Entscheidungsstichwort (Thema)

Waffen-SS und Ersatzzeit (hier: Ergänzungsamt und Stabshauptamt-SS)

 

Orientierungssatz

1. Der Einsatz eines Angehörigen im Ergänzungsamt der Waffen-SS als als auch beim Stabshauptamt-SS ist von der Aufgabenstellung beider Ämter her nicht ein für Zwecke der Wehrmacht geleisteter Dienst.

2. Ein abgeleiteter Begriff wie "wehrmachtsdienlich" ist im Rahmen von § 3 Abs 1 Buchst b BVG zur Abgrenzung wenig geeignet; weder erfaßt er den Begriff "für Zwecke der Wehrmacht" in seinem Gehalt noch vermag er ihn gar näher zu erläutern.

 

Normenkette

AVG § 28 Abs 1 Nr 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1251 Abs 1 Nr 1 Fassung: 1957-02-23; BVG §§ 2-3

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 29.03.1983; Aktenzeichen L 6 An 1450/82)

SG Mannheim (Entscheidung vom 27.08.1982; Aktenzeichen S 6 An 2764/81)

 

Tatbestand

Streitig ist die Vormerkung einer Ersatzzeit.

Der im Januar 1922 geborene Kläger trat im November 1939 in das in Dachau stationierte 2. SS-Totenkopf-Rekrutenregiment ein. Im Juni 1941 erlitt er als Angehöriger der Waffen-SS in Karelien (Finnland) eine schwere Verwundung.

Als "nicht kv" wurde er ab 28. August 1942 zum Ergänzungsamt der Waffen-SS, Ergänzungsstelle Südwest (V), Stuttgart, versetzt, wo er Telefondienst verrichtete. Ab dem 13. Juli 1943 bis zum 11. Juni 1944 gehörte er der Stabskompanie der Waffen-SS, Stabshauptamt, an; in dieser Zeit war er ua mit der Herstellung von Holzkohle und anderen Arbeiten für die Holzgasherstellung befaßt. Vom 12. Juni 1944 an diente er in einer Waffen-SS-- Kraftfahrzeug-Instandsetzungs- und Ersatzabteilung; im November 1949 kehrte er aus der Kriegsgefangenschaft zurück.

Eine Vormerkung der Zeit vom 28. August 1942 bis 11. Juni 1944 als - weitere - Ersatzzeit aufgrund von § 28 Abs 1 Nr 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) lehnte die Beklagte ab, weil der Kläger damals weder militärischen noch militärähnlichen Dienst geleistet habe (Bescheid vom 26. März 1981, Widerspruchsbescheid vom 16. Oktober 1981).

Die Vorinstanzen sind dieser Auffassung gefolgt. Das Landessozialgericht (LSG) hat im Urteil vom 23. März 1983 ausgeführt, militärischer Dienst sei nicht gegeben, da der Kläger nicht nach deutschem Wehrrecht als Soldat (§ 2 Abs 1 Buchst a des Bundesversorgungsgesetzes -BVG-) gedient habe. Ob er militärähnlichen Dienst iS von § 3 Abs 1 Buchst b BVG geleistet habe, sei nicht feststellbar. Für den Telefondienst im Ergänzungsamt fehle es an der erforderlichen Sicherheit, daß diese Dienststelle ausschließlich mit Waffen-SS-Angehörigen zu tun gehabt habe, die nach der Ausbildung für Zwecke der Wehrmacht eingesetzt waren; die Ämter der SS seien nämlich für die gesamte Waffen-SS zuständig gewesen. Gerade beim Telefondienst sei die Annahme wirklichkeitsfremd, es sei zwischen wehrmachtsdienlichen und wehrmachtsfremden Telefongesprächen unterschieden worden. Für die Zeit der Zugehörigkeit zum Stabshauptamt könne bei einem Einsatz als Spreng- und Köhlermeister ebenfalls nicht festgestellt werden, ob die Tätigkeit selbst und nicht nur deren Erfolg Zwecken der Wehrmacht oder der SS im allgemeinen gedient habe; sei eine wehrmachtsdienliche Verwendung nicht wesentlich wahrscheinlicher als eine wehrmachtsfremde, dann seien die üblichen Beweise zu fordern.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision beantragt der Kläger (sinngemäß), die vorinstanzlichen Urteile sowie die angefochtenen Bescheide aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Zeit vom 28. August 1942 bis zum 11. Juni 1944 als Ersatzzeit vorzumerken.

Zur Begründung rügt er eine fehlerhafte Anwendung von § 28 Abs 1 Nr 1 AVG und eine Verletzung von Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG). Entgegen dem LSG sei der Dienst in der Waffen-SS ein militärischer, da im Kriege die Einheiten der Waffen-SS für den gleichen Zweck wie die Wehrmacht eingesetzt gewesen seien; hiernach komme eine Ersatzzeit nach § 28 Abs 1 Nr 1 AVG iVm § 2 Abs 1 BVG in Betracht. In jedem Falle liege aber militärähnlicher Dienst vor. Sowohl Angehörige der Wehrmacht als auch der Waffen-SS seien nach Verwundungen in Verwaltungsstellen mit leichteren Hilfsdiensten betraut worden; sonach spiele es keine Rolle, ob das Ergänzungsamt ausschließlich mit Waffen-SS-Angehörigen zu tun gehabt habe, die für Zwecke der Wehrmacht eingesetzt waren. Er habe sich dem Dienst nicht entziehen können und sei darum mit der Ersatzzeit zu entschädigen. Wenn von ihm für die Anerkennung des geleisteten Dienstes als militärähnlich anders als bei Angehörigen der Wehrmacht besondere Nachweise der Einzeltätigkeit gefordert würden, werde der Gleichheitssatz verletzt. Im übrigen seien weder bei der Wehrmacht noch bei der Waffen-SS besondere Tätigkeitsnachweise geführt worden.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet; der Kläger hat, wie das LSG zu Recht entschieden hat, keinen Anspruch auf Vormerkung der geltend gemachten Zeiten.

Die Zeiten vom 28. August 1942 bis zum 11. Juni 1944 stellen keine Ersatzzeit nach § 28 Abs 1 Nr 1 AVG idF des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes -RVÄndG- vom 9. Juni 1965 (BGBl I 476) dar, weil der Kläger keinen militärischen oder militärähnlichen Dienst iS der §§ 2 und 3 BVG geleistet hat.

Militärischer Dienst, den nach § 2 Abs 1 Buchst a BVG jeder "nach deutschem Wehrrecht geleistete Dienst als Soldat" darstellt, kann für die streitige Zeit darum nicht angenommen werden, weil § 2 BVG hinsichtlich des "deutschen Wehrrechts" auf das damals geltende Wehrgesetz vom 21. Mai 1935 (RGBl I 609) abhebt, in dem die bewaffneten Verbände der SS nicht aufgeführt sind. Das hat der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 30. Juni 1983 - 11 RA 44/82 - im Anschluß an die bisherige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auf dem Gebiet der Kriegsopferversorgung zu § 2 BVG (vgl Urteil aaO mit Hinweisen) sowie in seinem heutigen Urteil in der Sache 11 RA 54/83 dargelegt; hierin ist ihm der 1. Senat des BSG gefolgt (Urteil vom 11. August 1983 - 1 RA 63/82). Von "spitzfindigen Differenzierungen" oder "gesetzestechnischen Kunstgriffen", wie der Kläger es nennt, kann dabei nicht die Rede sein. Für § 28 Abs 1 Nr 1 AVG ist die in § 2 BVG enthaltene Aufzählung abschließend; dies hat zwangsläufig zur Folge, daß die Qualifizierung eines Dienstes in der Waffen-SS als militärischer in unmittelbarer Anwendung des Gesetzes nur möglich ist, wenn die Voraussetzungen des § 2 gegeben sind. Das trifft vorliegend jedoch nicht zu.

Soweit im Falle des Kriegseinsatzes von Waffen-SS-Verbänden für das Kriegsopferrecht in der Vergangenheit eine Gleichstellung mit dem militärischen Dienst erwogen worden ist (BSGE 12, 172, 174; SozR Nr 8 zu § 2 BVG; SozR 3100 § 2 Nr 6), bedarf das für eine Beurteilung im Rahmen von § 28 Abs 1 Nr 1 AVG keiner Vertiefung; für eine analoge Anwendung von § 2 BVG besteht insoweit keine Veranlassung, da die Gleichstellung im Falle des Kriegseinsatzes schon durch unmittelbare Anwendung des § 3 Abs 1 Buchst b BVG zu erreichen ist, so daß eine Gesetzeslücke nicht vorliegt (s Urteile des 11. und 1. Senats aaO).

Militärähnlichen Dienst iS von § 3 Abs 1 Buchst b BVG hat der Kläger in der betreffenden Kriegszeit ebenfalls nicht geleistet. Als ein solcher Dienst gilt nach dieser allein in Frage kommenden Vorschrift der auf Veranlassung eines militärischen Befehlshabers für Zwecke der Wehrmacht geleistete Dienst. Was die Veranlassung durch einen militärischen Befehlshaber anlangt, hat das BSG insbesondere mit Rücksicht auf die enge Befehlsverbindung von Wehrmachts- und Waffen-SS-Einheiten im Kriege ihr Vorliegen für den Dienst von Angehörigen der bewaffneten SS während des Kriegseinsatzes ohne weiteres angenommen, wenn dieser Dienst für Zwecke der Wehrmacht erbracht worden ist (BSGE 49, 170, 172 = SozR 2200 § 1251 Nr 73; BSGE 53, 281, 282 = SozR 2200 § 1251 Nr 96; Urteil vom 29. November 1979 - 4 RJ 113/78 -; Urteil vom 26. Januar 1983 - 1 RA 31/82 -; Urteile vom 30. Juni 1983 - 11 RA 44/82 und 67/82 -; Urteil vom 11. August 1983 - 1 RA 63/82 -); für Zwecke der Wehrmacht erbracht gilt dabei eine Dienstleistung, wenn mit ihr etwas getan wurde, was die Wehrmacht als Aufgabe hätte übernehmen müssen (SozR Nr 11 zu § 3 BVG; MittRuhrKn 1960, 198; SozR 2200 § 1251 Nr 93). Im Leitsatz zu BSGE 49 aaO hat der 4. Senat den Gedanken auf die Formel gebracht, wer als Angehöriger der Waffen-SS während des Zweiten Weltkrieges einen Dienst geleistet habe, der sonst, wenn es diese Verbände nicht gegeben hätte, von einem Soldaten der Wehrmacht geleistet worden wäre, habe jedenfalls in der Regel militärähnlichen Dienst geleistet. Dem sind der 1. Senat (BSGE 53 aaO; Urteil vom 26. Januar 1983; Urteil vom 11. August 1983) und der erkennende Senat (Urteil vom 30. Juni 1983) beigetreten; der Senat hielt ebenfalls die genannte Formel bei Waffen-SS-Angehörigen für eine brauchbare Hilfe bei der Anwendung des § 3 Abs 1 Buchst b BVG, sofern dabei bedacht werde, daß immer das Gesetz selbst, nämlich § 3 Abs 1 Buchst b BVG, und nicht die von der Rechtsprechung entwickelte Formel auszulegen sei.

Nach der Rechtsprechung versteht sich eine Dienstleistung für Zwecke der Wehrmacht in erster Linie als Fronteinsatz; es können aber auch andere Dienste in Betracht gezogen werden (s hierzu im einzelnen BSGE 49 aaO; Urteil vom 30. Juni 1983). Erforderlich ist bei anderen Diensten allerdings stets, daß es sich um für einen Soldaten der Wehrmacht typische Dienstleistungen handelt. Aus diesem Grunde hat der erkennende Senat das Vorliegen militärähnlichen Dienstes bei einem Einsatz in SS-Fürsorge- und Versorgungsdienststellen (Urteile vom 30. Juni 1983 sowie Urteil vom heutigen Tage - 11 RA 54/83 -), der 1. Senat bei einem Einsatz im SS-Führungshauptamt (Urteil vom 11. August 1983) verneint, weil dies Dienststellen waren, deren Aufgabenbereiche angesichts des in der Hauptsache zu betreuenden Personenkreises zu keinem Zeitpunkt der Wehrmacht oblagen.

Auch im Falle des Klägers führen die entwickelten Gedanken zu dem Ergebnis, einen militärähnlichen Dienst zu verneinen, sowohl was die Zeit vom 28. August 1942 bis zum 12. Juli 1943 im Ergänzungsamt als auch die Zeit vom 13. Juli 1943 bis zum 11. Juni 1944 beim Stabshauptamt-SS angeht. Denn die Dienstleistungen dort dienten nicht Zwecken der Wehrmacht, sondern Zwecken der SS; sie wären, hätte es die Verbände der SS nicht gegeben, nicht von Soldaten der Wehrmacht verrichtet worden. Das ergibt sich aus den Feststellungen des LSG und wird zusätzlich durch die spezifische Funktion der beiden Ämter belegt. Die Ergänzungsämter der SS (Ergänzungsstellen) unterstanden dem SS-Hauptamt (s George H. Stein, Geschichte der Waffen-SS, 1978, S 33 und Anhang III, S 272; Buchheim, SS und Polizei in NS-Staat, S 214, 218), dessen Aufgaben im wesentlichen die weltanschauliche Erziehung der SS, die Werbung für die SS und die Ergänzung der Waffen-SS umfaßten, wobei die Werbung mit den Kriegsjahren einen immer größeren Stellenwert erhielt (Stein, S 421 ff). Bei dem SS-Stabshauptamt, das von Himmler in seiner Eigenschaft als Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums -RKFDV- geleitet wurde, handelte es sich um einen Führungsstab, der alle in Frage kommenden Dienststellen des Staates und der Partei, vor allem der SS, zur Erfüllung seines Auftrages einsetzen konnte (Buchheim, S 187, 191 ff); hierzu gehörte in der Amtsgruppe B das Amt III - Wirtschaft bzw gewerbliche Wirtschaft -, dem sich die Tätigkeiten des Klägers unterordnen lassen. Sein Einsatz kann von der Aufgabenstellung beider Ämter her sonach nicht ein für Zwecke der Wehrmacht geleisteter Dienst gewesen sein, gleichviel, welche Tätigkeiten im einzelnen er dort verrichtet hat.

Auf die vom LSG in diesem Zusammenhang angestellte Erwägung, ob die Dienstleistungen des Klägers beim Ergänzungs- und beim Stabshauptamt insgesamt oder teilweise "wehrmachtsdienlich" waren, bedarf es keines weiteren Eingehens. Ein abgeleiteter Begriff wie "wehrmachtsdienlich" ist im Rahmen von § 3 Abs 1 Buchst b BVG zur Abgrenzung wenig geeignet; weder erfaßt er den Begriff "für Zwecke der Wehrmacht" in seinem Gehalt noch vermag er ihn gar näher zu erläutern, denn was der Wehrmacht irgendwie zu dienen geeignet war, muß noch nicht ihren Zwecken gewidmet gewesen sein. Auch kommt es entgegen dem Kläger für die Entscheidung darauf nicht an, ob Soldaten der Wehrmacht nach Verwundungen in Wehrmachtsverwaltungen zu Hilfsdiensten eingesetzt worden sind. Für Soldaten waren auch solche Dienstleistungen aus Statusgründen in aller Regel militärischer Dienst iS von § 2 BVG, für den Kläger hingegen weder militärischer Dienst noch militärähnlicher Dienst gem § 3 Abs 1 Buchst b BVG, weil die Dienstleistung in einem Amt der SS für die Verwendung eines Soldaten nicht typisch gewesen ist. Daß der Kläger insoweit "durch hoheitlichen Eingriff" gehindert war, versicherungspflichtig beschäftigt zu sein, vermag für eine Berücksichtigung der Zeit als Ersatzzeit nach § 28 Abs 1 Nr 1 AVG nicht zu genügen, denn hierfür ließe sie sich nur qualifizieren, wenn sie für Zwecke der Wehrmacht in Anspruch genommen worden wäre. Eine dahingehende Qualifizierung läßt sich aber auch durch eine analoge Anwendung von § 28 Abs 1 Nr 1 AVG nicht erreichen. Daß der 1. Senat in BSGE 53, 281 bei einem Dienst in einer Ausbildungseinheit der Waffen-SS das Gesetz analog angewandt und die Ausbildung als militärähnlichen Dienst behandelt hat, hat er speziell damit begründet, daß danach durchgängig Kriegsdienst verrichtet wurde; schon von der Fallgestaltung her sind die dort angestellten Erwägungen daher nicht übertragbar.

Art 3 Abs 1 GG ist nicht verletzt. Wie bereits der 1. Senat am 11. August 1983 aaO entschieden hat, ist es die Folge der durch die historischen Gegebenheiten begründeten und sachlich gerechtfertigten Entscheidung des Gesetzgebers, daß der Dienst in der Waffen-SS nicht in gleichem Umfang wie die Dienstleistung eines Soldaten der Wehrmacht versorgungs- und rentenrechtlich berücksichtigt wird; dem ist nichts hinzuzusetzen. Inwiefern ferner das LSG bei den Beweisanforderungen willkürlich unterschieden haben soll, ist nicht ersichtlich. Da der dienstleistende Soldat schon kraft seinem Status militärischen Dienst geleistet hat, ist ein Nachweis einzelner Tätigkeiten in aller Regel nicht erforderlich. Anders ist es dagegen beim Angehörigen der Waffen-SS. Hier entscheidet die Art der Tätigkeit darüber, ob militärähnlicher Dienst gegeben ist; aus diesem Grunde sind die einzelnen Dienstleistungen nachzuweisen.

Nach alledem erweist sich das angefochtene Urteil als zutreffend. Die Revision war daher mit der Kostenfolge aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1662192

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