Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirtschaftlichkeitsprüfung. Vergleich Allgemeinarzt/Internist
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, ob und inwieweit die besondere apparative Ausstattung einer Kassenarztpraxis (großes Labor einer Allgemeinpraxis) einen Mehraufwand zu rechtfertigen vermag.
Orientierungssatz
Bei der Prüfung einer internistisch ausgerichteten Allgemeinpraxis besteht die Möglichkeit, in spezifischen Leistungssparten sich auch (ergänzend) an den Fallwerten der Internisten zu orientieren. Solch ein ergänzender Vergleich kann der besonderen Praxisausrichtung (als Besonderheit der Praxis) Rechnung tragen.
Normenkette
EKV-Ä § 14 Nr 1, § 2 Nr 1, § 2 Nr 2, § 1 Nr 5; RVO § 368n Abs 5, § 368e S 1, § 368e S 2
Verfahrensgang
LSG Berlin (Entscheidung vom 14.03.1984; Aktenzeichen L 7 Ka 9/82) |
SG Berlin (Entscheidung vom 25.08.1982; Aktenzeichen S 71 Ka 30/81) |
Tatbestand
Der Beigeladene ist als praktischer Arzt am Ersatzkassenvertrag (EKV) beteiligt. Er betreibt ein großes Labor. Umstritten sind seine Honoraranforderungen für Laborleistungen in den Quartalen I/1979 bis IV/1979.
In den streitbefangenen Quartalen lagen die durchschnittlichen Fallkosten des Beigeladenen bei den Laborleistungen erheblich über dem Fachgruppendurchschnitt der praktischen Ärzte und auch noch über dem Fachgruppendurchschnitt der Internisten. Die durchschnittlichen Fallwerte (in DM-Beträgen) und die Abweichungen nach der Gaußschen Normalverteilung (Streuungsmaße) betrugen:
Quartal Kläger prakt. Ärzte Streuungsmaß Internisten Streuungsmaß
I/7935,4810,58+33425,31+68 II/7934,5810,12+32423,79+69 III/7927,629,21+27621,66+42 IV/7929,6310,25+24724,00+38
Hinsichtlich des Gesamthonorars ergab sich im Vergleich zur Gruppe der praktischen Ärzte folgendes Bild: für I/79 DM 124,70 : DM 56,63 (+ 437), für II/79 DM 111,81 : DM 53,43 (+ 315), für III/79 DM 91,36 : DM 51,88 (+ 207) und IV/79 DM 107,84 : DM 56,57 (+ 312). Die Prüfungskommission der Beklagten kürzte die Anforderungen des Beigeladenen für Laborleistungen wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise, und zwar bezüglich der ersten beiden Quartale um je 25 % und bezüglich der letzten beiden Quartale um je 15 %.
Auf die Widersprüche des Arztes ermäßigte die Beschwerdekommission der Beklagten die Kürzungen für I und II/79 auf je 10 %, die Kürzungen für III und IV/79 hob sie ganz auf. Zur Begründung führte sie aus: Die Praxisbesonderheiten des Beigeladenen seien ihr seit langem bekannt. Die Praxis hebe sich erheblich von einer üblichen Praxis der Fachgruppe ab. Sie sei chirurgisch, orthopädisch, internistisch und gynäkologisch ausgerichtet. Der Beigeladene sei durch seine langjährige Tätigkeit an Kliniken und durch seine umfangreiche Praxisausstattung in der Lage, seine Patienten vielseitig zu behandeln und zu untersuchen. Aus diesen Gründen ließen sich seine Honoraranforderungen nicht mit denen der Fachgruppe vergleichen. Bezüglich der Laborleistungen sei das breitgefächerte, vollwertige Internistenlabor mit einem entsprechenden Krankengut zu berücksichtigen. Es bestünden keine Bedenken, die Laboranforderungen des Beigeladenen mit denen der Fachgruppe der Internisten zu vergleichen. Wenn dem Beigeladenen aber schon der hohe Internistendurchschnitt mit einem gewissen Spielraum zugebilligt werde, so könne dies nicht dazu führen, Differenzbeträge über DM 10,-- pro Fall kritiklos hinzunehmen.
Gegen diese Entscheidung hat der Verband der Angestellten Krankenkassen eV (VdAK) Klage und gegen das klagabweisende Urteil des Sozialgerichts (SG) Berufung eingelegt. Er macht geltend, nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) könne auch eine stark internistisch ausgerichtete Praxis eines Allgemeinarztes nicht mit einer internistischen Praxis gleichgestellt werden.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung im wesentlichen aus folgenden Gründen zurückgewiesen: Wenn die Entscheidung der Beschwerdekommission die Anforderungen des Arztes für Laborleistungen an der Gruppe der Internisten messe, so bedeutet das nicht, daß der Arzt einer falschen Fachgruppe zugeordnet werde. Es werde nur für eine einzelne Leistungssparte ein anderer Vergleichsmaßstab gewählt. Der Beigeladene betreibe ein sog großes Labor mit 27 Parametern, wie es üblicherweise nur Internisten führten. Da eine Statistik für praktische Ärzte, die zwischen keinem, kleinem und großem Labor unterscheide, nicht geführt werde, bleibe nur die Möglichkeit, sich an der Gruppe der Internisten zu orientieren. Ziehe man die Werte der Internisten heran, seien die Anforderungen des Beigeladenen für Laborleistungen unauffällig. Das von der Beklagten angewandte Verfahren der Gaußschen Normalverteilung sei aussagekräftiger als der arithmetische Durchschnitt. Die hier gegebenen Streuungsmaße + 68, + 69, + 42 und + 38 (= Sigma von O,68, O,69, O,42 und O,38) bewegten sich in einem von einer sehr großen Anzahl von Internisten besetzten Bereich, innerhalb dessen von der Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) und dem Gericht noch lange nicht an eine Kürzung gedacht werde. Indem die Beschwerdekommission für die ersten beiden Quartale des Jahres 1979 eine Kürzung vorgenommen habe, sei von ihr bedacht worden, daß der Arzt nicht in die Gruppe der Internisten gehöre. Die als Richtschnur gewählte Fallkostendifferenz von DM 10,-- bewege sich im Rahmen der Schätzung des verursachten Mehrbedarfs, für die der Verwaltung ein Beurteilungsspielraum zustehe. Da der Beigeladene mit seinen Laborleistungen noch im Bereich anzuerkennender Streuung liege, müßte die Unwirtschaftlichkeit allein an einzelnen Fällen nachgewiesen werden; Darlegungs- und Beweislast liege bei der Verwaltung, nicht beim Arzt.
Dagegen richtet sich die Revision des Klägers, zu deren Begründung ua vorgetragen wird: Es komme nicht darauf an, ob der Beigeladene über ein Labor wie ein Internist verfüge, sondern darauf, ob das Krankengut vergleichbar sei. Insoweit hätten aber weder die Beschwerdekommission der Beklagten noch die beiden gerichtlichen Tatsacheninstanzen hinreichende Feststellungen getroffen.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 14. März 1984 und den Bescheid der Beklagten vom 24. April 1981, soweit er Anforderungen für Laborleistungen betrifft, aufzuheben.
Die Beklagte und der Beigeladene beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Der vom Kläger angefochtene, die Laborleistungen betreffende Teil der Entscheidung der Beschwerdekommission der Beklagten ist aufzuheben, soweit durch ihn den Widersprüchen des Beigeladenen stattgegeben worden ist. Dieser Teil der Entscheidung ist rechtsfehlerhaft, denn er wird von den angegebenen Gründen nicht getragen. Die Beschwerdekommission hat insoweit über die Widersprüche des Beigeladenen neu zu entscheiden.
Die Prüfungsgremien der KÄV bzw der gemeinsamen Selbstverwaltung der KÄV und der Krankenkassen sind verpflichtet, die Wirtschaftlichkeit der kassen- und vertragsärztlichen Versorgung im einzelnen zu überwachen (§ 368n Abs 5 der Reichsversicherungsordnung -RVO-; § 14 Ziff 1 EKV). Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats können sie die Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise eines Arztes im Rahmen eines statistischen Fallkostenvergleichs prüfen. Liegt der durchschnittliche Fallwert des Arztes, sei es insgesamt oder in Leistungssparten oder in Leistungspositionen, so erheblich über dem entsprechenden Fallwertdurchschnitt der Gruppe vergleichbarer Ärzte, daß zwischen beiden Werten ein offensichtliches Mißverhältnis besteht, so begründet dies die Vermutung der Unwirtschaftlichkeit, es sei denn, der Mehraufwand ist ganz oder teilweise durch Besonderheiten der Praxis gerechtfertigt oder für einen Minderaufwand in anderen Leistungsbereichen ursächlich (BSGE 46, 136 = SozR 2200 § 368n Nr 14; Urteil des Senats vom 22. Mai 1984 - 6 RKa 21/82 - SozR 2200 § 368n RVO Nr 31, KVRS A-6100/ 11). Als Vergleichsgruppe kommt zunächst die Fachgruppe des zu prüfenden Arztes in Betracht (BSGE 50, 84, 87 = SozR 2200 § 368e Nr 4). Die Bildung engerer Vergleichsgruppen ist nicht ausgeschlossen (Urteil des Senats vom 22. Mai 1984 aaO).
Gegen diese Grundsätze hat die Beschwerdekommission der Beklagten nicht schon deshalb verstoßen, weil sie den Beigeladenen in der Sparte der Laborleistungen nicht nur mit seiner Fachgruppe, der Fachgruppe der praktischen Ärzte, sondern auch mit der Fachgruppe der Internisten verglichen hat. Damit hat sie, wie das LSG zutreffend ausführt, den Beigeladenen nicht einer falschen Fachgruppe zugeordnet, sondern lediglich für eine bestimmte Leistungssparte einen anderen Vergleichsmaßstab gewählt. Dem LSG kann soweit zugestimmt werden, daß die Möglichkeit besteht, bei der Prüfung einer internistisch ausgerichteten Allgemeinpraxis in spezifischen Leistungssparten sich auch (ergänzend) an den Fallwerten der Internisten zu orientieren. Solch ein ergänzender Vergleich kann der besonderen Praxisausrichtung (als Besonderheit der Praxis) Rechnung tragen. Dabei darf aber nicht übersehen werden, daß die internistische Tätigkeit des Allgemeinarztes nur einen Teil seiner Praxistätigkeit ausmacht. Die Wirtschaftlichkeitsprüfung hat sich aber auf die gesamte Praxistätigkeit des Arztes zu erstrecken. Die fachliche Spezialisierung eines Arztes, die einen Mehraufwand in einem Leistungsbereich rechtfertigt, wird möglicherweise einen geringeren Aufwand in anderen Leistungsbereichen zur Folge haben. Ferner ist die berufsrechtliche Fachgebietsbeschränkung zu beachten, die der besonderen Ausrichtung einer Praxis Grenzen setzt. Ein praktischer Arzt ist zwar diesbezüglich nicht den berufsrechtlichen Beschränkungen eines besonderen Fachgebiets unterworfen. Er kann aber sein Tätigkeitsfeld nicht ohne weiteres auf ein Fachgebiet verlagern, für das er nicht zugelassen ist. Die Sicherstellung der kassen- und vertragsärztlichen Versorgung setzt voraus, daß die Ärzte im wesentlichen auf dem Gebiet wirken, für das sie zugelassen sind. Die Feststellung der Beschwerdekommission der Beklagten, die Praxis des Beigeladenen sei chirurgisch, orthopädisch, internistisch und gynäkologisch ausgerichtet, kann jedenfalls nicht dazu führen, daß der Beigeladene in den fachspezifischen Leistungsbereichen mit den Fallwerten der jeweiligen Gebietsärzte verglichen wird. Die durchschnittlichen Fallkosten eines Arztes in den einzelnen Leistungsbereichen sind nicht nur von dem Umfang seines Leistungsspektrums, sondern auch von dem jeweiligen Anteil der gebietsspezifischen Behandlungen abhängig.
Dem LSG kann nicht gefolgt werden, soweit es allein deshalb, weil der Beigeladene ein großes Labor mit 27 Parametern (ein Internistenlabor) betreibt, den von der Beschwerdekommission vorgenommenen Vergleich mit dem Laboraufwand der Internisten billigt. Die Ausstattung einer Praxis und der Umfang der Benutzung dieser Ausstattung stellen als solche keine einen Mehraufwand rechtfertigende Praxisbesonderheit dar. Entscheidend ist allein, welche Leistungen die zu behandelnden Krankheiten erforderlich gemacht haben. Es kommt also auf die Erkrankungen der Patienten des Arztes an. Allerdings ist einzuräumen, daß die Ausstattung einer Praxis auch bei einer wirtschaftlichen Behandlungsweise sich fallwerterhöhend auszuwirken vermag. Zum einen kann die Praxisausstattung die Zusammensetzung des Patientenguts beeinflussen, weil Kranke eher die Hilfe eines solchen Arztes in Anspruch nehmen, der die erforderlichen Untersuchungen und Behandlungen selbst durchführen kann. Zum anderen wird ein Arzt von einer Überweisung an einen anderen Arzt (zur Erbringung bestimmter Leistungen, zur Mitbehandlung oder zur Weiterbehandlung) absehen, wenn er aufgrund seiner Fähigkeiten und Praxisausstattung in der Lage ist, die erforderlichen Leistungen selbst zu erbringen. Der den Mehraufwand rechtfertigende Grund besteht aber nicht in der Praxisausstattung, sondern darin, daß die erbrachten Leistungen zur Diagnostik und Therapie notwendig waren.
Die Beschwerdekommission der Beklagten stellt zwar nicht nur auf die Laborausstattung des Beigeladenen ab, sondern nimmt auch an, daß ein entsprechendes Krankengut vorlag. Sie ist aber in der Begründung ihrer Entscheidung nicht näher auf die Zusammensetzung des Krankenguts eingegangen. Sie begnügt sich lediglich mit der Feststellung, der Beigeladene sei durch seine langjährige Tätigkeit an Kliniken und durch seine umfangreiche Praxisausstattung in der Lage, seine Patienten vielseitig zu behandeln und zu untersuchen. Damit werden nur die therapeutischen und diagnostischen Möglichkeiten des Arztes aufgezeigt. Den Feststellungen der Beschwerdekommission ist jedoch nicht zu entnehmen, welchen Anteil am Patientengut des Beigeladenen die internistischen Behandlungsfälle ausmachen. Darauf kommt es aber entscheidend an, denn nur hinsichtlich dieses Anteils ist es gerechtfertigt, den Laboraufwand des Beigeladenen mit dem Fachgruppendurchschnitt der Internisten zu vergleichen.
Da der Bescheid der Beschwerdekommission der Beklagten diese entscheidende Frage unbeantwortet läßt, kann er keinen Bestand haben (zur Notwendigkeit einer ausreichenden Begründung der Prüfungsbescheide: Urteil des Senats vom 22. Mai 1984 aaO mwN). Das Begehren des Klägers erweist sich somit als begründet. Die teilweise Aufhebung des Bescheides hat zur Folge, daß die Beschwerdekommission über die Widersprüche des Beigeladenen gegen die seine Laborleistungen betreffenden Honorarkürzungen der Prüfungskommission neu zu entscheiden hat.
Auf welche Weise die Beschwerdekommission den Anteil der internistischen Behandlungsfälle feststellt, bleibt ihr überlassen. Unter Umständen erlaubt die Durchsicht eines repräsentativen Teils der Abrechnungsunterlagen des Arztes eine Schätzung dieses Anteils. Eine solche Schätzung ist im Rahmen des den Prüfungsgremien zustehenden Beurteilungsspielraums zulässig. Doch müssen die tatsächlichen Verhältnisse, die zur Grundlage der Schätzung gemacht werden, in der Begründung des Bescheids insoweit mitgeteilt werden, als dies erforderlich ist, um den anderen Beteiligten und den Gerichten eine Überprüfung dahin zu ermöglichen, ob die getroffene Entscheidung vertretbar ist. Es bestehen ferner keine Bedenken, wenn sich die Beschwerdekommission auch auf Feststellungen stützt, die in früheren Prüfungsverfahren getroffen worden sind. Aber auch diese Feststellungen sind in der Begründung des Bescheids mitzuteilen. Der Hinweis im angefochtenen Bescheid, die Praxisbesonderheiten des Beigeladenen seien der Beschwerdekommission seit langem bekannt, genügt nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen