Verfahrensgang

SG Kiel (Urteil vom 14.09.1987; Aktenzeichen S 1 Kr 68/86)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 14. September 1987 – S 1 Kr 68/86 – aufgehoben.

Die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 9. Juni 1986/Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober 1986 wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Es ist streitig, ob der Kläger Anspruch auf Familienkrankenhilfe für seine beamtete Ehefrau während deren Erziehungsurlaubes hatte.

Der Kläger ist freiwilliges Mitglied der beklagten Techniker Krankenkasse. Seine Ehefrau, die im Beamtenverhältnis bei der Beigeladenen Ziffer 2 seht und bei der Beigeladenen Ziffer 1 mit einem Erstattungsanspruch von 50 Prozent privatversichert ist, hat wegen der Geburt eines gemeinsamen Kindes (April 1986) vom 1. Juli 1986 bis 21. Februar 1987 Erziehungsurlaub nach der Schleswig-Holsteinischen Verordnung über den Erziehungsurlaub der Beamten genommen; sie bezog ein Erziehungsgeld nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) in Höhe von 600,– DM bzw 487,– DM (§ 5 Abs 1, 2 BErzGG). Für die Dauer ihrer dreijährigen Beurlaubung ohne Dienstbezüge (ab 11. März 1987) hat die Beklagte einen Anspruch des Klägers auf Familienhilfe für sie anerkannt; für die Zeit des Erziehungsurlaubs hat sie dies abgelehnt (Bescheid vom 9. Juni 1986, Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober 1986). Auf die Klage des Versicherten hat das Sozialgericht (SG) die Beklagte verurteilt, dem Kläger für die streitige Zeit Familienkrankenhilfe für seine Ehefrau zu gewähren. Zur Begründung wurde ua ausgeführt: Der Ansicht der Beklagten, daß die Ehefrau des Klägers als Beamtin grundsätzlich nicht zu dem Personenkreis gehöre, dem die gesetzliche Krankenversicherung Versicherungsschutz gewähren solle, könne nicht gefolgt werden. Die Beklagte handele schon dadurch widersprüchlich, daß sie Familienkrankenhilfe für die Zeit der Beurlaubung der Ehefrau gewähre, für die Zeit ihres Erziehungsurlaubes aber nicht. Ihr Status sei aber in beiden Fällen kein wesentlich anderer, da sie hier wie dort Beamtin ohne Dienstbezüge und ohne Beihilfeansprüche gewesen sei. Die Ehefrau des Klägers sei (auch) während des Erziehungsurlaubes nicht in der Lage gewesen, selbst für einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz zu sorgen; dieser habe nur über den Unterhaltsanspruch gegenüber dem Kläger realisiert werden können. Es sei aber gerade der Sinn der Familienkrankenhilfe, dem Versicherten eine solche familienrechtliche Pflicht abzunehmen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten.

Sie beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 14. September 1987 – S 1 Kr 68/86 – aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 9. Juni 1986/Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober 1986 abzuweisen.

Der Kläger blieb auch im Revisionsverfahren unvertreten. Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist begründet.

Die Revision rügt, das SG habe übersehen, daß nach der Schleswig-Holsteinischen Landesverordnung über den Erziehungsurlaub der Beamten (Erziehungsurlaubsverordnung -ErzUVO-) vom 26. Juni 1986 (Gesetz und Verordnungsblatt für Schleswig-Holstein, 1986, S 151 f) die Ehefrau des Klägers während des Erziehungsurlaubs Anspruch auf Fürsorge in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen in entsprechender Anwendung der für Beamte des Bundes geltenden Vorschriften und damit einen Beihilfeanspruch gehabt habe. Diese Regelung ergibt sich zutreffend aus § 6 der genannten landesrechtlichen Verordnung, die am 1. Januar 1986 in Kraft getreten und für Fälle anzuwenden ist, in denen, wie hier, das Kind nach dem 31. Dezember 1985 geboren wurde (§§ 9 und 7 ErzUVO). Bei dieser Vorschrift, die parallel zu der gleichen Vorschrift des § 5 der Verordnung über Erziehungsurlaub für Bundesbeamte und Richter im Bundesdienst (ErziehungsurlaubsverordnungErzUrlV -: „Während des Erziehungsurlaubs hat der Beamte Anspruch auf Beihilfe …” ergangen ist, handelt es sich zwar um eine Vorschrift des Landesrechts, deren Geltungsbereich sich nicht über den Bezirk des Berufungsgerichts – des Landessozialgerichts (LSG) Schleswig – hinaus erstreckt und daher nicht revisibel ist (§ 162 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Wegen der genannten Parallelität, wobei die landesrechtliche Vorschrift auch ausdrücklich auf die für die Bundesbeamten geltenden (Beihilfe-) Vorschriften abhebt, steht § 162 SGG der Revision aber nicht entgegen. Da das SG die genannte landesrechtliche Norm offenbar übersehen hat, steht seiner Anwendung jedenfalls auch nicht die Vorschrift des § 202 SGG iVm § 562 Zivilprozeßordnung (ZPO) entgegen, wonach die tatrichterliche Entscheidung über das Bestehen und den Inhalt irrevisiblen Rechts für die Revisionsentscheidung maßgebend ist (vgl BGHZ 40, 197, 201).

Hatte die Ehefrau des Klägers in der streitigen Zeit demnach aber einen beamtenrechtlichen Beihilfeanspruch, so steht dem Kläger kein Anspruch auf Familienkrankenhilfe für sie zu. Denn der Anspruch nach § 205 Reichsversicherungsordnung (RVO) setzt (negativ) voraus, daß „nicht anderweit” ein gesetzlicher Anspruch auf Krankenpflege besteht. Mit dem Anspruch nach § 6 der Schleswig-Holsteinischen ErzUVO war ein anderweitiger gesetzlicher Anspruch auf Krankenpflege gegeben. Indem der Gesetzeswortlaut bei der Ausschließung des Familienanspruchs auf einen (anderweitigen gesetzlichen) „Anspruch auf Krankenpflege” abstellt, beschränkt er den die Familienhilfe ausschließenden Anspruch weder auf Ansprüche der gesetzlichen Krankenversicherung noch auf sonstige Krankenpflegeansprüche der RVO; er kann seine Grundlage auch außerhalb der Sozialversicherung haben (vgl BSGE 11, 30, 33 und die dort angeführten Zitate; Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Bd 2 Stand 31. Januar 1988, Anm 14 zu § 205 RVO). Auf der anderen Seite entfällt der die Familienhilfe ausschließende Anspruch aber auch nicht dadurch, daß statt der unmittelbaren krankenpflegerischen Sachleistung eine Erstattung der Krankenpflegekosten und damit nur eine mittelbare gesetzliche Krankenfürsorge erfolgt. Denn hier wie dort geht es um die gleiche Interessenlage, nämlich bei anderweitiger, auf eine Krankenfürsorge gerichtete gesetzliche Anspruchsregelung den Familienhilfeanspruch nach § 205 RVO zu versagen. Dem obengenannten Urteil des Senats vom 5. November 1959 – 3 RK 41/55 – kann (entgegen Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, Stand 15. Mai 1988, Anm 4.4.1 zu § 205 RVO) nichts Gegenteiliges entnommen werden; dort ist lediglich davon die Rede, daß Unterhaltsansprüche, Gehaltsansprüche und sonstige Geldleistungsansprüche für den Ausschluß nicht ausreichen (BSGE 11, 33); die (als Zitat gemeinte) Formulierung „weil der Anspruch auf die umfassende Barleistung mit dem in § 205 RVO allein gemeinten Anspruch auf die Sachleistung der Krankenpflege nicht wesensgleich sei”, will, wie sich insbesondere aus dem Kontext ergibt, nicht zum Ausdruck bringen, daß Ansprüche auf Kostenerstattungen von dem Ausschluß des § 205 RVO ausgenommen seien, dem Ausschluß also nur Ansprüche auf direkte Sachleistungen unterfallen würden.

Der Umstand aber, daß der Ehefrau des Klägers, deren beamtenrechtliches Dienstverhältnis während des Erziehungsurlaubes ohne Dienstbezüge fortbestand, wie den Bundesbeamten (in der streitigen Zeit) ein Beihilfe-Bemessungsanspruch von nur 50 % zustand (vgl § 14 Abs 1 Nr 1 der Beihilfevorschriften vom 19. April 1985, GMbl S 290), sie im übrigen aber auf Eigenvorsorge angewiesen war, zu deren Bestreitung sie nicht auf laufende Dienstbezüge zurückgreifen konnte, steht dem gesetzlichen Ausschluß des Familienhilfeanspruches nicht entgegen. Wie sich aus dem Grundsatz der Subsidiarität des Familienhilfeanspruchs ergibt, könnte der Kläger ohnehin nur denjenigen Teil der Beihilfeleistungen beanspruchen, den die Ehefrau des Klägers im streitigen Zeitraum nicht erstattet bekommen hat. Aber auch ein solcher, bloß ergänzender Familienhilfeanspruch steht dem Kläger nicht zu. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat zwar in seiner Entscheidung vom 9. Juni 1975 (BvR 2261/73, 2268/73 = SozR 2200 § 205 RVO Nr 4) zum Ausdruck gebracht, daß der „Grundsatz der Unteilbarkeit der Leistungen” – der im Rahmen der Familienhilfe verhindern soll, daß mehrere Versicherungsverhältnisse mit Leistungen, die im großen und ganzen, aber nicht in jeder Hinsicht gleich sind, nebeneinander bestehen und Ansprüche auf Einzelleistungen dort geltend gemacht werden, wo sie am günstigsten sind – jedenfalls dann nicht mehr unter dem Aspekt der Gleichbehandlung nach Art 3 des Grundgesetzes (GG) gelten könne, wenn ganz erhebliche Unterschiede zwischen den Krankenversicherungsansprüchen des Versicherten und den entsprechenden Ansprüchen des Ehegatten bestehen. Eine Aufspaltung der Leistungen sei nicht undurchführbar; es sei durchaus möglich, daß zunächst die Ansprüche des angehörigen Ehegatten abgerechnet und anschließend die restlichen Aufwendungen im Rahmen der Familienhilfe geltend gemacht werden. Der 5. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat demnach sowohl in seinem Urteil vom 30. März 1977 – 5 RKn 10/76 – (SozR 2200 § 205 RVO Nr 12) als auch in seinem Urteil vom 1. April 1981 – 5a/5 RKn 8/79 – (BSGE 51, 265 = SozR 2200 § 205 RVO Nr 39) eine Entscheidung mit solchen Ergänzungsregelungen getroffen. Die Entscheidung des BVerfG betraf jedoch keinen Ehepartner, der im Beamtenverhältnis steht.

Die Vorschrift des § 205 RVO enthält über die ausdrücklich genannten Leistungsbegrenzungen hinaus auch ungeschriebene Schranken, etwa insoweit, als einem Versicherten für seine als Selbständige tätigen Familienangehörigen keine Familienkrankenhilfe zusteht (BSG, Urteil vom 29. Januar 1980, 3 RK 38/79, BSGE 49, 247 = SozR 2200 § 205 RVO Nr 33). Insoweit hat die historische Grundstruktur der gesetzlichen Krankenversicherung als eine Versicherung der Arbeiter und Angestellten unmittelbare gesetzliche Auswirkungen. Insbesondere aber deshalb, weil es sich bei der Familienkrankenhilfe um eine kostenfreie Mitversicherung zu Lasten der Solidargemeinschaft handelt, ist die Vorschrift des § 205 RVO im Zweifel eng auszulegen. Das kann auch bei der Prüfung der Frage, was unter dem Aspekt des Gleichbehandlungsgebotes des Art 3 GG als gleicher Sachverhalt anzusehen ist, nicht außer Betracht bleiben. Die Ehefrau des Klägers gehört als Beamtin einer Beschäftigtengruppe an, deren Angehörige die durch die staatliche Beihilfe-Versorgung nicht abgedeckten Kostenrisiken durch privatrechtliche Versicherungsverträge abzudecken pflegen, wie auch hier geschehen. Als Ergänzungsleistung nach § 205 RVO käme daher nur die Übernahme der zur Absicherung dieses Anteils erforderlichen Versicherungsprämien in Betracht. Dieses aus der Struktur der Beamtenversorgung resultierende Restrisiko, dem immerhin eine beamtenrechtliche Absicherung von 50 Prozent gegenübersteht, durch die Solidargemeinschaft der gesetzlichen Krankenversicherung tragen zu lassen, läßt sich aber aus dem Institut der Familienkrankenhilfe nicht rechtfertigen. Es kann hier dahinstehen, ob der Ehefrau des Klägers nach der genannten Landesverordnung ebenso wie den Bundesbeamten nach § 5 Abs 2 ErzUrlV vom 17. Dezember 1985 (BGBl I, 2322) außer ihrem Anspruch auf Beihilfe auch noch ein Anspruch auf eine Erstattung eines Teiles der Beiträge für eine die Beihilfe ergänzende Krankenversicherung zusteht. Die genannte Regelung zeigt jedenfalls, daß der berufliche Status der Ehefrau des Klägers in der streitigen Zeit auch hinsichtlich der Fürsorgeleistungen typischerweise von beamtenrechtlichen Regelungen bestimmt wurde und damit ein Familienhilfeanspruch des Klägers auszuscheiden hat.

Auf die Revision der Beklagten war das Urteil des SG daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

NJW 1989, 1759

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