Sachstand nicht sicher auf eine vorwiegend degenerative Entwicklung zu schließen sein dürfte.
Auf diesen vom Kläger aufgezeigten Verfahrensmängeln kann das angefochtene Urteil beruhen. Es ist nicht auszuschließen, daß dem Kläger nach weiteren Sachermittlungen wegen der anerkannten Lärmschwerhörigkeit Verletztenrente zusteht.
Nachdem es noch einer abschließenden medizinischen Klärung bedarf, läßt sich nicht absehen, welche Rechtsfragen letztlich entscheidungserheblich sein werden. Von einer Erörterung derselben ist deshalb abzusehen.
Im übrigen sei angemerkt, daß für die Entschädigung von Berufskrankheiten die Grundsätze für die Entschädigung von Arbeitsunfällen nach dem Dritten Buch der RVO entsprechend gelten (BSGE 39, 49 ff = SozR 2200 § 622 Nr 3). Wie bei der Bemessung der MdE im einzelnen zu verfahren ist, haben Rechtsprechung und Schrifttum eingehend dargelegt (so ua Urteil des Senats SozR 2200 § 581 Nr 23 mit zahlreichen Nachweisen). Danach haben ua ärztliche Meinungsäußerung darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, keine verbindliche Wirkung; sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf bezieht, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch Unfallfolgen beeinträchtigt sind.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem Berufungsgericht vorbehalten.
Fundstellen