Leitsatz (amtlich)
Hatte die frühere Ehefrau des Versicherten bis zu dessen Tode gegen ihn keinen Unterhaltsanspruch, so steht ihr ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente nach AVG § 42 S 1 Alt 1 (= RVO § 1265 S 1 Alt 1) auch dann nicht zu, wenn ihr der Versicherte am Tage nach seinem Tode wahrscheinlich unterhaltspflichtig geworden wäre (Fortführung von BSG 1966-06-30 4 RJ 93/65 = SozR § 1265 RVO Nr 35; BSG 1970-02-17 1 RA 121/69 = BSGE 31, 5).
Normenkette
AVG § 42 S. 1 Alt. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1265 S. 1 Alt. 1 Fassung: 1957-02-23; EheG § 58
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 25.05.1976; Aktenzeichen L 6 An 1144/74) |
SG Mannheim (Entscheidung vom 18.07.1974; Aktenzeichen S 8 An 2125/72) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25. Mai 1976 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat der Beigeladenen die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens und des vorausgegangenen Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin als geschiedener Ehefrau Hinterbliebenenrente zusteht.
Ihre Ehe mit dem am 31. Dezember 1971 verstorbenen Versicherten W G war 1947 aus dessen Verschulden geschieden worden. Der Versicherte hatte der Klägerin zuletzt monatlich 50,- DM zum Unterhalt gezahlt. 1955 war er mit der Beigeladenen eine weitere Ehe eingegangen. Seit 1967 hatte er Altersruhegeld bezogen, es betrug 1971 im Monat 982,10 DM; dazu hatte er Einnahmen aus der Vermietung eines Hausgrundstücks. Die Klägerin war bis zum 31. Dezember 1971 (Todestag des Versicherten) als Verkäuferin beschäftigt; ihr letztes Jahreseinkommen belief sich auf brutto 12.206 DM. Im September 1971 hatte sie vorgezogenes Altersruhegeld beantragt; es wurde ihr durch Bescheid vom 12. Januar 1972 ab 1. Januar 1972 in Höhe von monatlich 368,20 DM bewilligt.
Nach dem Tode des Versicherten gewährte die Beklagte der Beigeladenen Witwenrente. Den Antrag der Klägerin lehnte sie ab, weil diese gegen den Versicherten zur Zeit seines Todes keinen Unterhaltsanspruch gehabt habe und die monatliche Zahlung der 50,- DM keine ausreichende Unterhaltsleistung gewesen sei (Bescheid vom 30. Oktober 1972).
Der hiergegen erhobenen Klage hat das Sozialgericht (SG) stattgegeben, das Landessozialgericht (LSG) hat sie auf die Berufung der Beigeladenen hin abgewiesen (Urteile vom 18. Juli 1974 und vom 25. Mai 1976). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt: Der Klägerin stehe keine Rente gemäß § 42 Satz 1 - 1. Alternative - des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) zu, weil der Versicherte ihr während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes vor seinem Tode nicht zur Unterhaltsleistung nach dem Ehegesetz (EheG) verpflichtet gewesen sei. Mit dem Begriff "wirtschaftlicher Dauerzustand" werde an einen vor dem Tode wirklich gegebenen Zustand angeknüpft und die Vermutung angeschlossen, daß er ohne den Tod fortbestanden hätte.
Die Vermutung eines fortbestehenden Unterhaltsanspruchs setze demnach dessen Bestehen vor dem Tode des Versicherten voraus. Hier sei aber schon zweifelhaft, ob vor dem Tode des Versicherten eine künftige Unterhaltsbedürftigkeit der Klägerin voraussehbar gewesen sei; entstanden wäre sie jedenfalls frühestens ab dem 1. Januar 1972 und damit erst nach dem Tode des Versicherten. Unterhalt nach der 3. Alternative des § 42 Satz 1 AVG habe der Versicherte der Klägerin ebenfalls nicht geleistet. Die im letzten Jahr vor seinem Tode gezahlten 50,- DM erreichten nicht 25 v.H. des notwendigen Mindestbedarfes; dieser setze sich aus dem damaligen Regelsatz der Sozialhilfe von monatlich 190,- DM und den Aufwendungen für Unterkunft und Heizung zusammen; die letzteren hätten monatlich weit mehr als 10,- DM betragen.
Mit der vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen Revision beantragt die Klägerin (sinngemäß),
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beigeladenen gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen,
hilfsweise, den Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.
Sie rügt eine Verletzung von § 42 Satz 1 AVG. Der bis zum 31. Dezember 1971 bestehende Zustand sei hier nicht als der maßgebende wirtschaftliche Dauerzustand anzusehen, weil damals schon festgestanden habe, daß sie zum 1. Januar 1972 unterhaltsbedürftig sein werde; zwischen Tod und beginnender Unterhaltspflicht lägen weniger als 24 Stunden. Der Versicherte habe ihr auch mehr als 25 v.H. des notwendigen Mindestbedarfs an Unterhalt gezahlt; das LSG habe nicht ohne Ermittlungen ihre Aufwendungen für Unterkunft und Heizung auf mehr als 10,- DM monatlich ansetzen dürfen.
Die Beigeladene beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet.
Nach § 42 Satz 1 AVG wird einer geschiedenen früheren Ehefrau des Versicherten Hinterbliebenenrente gewährt, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des EheG oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte oder wenn er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat. Auf keine dieser drei Alternativen läßt sich der Anspruch der Klägerin stützen. Insoweit bedürfen nur die 1. und die 3. Alternative einer näheren Prüfung. Denn eine Unterhaltspflicht "aus sonstigen Gründen" - 2. Alternative - ist weder behauptet noch den Feststellungen des Berufungsurteils zu entnehmen.
Die Anwendung der 1. Alternative scheidet indessen ebenfalls aus, weil der Versicherte der Klägerin zur Zeit seines Todes keinen Unterhalt nach dem (bis zum Juli 1977 geltenden) EheG zu leisten gehabt hat. Mit der "Zeit des Todes" ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG der letzte wirtschaftliche Dauerzustand vor dem Tode des Versicherten gemeint. Als solchen hat das LSG offenbar die im Jahre 1971 gegebenen Verhältnisse angesehen. In dieser Zeit hatte die Klägerin gegen den Versicherten keinen Unterhaltsanspruch nach dem EheG. Nach dessen § 58 hat der für allein schuldig erklärte Ehegatte dem anderen den nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Unterhalt zu gewähren, soweit dessen Vermögen und Erwerbseinkünfte nicht ausreichen. Zur Feststellung des angemessenen Unterhalts ist dabei auf die Lebensverhältnisse der Ehegatten zur Zeit der Scheidung zurückzugreifen; es ist zu ermitteln, welcher Unterhalt hiernach (gegebenenfalls auf der Grundlage damaliger beiderseitiger Einkommen) zur Zeit der Scheidung angemessen war; der sich ergebende Betrag ist auf die Zeit des Todes des Versicherten zu "projizieren" (SozR Nrn 16 und 47 zu § 1265 RVO). Das angefochtene Urteil läßt zwar nicht deutlich erkennen, daß es den für die Klägerin im Jahre 1971 angemessenen Unterhalt in dieser Weise ermittelt hat; es heißt dort abschließend nur, die Klägerin habe von ihrem damals erzielten Arbeitsentgelt "ihren angemessenen Lebensunterhalt bestreiten können". Da die Beteiligten insoweit aber keine Rügen erhoben haben und auch nichts dafür ersichtlich ist, daß das LSG die dargestellten Grundsätze für die Ermittlung des angemessenen Lebensunterhalts verkannt hat, muß das Revisionsgericht somit für das Jahr 1971 mit dem LSG einen Unterhaltsanspruch der Klägerin nach § 58 EheG gegen den Versicherten verneinen.
Zu Unrecht begehrt die Klägerin demgegenüber die Prüfung der Unterhaltspflicht auf der Grundlage der ab 1. Januar 1972 zu erwartenden Verhältnisse. Diese können hier nicht berücksichtigt werden, weil der als "Zeit des Todes" geltende letzte wirtschaftliche Dauerzustand immer nur ein vor dem Tode des Versicherten gegebener Zustand sein kann; nur bei einem solchen läßt sich mit dem Gesetzgeber generell vermuten, daß dieser Zustand ohne den Tod wahrscheinlich fortbestanden hätte (BSG 14, 255, 260; 25, 86, 88; SozR Nrn 22, 32 und 46 zu § 1265 RVO). Dem steht auch nicht entgegen, daß hier noch vor dem Tode des Versicherten mit mehr oder minder großer Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen war, der Versicherte werde der Klägerin vom 1. Januar 1972 an - also unmittelbar nach dem Tode des Versicherten - unterhaltspflichtig sein. Denn diese Erwartung vermag nichts daran zu ändern, daß diese Unterhaltspflicht immer erst nach der "Zeit des Todes" des Versicherten eintreten konnte. § 42 AVG knüpft indessen an die zu Lebzeiten konkret bestehenden Verhältnisse an. Wie sich die Verhältnisse beim Versicherten vermutlich weiterentwickelt hätten, wenn er nicht gestorben wäre, und wie sie sich bei der geschiedenen Frau tatsächlich weiterentwickelt haben, ist nicht von Bedeutung. Das hat die Rechtsprechung des BSG (BSG 31, 5; SozR Nrn 46, 49, 55 und 70 zu § 1265 RVO) schon mehrfach ausgesprochen; sie hat diese Grundsätze aus dem Gesetzeswortlaut und aus der Unterhaltsersatzfunktion der Hinterbliebenenrente entwickelt; wenn diese Rente einen durch den Tod des früheren Ehemannes entfallenden Unterhaltsanspruch ersetzen soll, so schließt dies die Möglichkeit aus, auch Ansprüche zu berücksichtigen und zu "ersetzen", die allenfalls nach dem Tode des Versicherten zu erwarten gewesen wären.
Der Gedanke der Unterhaltsersatzfunktion kann zwar noch dazu führen, Verpflichtungen des Versicherten zu Unterhaltsleistungen, die vor seinem Tode bestanden haben, gleichwohl unberücksichtigt zu lassen, wenn schon vor dem Tode feststeht, daß die Unterhaltspflicht in naher Zukunft ohnedies entfallen wäre (SozR Nr 70 zu § 1265 RVO; SozR 2200 § 1265 Nr 10). Hieraus kann aber nicht geschlossen werden, dann müßten auch nach dem Tode des Versicherten entstehende Unterhaltsansprüche die Gewährung der Hinterbliebenenrente rechtfertigen können. Das geht deshalb nicht, weil es in diesen Fällen stets an einem noch zu Lebzeiten bestehenden Zustand als Anknüpfungspunkt fehlt. Ein "letzter wirtschaftlicher Dauerzustand" kann sich begrifflich nach dem Tode des Versicherten nicht mehr bilden.
Diese Auffassung, daß nach dem Tode eine Unterhaltsverpflichtung des Versicherten begründende Umstände im Rahmen des § 42 AVG nicht berücksichtigt werden dürfen, stimmt mit der bisherigen Rechtsprechung des BSG zu vergleichbaren Fällen überein. Auch der 4. und der 1. Senat haben Hinterbliebenenrente in Fällen versagt, in denen zur Zeit des Todes des Versicherten kein Unterhaltsanspruch bestand, jedoch mit der Entstehung einer Unterhaltsverpflichtung zu rechnen war (SozR Nrn 35 und 54 zu § 1265 RVO). In jenen Fällen mußte zwar bis zur möglichen oder sicheren Entstehung einer Unterhaltspflicht noch eine Zeitdauer von eineinhalb bzw von über zwei Jahren verstreichen, während hier der Zeitraum nicht einmal 24 Stunden betrug; diese zeitlichen Unterschiede können in diesem Zusammenhang aber ebensowenig von Bedeutung sein wie der Wahrscheinlichkeits- oder Sicherheitsgrad des künftigen Anspruchs.
Zutreffend hat das LSG schließlich die 3. Alternative des § 42 Satz 1 AVG verneint. Die Klägerin rügt insoweit zwar eine Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 103 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Die Rüge entspricht aber nicht den Anforderungen des § 164 Abs 2 Satz 3 SGG. Die Klägerin legt nicht dar, weshalb das LSG zu einer genaueren Ermittlung ihrer Aufwendungen für Miete und Heizung im Jahre 1971 gedrängt gewesen wäre; insbesondere gibt sie nicht an, daß diese Aufwendungen im Jahre 1971 tatsächlich unter 10,- DM im Monat gelegen hätten.
Hiernach war die Revision zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG; sie umfaßt neben den Kosten des Revisionsverfahrens auch die Kosten des vorausgegangenen Beschwerdeverfahrens.
Fundstellen
Haufe-Index 1651153 |
BSGE, 14 |