Leitsatz (amtlich)
1. Bezieht der im Versorgungsausgleich Ausgleichspflichtige bei Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung des Familiengerichts über den Versorgungsausgleich bereits eine Rente, so ist er im Rechtsstreit der Ausgleichsberechtigten mit dem Versicherungsträger über den Rentenanspruch aus den übertragenen Versorgungsanwartschaften notwendig beizuladen (Weiterführung von BSG 12.11.1969 4 RJ 521/66 = SozR Nr 36 zu § 75 SGG).
2. Hat der Berechtigte keine Beiträge zu einer gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet, so ist der für die Wartezeiterfüllung erforderlichen Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten (§ 1247 Abs 3 S 1 Buchst a RVO) die im Versorgungsausgleich erfolgte Übertragung von Rentenanwartschaften (§ 1304c Abs 1 RVO) gleichzusetzen.
Normenkette
RVO § 1247 Abs 3 S 1 Buchst a, § 1304c Abs 1 S 1; SGG § 75 Abs 2; RVO § 1304a Abs 4 S 2
Verfahrensgang
SG Dortmund (Entscheidung vom 03.07.1985; Aktenzeichen S 34 J 56/85) |
Tatbestand
Die 1930 geborene und nicht versicherungspflichtig tätig gewesene Klägerin war in der Zeit vom 13. September 1952 bis zum 12. Januar 1984 (Ehescheidung) mit dem bei der Beklagten versicherten K. verheiratet, der seit dem 1. Oktober 1976 Altersruhegeld sowie eine Versorgungsrente von der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder bezieht. Im Versorgungsausgleich wurden für die Klägerin auf ein bei der Beklagten errichtetes Konto Rentenanwartschaften im Gesamtwert von monatlich 516,85 DM übertragen bzw begründet (1.715,75 Werteinheiten, die einer Wartezeit von 275 Monaten entsprechen). Den von der Klägerin im März 1984 gestellten Rentenantrag lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 20. Juli 1984 mit der Begründung ab, zwar sei der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit am 26. März 1984 eingetreten und die Wartezeit von 60 Kalendermonaten erfüllt, es fehle jedoch an der seit 1. Januar 1984 erforderlichen Belegung von mindestens sechsunddreißig Kalendermonaten innerhalb der letzten sechzig Kalendermonate vor Eintritt des Versicherungsfalls mit Beiträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit.
Auf den als Klage an das Sozialgericht (SG) Dortmund weitergeleiteten Widerspruch der Klägerin hat dieses Gericht die Beklagte am 3. Juli 1985 unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides verurteilt, der Klägerin Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 1. April 1984 zu gewähren. Es hat die Notwendigkeit der Beiladung des Versicherten verneint, weil die aufschiebend bedingte Kürzung seiner Rentenansprüche nach § 1304a Abs 4 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) automatisch eintrete, sobald für die Klägerin eine Rente zu gewähren sei und die Entscheidung hierüber in jedem Fall für ihn bindend sei. Den Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit hat das SG nach Art 2 § 6 Abs 2 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) für begründet erachtet. Danach komme es für Versicherungsfälle in der Zeit bis zum 30. Juni 1984 nicht darauf an, ob die Voraussetzungen des § 1246 Abs 2a RVO erfüllt seien. Insoweit genüge vielmehr, daß der Versicherte vor dem 1. Januar 1984 eine Versicherungszeit von sechzig Kalendermonaten zurückgelegt habe. Letzteres treffe zwar wörtlich auf die Klägerin, die keine eigenen Versicherungszeiten zurückgelegt habe, nicht zu, müsse aber nach dem Sinn des Versorgungsausgleichs als gegeben angesehen werden. Denn die Übertragung der Rentenanwartschaften auf die Klägerin ergäbe keinen Sinn, wenn durch diese Anwartschaften die erforderliche Wartezeit nicht erfüllt werden könne.
Die vom SG mit Beschluß vom 30. September 1985 zugelassene Revision hat die Beklagte mit Zustimmung der Klägerin innerhalb eines Monats nach Zustellung des Zulassungsbeschlusses eingelegt. Sie rügt, das SG habe Art 2 § 6 Abs 2 ArVNG und § 1247 Abs 2a RVO verletzt, weil die durch den Versorgungsausgleich übertragenen Anwartschaften Pflichtbeiträgen nicht gleichgestellt werden könnten.
Die Beklagte beantragt sinngemäß, die Klage unter Aufhebung des Urteils des SG Dortmund vom 3. Juli 1985 abzuweisen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.
Der Senat, der die Beteiligten in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen hat, entscheidet wegen des Ausbleibens der Beteiligten im Termin zur mündlichen Verhandlung gemäß § 126 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nach Lage der Akten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das SG allein deswegen begründet, weil das SG den Versicherten zu Unrecht nicht gemäß § 75 Abs 2 (1. Alternative) SGG beigeladen hat und die Beiladung im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden kann (§ 168 SGG). Die Unterlassung dieser Beiladung ist auch in dem der Rüge von Verfahrensmängeln nicht zugänglichen Verfahren der Sprungrevision (vgl § 161 Abs 4 SGG) von Amts wegen zu beachten (vgl SozR 1500 § 75 Nrn 1, 21 und 47 sowie Jens Meyer-Ladewig, SGG, 3. Aufl, Anm 10 zu § 161).
Nach § 75 Abs 2, 1. Alternative SGG sind Dritte beizuladen, wenn sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Daß dies nicht nur bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung zutrifft, hat das Bundessozialgericht (BSG) bereits entschieden. In einem Verfahren wegen Gewährung von Hinterbliebenenrente sind im Urteil des 4. Senats vom 12. November 1969 - 4 RJ 521/66 - (SozR Nr 36 zu § 75 SGG; vgl auch SozR 1500 § 75 Nr 8) andere Hinterbliebene desselben Versicherten, die bereits Hinterbliebenenrente beziehen, dann als notwendig Beizuladende bezeichnet worden, wenn durch die weitere Rentengewährung die für die Hinterbliebenenrente festgelegte Höchstgrenze überschritten würde (Weiterführung von BSG SozR Nrn 3 und 5 zu § 1268 RVO). Bejahe man nämlich den Anspruch der Witwe, so greife die Entscheidung über ihren Rentenantrag gemäß § 1270 Abs 1 Satz 1 RVO unmittelbar in die Rechtsbeziehungen zwischen der Beklagten und den Kindern (den übrigen Hinterbliebenen) ein. Ein derartiger unmittelbarer Eingriff ist im vorliegenden Fall bezüglich der Rechtsbeziehungen zwischen der Beklagten und dem Versicherten ebenfalls gegeben. Denn die Gewährung einer Rente an die Klägerin gemäß § 1304a Abs 4 Satz 2 RVO führt zu einer Minderung der Rente des Versicherten, weil er bei Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung des Familiengerichts über den Versorgungsausgleich bereits Rente bezogen hat und diese Rente die aus dem Versorgungsausgleich folgende Minderung erst dann erfährt, wenn aus der Versicherung der Berechtigten eine Rente zu gewähren ist. Darauf, daß die Minderung der Rente des Versicherten erst noch durch einen gesonderten Bescheid der Beklagten festzustellen ist, kann es nicht ankommen, weil der Sinn der notwendigen Beiladung gerade darin besteht, dem von der streitigen Leistungsgewährung nach dem Wortlaut des Gesetzes Betroffenen Gelegenheit zu Darlegungen des Inhalts zu geben, daß und ggf weshalb der seine Rente schmälernde Rentenanspruch nicht oder noch nicht bestehe. Die Beiladung des Versicherten ist demnach hier iS von § 75 Abs 2, 1. Alternative SGG notwendig.
Im übrigen ist jedoch die vom SG vertretene materielle Rechtsauffassung jedenfalls im Ergebnis revisionsgerichtlich zu bestätigen, was bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung gemäß § 170 Abs 5 SGG zu beachten ist.
Da der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit bei der Klägerin nach der für das Revisionsgericht gemäß §§ 161 Abs 4, 163 SGG bindenden Feststellung des SG am 26. März 1984 eingetreten ist, gilt nach Satz 2 der Übergangsbestimmung des Art 2 § 6 Abs 2 ArVNG § 1247 Abs 1 RVO in der am 31. Dezember 1983 geltenden Fassung, wobei die Verfassungsmäßigkeit der genannten Übergangsvorschrift hier aus folgenden Gründen dahingestellt bleiben kann:
Nach der am 31. Dezember 1983 geltenden Fassung des § 1247 Abs 1 RVO setzt der Anspruch der Klägerin auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit außer dem Eintritt des Versicherungsfalles nur voraus, daß die Wartezeit erfüllt ist. Das trifft nach § 1247 Abs 3 Buchst a RVO zu, wenn vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit eine Versicherungszeit von sechzig Kalendermonaten zurückgelegt ist. Dies muß nach Art 2 § 6 Abs 2 Satz 1 Buchst a ArVNG in der Zeit vor dem 1. Januar 1984 geschehen sein. Dabei genügt es grundsätzlich für den Versicherungsfall der Klägerin - entgegen dem Wortlaut der Bestimmung - nicht, daß der Versicherte - ihr geschiedener Ehemann - diese Versicherungszeit zurückgelegt hat. Zweck der Wartezeit ist es nämlich, den Anspruch auf die Versicherungsleistung von einer gewissen Mindestversicherungszeit desjenigen abhängig zu machen, der den Versicherungsanspruch erhebt (vgl Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Stand: August 1986 Band III S 672d). Die Bestimmung verlangt daher sinngemäß, daß die Klägerin vor dem 1. Januar 1984 eine Versicherungszeit von sechzig Kalendermonaten zurückgelegt hat. Dies trifft zwar unstreitig nicht zu; daraus ergibt sich jedoch die Frage, ob der grundsätzlich zu fordernden vor dem 1. Januar 1984 selbst zurückgelegten Versicherungszeit von sechzig Kalendermonaten die im Versorgungsausgleich erfolgte Übertragung von Rentenanwartschaften gleichzusetzen ist, wenn sie sechzig Kalendermonate vor dem 1. Januar 1984 enthält. Der Senat bejaht dies.
Die Grundfrage, ob es überhaupt sinnvoll ist, einem Ausgleichsberechtigten, der selbst keine Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet hat, im Versorgungsausgleich Rentenanwartschaften zu übertragen, ist in § 1304c Abs 1 Satz 1 RVO bejaht worden. Aus der Bestimmung ergibt sich eindeutig, daß dem Ausgleichsberechtigten, der keine Beiträge zu einer gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet hat, Rentenanwartschaften im Wege des Versorgungsausgleiches zu übertragen sind. Nach der in der Vorschrift enthaltenen Fiktion "gilt" der Berechtigte als in dem Zweig der gesetzlichen Rentenversicherung versichert, in dem das Konto des Verpflichteten geführt wird. Wird aber der ausgleichsberechtigte geschiedene Ehegatte auf den Weg des Unterhalts aus den ihm übertragenen Rentenanwartschaften verwiesen und gilt er nun als versichert, auch wenn er keine Beiträge zu einer gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet hat, so darf ihm letzteres auch nicht bei Prüfung der Wartezeit entgegengehalten werden. Anderenfalls könnte die Übertragung der Rentenanwartschaften nicht zu einem Rentenanspruch führen und wäre damit sinnlos.
Diese Auffassung wird von § 1304a Abs 5 Satz 1 RVO bestätigt. Danach wird bei den Ausgleichsberechtigten für die Erfüllung der Wartezeit grundsätzlich die Zahl hinzugerechnet, die sich ergibt, wenn die Werteinheiten nach den Abs 1 bis 3 durch 6,25 geteilt werden und die sich ergebende Zahl auf die nächste volle Zahl nach oben aufgerundet wird. Die übertragenen Werteinheiten werden also innerhalb der im Gesetz vorgesehenen Begrenzung auf die Ehezeit wie selbst zurückgelegte Versicherungszeiten behandelt. Daß dies bei der Klägerin mehr als sechzig Beitragsmonate sind und daß diese Zeiten sämtlich aus den vor dem 1. Januar 1984 endenden Beitragszeiten des Versicherten stammen, ist unter den Beteiligten nicht streitig. § 1304a Abs 5 Satz 1 RVO sieht zwar für die Erfüllung der Wartezeit nur vor, daß eine näher bestimmte Zahl "hinzugerechnet" wird. Begriffliche Bedenken, daß damit eine eigene Wartezeit vorausgesetzt sei, weil nur zu ihr etwas hinzugerechnet werden könne, vermögen jedoch nicht zu überzeugen. Sicherlich ist der Wortlaut der Bestimmung vom Regelfall beeinflußt, in dem der Ausgleichsberechtigte eigene - für die Wartezeiterfüllung aber womöglich nicht ausreichende - Versicherungszeiten aufzuweisen hat. Dies kann auch eine eigene Versicherungszeit von nur einem Monat sein (vgl dazu § 1250 Abs 3 RVO). Dieser Aspekt rechtfertigt indes nicht die Annahme, der Gesetzgeber, der in § 1304c Abs 1 Satz 1 RVO den Versorgungsausgleich ausdrücklich auch für die Fälle vorsieht, in denen der Ausgleichsberechtigte keine Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet hat, habe die Anrechnung übertragener Zeiten als Wartezeiten davon abhängig machen wollen, daß der Ausgleichsberechtigte eine eigene Versicherungszeit von wenigstens einem nach § 1250 Abs 3 RVO anzurechnenden Monat aufzuweisen hat.
Die Kostenentscheidung bleibt der dem Rechtsstreit abschließenden Entscheidung in der Sache vorbehalten.
Fundstellen