Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 20.09.1982) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 20. September 1982 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der 1942 geborene Versicherte, wegen der Folgen einer Kinderlähmung anerkannter Schwerbehinderter, beantragte zunächst bei der beklagten Landesversicherungsanstalt als Rehabilitationsleistung einen Zuschuß für seinen Pkw. Die Beklagte lehnte dies ab (Bescheid vom 9. Oktober 1978, Widerspruchsbescheid vom 29. Januar 1979). Das anschließende sozialgerichtliche Verfahren, zu dem der klagende Landeswohlfahrtsverband des vorliegenden Rechtsstreits beigeladen worden war, schloß mit dem die Klage abweisenden rechtskräftigen Urteil des Sozialgerichts (SG) Heilbronn vom 25. September 1981 ab. Schon vorher (Bescheid vom 26. Juli 1979) hatte der Kläger dem Versicherten ein Darlehen von 2.890,-- DM sowie eine Beihilfe von 2.104,-- DM für den Kauf des Pkw gewährt.
Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 3. Juli 1979 von der Beklagten die Erstattung der dem Versicherten gezahlten Beträge verlangt hatte, erhob er am 1. Oktober 1981 Klage, die das SG Stuttgart abwies (Urteil vom 20. April 1982). Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat die Berufung durch Urteil vom 20. September 1982 zurückgewiesen. Es hat ausgeführt:
Die Zulässigkeit des Rechtswegs und der Leistungsklage sei zu bejahen. Auch das rechtskräftige Urteil des SG Heilbronn vom 25. September 1981 stehe der Klage nicht entgegen, da es sich bei dem Erstattungsanspruch nach § 28 Abs 5 Satz 2 des Gesetzes zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (SchwbG) um einen selbständigen, eigenen Anspruch des Klägers handele. Gleichwohl sei die Beklagte nicht der “zuständige” Leistungsträger. Denn die Leistungsverpflichtung der Beklagten gegenüber dem Versicherten sei im Vorprozeß durch rechtskräftiges Urteil verneint worden. Dies binde auch den jetzigen Kläger als damaligen Beigeladenen. Der frühere Streitgegenstand sei als Vorfrage rechtserheblich für den Erstattungsanspruch. Wegen dieser Wirkung sei eine Überprüfung derselben Frage unzulässig.
Mit der – vom Senat zugelassenen – Revision macht der Kläger geltend, dem Versicherten stehe entgegen der Auffassung der Beklagten und des SG Heilbronn ein Anspruch nach §§ 1236f Reichsversicherungsordnung (RVO) zu. Im früheren Prozeß sei nicht über eine rechtserhebliche Vorfrage des Erstattungsanspruchs entschieden worden. Eine solche Vorfrage iS des § 141 Sozialgerichtsgesetz (SGG) könne nur das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen betreffen, nicht den Anspruch des Versicherten. So habe das Bundessozialgericht (BSG) in einem vergleichbaren Fall entschieden (Hinweis auf BSG, Urteil vom 14. Dezember 1965 – 2 RU 24/61 = BSGE 24, 155 = SozR Nr 2 zu § 1504 RVO). Folge man der Gegenmeinung, müsse ein ablehnender Bescheid gegenüber dem Versicherten zugleich dem vorleistenden Träger zugestellt werden, der dann auch notwendig beizuladen wäre. Gegen die Annahme einer Bindungswirkung nach § 141 SGG spreche auch, daß der Versicherte die Verfügungsbefugnis über seinen Anspruch gegen den endgültig verpflichteten Träger verliere, sobald sein Anspruch durch den vorleistenden Träger erfüllt werde. Deshalb habe das LSG die Zuständigkeit der Beklagten in vollem Umfang überprüfen müssen. Hinsichtlich der Darlehnsgewährung hat der Kläger seinen Antrag in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen.
Der Kläger beantragt,
- das angefochtene Urteil sowie das Urteil des SG Stuttgart vom 20. April 1982 – S 6 J 2813/81 – aufzuheben und
- den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG Baden-Württemberg zurückzuverweisen, hilfsweise
- die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.104,-- DM zu zahlen.
Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet.
Zutreffend haben die Vorinstanzen den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit bejaht und dies mit der materiellrechtlichen Grundlage des geltend gemachten Erstattungsanspruchs begründet, der (letztlich) aus Vorschriften der RVO (§§ 1236 ff) hergeleitet werde.
Allerdings ist seit dem landessozialgerichtlichen Urteil – mit Wirkung vom 1. Juli 1983 – eine Rechtsänderung durch das Gesetz vom 4. November 1982 (BGBl I 1450) – Sozialgesetzbuch (SGB X) – Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehungen zu Dritten – eingetreten, die grundsätzlich auch Erstattungsansprüche wie den vorliegenden erfaßt. Danach schreibt § 114 Satz 1 SGB X in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung vor, daß für den Erstattungsanspruch derselbe Rechtsweg wie für den Anspruch auf die Sozialleistung gegeben ist. Im Gegensatz zur bisherigen Rechtslage läßt aber Satz 2 der Vorschrift im Falle des § 102 SGB X den Anspruch gegen den vorleistenden Leistungsträger maßgebend sein. § 102 SGB X regelt die Erstattungspflicht des zur Leistung verpflichteten Leistungsträgers, wenn ein Leistungsträger aufgrund gesetzlicher Vorschriften vorläufig Sozialleistungen erbracht hat. Zu den Vorschriften, die eine solche vorläufige Leistungsverpflichtung entfalten, gehört auch § 28 Abs 5 SchwbG (so Schroeder-Printzen/Engelmann, SGB X, § 102 Anm 2.1; zur Vorleistungspflicht nach dieser Bestimmung auch: Jung/Cramer, Schwerbehindertengesetz, 2. Aufl 1980, § 28 RdNrn 18, 22). Dies bedeutet, daß nunmehr Erstattungsansprüche nach § 28 Abs 5 SchwbG im Streitfall vor den Verwaltungsgerichten zu entscheiden sind.
Gleichwohl ist der erkennende Senat, der die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs von Amts wegen prüfen muß, der Ansicht, daß die vorgenannte Rechtsänderung im vorliegenden Streitverfahren die Zulässigkeit des Sozialrechtswegs nicht berührt. Zwar heißt es in Art II § 21 des Gesetzes vom 4. November 1982 (wortgleich mit Art II § 37 Abs 1 des für die §§ 1 bis 85 SGB X geltenden Gesetzes vom 18. August 1980 – BGBl I 1469 –), bereits begonnene Verfahren seien nach den Vorschriften dieses Gesetzes zu Ende zu führen, und der Senat hat in dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 1. Dezember 1983 – 4 RJ 91/82 – entschieden, ein begonnenes Verwaltungsverfahren sei nach Sinn und Zweck des Gesetzes nicht schon mit dem Erlaß des Verwaltungsaktes, sondern erst mit dessen Bindungswirkung (§ 77 SGG) abgeschlossen (S 6, 7 des Urteils mit weiterer Rechtsprechung; ebenso Schroeder-Printzen/Engelmann aaO Vorbem 7 bis 9 vor § 102 SGB X und Anm zu Art II § 21; aA VDR-Komm, SGB X Vorbem 2 vor § 102 SGB X); dies kann aber nur im Grundsatz gelten, und nicht insoweit, als ein spezieller und/oder übergeordneter Rechtssatz entgegensteht. Diesen enthält § 94 Abs 3 SGG, wonach die Zuständigkeit des Gerichts durch eine Veränderung der sie begründenden Umstände nach Eintritt der Rechtshängigkeit nicht berührt wird (sogenannte perpetuatio fori). Wenngleich die Vorschrift dem Wortlaut nach nur die sachliche und örtliche Zuständigkeit erfaßt, ist eine weite Auslegung geboten und die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs einzubeziehen (so Meyer-Ladewig, SGG, 2. Aufl Anm 9 zu § 94; Bley in SGB-SozVers GesKomm § 94 SGG Anm 4 b; Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, 2. Aufl S 363), zumal die anderen Verfahrensordnungen dies ausdrücklich vorschreiben (§ 261 Abs 3 Nr 2 Zivilprozeßordnung, § 90 Abs 3 Verwaltungsgerichtsordnung und § 66 Abs 3 Finanzgerichtsordnung) und für eine davon abweichende Regelung weder die Entstehungsgeschichte zum SGG (vgl Begründung des Regierungsentwurfs zu § 42 Sozialgerichtsordnung, BT-Drucks I/4357 S 27) Ansatzpunkte bietet noch sonst sachgerechte Argumente ersichtlich sind. Zu den Veränderungen, die eine einmal bestehende Zuständigkeit und die Erhaltung des Rechtswegs nicht berühren, gehört auch die gesetzliche Änderung der Zuständigkeit (BGH in NJW 1978, 949). Unter Berücksichtigung der somit dargelegten Rechtslage vermag Art II § 21 des Gesetzes vom 4. November 1982 iVm §§ 114, 102 SGB X keinen neuen Rechtsweg für das laufende Verfahren zu begründen.
Die Klage ist auch nicht deswegen unzulässig, weil im Vorprozeß durch das SG Heilbronn bereits negativ rechtskräftig über den Anspruch des Versicherten gegen die Beklagte entschieden worden ist. Denn der Anspruch des Klägers nach § 28 Abs 5 SchwbG ist ein originärer, selbständiger Anspruch eigener Art, so daß schon deshalb der Streitgegenstand dieses Verfahrens mit demjenigen, der dem früheren, vor dem SG Heilbronn geführten Prozeß zugrunde lag, nicht identisch sein kann.
Dennoch ist, wie das LSG ebenfalls richtig erkannt hat, jenes Urteil auch im Rahmen den jetzigen Prozesses beachtlich. Unterstellt man, daß die Hauptfürsorgestelle des Klägers verpflichtet war, aus ihrer Sicht vorläufig ihre Leistungen zu erbringen (§ 28 Abs 5 Satz 1 SchwbG), so besteht doch ein Erstattungsanspruch gegen die Beklagte nur dann, wenn diese für die Leistung “zuständig ist” (aaO Satz 2). Diese Bestimmung bedeutet nicht, daß lediglich die generelle Zuständigkeit eines Versicherungsträgers für entsprechende Leistungen gegeben sein müßte, sondern der in Anspruch genommene Träger muß konkret zu der Leistung verpflichtet sein (vgl § 102 Abs 1 SGB X). Gerade diese Verpflichtung ist im Vorprozeß geprüft und verneint worden. Damit besteht eine direkte Abhängigkeit der im (jetzigen) Zweitprozeß geltend gemachten Rechtsfolge von der Rechtsfolge, über die im Vorprozeß bereits entschieden worden ist. In einem solchen Fall der Vorgreiflichkeit (Präjudizialität) der im Erstprozeß getroffenen Entscheidung ist das Zweitgericht insoweit gebunden (vgl Bley, aaO § 141 SGG Anm 6 d). Denn § 141 Abs 1 SGG stellt ab auf den Streitgegenstand (prozessualen Anspruch) im Zusammenhang mit einem Urteilsspruch unabhängig davon, ob dieses Urteil “richtig” ist. Es kommt entscheidend darauf an, daß für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch ein Anspruch des Versicherten gegen die Beklagte vorausgesetzt wird.
Daß die rechtskräftige Entscheidung des früheren Prozesses für den vom Kläger in diesem Verfahren geltend gemachten Anspruch vorgreiflich ist, beruht auf der Beteiligung des Klägers an dem Vorprozeß. Denn eine Bindung tritt nach § 141 Abs 1 SGG zwar nur hinsichtlich der Beteiligten ein, zu denen aber auch ein Beigeladener rechnet (§ 69 Nr 3 SGG). Der Kläger kann sich demgegenüber nicht mit Erfolg auf das Urteil des BSG vom 14. Dezember 1965 (BSGE 24, 155) berufen; denn dort hatte – abgesehen von der fraglichen Vergleichbarkeit der jeweiligen Anspruchsnormen – kein Vorprozeß stattgefunden, sondern nur ein bindender – wenn auch dem auf Erstattung klagenden Träger zugestellter – Verwaltungsakt vorgelegen (ähnlich SozR Nr 26 zu § 1531 RVO).
Die in vorgenanntem Zusammenhang vom Kläger noch vorgebrachten grundsätzlichen Bedenken berücksichtigen nicht die Wirkungen, die das Urteil des Vorprozesses und die vorangegangene Beiladung erzeugt haben. Alles das, was der Kläger zum Anspruch des Versicherten im gegenwärtigen Verfahren vorträgt, hat er im Vorprozeß schon vorbringen können. Es ist nicht unbillig und widerspricht keinem prozessualen Grundsatz, wenn sich der Kläger in diesem Prozeß das dazu ergangene rechtskräftige Urteil eines Gerichts der Sozialgerichtsbarkeit entgegenhalten lassen muß. Generell ist noch beachtlich, daß der Beigeladene – auch der “einfach” Beigeladene – selbständig Rechtsmittel einlegen kann, wobei es für die Beschwer ausreicht, ein für ihn ungünstiges Urteil zu verhindern (Bley aaO § 75 Anm 15b und die dort zitierte Rechtsprechung).
Nach alledem war die Revision zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen