Verfahrensgang
LSG Hamburg (Urteil vom 19.09.1991) |
SG Hamburg (Urteil vom 20.06.1990) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 19. September 1991 und das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 20. Juni 1990 sowie der Bescheid der Beklagten vom 17. Januar 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Mai 1989 aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ab 13. Januar 1989 für 78 Wochen Krankengeld zu gewähren.
Die Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten für das gesamte Verfahren zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die beklagte Krankenkasse der Klägerin ab 13. Januar 1989 für 78 Wochen Krankengeld zu gewähren hat.
Die 1932 geborene Klägerin war seit 1965 aufgrund einer vollschichtigen, versicherungspflichtigen Beschäftigung als Raumpflegerin Mitglied der Beklagten. Ab 13. Januar 1986 bestand bei ihr wegen einer Gastroduodenitis Arbeitsunfähigkeit. Im Februar 1986 kamen eine Facialis-Neuralgie und Anfang März 1986 ein Halswirbelsäulen-Syndrom mit multiplen Arthralgien hinzu. Das Krankheitsbild wurde außerdem von einer Fettstoffwechselstörung, einer beginnenden Coxarthrose beiderseits und Hypertonie bestimmt. Vom 23. Oktober bis 20. November 1986 gewährte die Landesversicherungsanstalt Freie und Hansestadt Hamburg (LVA) der Klägerin wegen dieser Leiden ein Heilverfahren, aus dem sie als arbeitsfähig nach einer Schonzeit bis zum 27. November 1986 entlassen wurde. Für die Zeit ab 28. November 1986 hielt ihr Hausarzt sie jedoch weiter wegen eines rezidivierenden Hals- und Lendenwirbelsäulen-Syndroms und Hypertonie für arbeitsunfähig. Vertrauensärztliche Untersuchungen bestätigten diesen Befund.
In der dreijährigen Rahmenfrist vom 13. Januar 1986 bis 12. Januar 1989 bezog die Klägerin vom 24. Februar 1986 bis 12. Juli 1987 Krankengeld bzw Übergangsgeld. Am 28. April 1987 beantragte sie bei der LVA die Gewährung einer Rente wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit. Gegen die ablehnende Entscheidung erhob sie erfolglos Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hamburg. Der Rentenversicherungsträger hat sich inzwischen durch Vergleich verpflichtet, der Klägerin ab 1. August 1992 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren.
Den im Januar 1989 gestellten Antrag der Klägerin, ihr mit Beginn der zweiten Blockfrist ab 13. Januar 1989 erneut Krankengeld zu zahlen, lehnte die beklagte Krankenkasse ab (Bescheid vom 17. Januar 1989 und Widerspruchsbescheid vom 3. Mai 1989). Klage und Berufung hatten keinen Erfolg (Urteil des SG Hamburg vom 20. Juni 1990 und Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Hamburg vom 19. September 1991). In dem Urteil des LSG wird zur Begründung ua ausgeführt: Die Klägerin erfülle nicht die Voraussetzungen des § 48 Abs 2 des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB V). Sie sei zwar wegen derselben Krankheit, für die sie in der Rahmenfrist vom 13. Januar 1986 bis 12. Januar 1989 für 78 Wochen Krankengeld bzw das auf die Bezugszeit anzurechnende Übergangsgeld bezogen habe, weiter arbeitsunfähig. Denn sie könne aufgrund ihrer Leiden, insbesondere auf orthopädischem Gebiet, nämlich einer Fehlform und Fehlhaltung der Wirbelsäule mit rezidivierenden Hals- und Lendenwirbelsäulen-Beschwerden und endgradiger Bewegungseinschränkung in beiden Schultergelenken, die Tätigkeit als Raumpflegerin nicht mehr ausüben. Diese Leiden hätten zwar nicht im Januar 1986 die Arbeitsunfähigkeit bedingt. Sie seien jedoch während der wegen Gastroduodenitis bescheinigten Arbeitsunfähigkeit hinzugetreten und begründeten daher keinen neuen Versicherungsfall. Als pflichtversicherte Rentenantragstellerin sei die Klägerin in der hier maßgeblichen Zeit jedoch nicht mit Anspruch auf Krankengeld versichert. Außerdem bestehe die Arbeitsunfähigkeit wegen der genannten Erkrankungen seit dem Ende der Krankengeldzahlung am 12. Juli 1987 ununterbrochen fort. Die Klägerin habe zwischenzeitlich auch weder eine Erwerbstätigkeit ausgeübt noch der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestanden.
Der geltend gemachte Anspruch könne auch nicht auf die Krankengeldvorschriften gestützt werden, die bis zum 31. Dezember 1988 gegolten hätten. Das Gesundheits-Reformgesetz (GRG) enthalte keine Übergangsregelung für die vor dem 1. Januar 1989 eingetretenen Versicherungsfälle.
Die Neuregelung sei – entgegen der Auffassung der Klägerin – auch nicht verfassungswidrig. Insbesondere verletze sie nicht die Eigentumsgarantie des Art 14 Abs 1 des Grundgesetzes (GG). Wenn es für die Altfälle eine Übergangsregelung gäbe, hätte sich die Klägerin wegen der bei ihr vorliegenden durchgehenden Arbeitsunfähigkeit nicht auf die neue Rechtslage einstellen können. Aus dem gleichen Grunde lasse sich das Klagebegehren auch nicht auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch stützen.
Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 44 iVm § 48 Abs 2 SGB V und des Art 14 Abs 1 GG. Mit der Vorschrift des § 48 Abs 2 SGB V habe der Gesetzgeber in unzulässiger Weise in eine eigentumsgeschützte Rechtsposition derjenigen Versicherten eingegriffen, die bei Inkrafttreten des neuen Rechts arbeitsunfähig gewesen seien. Die Verfassungswidrigkeit wäre nur durch eine Übergangsregelung zu vermeiden gewesen. Die Ansicht des LSG, eine Übergangsregelung hätte erst ab 1. Januar 1992 eine finanzielle Entlastung der Krankenkassen ermöglicht, gehe an der Sache vorbei. Die Gesundheitsreform habe angesichts der weiter steigenden Beiträge ihr Ziel in nahezu jeder Hinsicht verfehlt. Müsse man aber zum Zeitpunkt der Entscheidung davon ausgehen, daß die aufgrund der Rechtsänderung eingeschränkten Leistungen nicht die drohende Zahlungsunfähigkeit der Leistungserbringer bedingten, seien an die Voraussetzungen, unter denen der Gesetzgeber in das Leistungsrecht ohne Übergangsregelung eingreifen dürfe, besonders hohe Anforderungen zu stellen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 19. September 1991 sowie das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 20. Juni 1990 und den Bescheid der Beklagten vom 17. Januar 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Mai 1989 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ab 13. Januar 1989 für 78 Wochen Krankengeld zu gewähren,
hilfsweise,
gemäß Art 100 GG das Verfahren auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorzulegen, ob § 48 Abs 2 SGB V insoweit mit Art 14 Abs 1 GG vereinbar ist, als auch bei Versicherten, bei denen der Versicherungsfall vor dem Inkrafttreten des Gesundheits-Reformgesetzes eingetreten ist und die auf Dauer arbeitsunfähig sind, ohne daß sie einen Anspruch auf Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung haben, der Krankengeldanspruch nur unter den erschwerten Bedingungen des neuen Rechts wiederaufleben kann.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin hat Erfolg. Entgegen der Auffassung des LSG scheitert der geltend gemachte Anspruch nicht an den Voraussetzungen des § 48 Abs 2 SGB V. Der Anwendung dieser Vorschrift steht entgegen, daß die Klägerin in der vorhergehenden Blockfrist nicht für 78 Wochen Krankengeld wegen derselben Krankheit bezogen hat, derentwegen sie seit 13. Januar 1989 arbeitsunfähig ist und Krankengeld begehrt.
Versicherte haben Anspruch auf Krankengeld, wenn eine Krankheit sie arbeitsunfähig macht (§ 182 Abs 1 Nr 2 Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫ aF = § 44 Abs 1 Satz 1 SGB V). Das Krankengeld wird zwar grundsätzlich ohne zeitliche Begrenzung gewährt, für den Fall der Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit jedoch für längstens 78 Wochen innerhalb von je drei Jahren, gerechnet vom Tag des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an (§ 183 Abs 2 RVO aF = § 48 Abs 1 Satz 1 SGB V). Tritt während der Arbeitsunfähigkeit eine weitere Krankheit hinzu, wird die Leistungsdauer nicht verlängert (§ 183 Abs 2 Satz 2 RVO aF = § 48 Abs 1 Satz 2 SGB V). Aus diesen im alten wie im neuen Recht gleichlautenden Regelungen ergibt sich, daß der Grundsatz der unbeschränkten Krankengeldgewährung für die praktisch wichtigsten Fälle, daß nämlich die Arbeitsunfähigkeit auf derselben oder einer während der Arbeitsunfähigkeit hinzugetretenen weiteren Krankheit beruht, auf 78 Wochen beschränkt ist. Dabei wird zwischen der (ersten) Krankheit und der hinzugetretenen (weiteren) Krankheit rechtlich grundsätzlich kein Unterschied gemacht. Die schon bestehende, also „dieselbe” Krankheit und die hinzugetretene Krankheit bilden eine Einheit, ohne daß es darauf ankommt, ob die hinzugetretene allein oder nur zusammen mit der ersten Krankheit Arbeitsunfähigkeit herbeiführt. Die weitere Krankheit verlängert nicht die Leistungsdauer und setzt auch nicht – wie eine nach Beendigung der vorhergehenden Arbeitsunfähigkeit eingetretene neue Krankheit mit erneuter Arbeitsunfähigkeit -einen neuen Dreijahreszeitraum in Gang. Allerdings kann eine hinzugetretene Krankheit für spätere Bezugszeiten in einem neuen Dreijahreszeitraum bedeutsam sein, wenn sie dann für sich allein die Arbeitsunfähigkeit bedingt bzw nach Wegfall der ersten Krankheit die – alleinige – Ursache der Arbeitsunfähigkeit ist (vgl Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Teil II, § 183 S 17/347): Wäre zB eine weitere Krankheit während des Krankengeldbezugs oder der danach fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit hinzugetreten und wäre die Arbeitsunfähigkeit in der neuen Blockfrist nur noch auf die hinzugetretene Krankheit zurückzuführen, wäre – wie der erkennende Senat bereits in dem Urteil vom 26. November 1991 -1/3 RK 19/90- ausgeführt hat – mit der hinzugetretenen als „derselben” Krankheit die Bezugszeit von 78 Wochen wegen dieser Krankheit in der vorhergehenden Blockfrist noch nicht verbraucht. Dann kann der geltend gemachte Krankengeldanspruch für die neue Blockfrist nicht an § 48 Abs 2 SGB V scheitern. Denn diese Vorschrift ist nur auf Versicherte anzuwenden, die im letzten Dreijahreszeitraum „wegen derselben Krankheit” für 78 Wochen Krankengeld bezogen haben.
Nach den von den Beteiligten nicht angegriffenen und daher für den Senat bindenden Tatsachenfeststellungen (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫) bestand bei der Klägerin in dem vorhergehenden Dreijahreszeitraum vom 13. Januar 1986 bis 12. Januar 1989 zunächst Arbeitsunfähigkeit wegen einer Gastroduodenitis. Erst im März 1986 kam ein Halswirbelsäulen-Syndrom mit multiplen Arthralgien hinzu. In dem darauffolgenden Dreijahreszeitraum ab 13. Januar 1989 wurde die Arbeitsunfähigkeit indessen nicht mehr von der Gastroduodenitis hervorgerufen, sondern durch die hinzugetretenen Leiden.
Wenn das LSG gleichwohl davon ausgegangen ist, daß die Klägerin während der vorhergehenden Blockfrist wegen derselben Krankheit bereits für 78 Wochen (einschließlich des auf die Leistungsdauer anrechenbaren Übergangsgeldbezugs) Krankengeld bezogen hat, so handelt es sich hierbei nicht um eine Tatsachenfeststellung, an die der Senat gemäß § 163 SGG gebunden wäre, sondern um eine Auslegung des Begriffs „derselben” Krankheit iS von § 48 Abs 2 SGB V, den das LSG verkannt hat. Das LSG hat – entgegen der schon genannten Rechtsprechung des erkennenden Senats – bei der Anwendung des § 48 Abs 2 SGB V nicht differenziert zwischen einer die Arbeitsunfähigkeit zunächst hervorrufenden Krankheit und einer später hinzugetretenen Krankheit und dies damit begründet, es sei durch den Hinzutritt der weiteren Krankheit kein neuer Versicherungsfall eingetreten. Darauf kommt es indessen in dem hier maßgeblichen Zusammenhang nicht an. Maßgeblich für § 48 Abs 2 SGB V ist vielmehr, ob wegen „derselben” Krankheit, die in der neuen Blockfrist besteht, in der vorhergehenden Blockfrist für 78 Wochen Krankengeld bezogen worden ist. In § 48 Abs 2 SGB V ist nicht geregelt, daß unter derselben Krankheit auch die „hinzugetretene” Krankheit zu verstehen ist, dh die hinzugetretene mit „derselben” identisch ist. Daraus folgt aber: Der Versicherte hat in einem weiteren Dreijahreszeitraum erneut Anspruch auf Krankengeld, ohne die verschärften Voraussetzungen des § 48 Abs 2 SGB V erfüllen zu müssen, wenn in der vorhergehenden Blockfrist während des Krankengeldbezugs die Arbeitsunfähigkeit – wie hier – zeitweise nur durch die hinzugetretene Krankheit bedingt war.
Ist damit § 48 Abs 2 SGB V im vorliegenden Falle nicht anwendbar, so richtet sich das Wiederaufleben des Krankengeldanspruchs nach § 48 Abs 1 SGB V. Diese Vorschrift stimmt inhaltlich mit der Regelung des § 183 Abs 2 RVO aF überein. Deshalb sind die Grundsätze, die die Rechtsprechung zum alten Recht entwickelt hat, auch für die Anwendung des § 48 Abs 1 SGB V maßgebend. Danach muß der Versicherte bei Beginn einer neuen Blockfrist die bestehende Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse melden (BSGE 38, 133, 135 = SozR 2200 § 182 Nr 7 und BSGE 56, 13, 15 = SozR 2200 § 216 Nr 7). Ferner ist es erforderlich, daß der Arbeitsunfähige der Krankenkasse als Mitglied angehört (BSGE 51, 281, 282 = SozR 2200 § 183 Nr 35). Dabei spielt es rechtlich keine Rolle, ob es sich um eine Mitgliedschaft mit oder ohne Krankengeldanspruch handelt (BSG, Urteil vom 2. Februar 1983 – 3 RK 63/80 – USK 8307 = EzS 90/116).
Die Klägerin erfüllt diese Voraussetzungen. Sie war in der hier streitigen Zeit ab 13. Januar 1989 arbeitsunfähig. Sie hat dies unter Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Dr. P …, Hamburg, vom 12. Januar 1989 am 13. Januar 1989 der Beklagten gemeldet. Schließlich gehörte sie aufgrund des von ihr am 28. April 1987 gestellten Antrags auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung auch in der Zeit, für die hier Krankengeld begehrt wird, der Beklagten als Mitglied an (vgl dazu § 189 SGB V und § 5 Abs 1 Nrn 11 und 12 SGB V).
Daß der Klägerin aufgrund eines gerichtlichen Vergleichs ab 1. August 1992 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gewährt wird, berührt den geltend gemachten Krankengeldanspruch nicht; denn dieser Anspruch wäre nur dann durch die Leistungen des Rentenversicherungsträgers nach § 50 Abs 1 Nr 1 SGB V ganz oder teilweise entfallen, wenn die Rente für den im vorliegenden Rechtsstreit betroffenen Zeitraum zu zahlen wäre. Das ist aber nicht der Fall.
Der Klage war nach alledem stattzugeben. Dabei konnte der Senat die zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob § 48 Abs 2 SGB V mit dem Grundgesetz in Einklang steht, offenlassen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen