Leitsatz (redaktionell)
1. Das Anzeigen des Beginns einer mündlichen Verhandlung durch deren Aufruf im Gerichtsgebäude ist nicht ausreichend, vielmehr muß, wenn ein Wartezimmer eingerichtet ist, auch hier ein vorbereitender Aufruf für die Beteiligten erfolgen. Wird dieser Erfordernis nicht Genüge getan, ist das rechtliche Gehör (SGG § 62) verletzt.
2. Wird einer Prozeßpartei das beantragte Armenrecht nicht bewilligt, so ist ihr bei der Versäumung einer gesetzlichen Verfahrensfrist in den Fällen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, in denen sie nach Lage ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse vernünftigerweise mit der Bewilligung des Armenrechts rechnen durfte.
Normenkette
SGG § 62 Fassung: 1953-09-03, § 112 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 Fassung: 1953-09-03; ZPO § 114; SGG § 67 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 7. August 1970 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Gründe
Der Kläger bezieht Versorgungsrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v. H.. Außerdem erhielt er von dem Beigeladenen in der Zeit vom 1. April 1951 bis 30. Juni 1957 Versorgungsbezüge nach dem Gesetz zu Art. 131 des Grundgesetzes (G 131). Eine Ausgleichsrente wurde ihm wegen der Höhe dieser Bezüge nicht gewährt. Mit Bescheid vom 6. Juni 1957 stellte der Beigeladene die Zahlung der Versorgungsbezüge ein und forderte die seit dem 1. April 1951 zu Unrecht gezahlten Bezüge in Höhe von 14.455,99 DM von dem Kläger zurück. Der Kläger beantragte darauf bei der Versorgungsbehörde am 20. Juni 1957 die Gewährung der Ausgleichsrente; diesem Antrag wurde mit Wirkung vom 1. Juni 1957 an stattgegeben.
Am 7. Juli 1966 beantragte der Kläger "zur Verrechnung mit dem Pensionsamt" die Gewährung der Ausgleichsrente rückwirkend auch für die Zeit vom 1. April 1951 bis 30. Juni 1957. Diesen Antrag lehnte die Versorgungsverwaltung durch Bescheid vom 10. Oktober 1966/Widerspruchsbescheid vom 24. April 1967 ab. Das Sozialgericht (SG) hat den Beklagten durch Urteil vom 8. August 1968 verurteilt, dem Kläger einen neuen Bescheid zu erteilen über die Gewährung einer Ausgleichsrente rückwirkend für die Zeit vom 1. April 1951 bis 30. Juni 1957; es hat die Berufung zugelassen. Der Beklagte hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt. Das Landessozialgericht (LSG) hat Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 7. August 1970, 12,45 Uhr, anberaumt und den Kläger zu diesem Termin geladen. Durch Urteil vom gleichen Tage hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe des Urteils wird Bezug genommen. Das LSG hat die Revision nicht zugelassen. Nach einem Vermerk, der sich in den LSG-Akten befindet, ist der Kläger nach Verkündung des Urteils und nach Schluß der Sitzung im Sitzungssaal erschienen und hat angegeben, er sei seit 9.00 Uhr im Gerichtsgebäude anwesend gewesen, habe sich zumeist im Wartezimmer aufgehalten und sei zur Verhandlung nicht gerufen worden. In diesem Vermerk des Senatsvorsitzenden heißt es weiter, die Sache sei vor Beginn der mündlichen Verhandlung im Sitzungssaal, nicht jedoch im Vorzimmer des Sitzungssaales bzw. im Wartezimmer aufgerufen worden.
Das Urteil des LSG ist dem Kläger am 24. August 1970 zugestellt worden. Dieser hat mit Schriftsatz seines Prozeßbevollmächtigten vom 8. September 1970, beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangen am 9. September 1970, zunächst beantragt, ihm das Armenrecht zu bewilligen und Rechtsanwalt Dr. G als Prozeßbevollmächtigten beizuordnen. Diesen Antrag hat der Senat durch Beschluß vom 29. September 1970 mit der Begründung abgelehnt, der Kläger sei nicht als arm im Sinne des Gesetzes anzusehen. Dieser Beschluß ist dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers am 8. Oktober 1970 zugestellt worden. Der Kläger hat daraufhin mit Schriftsatz vom 15. Oktober 1970, beim BSG eingegangen am folgenden Tage, Revision eingelegt und diese mit einem weiteren Schriftsatz vom 3. November 1970, beim BSG eingegangen am 4. November 1970, begründet.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 7. August 1970 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung zurückzuverweisen.
Er beantragt ferner,
ihm wegen Versäumung der Revisionsfrist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen.
In seiner Revisionsbegründung rügt der Kläger eine Verletzung des § 112 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Er trägt dazu vor, am Sitzungstage sei er rechtzeitig im Gerichtsgebäude erschienen und habe sich meistens im Wartezimmer des Gerichts aufgehalten. Die Sache sei jedoch weder im Vorzimmer des Sitzungssaales noch im Wartezimmer aufgerufen worden. Dadurch habe er keine Gelegenheit gehabt, seinen vom SG bejahten Anspruch zu verteidigen.
Für das weitere Vorbringen des Klägers wird auf seine Schriftsätze vom 8. September, 15. Oktober und 3. November 1970 verwiesen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 7. August 1970 als unzulässig zu verwerfen,
hilfsweise,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Der Beklagte trägt vor, die Revision sei verspätet eingelegt worden. Gründe, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen könnten, lägen nicht vor. Der Kläger sei nicht als arm anzusehen und habe auch nicht annehmen können, daß er ohne das Armenrecht den Rechtsstreit nicht durchführen könne. Im übrigen griffen die von dem Kläger gerügten Verfahrensmängel nicht durch. Zur Beachtung des § 112 Abs. 1 SGG genüge es, wenn die Sache im Sitzungssaal aufgerufen werde. Es sei Sache des Klägers gewesen, zur rechten Zeit den Sitzungssaal zu betreten. Das Urteil des LSG beruhe auch nicht auf dem angeblich unterlassenen Aufruf der Sache.
Der Beigeladene hat sich im Revisionsverfahren nicht gemeldet und keine Anträge gestellt.
Der Kläger hat die Revisionsfrist, die am 24. September 1970 ablief, versäumt. Bis zu diesem Tage ist eine Revisionsschrift, die den Erfordernissen des § 164 SGG entsprochen hätte, beim BSG nicht eingegangen, sondern lediglich das Armenrechtsgesuch vom 8. September 1970. Dem Kläger war jedoch auf seinen Antrag Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Revisionsfrist und - auch ohne besonderen Antrag (vgl. § 67 Abs. 2 Satz 4 SGG) - Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist zu gewähren (vgl. BSG in SozR SGG § 67 Nr. 9 und 19). Einer besonderen förmlichen Entscheidung über diesen Wiedereinsetzungsantrag bedurfte es nicht; vielmehr konnte diese Entscheidung in den Gründen des Urteils mitgetroffen werden (vgl. BSG in SozR SGG § 67 Nr. 14; Urteil des erkennenden Senats vom 15. Dezember 1970 - 10 RV 747/69 -).
Der Kläger ist infolge seiner vermeintlichen Armut und somit ohne sein Verschulden (vgl. § 67 Abs. 1 SGG) gehindert gewesen, die zur Einleitung des Revisionsverfahrens gebotenen Rechtshandlungen rechtzeitig und formgerecht vorzunehmen. Die Auffassung des Beklagten, eine Wiedereinsetzung könne nur bei einer positiven Entscheidung über das Armenrechtsgesuch gewährt werden, trifft nicht zu. Dabei kann dahinstehen, ob in jedem Falle nach Ablehnung eines rechtzeitig gestellten Armenrechtsantrages Wiedereinsetzung gewährt werden kann; jedenfalls aber ist eine Prozeßpartei auch dann ohne ihr Verschulden verhindert gewesen, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, wenn das beantragte Armenrecht verweigert worden ist und die Partei vernünftigerweise annehmen durfte, daß sie auf Grund der im Armenrechtsantrag dargelegten wirtschaftlichen Verhältnisse als arm anzusehen sei und ihr deshalb das Armenrecht bewilligt werde (vgl. dazu BGH 4, 55; 26, 101; Lindenmaier-Möhring, Nachschlagewerk des BGH, ZPO, § 233 Nr. 14 und 56; Stein-Jonas, ZPO, 18. Aufl., § 233 Anm. II 1 c; Wieczorek, ZPO, § 233 Anm. C 1 c 2; Baumbach/Lauterbach, ZPO, 30. Aufl., § 233 Anm. 4 b). So liegt der Fall aber hier. Dem Kläger war durch die zuständige Behörde (vgl. § 118 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -) bescheinigt worden, daß er ... nicht in der Lage ist, irgendeinen Beitrag zur Bestreitung der Prozeßkosten zu tragen. Das Einkommen des Klägers lag auch nicht so weit über der Pfändungsgrenze des § 850 c ZPO (vgl. Beschluß des Senats vom 29. September 1970), so daß er sich ohne Verschulden für arm halten durfte, zumal da er noch für ein minderjähriges Kind zu sorgen hat. Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers, der das Armenrechtsgesuch eingereicht hat, war auch nicht bereit, ohne Zahlung eines angemessenen Kostenvorschusses das Revisionsverfahren einzuleiten. Unter diesen Umständen ist der Kläger ohne Verschulden verhindert gewesen, die Revisions- und Revisionsbegründungsfrist einzuhalten. Dieses Hindernis ist durch den Beschluß des Senats vom 29. September 1970, durch den das Armenrecht abgelehnt worden ist, behoben worden. Dieser Beschluß ist dem Kläger am 8. Oktober 1970 zugestellt worden. Dieser hat alsdann mit den Schriftsätzen vom 15. Oktober und 3. November 1970, die am 16. Oktober bzw. 4. November 1970, also innerhalb der Monatsfrist des § 67 Abs. 2 SGG, beim BSG eingegangen sind, die versäumten Rechtshandlungen, nämlich die Einlegung und Begründung der Revision, nachgeholt (vgl. § 67 Abs. 2 Satz 3 SGG; vgl. BSG in SozR SGG § 67 Nr. 11 und 19). Die durch den zugelassenen Prozeßbevollmächtigten des Klägers vorgenommene Einlegung und Begründung der Revision gilt daher als fristgerecht im Sinne des § 164 SGG.
Das LSG hat die Revision nicht nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG zugelassen; eine Gesetzesverletzung bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG ist nicht im Streit. Die Revision ist daher nur statthaft, wenn ein wesentlicher Mangel im Verfahren des LSG im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG gerügt wird und vorliegt (vgl. BSG 1, 150).
Der Kläger rügt in seiner Revisionsbegründung eine Verletzung des § 112 SGG, die er darin erblickt, daß die Sache bei Verhandlungsbeginn weder im Vorzimmer des Sitzungssaales noch im Wartezimmer des Gerichts aufgerufen worden ist, und als Folge davon eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, also des § 62 SGG durch das LSG. Die Rüge einer Verletzung des § 62 SGG greift auch durch; dagegen ist die Rüge einer Verletzung des § 112 SGG nicht gerechtfertigt.
Gemäß § 112 Abs. 1 Satz 2 SGG beginnt die mündliche Verhandlung "mit dem Aufruf der Sache". Damit ist jedoch nur der Aufruf einer bestimmten Sache im Gerichtssaal durch den Vorsitzenden gemeint, um anzuzeigen, daß die mündliche Verhandlung in dieser Sache eröffnet wird (vgl. Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, § 112 Anm. 2; Baumbach/Lauterbach, ZPO, § 220 Anm. 1). Mit Recht weist der Beklagte in seiner Revisionserwiderung darauf hin, daß dieser Aufruf im Sitzungssaal geschieht und daß der Vorsitzende nicht verpflichtet ist, diesen Aufruf vor dem Sitzungssaal oder gar in einem anderen Raum des Gerichtsgebäudes vorzunehmen. Der Aufruf, mit dem der Senatsvorsitzende des LSG die mündliche Verhandlung in dieser Sache eröffnet hat und dessen Durchführung auch in der Sitzungsniederschrift festgehalten ist, entspricht somit den Erfordernissen des § 112 Abs. 1 SGG. Jedoch greift die Rüge einer Verletzung des § 62 SGG durch, weil der Vorsitzende des Senats des LSG sich nicht vergewissert und dafür Sorge getragen hat, daß die außerhalb des Sitzungssaales wartenden Beteiligten von dem Beginn der mündlichen Verhandlung Kenntnis erhalten hatten, um ihnen bei dieser Verhandlung rechtliches Gehör zu gewähren.
Von dem "Aufruf der Sache" durch den Vorsitzenden im Sitzungssaal ist nämlich der "Aufruf" zur Vorbereitung der Eröffnung der Verhandlung zu unterscheiden, durch den die Beteiligten bzw. ihre Vertreter in den Sitzungssaal gerufen werden sollen (vgl. Rosenberg, Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, 8. Aufl., § 67 Anm. V, 1; Peters/Sautter/Wolff, aaO; Baumbach/Lauterbach, aaO; BGH in Juristische Rundschau 1958, 345). Dieser Aufruf kann durch den Wachtmeister, die Protokollführerin oder eine sonst dazu bestimmte Person erfolgen. In welcher Weise und an welcher Stelle dieser "vorbereitende Aufruf" erfolgen muß, richtet sich nach den örtlichen Gegebenheiten. Ein Aufruf vor der Tür des Sitzungssaales wird genügen, wenn dies der übliche Aufenthaltsort der Prozeßbeteiligten ist. Wenn aber ein besonderer Warteraum im Gerichtsgebäude vorhanden ist, den die Prozeßbeteiligten vor Beginn der mündlichen Verhandlung aufsuchen können, dann muß in jedem Fall, sofern sich die Beteiligten nicht bereits im Gerichtssaal oder vor der Saaltüre befinden, der "vorbereitende Aufruf" in diesem Warteraum erfolgen. Die Beteiligten dürfen darauf vertrauen, daß sie rechtzeitig in den Sitzungssaal gerufen werden. Die Auffassung des Beklagten, daß es "Sache des Klägers" gewesen sei, zur rechten Zeit den Gerichtssaal zu betreten, kann nicht geteilt werden. Wenn es - wie oben ausgeführt - zur Gewährung des rechtlichen Gehörs an die Beteiligten erforderlich ist, daß sie durch einen "vorbereitenden Aufruf" vor dem Sitzungssaal oder in dem für sie bestimmten Warteraum auf den Beginn der mündlichen Verhandlung aufmerksam gemacht werden, und der Vorsitzende sich hierüber Gewißheit verschaffen muß, so kommt es auf das Verhalten der Beteiligten selbst nicht an, es sei denn, daß sie sich an einem Ort aufgehalten haben, der nicht zum Warten vor Beginn der mündlichen Verhandlung bestimmt ist, und an dem daher ein "vorbereitender Aufruf" nicht zu erfolgen brauchte. Dafür, daß sich der Kläger während der Wartezeit aber nicht vor der Tür des Sitzungssaales oder nicht in dem hierfür bestimmten Warteraum aufgehalten hat, ist vom Beklagten nichts vorgetragen.
Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem bei den Akten befindlichen Vermerk vom 7. August 1970, daß der Senatsvorsitzende die Sache vor Beginn der Verhandlung nur im Sitzungssaal aufgerufen hat und daß ein vorbereitender Aufruf im Vorzimmer des Sitzungssaales bzw. im Wartezimmer nicht erfolgt ist. Aus dem Vermerk des Senatsvorsitzenden geht ferner hervor, daß ein solches besonderes Wartezimmer im Gerichtsgebäude in Kiel vorhanden ist, in dem sich der Kläger, der sehr frühzeitig erschienen war, zumeist aufgehalten hat. Dem Vorsitzenden des Senats muß bei "Aufruf der Sache" aufgefallen sein, daß nur der Vertreter des Beklagten, nicht jedoch der Kläger im Sitzungssaal anwesend war. Ein Entschuldigungsschreiben des Klägers lag nicht vor. War aber der Kläger auf Aufruf der Sache im Sitzungssaal nicht anwesend und bestand ein besonderes Wartezimmer, in dem sich die Prozeßbeteiligten aufhalten sollten oder konnten, dann war der Vorsitzende verpflichtet, durch einen "vorbereitenden Aufruf" außerhalb des Sitzungssaales, insbesondere in dem Warteraum des Gerichts, den Kläger von dem Beginn der mündlichen Verhandlung zu unterrichten, um ihm damit die Möglichkeiten zu geben, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen und seinen Rechtsstandpunkt dem Gericht vorzutragen (vgl. §§ 124, 112 Abs. 2, 62 SGG). § 62 SGG schreibt ausdrücklich vor, daß den Beteiligten vor jeder Entscheidung rechtliches Gehör zu gewähren ist. Insoweit handelt es sich um einen Grundsatz, der das Prozeßrecht beherrscht (vgl. Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -). Dadurch soll sichergestellt werden, daß jeder Beteiligte Gelegenheit erhält (vgl. BSG in SozR SGG § 62 Nr. 7), rechtzeitig vor der Entscheidung seine Rechtsauffassung und die dazu notwendigen Tatsachen dem erkennenden Gericht mündlich oder schriftlich (vgl. § 62, 2. Halbsatz SGG) vorzutragen. Das rechtliche Gehör war aber dem Kläger durch mündlichen Vortrag zu gewähren, denn nach § 124 Abs. 1 SGG entscheidet das Gericht, soweit nichts anderes bestimmt ist (vgl. insbesondere § 124 Abs. 3 SGG), aufgrund mündlicher Verhandlung. Zu dieser mündlichen Verhandlung war der Kläger auch geladen worden. Sein Erscheinen zeigt, daß er auch gewillt war, die ihm durch die Rechtsordnung gewährleisteten Rechte wahrzunehmen. Nur mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden (vgl. § 124 Abs. 2 SGG); ein solches Einverständnis lag jedoch nicht vor.
Die Unterlassung des "vorbereitenden Aufrufs" im Wartezimmer hat also dazu geführt, daß der rechtzeitig erschienene und im Gerichtsgebäude anwesende Kläger gegen seinen Willen gehindert gewesen ist, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, so daß sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden ist. Das LSG hat daher § 62 SGG verletzt; die Verletzung dieser Vorschrift stellt einen wesentlichen Verfahrensmangel dar; die Revision ist aus diesem Grunde statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Dieser Auffassung steht auch die bereits zitierte Entscheidung des BGH (in JR 1958 S. 345) nicht entgegen, denn dort handelte es sich darum, daß lediglich ein Verkündungstermin anberaumt war, der nicht zur mündlichen Verhandlung bestimmt war. Das angefochtene Urteil war somit aufzuheben.
Da die Entscheidung des LSG unter Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör (vgl. Art. 103 Abs. 1 GG; § 62 SGG) ergangen ist und dieses Gehör vor dem Tatsachengericht zu gewähren ist (vgl. Urteil des Senats vom 7. Dezember 1965 - 10 RV 723/65 -), konnte der Senat nicht in der Sache selbst entscheiden (vgl. § 170 Abs. 2 Satz 2 SGG). Sie war daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Fundstellen