Leitsatz (amtlich)
1. Eine Gehaltsnachzahlung an einen Empfänger von Versichertenrente ist eine nachträgliche wesentliche Änderung iS von § 48 SGB 10, die zur Neufeststellung des Rentenanspruchs nach Art 2 § 12b Abs 3 S 3 AnVNG (= Art 2 § 12b Abs 3 S 3 ArVNG) berechtigt.
2. "Zugunsten des Betroffenen" iS von § 48 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB 10 erfolgt eine Änderung nur dann, wenn ihn der infolge der Änderung zu erlassende Verwaltungsakt im Vergleich zu dem aufzuhebenden Verfügungssatz iS von § 45 Abs 1 SGB 10 "per saldo" begünstigt.
Orientierungssatz
Keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen Art 2 § 12b Abs 3 AnVNG und § 32a Abs 2 AVG nF:
Weder Art 2 § 12b Abs 3 AnVNG nF noch § 32a Abs 2 AVG nF verstoßen gegen Art 14 Abs 1 GG.
Normenkette
AVG § 32a Abs. 1 Fassung: 1982-12-20, Abs. 2 Fassung: 1982-12-20; RVO § 1255a Abs. 1 Fassung: 1982-12-20, Abs. 2 Fassung: 1982-12-20; AVG § 32 Abs. 1; RVO § 1255 Abs. 1; SGB IV § 14 Abs. 1; AnVNG Art. 2 § 12b Abs. 3 Fassung: 1982-12-20; ArVNG Art. 2 § 12b Abs. 3 Fassung: 1982-12-20; SGB X § 48 Abs. 1 Sätze 1, 2 Nrn. 1, 3, § 44 Abs. 1-2, § 45 Abs. 1; GG Art. 14 Abs. 1
Verfahrensgang
SG Wiesbaden (Entscheidung vom 26.02.1986; Aktenzeichen S 1 An 157/84) |
Hessisches LSG (Entscheidung vom 30.06.1987; Aktenzeichen L 2/1 An 543/86) |
Tatbestand
Streitig ist die Höhe eines Altersruhegeldes.
Die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) hatte dem Kläger, der bis zum 31. Dezember 1964 im Anschluß an 42 Monate Schulausbildung und 145Monate militärischen Dienst für 60 Monate freiwillige Beiträge mit dem monatsdurchschnittlichen Wert 1,39 nachentrichtet hatte, mit Bescheid vom 9. September 1982 antragsgemäß ab 1. Oktober 1982 Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres gewährt.
Im Juli 1984 teilte der frühere Arbeitgeber des Klägers der Beklagten mit, er habe in erheblichem Umfange Gehalt für die Zeit von Januar 1980 bis September 1982 nachgezahlt. Deswegen stellte die BfA mit den streitigen Bescheiden vom 1./25. Oktober 1984, zur Post gegeben am 30. Oktober 1984, und vom 21. März 1985, der während des Klageverfahrens ergangen ist, das Altersruhegeld ab Rentenbeginn - Oktober 1982 - auf einen geringeren Betrag neu fest. Bei der Berechnung der Rente berücksichtigte sie für den genannten Zeitraum einerseits zusätzlich das nachgezahlte Arbeitsentgelt, andererseits nur die nach § 32a Abs 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) idF des Art 20 Nr 7 des Haushaltsbegleitgesetzes (HBegleitG 1983) vom 20. Dezember 1982 (BGBl I S 1857), in Kraft getreten am 1. Januar 1983, niedrigeren Werte für beitragslose Zeiten (145 Monate Ersatzzeiten mit 10,50 statt 12,12; 42 Monate Ausbildungsausfallzeiten mit 7,50 statt 8,33). Der bisherige höhere Zahlbetrag wird dem Kläger als Besitzstandsrente weitergezahlt.
Klage und Berufung des Klägers, die auf die Gewährung eines höheren Altersruhegeldes ab Oktober 1982 abzielten, sind erfolglos geblieben (Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden -SG- vom 26. Februar 1986; Urteil des Hessischen Landessozialgerichts -LSG- vom 30. Juni 1987). Das LSG hat dargelegt, das Altersruhegeld sei zu Recht auch schon seit Oktober 1982 auf der Grundlage nicht nur des nachgezahlten Gehalts, sondern auch der ab 1. Januar 1983 herabgesetzten Werte für beitragslose Zeiten neu festgestellt worden. Dies ergebe sich aus Art 2 § 12b Abs 3 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG), der eine solche Rentenminderung mit Rückwirkung vorsehe und der verfassungsgemäß sei.
Zur Begründung der - vom LSG zugelassenen - Revision trägt der Kläger vor, die Anwendung des § 32a AVG iVm Art 2 § 12b Abs 3 Satz 1 AnVNG verstoße gegen das Rechtsstaatsgebot und die Grundrechte aus Art 3 und Art 14 des Grundgesetzes (GG). Die gesetzliche Regelung könne verfassungskonform nur dahingehend verstanden werden, daß sie allein die Neufeststellungen von Altersruhegeld erfasse, die ausschließlich in die Zukunft wirken. Deshalb müsse die bei dem Kläger vorzunehmende rückwirkende Aufhebung und Neufeststellung des Altersruhegeldes nach der gesetzlichen Regelung erfolgen, die im Oktober 1982 gegolten habe. Bereits der Bescheid vom 8. September 1982 habe nämlich hinsichtlich der Bewertung der beitragslosen Zeiten eine bindende Regelung getroffen und schutzwürdiges Vertrauen des Klägers geschaffen. Der rückwirkende Eingriff in die Rechtsposition des Klägers, die der dem materiellen Recht entsprechende Bescheid vom 8. September 1982 verfestigt habe, verletze das durch Art 14 GG geschützte Eigentum. Ferner sei die Gehaltsnachzahlung kein dem Grundrecht aus Art 3 GG entsprechendes Differenzierungskriterium, das eine unterschiedliche Behandlung des Klägers gegenüber anderen Rentnern rechtfertige, weil er als früher abhängig Beschäftigter keinen Einfluß auf die Entrichtung der Rentenversicherungsbeiträge gehabt habe.
Der Kläger beantragt,
die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Revisionsbeklagte unter Änderung ihrer Bescheide vom 30. Oktober 1984 und vom 21. März 1985 zu verurteilen, ihm - abzüglich der bereits erbrachten Leistungen für die Zeit ab 1. Oktober 1982 - Altersruhegeld unter Berücksichtigung des nachträglich gezahlten höheren Arbeitsentgelts sowie unter Bewertung der beitragslosen Zeiten nach Maßgabe des bis zum 31. Dezember 1982 geltenden Rechts zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts zurückzuweisen.
Sie meint, das angefochtene Urteil entspreche der Sach- und Rechtslage. Auch Art 2 § 12b Abs 3 AnVNG sei nicht verfassungswidrig (Hinweis auf BSG SozR 5750 Art 2 § 12b Nrn 1 und 2; Bundesverfassungsgericht -BVerfG- in SozR 2200 § 1255a Nr 7).
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG) erklärt.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Klägers ist begründet, soweit die Beklagte seinen Rentenanspruch rückwirkend neu festgestellt hat. Im übrigen hat sie keinen Erfolg.
Nach Art 2 § 12b Abs 3 Satz 1 Halbsatz 1 AnVNG (idF von Art 23 Nr 4 des HBegleitG 1983, in Kraft getreten mit Wirkung vom 1. August 1981 - nF), gilt §32a Abs 1 bis 3 AVG in der vom 1. Januar 1983 an geltenden Fassung auch für Versicherungsfälle vor diesem Zeitpunkt. Gemäß § 32a Abs 1 und 2 AVG nF wird bei der Ermittlung der für den Versicherten maßgebenden Rentenbemessungsgrundlage nach § 32 AVG für die vor dem 1. Januar 1965 liegenden Ersatz- und Ausfallzeiten je Kalendermonat grundsätzlich der Monatsdurchschnitt zugrunde gelegt, der sich aus der Bewertung der bis zu diesem Zeitpunkt zurückgelegten Beitragszeiten (hier: der Wert 1,39) ergibt, für Ausbildungsausfallzeiten nach § 36 Abs 1 Nr 4 AVG, denen Beitragsklassen oder Bruttoarbeitsentgelte nicht zugrunde zu legen sind, jedoch höchstens der Wert 8,33, den übrigen Zeiten höchstens der Wert 16,66. Sind aber - wie im Falle des Klägers - vor dem 1. Januar 1965 nicht mehr als 60 Kalendermonate mit Beiträgen belegt, wird mindestens der nach der Anlage 1 maßgebende Wert, dh hier: der Wert 10,50, zugrunde gelegt, für Ausbildungsausfallzeiten dann jedoch höchstens der Wert 7,50. Diese Begrenzung des Wertes für Ausbildungsausfallzeiten gilt nach Art 2 § 12b Abs 3 Satz 1 Halbsatz 2 AnVNG nF für Versicherungsfälle schon vom 1. Januar 1978 an, also auch für den im September 1982 beim Kläger eingetretenen Versicherungsfall. Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG, an die der Senat gebunden ist (§ 163 SGG), ist davon auszugehen, daß die BfA diese Vorschriften bei der Neuberechnung des Rentenanspruchs beachtet hat. Dies ist auch nicht streitig.
Unterschiedliche Auffassungen vertreten hingegen die Beteiligten zu der Frage, ob die Beklagte den Anspruch auf Altersruhegeld wegen des im Juli 1984 für die Zeit von Januar 1980 bis September 1982 nachgezahlten Gehalts nicht nur für die Zukunft, sondern rückwirkend ab Oktober 1982 (Rentenbeginn) neu feststellen und dabei die seit Januar 1983 gültigen, gegenüber dem vorherigen Rechtszustand herabgesetzten Werte für beitragslose Zeiten (hier: 10,50 statt 12,12 für Ersatzzeiten, 7,50 statt 8,33 für Ausbildungsausfallzeiten) berücksichtigen durfte. Wie im einzelnen noch darzulegen ist, war die BfA jedoch verpflichtet und berechtigt, den Rentenanspruch nur mit Wirkung für die Zukunft und nach Maßgabe des neuen Rechts neu festzustellen.
Art 2 § 12b Abs 3 Satz 2 AnVNG nF bestimmt, daß der - bereits vorgestellte - Satz 1 dieser Vorschrift nicht anzuwenden ist, wenn über einen Anspruch aufgrund des bis zum 31. Dezember 1982 geltenden Rechts eine nicht mehr anfechtbare Entscheidung getroffen worden ist. Dies ist gegenüber dem Kläger durch den unanfechtbar gewordenen Bewilligungsbescheid vom 9. September 1982 geschehen, der für die Beteiligten in der Sache bindend geworden ist, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist (§ 77 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG). Sinn der Übergangsregelung des Art 2 § 12b Abs 3 Satz 1 und 2 ist, nach dem Inkrafttreten des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 grundsätzlich dessen neues Recht maßgebend sein zu lassen, auch soweit es sich um Renten aus Versicherungsfällen vor dem 1. Januar 1983, für Ausfallzeiten aber nach dem 31. Dezember 1977 handelt. Diese beschränkte Rückwirkung des neuen Rechts gilt jedoch zum Schutz bindend zuerkannter Rechte und aus Gründen der Verwaltungsentlastung nicht, wenn schon bestandskräftige Entscheidungen vorliegen. Dann verbleibt es ungeachtet der Neufassung des § 32a Abs 1 bis 3 AVG bei der bisherigen Rentenbewilligung. Muß oder kann jedoch aufgrund der Umstände des Einzelfalles eine bindend festgestellte Rente aus anderen als den Gründen der durch § 32a Abs 1 bis 3 AVG nF bewirkten Rechtsänderung, also schon nach den allgemeinen Vorschriften über die Aufhebung von Rentenbescheiden (§§ 44 bis 49 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches - SGB 10) neu festgestellt und die Bestandskraft des Rentenbescheides schon deshalb durchbrochen werden, liegen keine zwingenden Gründe vor, die neuen Werte für beitragslose Zeiten bei der Rentenneuberechnung außer Betracht zu lassen. Auch kann die Verwaltung anläßlich einer derartigen Gelegenheit die Neubemessung der beitragslosen Zeiten ohne unverhältnismäßige Belastung in einem Arbeitsgang vornehmen (BSG SozR 5750 Art 2 § 12b Nr 2). Deswegen schreibt Art 2 § 12b Abs3 Satz 3 AnVNG nF vor, daß Satz 1 der Vorschrift - rückwirkende Neuberechnung der Rente - anzuwenden ist, wenn eine Rente mit einem Versicherungsfall vor dem 1. Januar 1983 ohnedies neu festzustellen ist; dabei ist jedoch als Rente mindestens der bisherige Zahlbetrag zu leisten. Für die Entscheidung des Rechtsstreits kommt es somit darauf an, ob die BfA den Rentenanspruch des Klägers neu feststellen durfte.
Einschlägige Ermächtigungsgrundlage, die Bindungswirkung des Bewilligungsbescheides vom 9. September 1982 zu durchbrechen, ist allein § 48 Abs 1 Satz 1 SGB 10. Diese Vorschrift ist anzuwenden, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlaß eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Sie verpflichtet sodann, den Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit die Änderung wesentlich ist. Unberührt bleiben die §§ 44 und 45 SGB 10 (§ 48 Abs 2 Halbs 2, Abs 3 SGB 10).
Die letztgenannten Regelungen greifen im Falle des Klägers aber nicht ein. Nach § 44 Abs 1, 2 SGB 10 ist der Verwaltungsakt unter weiteren Voraussetzungen nur zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, daß bei seinem Erlaß das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist. Die Vorschrift ist anwendbar, wenn der - belastende - Verwaltungsakt bereits im Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig war, weil das damals geltende Recht unrichtig angewandt oder von einer Sachlage ausgegangen worden ist, die mit dem wirklichen Sachverhalt, so wie er bei Erlaß des Verwaltungsaktes objektiv vorgelegen hat, nicht übereinstimmte. Später eingetretene Umstände (Rechtsänderungen oder tatsächliche Ereignisse) sind nicht zu berücksichtigen (vgl BSGE 57, 209 = SozR 1300 § 44 Nr 13; Schneider-Danwitz, RVO-Gesamtkommentar, Stand: Dezember 1985, § 44 SGB 10 Anm 9, 10 mwN). Beide Anwendbarkeitsbedingungen dieser Norm sind vorliegend nicht erfüllt: Anhaltspunkte dafür, der Bescheid vom 9. September 1982 habe den zu diesem Zeitpunkt gültigen Rechtsregeln, insbesondere den Vorschriften über die Rentenberechnung (§§ 32, 32a AVG aF) nicht entsprochen, sind weder dargetan noch ersichtlich. Ferner hat die Beklagte dem Rentenbewilligungsbescheid den richtigen, dh den Sachverhalt zugrunde gelegt, der im September 1982 objektiv vorgelegen hat. Dies gilt auch für das bei der Rentenberechnung nach § 32 Abs 1 AVG für die Zeit von Januar 1980 bis September 1982 zu berücksichtigende Bruttoarbeitsentgelt. Denn bei Erlaß des Bescheides vom 9. September 1982 war das später nachgezahlte Gehalt dem Kläger noch nicht zugeflossen. Bei Bewilligung des Altersruhegeldes konnte und durfte es noch nicht berücksichtigt werden, weil nach § 14 Abs 1 des Vierten Buches des SGB (SGB 4) nur tatsächlich erzielte "Einnahmen" aus einer Beschäftigung Arbeitsentgelt sind, sie also dem Versicherten nicht lediglich geschuldet, sondern wirtschaftlich derart zugeflossen sein müssen, daß er über sie verfügen kann (BSGE 22, 160 = SozR Nr 12 zu § 160 RVO; BSGE 22, 162 = SozR Nr 16 zu § 160 RVO; BSG SozR 2200 § 160 Nr 9; BSG aaO § 385 Nrn 9 und 2; BSG SozR 2100 § 14 Nr 9; Gurgel, RVO-Gesamtkommentar, Stand: Juli 1983, § 14 SGB 4 Anm 2 S 114f; jeweils mwN). Das war dem Kläger erst im Juli 1984 möglich, als ihm der Arbeitgeber die Nachzahlung leistete. Erst zu dieser Zeit, nicht schon im September 1982, war mithin ein Umstand eingetreten, wegen dessen die Rente aus höheren Bruttoarbeitsentgelten neu berechnet werden mußte. Bei der für die Anwendbarkeit des § 44 SGB 10 entscheidenden Frage, ob der Bescheid vom 9. September 1982 anfänglich rechtswidrig war, kommt es ferner nicht darauf an, daß die Gehaltsnachzahlung 1984 materiellrechtlich (§ 32 Abs 1 AVG) wegen der durch sie erforderlich gewordenen Neuberechnung des Altersruhegeldes auf Zeiten von Januar 1980 bis September 1982 zurückwirkte. Denn zum einen regelt das materielle Recht nicht, ob, in welchem Umfang und - vor allem - ab wann die Bindungswirkung des früheren Bewilligungsbescheides durchbrochen werden darf; zum anderen hat die Gehaltsnachzahlung 1984, also eine erst nach Erlaß des Rentenbewilligungsbescheides vom 9. September 1982 entstandene Tatsache, bewirkt, daß jetzt ein neuer Sachverhalt, nämlich höheres Arbeitsentgelt ab Januar 1980, bei der Rentenberechnung zu berücksichtigen war. Die ursprüngliche Rechtmäßigkeit der Rentenbewilligung steht sonach in einem Fall der vorliegenden Art außer Frage. Ebensowenig wie § 44 SGB 10 ist § 45 SGB 10 im Falle des Klägers anwendbar. Danach darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt unter weiteren Voraussetzungen nur zurückgenommen werden, wenn er von Anfang an rechtswidrig war (BSGE 57, 274 = SozR 1300 § 48 Nr 11; BSG SozR 1300 § 45 Nr 29). Der Bescheid vom 9. September 1982 war aber - wie gesagt - im Zeitpunkt seines Erlasses rechtmäßig.
Hingegen war die Beklagte nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB 10 verpflichtet, den Rentenanspruch des Klägers unter Berücksichtigung des nachgezahlten Gehalts einerseits, der nach § 32a Abs 2 AVG nF herabgesetzten Werte für beitragslose Zeiten andererseits mit Wirkung für die Zukunft neu festzustellen. Durch die Gehaltsnachzahlung im Juli 1984 ist in den tatsächlichen Verhältnissen, die beim Erlaß des Altersruhegeldbescheides vom 9. September 1982, der ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung ist, vorgelegen haben, - wie ausgeführt - eine Änderung eingetreten. Die Änderung war wesentlich, dh rechtserheblich (vgl schon BSG SozR Nr 81 zu § 77 SGG; Schneider-Danwitz, RVO-Gesamtkommentar, Stand: Juli 1986, § 48 SGB 10 Anm 21 mwN), weil die Rente in neuer Höhe festzustellen war, der Bewilligungsbescheid also unter den nunmehr objektiv vorliegenden Verhältnissen nicht mehr mit dem bisherigen Rentenbetrag hätte erlassen werden dürfen. Daher war die Beklagte aus anderen als den Gründen des § 32a Abs 1 bis 3 AVG nF verpflichtet, den Rentenanspruch des Klägers iS des Art 2 § 12b Abs 3 Satz 3 AnVNG "neu festzustellen". Demgemäß mußte sie gemäß § 32a Abs 2 AVG nF auch die Ausfall- und Ersatzzeiten des Klägers nunmehr mit den seit dem 1. Januar 1983 gültigen niedrigen Werten in die Rentenberechnung einbeziehen.
Den Bescheid vom 9. September 1982 durfte die BfA nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB 10 jedoch lediglich "mit Wirkung für die Zukunft", dh für die Zeit nach der Bekanntgabe des streitigen Aufhebungsbescheides (BSG SozR 1300 § 48 Nr 31), also ab 2. November 1984 aufheben (§ 37 Abs 2 SGB 10). Eine rückwirkende Aufhebung des Bewilligungsbescheides wäre nur unter den Voraussetzungen des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 1 oder 3 SGB 10, dessen Nrn 2 und 4 offensichtlich nicht in Betracht kommen, erlaubt. Gemäß Nr 1 dieser Norm soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt. Hier erginge sie aber zuungunsten des Klägers (s.u.). Gleiches gilt nach Nr 3, soweit nach Antragstellung oder Erlaß des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Auch das ist nicht der Fall.
Durch die Gehaltsnachzahlung ist keine Änderung zugunsten des Klägers erfolgt (Nr 1). Dies wäre nur dann der Fall, wenn ihn der infolge der Änderung zu erlassende Verwaltungsakt (Verfügungssatz) im Vergleich zu dem Verfügungssatz, der wegen der Änderung aufzuheben ist, iS des § 45 Abs 1 SGB 10 begünstigte, dh ihm einen rechtlichen Vorteil brächte (ähnlich Schneider-Danwitz, RVO-Gesamtkommentar, Stand: Juli 1986, § 48 SGB 10 Anm 36). Zwar ist eine Gehaltsnachzahlung geeignet, die persönliche Rentenbemessungsgrundlage und dadurch den Anspruch eines Altersruhegeldempfängers zu erhöhen. Ferner könnte ihr, was hier aber nicht zu entscheiden ist, im Rahmen des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB 10 Rückwirkung über den Zeitpunkt der Nachzahlung hinaus bis zur erstmaligen Bewilligung des Altersruhegeldes beigemessen werden (zu "rückwirkenden Tatsachenänderungen" Schneider-Danwitz, aaO, § 48 SGB 10 Anm 30). Wäre die Beklagte aber aus diesen Gründen zu einer bis Oktober 1982 rückwirkenden Neuberechnung der Rente insoweit zugunsten des Klägers befugt, müßte sie zugleich nach Art 2 § 12b Abs 3 Satz 3 AnVNG nF zu seinem Nachteil die durch § 32a Abs 2 AVG nF herabgesetzten Werte für beitragslose Zeiten berücksichtigen. Folge wäre, daß der neue Verfügungssatz über die Rentenhöhe für den Kläger ungünstiger wäre. Dazu ermächtigt § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB 10 gerade nicht. Dem kann der Kläger nicht mit Erfolg entgegenhalten, Nr 1 der Vorschrift erlaube eine Aufhebung nur, "soweit" die Änderung günstig sei, während die Bewertung der beitragslosen Zeiten im Bescheid vom 9. September 1982 durch die Gehaltsnachzahlung nicht berührt werde und daher bindend bleibe. Die Bindungswirkung des Rentenbescheides eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung erstreckt sich nämlich nach ständiger Rechtsprechung des BSG (Urteil des erkennenden Senats vom 11. Februar 1988 - 4/11a RA 10/87 - S 9 zur Veröffentlichung vorgesehen -; BSG SozR 1500 § 77 Nr 56; jeweils mwN) lediglich auf den Verfügungssatz, dh auf die Entscheidung über die Art, Höhe und Dauer (Beginn und Ende) der Rente, nicht hingegen auf die Begründung des Bescheides, zu der insbesondere die Faktoren der Berechnung der Rentenhöhe gehören.
Durch die Gehaltsnachzahlung hat der Kläger schließlich zwar erst nach bindender Rentenbewilligung Einkommen (§§ 16, 14 SGB 4) erzielt (Nr 3); es hätte aber, wäre es ihm bereits vor Erlaß des Bescheides vom 9. September 1982 zugeflossen, nicht "zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt", sondern vielmehr eine Rentensteigerung bewirkt.
Nach alledem war die Beklagte nur für die Zeit ab Bekanntgabe des streitigen Bescheides am 2. November 1984 berechtigt, den Bescheid vom 9. September 1982 aufzuheben und den Rentenanspruch des Klägers unter Anwendung des § 32a Abs 2 AVG nF neu festzustellen. Bis zu diesem Zeitpunkt stand dem Kläger der Rentenanspruch in der durch den Bewilligungsbescheid bindend festgestellten Höhe - zuzüglich der gesetzlichen Rentenanpassungen -, bei fehlender Möglichkeit zur Neufeststellung nicht nur als Besitzstandsrente zu.
Weder gegen Art 2 § 12b Abs 3 AnVNG nF noch gegen § 32a Abs 2 AVG nF bestehen durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken. Art 14 Abs 1 GG ist nicht verletzt. Geschützt wird zwar die rentenversicherungsrechtliche Position insgesamt, also der Anspruch oder die Anwartschaft, wie sie sich aus der jeweiligen Gesetzeslage ergeben. Jedoch ergibt sich die konkrete Reichweite der Bestandsgarantie des Eigentums erst aus der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums, die nach Art 14 Abs 1 Satz 2 GG Sache des Gesetzgebers ist. Soweit Art 2 § 12b Abs 3 AnVNG nF iVm § 32a Abs 2 Satz 3 AVG nF durch die Herabsetzung der Werte für beitragslose Ersatz- und Ausfallzeiten (das nachgezahlte Arbeitsentgelt ist nach dem insoweit unveränderten Recht in vollem Umfang berücksichtigt worden) in den schon gegebenen Rentenanspruch eingegriffen hat, ist zu berücksichtigen, daß von vornherein die Möglichkeit von Änderungen in gewissen Grenzen vorgegeben ist. Denn eine Unabänderlichkeit der bei der Begründung des Anspruchs bestehenden Bedingungen widerspräche dem Rentenversicherungsverhältnis, das von Anfang an wesentlich auf dem Gedanken der Solidarität und des sozialen Ausgleichs beruht. Daher gebührt dem Gesetzgeber auch für Eingriffe in bestehende Rentenansprüche Gestaltungsfreiheit, wenn es für den Eingriff legitimierende Gründe gibt und die Regelung verhältnismäßig ist (BVerfG SozR 2200 § 1255a Nr 7 mwN). Mit der Neubewertung der beitragslosen Zeiten, die vor 1965 zurückgelegt worden sind, ist der Gesetzgeber seiner verfassungsrechtlichen Pflicht nachgekommen, die dem Gleichberechtigungsgebot des Art 3 Abs 2 GG widersprechende ungleiche Bewertung beitragsloser Zeiten bei Männern und Frauen, die vor 1965 nicht mehr als 60 Kalendermonate mit Beiträgen belegt haben, zu beseitigen (vgl BVerfG SozR 2200 § 1255 Nr 13; BT-Drucks 9/2074 S 95; BT-Drucks 9/2140 S 102). Es verletzt die Grenzen der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers nicht, die gebotene Vereinheitlichung der bei Männern und Frauen zu berücksichtigenden Werte in diesen Ausnahmefällen (nicht mehr als 60 Beitragsmonate vor 1965) dadurch zu bewirken, daß er statt der bislang unterschiedlichen Werte nunmehr den jeweiligen Mittelwert festgesetzt hat. Daß dies idR für Frauen vorteilhaft ist, für Männer aber nicht, ist notwendige Nebenwirkung einer Inhaltsbestimmung des Eigentums, die den Anforderungen des Art 3 Abs 2 GG und dem Gedanken der Solidarität der Versicherten Rechnung trägt. Ein verfassungsrechtliches Gebot, die Werte für beitragslose Zeiten bei Frauen auf die bisherigen bei den Männern anzuheben, besteht nicht. Die Neufassung des § 32a Satz 3 AVG, die sich für den Kläger als Herabsetzung des Wertes seiner Ausfall- und Ersatzzeiten mit dem Ergebnis der Minderung seines Rentenanspruchs auswirkt, enthält auch keine unverhältnismäßige Belastung. Noch immer verbessert die Vorschrift die ansonsten nach dem Regelfall des Satzes 1 vorzunehmende Bewertung der beitragslosen Zeiten, wie gerade der Fall des Klägers zeigt (monatsdurchschnittlicher Wert nach Satz 1 : 1,39). Die Minderung des Wertes der Ersatzzeit auf 10,50 bedeutet zwar eine Senkung um 19,44 vH gegenüber dem bisherigen Ausgangswert von 145,44 vH. Mit 126 vH des Durchschnittsentgelts ist aber weiterhin eine angemessene Entschädigung für Zeiten des militärischen Dienstes gewährleistet. Auch der neue Wert der Ausbildungsausfallzeit (statt 100 vH des Durchschnittsentgelts jetzt 90 vH) bewirkt keine wesentliche Absenkung der Versorgung. Soweit sich der Kläger in der Erwartung enttäuscht sieht, das nachgezahlte Gehalt werde bei im übrigen unveränderten Bedingungen den Rentenanspruch erhöhen, ist dies durch Art 14 GG nicht geschützt.
Die Übergangsvorschrift des Art 2 § 12b Abs 3 Satz 3 AnVNG nF genügt dem rechtsstaatlichen Gebot des Vertrauensschutzes (BVerfG SozR 5120 Art 2 § 2 Nr 1). Weder durch die Bindungswirkung des Bescheides vom 9. September 1982 noch durch den Schutz der Eigentumsgarantie hatte der Kläger - wie ausgeführt - eine unabänderlich zuerkannte Rechtsposition bezüglich der Bewertung der beitragslosen Zeiten als Bestandteil seines Rentenanspruchs erlangt. Sein schutzwürdiges Bestandsinteresse hat der Gesetzgeber beachtet, indem er die Weitergewährung des bisherigen Zahlbetrags als Rente vorgesehen hat. Eine den Kläger rückwirkend belastende Neufeststellungsbefugnis räumt das Gesetz - wie dargelegt - der Beklagten nicht ein. Ein Verstoß gegen das Willkürverbot des Art 3 Abs 1 GG ist nicht ersichtlich.
Demnach sind die Entscheidungen der Vorinstanzen zu bestätigen, soweit die Beklagte die Rente des Klägers für die Zeit ab dem 2. November 1984 neu festgestellt und ab dann den bisherigen Zahlbetrag als Besitzstandsrente weitergezahlt hat, während die weitergehenden Regelungen in den angefochtenen Bescheiden aufzuheben sind.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen