Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückwirkender Verzicht auf knappschaftliche Leistungsanteile?
Leitsatz (redaktionell)
Die Rentenumstellung beseitigt nicht die frühere Feststellung, sondern baut auf ihr auf. Die auf Grund der Neuregelungsgesetze durchzuführende Umstellung der Rente berührte nicht die Grundlagen und Voraussetzungen einer bindend gewordenen früheren Rentenfeststellung; die Umstellung bezweckte allein die Anpassung der Rentenhöhe an die Vorschriften des neuen Rechts. Daran würde auch ein rückwirkender Verzicht nichts ändern.
Normenkette
AnVNG Art. 2 § 30 Fassung: 1957-02-23; ArVNG Art. 2 § 31 Fassung: 1957-02-23; KnVNG Art. 2 § 24 Abs. 1 Fassung: 1957-05-21
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 22. März 1961 wird aufgehoben.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 18. Februar 1959 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beteiligten streiten darüber, in welcher Höhe die Rente des Klägers vom Inkrafttreten der Rentenneuregelungsgesetze (1. Januar 1957) an festzusetzen ist.
Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) bezog der Kläger seit 1953 eine Rente (Gesamtrente) mit Leistungsanteilen aus der Rentenversicherung der Arbeiter (ArV), aus der Rentenversicherung der Angestellten (AnV) und der knappschaftlichen Rentenversicherung (knRV). Die Beklagte stellte diese Rente nach dem für Versicherungsfälle seit dem 1. Januar 1957 geltenden Recht (neue Rentenformel) um; die Rente betrug danach vom 1. Januar 1957 an monatlich 366,50 DM. Der Kläger meinte, seine Rente müsse, soweit die Leistung aus der ArV und der AnV zu gewähren ist, nach Art. 2 § 30 ff des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) umgestellt werden; es ergäbe sich dann ein monatlicher Rentenbetrag von rund 450,- DM. Es dürfe ihm nicht zum Nachteil gereichen, daß er auch Beiträge zur knRV geleistet habe. Er erklärte sich in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht (SG) bereit, auf die Leistungen aus der knRV zu verzichten. Seine Klage wurde jedoch abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hob das LSG - unter Zulassung der Revision - das erstinstanzliche Urteil auf und verpflichtete die Beklagte, dem Kläger "die Umstellungsrente mit Leistungsanteilen lediglich aus der gesetzlichen Rentenversicherung der Angestellten und der Arbeiter ab 1. Januar 1957 (Pauschalberechnung) zu gewähren": Zwar habe die Umstellung der Rente dem Gesetz entsprochen (Art. 2 § 23 Abs. 2, § 24 des Knappschaftsversicherungs-Neuregelungsgesetzes - KnVNG -). Der angefochtene Umstellungsbescheid sei jedoch inzwischen unrichtig geworden, weil der Kläger wirksam rückwirkend auf die Gewährung von Leistungen aus der knRV verzichtet habe. Durch diesen Verzicht habe der Kläger die gesetzlichen Voraussetzungen für die Neuberechnung der Rente aus seinen zur AnV und ArV geleisteten Beiträgen in der sich bei pauschaler Umstellung ergebenden Höhe geschaffen (Urteil vom 22. März 1961).
Die Beklagte legte Revision ein mit dem Antrag,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Nach ihrer Ansicht ist Art. 2 § 23 Abs. 2 KnVNG verletzt; durch diese Bestimmung werde die Neuberechnung der bereits vor der Rentenneuregelung nach knappschaftlichem Recht bindend festgestellten Rente des Klägers zwingend vorgeschrieben. Deshalb könne auch ein Verzicht des Klägers auf den knappschaftlichen Leistungsanteil - soweit er überhaupt zulässig sei - nicht dazu führen, daß die Rente nach dem "pauschalierten Faktorenrecht" umzustellen sei.
Der Kläger beantragte die Zurückweisung der Revision.
Die Beteiligten erklärten sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1, 165 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Die Revision ist zulässig und begründet.
Der erkennende Senat hat sich bereits mehrfach mit der Frage befaßt, nach welchen Vorschriften eine Gesamtrente mit Leistungsanteilen aus der knRV für die Zeit vom 1. Januar 1957 an umzustellen ist; er hat in seinen Urteilen vom 18. Januar 1962 - 1 RA 117/60 (BSG 16, 116) sowie vom 23. April 1963 - 1 RA 69/60 - entschieden, daß die in den Übergangsvorschriften zum AnVNG und Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz (ArVNG) für die pauschale Umstellung sogenannter Alt- oder Bestandsrenten getroffene Regelung - Umstellung nach der Tabelle - nur auf Gesamtrenten mit Steigerungsbeträgen aus der ArV und AnV, nicht dagegen auch auf solche mit Steigerungsbeträgen aus der knRV, angewendet werden kann. Diese Art der Rentenumstellung ist bei Renten mit knappschaftlichen Leistungsanteilen deswegen nicht möglich, weil das Gesetz insoweit stets eine Einzelumrechnung vorsieht (Art. 2 § 24 Abs. 1 KnVNG, § 53 Abs. 1 Reichsknappschaftsgesetz - RKG -). Art. 2 § 23 Abs. 2 KnVNG schreibt - soweit ein Träger der ArV oder der AnV zuständig geworden ist (vgl. Art. 2 § 26 Abs. 1 KnVNG i. V. m. § 102 RKG) - ausdrücklich vor, daß die Umstellung nach den Vorschriften dieser Versicherungszweige "über die Neufeststellung von Renten" unter Anwendung der Vorschriften in den §§ 24, 25 und 29 des Art. 2 zu geschehen habe. Schon diese Formulierung zeigt, daß nicht die Vorschriften in Art. 2 §§ 31 ff ArVNG (= Art. 2 §§ 30 ff AnVNG) über die pauschale Umstellung von Altrenten, sondern die Vorschriften über die Berechnung der Renten nach der neuen Rentenformel (§§ 1255 der Reichsversicherungsordnung - RVO -, 32 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -) gemeint sind. An dieser Auffassung hält der Senat nach nochmaliger Prüfung der Rechtslage auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens des Klägers im vorliegenden Rechtsstreit fest. Die Beklagte hat daher die Rente des Klägers zu Recht nach den Vorschriften des KnVNG umgestellt, und zwar in der Weise, daß sie die Leistungsanteile aus den Rentenversicherungen der AnV und der ArV nach der neuen Rentenformel berechnet, dazu den Anteil aus der knRV nach Art. 2 § 24 Abs. 1 KnVNG (§ 53 Abs. 1 RKG) festgesetzt und hieraus die Gesamtleistung (§ 89 Abs. 2 AVG) gebildet hat (vgl. Bescheid vom 25. April 1958).
Auch das LSG geht davon aus, daß im vorliegenden Falle die Umstellung der Rente den gesetzlichen Vorschriften entsprach. Es meint jedoch, diese Umstellung sei nachträglich unrichtig geworden, weil der Kläger rückwirkend auf die in seiner Rente enthaltenen knappschaftlichen Leistungsanteile wirksam verzichtet und infolge des nachträglichen Wegfalls dieser Leistungsanteile die gesetzlichen Voraussetzungen für eine pauschale Umstellung der Rente geschaffen habe. Dieser Rechtsansicht vermag der Senat nicht zu folgen.
Nach den Feststellungen des LSG hat der Kläger erklärt, er sei bereit, auf die Leistungen der knappschaftlichen Versicherung zu verzichten. Das LSG hat diese "Bereiterklärung" dahin ausgelegt, der Kläger habe damit schon - und zwar rückwirkend zum 1. Januar 1957 - auf die Leistungen aus seinen Beiträgen zur knappschaftlichen Versicherung verzichtet. Ob diese Auslegung zutrifft und ob ein solcher Verzicht zulässig ist, braucht nicht weiter geprüft zu werden. Denn selbst wenn die Erklärung des Klägers im Sinne der Auslegung des LSG aufzufassen wäre und einen zulässigen Verzicht enthielte, würde er dem Kläger nichts nützen; denn der Verzicht auf den knappschaftlichen Anteil der Rente vom 1. Januar 1957 an ändert nichts an der Rechtmäßigkeit der Rentenumstellung nach Art. 2 § 23 KnVNG, wie sie die Beklagte vorgenommen hat. Diese ist insoweit zu Recht von einer Rente ausgegangen, die nach dem bis zum Inkrafttreten der Rentenneuregelungsgesetze geltenden Recht bindend festgestellt war. Aber auch wenn unterstellt würde, der Kläger habe auf die Leistungen aus der knappschaftlichen Versicherung auch für Zeiten vor dem 1. Januar 1957 verzichtet - das LSG hat allerdings einen solchen Verzichtwillen des Klägers nicht festgestellt - so könnte das nicht dazu führen, daß der Rentenumstellung eine andere als die dem Kläger bis zur Rentenreform gewährte Gesamtrente mit dem Leistungsanteil aus der knRV zugrunde zu legen wäre. Das LSG glaubt, der früheren Feststellung der Gesamtrente sei deswegen keine Bedeutung beizumessen, weil die Rentenumstellung noch nicht zu bindend festgestellten Leistungen geführt habe. Dabei wird jedoch verkannt, daß dann auch keil Raum ist für die Anwendung des Art. 2 § 30 ff AnVNG; denn in § 30 Abs. 1 dieses Art. wird gerade vorausgesetzt, daß es sich um Renten handelt, die - ohne knappschaftlichen Leistungsanteil - "nach dem bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes geltenden Recht festgestellt sind oder noch festgestellt werden." Die Rentenumstellung beseitigt aber nicht die frühere Feststellung, sondern baut auf ihr auf. Die auf Grund der Neuregelungsgesetze durchzuführende Umstellung der Rente berührte nicht die Grundlagen und Voraussetzungen einer bindend gewordenen früheren Rentenfeststellung; die Umstellung bezweckte allein die Anpassung der Rentenhöhe an die Vorschriften des neuen Rechts. Daran würde auch ein rückwirkender Verzicht nichts ändern; denn ihm müßte erst noch eine Neufeststellung für die Zeit vor 1957 unter Wegfall des knappschaftlichen Leistungsanteils folgen. Auf den Umstellungsbescheid der Beklagten vom 25. April 1958 und den Umstand, daß dieser im Zeitpunkt des Verzichts des Klägers noch nicht bindend geworden war, kommt es daher im vorliegenden Fall rechtlich nicht entscheidend an.
Das Ergebnis mag für den Kläger schwer verständlich sein, weil er ohne den knappschaftlichen Leistungsanteil in seiner Rente eine für ihn günstigere Rentenumstellung erhalten hätte. Seine Benachteiligung ist aber allein darauf zurückzuführen, daß das KnVNG, nach dem die Rente des Klägers vom 1. Januar 1957 an umzustellen ist, keine pauschale Umstellung (wie in der ArV und AnV), sondern nur die Einzelberechnung der Rente vorsieht. Diesen Gesetzeswillen haben die Gerichte zu beachten (BSG 2, 168). Der Senat hat auch schon entschieden, daß diese Regelung nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG) verstößt (BSG 16, 116).
Das Urteil des LSG ist somit aufzuheben und gleichzeitig die Berufung des Klägers gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen