Orientierungssatz
Die auf AVG § 9 Abs 5 in der bis zum Inkrafttreten des RRG gültig gewesenen Fassung beruhende Pflicht zur Nachversicherung von Mitgliedern geistlicher Genossenschaften erstreckte sich nicht auf Fälle des Ausscheidens vor dem Inkrafttreten (1957-03-01) der Nachversicherungsvorschriften der Neuregelungsgesetze (Anschluß BSG 1966-05 -18 11 RA 249/64 = BSGE 25, 24). Die Neufassung des AVG § 9 Abs 5 durch das RRG hat an der bestehenden Rechtslage nichts geändert. Nur die ab 1972-1231 aus ihrer Gemeinschaft ausscheidenden Personen werden auch für Zeiten vor 1973 nach neuem Recht nachversichert.
Normenkette
AVG § 9 Abs. 5; NHV; AnVNG Art. 2 § 4; GG Art. 3 Abs. 1
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 23. November 1972 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die 1904 geborene Klägerin begehrt von der Beklagten die Nachversicherung für die Zeit von Januar 1923 bis Juni 1938. Nach ihren Angaben war die Klägerin in der genannten Zeit und darüber hinaus bis zu ihrem Ausscheiden im Dezember 1939 als Diakonisse bei dem E-stift in D beschäftigt, zunächst in der Krankenpflege und später als Kindergärtnerin. Beiträge zur Angestelltenversicherung seien ab Juli 1938 geleistet worden.
Die Beklagte lehnte die Nachversicherung durch Bescheid vom 6. Juni 1969 ab, weil die Vorschrift des § 9 Abs. 5 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) erst ab 1. März 1957 gelte und nur für die nach diesem Zeitpunkt liegenden Zeiten eine Nachversicherung zulasse. Der Widerspruchsbescheid vom 18. Mai 1971 enthielt die zusätzliche Begründung, die Klägerin sei seinerzeit als Diakonisse von der gesetzlichen Rentenversicherung nicht erfaßt worden; deshalb seien bei ihrem Ausscheiden auch nachträglich keine Beiträge seitens des Mutterhauses zu entrichten gewesen. Die Nachversicherungs-Härteverordnung vom 28. Juli 1959 sei in ihrem Falle nicht anwendbar. Die Klägerin dagegen meint, diese Härteverordnung müsse zu ihren Gunsten Anwendung finden, denn sie sei im Jahre 1939 nur deswegen ausgeschieden, weil damals ein von der NSDAP eingesetzter Kommissar, dem sie sich aus Gewissensgründen nicht habe unterstellen können, die Leitung des Diakonissenhauses übernommen habe.
Klage und Berufung blieben ohne Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hält die Anlehnung an das Urteil des Bundessozialgerichts vom 18. Mai 1966 - 11 RA 249/64 - (BSG 25, 24) die Nachversicherung von Diakonissen, die vor dem 1. Januar 1957 aus ihrem Orden ausgeschieden sind, für ausgeschlossen. Daran habe auch die Neufassung des § 9 Abs. 5 AVG durch das Rentenreformgesetz (RRG) vom 16. Oktober 1972 nichts geändert, denn nach Art. 6 § 8 Abs. 1 dieses Gesetzes gelte jene Neufassung erst ab 1. Januar 1973. Die Nachversicherungs-Härteverordnung vom 28. Juli 1959 (BGBl I 550) sei im Falle der Klägerin nicht anwendbar, weil diese Verordnung nur Härten ausgleiche, die sich aus den Beamtengesetzen ergäben. Die Klägerin habe auch weder nach dem Gesetz über die Behandlung der Verfolgten des Nationalsozialismus in der Sozialversicherung vom 22. August 1949 noch nach dem Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung vom 22. Dezember 1970 einen Anspruch auf Nachversicherung.
Mit der zugelassenen Revision beantragt die Klägerin,
unter Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile und des angefochtenen Bescheides in der Fassung des Widerspruchsbescheides die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin für die Zeit vom 1. Januar 1924 (gemeint: 1923) bis 30. Juni 1938 nachzuversichern.
Sie rügt im wesentlichen eine Verletzung des § 9 Abs. 5 AVG i. V. m. Art. 2 § 4 Abs. 2 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) sowie der Nachversicherungs-Härteverordnung vom 28. Juli 1959. In ihrem Falle diene die Nachversicherung in gewissem Sinne der Wiedergutmachung, weil sie wegen ihrer Gegnerschaft zum Nationalsozialismus aus Gewissensgründen das Mutterhaus verlassen habe. Das LSG habe allerdings insoweit seiner Sachaufklärungspflicht (§ 103 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) nicht genügt; es habe versäumt, diesen Sachverhalt und seine rechtlichen Konsequenzen mit besonderer Sorgfalt zu prüfen und aufzuklären. Im übrigen sei nicht ausreichend geprüft worden, ob die Änderung des § 9 Abs. 5 AVG gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoße und ob der durch das RRG angefügte § 10 Abs. 1 a AVG auf die Klägerin anwendbar sei. Das LSG habe auch nicht beachtet, daß die Klägerin im Zeitpunkt ihres Ausscheidens aus dem Diakonissen-Mutterhaus zur Gruppe der Versicherungspflichtigen gehört habe.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Streitig ist ein Anspruch auf Durchführung einer Nachversicherung. Es ist deshalb nicht zu prüfen, ob der Klägerin ein Recht auf freiwillige Versicherung im Sinne des durch das RRG angefügten Absatzes 1 a des § 10 AVG zusteht; es ist auch nicht darüber zu entscheiden, ob die Beklagte auf Grund einer - in der Revisionsbegründung behaupteten - Versicherungspflicht jetzt noch für die streitige Zeit Pflichtbeiträge erheben müßte oder entgegennehmen dürfte (vgl. § 140 AVG).
Die Beklagte ist zu einer Nachversicherung der Klägerin für die Zeit von 1923 bis zum 30. Juni 1938 nicht verpflichtet. Nach § 9 Abs. 5 AVG in der bis zum Inkrafttreten des RRG gültig gewesenen Fassung war das schon deshalb ausgeschlossen, weil die hierauf beruhende Pflicht zur Nachversicherung von Mitgliedern geistlicher Genossenschaften - als Diakonisse gehörte auch die Klägerin zu diesem Personenkreis - sich nicht auf Fälle des Ausscheidens vor dem Inkrafttreten der Nachversicherungsvorschriften der Neuregelungsgesetze (1. März 1957) erstreckte. Der erkennende Senat hat das bereits in seinem Urteil vom 18. Mai 1966 (BSG 25, 24 ff) dargelegt. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird auf die Begründung dieses Urteils Bezug genommen. Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest. Die von der Revision vorgebrachten Argumente sind nicht geeignet, hiervon abzuweichen; sie widerlegen auch nicht die Gründe, mit denen das LSG einen Anspruch der Klägerin auf Nachversicherung verneint hat. Wenn bei dem Personenkreis, zu dem die Klägerin gehört, seinerzeit bewußt eine rückwirkende Ausdehnung der Nachversicherung auf Fälle des Ausscheidens und überhaupt auf die Zeit vor dem 1. März 1957 unterblieben ist (vgl. BSG aaO S. 27 unten), so liegt darin auch nicht deshalb eine Verletzung des Art. 3 des Grundgesetzes (GG), weil, wie die Revision meint, ein bestimmter Personenkreis durch eine zeitliche Zäsur (1. März 1957) ungleich behandelt wurde. Die Revision übersieht, daß jede mit einem bestimmten Stichtag verbundene Regelung, die zur Begrenzung eines begünstigten Personenkreises führt, nur dann sachfremd ist, wenn sich für die unterschiedliche Regelung schlechterdings keine vernünftige Erklärung finden läßt (BSG 14, 95, 98); davon kann hier schon aus den vom LSG dargelegten Gründen (vgl. S. 7 der Urteilsgründe) keine Rede sein.
Das LSG hat auch zutreffend ausgeführt, daß und weshalb die Neufassung des § 9 Abs. 5 AVG durch das RRG an der bestehenden Rechtslage nichts geändert hat. Nur die ab 31. Dezember 1972 aus ihrer Gemeinschaft ausscheidenden Personen werden auch für Zeiten vor 1973 nach neuem Recht nachversichert; dagegen ist für die bis zum 31. Dezember 1972 Ausgeschiedenen das bisherige Recht maßgebend.
Aus den vom LSG bereits dargelegten Gründen - nämlich weil die Klägerin als ehemalige Diakonisse nicht unter die Beamtengesetze fällt - kann auch die Nachversicherungs-Härteverordnung vom 28. Juli 1959 keine Anwendung finden. Alle übrigen als Anspruchsgrundlage in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkte sind vom LSG ebenfalls mit zutreffendem Ergebnis geprüft worden. Das LSG hat zu Recht auch eine Nachversicherungspflicht nach § 18 AVG idF vom 28. Mai 1924 ausgeschlossen. Dabei kann dahinstehen, ob und weshalb für die Klägerin ab Juli 1938 Beiträge zur Angestelltenversicherung entrichtet worden sind.
Daß das LSG seine Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) verletzt hat, ist nicht erkennbar. Von seiner Rechtsauffassung her war das LSG nicht verpflichtet, durch weitere Ermittlungen zu klären, ob die Klägerin seinerzeit unter dem Druck nationalsozialistischer Verfolgungsmaßnahmen aus dem Diakonissen-Mutterhaus ausgeschieden ist. Die Revision übersieht, daß - wie das LSG zutreffend dargelegt hat - weder das Gesetz über die Behandlung der Verfolgten des Nationalsozialismus in der Sozialversicherung vom 22. August 1949 noch das Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung vom 22. Dezember 1970 eine Nachversicherung vorsieht für Zeiten vor dem verfolgungsbedingten Ausscheiden aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung.
Das LSG hat somit zutreffend entschieden, daß ein Anspruch der Klägerin auf Nachversicherung für die streitige Zeit nicht gegeben ist. Die Revision ist hiernach unbegründet und muß deshalb zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen