Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung der Rehabilitanden. Rechtsschutzbedürfnis einer Behörde
Leitsatz (redaktionell)
Beitragspflicht nach § 381 Abs 3a Nr 2 RVO sowie Rentenversicherungspflicht bei Bezug von Übergangsgeld aufgrund nebenberuflicher landwirtschaftlicher Tätigkeit:
1. Die Beitragspflicht des Rehabilitationsträgers nach § 381 Abs 3a Nr 2 RVO setzt eine durch die medizinische Rehabilitationsmaßnahme aufrechterhaltene Mitgliedschaft in der Krankenversicherung voraus; für Arbeitnehmer, die in einer nebenberuflichen landwirtschaftlichen Tätigkeit einen Unfall erleiden und neben dem aus der Beschäftigung resultierenden Übergangsgeld außerdem Übergangsgeld aufgrund der Tätigkeit als landwirtschaftlicher Unternehmer aus der landwirtschaftlichen Unfallversicherung erhalten, sind daher Beiträge nach § 381 Abs 3a Nr 2 RVO nicht zu entrichten.
2. Arbeitnehmer, die in einer nebenberuflichen landwirtschaftlichen Tätigkeit einen Unfall erleiden und neben dem aus der Beschäftigung resultierenden Übergangsgeld außerdem Übergangsgeld aufgrund der Tätigkeit als landwirtschaftlicher Unternehmer aus der landwirtschaftlichen Unfallversicherung erhalten, unterliegen auch hinsichtlich des Übergangsgeldes aus der landwirtschaftlichen Unfallversicherung der Rentenversicherungspflicht nach § 1227 Abs 1 S 1 Nr 8a Buchst c RVO mit der Folge, daß insoweit auch Beiträge zur Rentenversicherung zu entrichten sind.
Orientierungssatz
1. Es fehlt seitens einer klagenden Behörde regelmäßig das Rechtsschutzbedürfnis, wenn das mit der Klage verfolgte Ziel auf einfachere, billigere Weise, insbesondere durch den Erlaß eines entsprechenden Verwaltungsakts erreicht werden kann.
2. Der Krankenversicherungsträger ist befugt, gegenüber dem Unfallversicherungsträger als Träger der Rehabilitation Beiträge zur Krankenversicherung des Rehabilitanden durch Verwaltungsakt festzusetzen (Bestätigung von BSG 1980-05-13 12 RK 27/78).
3. Das einem Nebenerwerbslandwirt anläßlich einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme zusätzlich als Ausgleich für die Minderung seines krankenversicherungsrechtlich unbeachtlichen Einkommens aus dem landwirtschaftlichen Unternehmen gezahlte Übergangsgeld ist der Berechnung der Krankenversicherungsbeiträge nach RVO § 381 Abs 3a Nr 2 nicht zugrunde zu legen.
Normenkette
SGG § 54 Abs. 5 Fassung: 1953-09-03; RVO § 311 S. 1 Nr. 3 Fassung: 1974-08-07, § 381 Abs. 3a Nr. 2 Fassung: 1974-08-07, § 1227 Abs. 1 S. 1 Nr. 8a Buchst. c Fassung: 1974-08-07
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe der von der Beklagten als Rehabilitationsträger für den Rehabilitanden J Sch (Sch) zu entrichtenden Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung.
Sch erlitt am 10. August 1975 als nebenberuflicher landwirtschaftlicher Unternehmer einen Arbeitsunfall und war hierwegen bis zum 30. September 1975 arbeitsunfähig. Zur Zeit des Unfalles war er als Bezieher von Arbeitslosengeld (Alg) gemäß § 155 Abs 1 iVm § 159 Abs 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) Mitglied der Klägerin. Im Auftrag der Beklagten zahlte die Klägerin an Sch für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit Übergangsgeld (ÜG) in Höhe des Alg von täglich 28,-- DM. Die Beklagte erstattete der Klägerin diese Leistung und entrichtete als Rehabilitationsträger die von der Klägerin mit Beitragsrechnung vom 3. Oktober 1975 geforderten Beiträge zur Krankenversicherung in Höhe von 48,96 DM (für die Zeit vom 22. bis 30. September 1975) und zur Arbeiterrentenversicherung in Höhe von 438,60 DM (für die Zeit vom 11. August bis 30. September 1975). Mit Beitragsrechnung vom 12. Oktober 1977, dem ein mehrfacher Schriftwechsel zwischen den Beteiligten vorausgegangen war, forderte die Klägerin von der Beklagten zusätzlich 22,86 DM als Krankenversicherungsbeitrag und 229,50 DM als (nicht mehr streitigen) Rentenversicherungsbeitrag, weil die Beklagte außer dem von der Klägerin ausbezahlten ÜG (auf dem die Beitragsrechnung vom 3. Oktober 1975 beruhte) ein weitere ÜG an Sch in dessen Eigenschaft als landwirtschaftlicher Unternehmer gewährt hatte. In einem Begleitschreiben kündigte die Klägerin an, daß sie im Ablehnungsfalle Klage erheben werde.
Auf die am 3. November 1977 erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Trier die Beklagte verurteilt, Beiträge zur Krankenversicherung für Sch für die Zeit vom 22. bis 30. September 1975 nach Maßgabe des dem zusätzlichen ÜG zugrunde liegenden Bemessungsentgelts abzuführen (Urteil vom 15. November 1978). Das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 10. Mai 1979). Das LSG hat eine Verpflichtung der Beklagten, aufgrund des zusätzlich an Sch als landwirtschaftlichen Unternehmer gezahlten ÜG Beiträge zur Krankenversicherung zu zahlen, mit der Begründung verneint, dieses zusätzliche ÜG habe keine Beziehung zu der aufgrund der versicherungspflichtigen Beschäftigung bzw des Alg-Bezuges bestehenden Krankenversicherung und der daraus hergeleiteten Übergangsgeldzahlung. Die Beklagte habe als Rehabilitationsträger Versicherungsbeiträge nur im Rahmen des bei der Klägerin bestehenden und während der Rehabilitationsmaßnahmen fortbestehenden Krankenversicherungsverhältnisses zu entrichten. Das aufgrund der versicherungspflichtigen Beschäftigung (Alg-Bezug) gewährte ÜG sei im Ergebnis mit einer Krankengeldzahlung nach § 565 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) und das zusätzliche ÜG mit einer darüber hinausgehenden Leistung nach § 560 Abs 2 RVO vergleichbar.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision vertritt die Klägerin die Auffassung, daß das zusätzliche ÜG an den Nebenerwerbslandwirt Beitrags- und Versicherungspflicht auslöse. Es ersetze zwar den Ausfall von Arbeitseinkommen aus einer Tätigkeit, die nicht der Rentenversicherungspflicht unterliege. Bei einem landwirtschaftlichen Unternehmer, der in seiner einzigen Tätigkeit ebenfalls nicht der Rentenversicherungspflicht unterliege, werde bei Zahlung von ÜG ebenfalls Versicherungs- und Beitragspflicht begründet. Im Bereich der Rentenversicherung trete bei Bezug von ÜG für einen Kalendermonat Versicherungspflicht kraft Gesetzes und damit verbunden Beitragspflicht ein. In der Krankenversicherung habe es durch das Institut der fortbestehenden Mitgliedschaft (§ 311 RVO) bei medizinischen Maßnahmen keiner originären Versicherungspflicht bedurft. Es könne deshalb bezüglich der Versicherungs- und Beitragspflicht bei medizinischen Rehabilitationsmaßnahmen und dem damit verbundenen Bezug von zusätzlichem ÜG kein Unterschied zwischen der Kranken- und der Rentenversicherung gemacht werden. Das zusätzliche ÜG könne nicht mit einer über eine Krankengeldzahlung hinausgehende Leistung nach § 560 Abs 2 RVO verglichen werden, weil die Beklagte Träger der Maßnahme gewesen sei und damit nach § 565 RVO die Leistungen der Krankenversicherung entfallen seien.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung
der Beklagten gegen das Urteil des SG
zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Sie ist zurückzuweisen. Das LSG hat im Ergebnis zu Recht das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Allerdings mußte die Klage schon aus prozessualen Gründen als unzulässig abgewiesen werden. Für die von der Klägerin erhobene Leistungsklage fehlt es nämlich am Rechtsschutzbedürfnis. Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt auf seiten einer klagenden Behörde regelmäßig, wenn sie das mit der Klage verfolgte Ziel auf einfachere, billigere Weise, insbesondere durch den Erlaß eines entsprechenden Verwaltungsakts erreichen kann (vgl Meyer-Ladewig, SGG, vor § 51 Anm 17 mwN). Die Klägerin hätte aber das mit dieser Klage verfolgte Ziel selbst durch Verwaltungsakt verwirklichen können und müssen. Wie der erkennende Senat in seinen Urteilen vom 2. Februar und 14. September 1978 (SozR 2200 § 381 Nrn 24, 26 und 29) entschieden und gegen die im Schrifttum vorgebrachten Einwände (vgl Ruland, SGb 1979, 341) erneut bekräftigt hat (Urteil vom 13. Mai 1980 - 12 RK 27/78), ist der Krankenversicherungsträger befugt, gegenüber dem Unfallversicherungsträger als Träger der Rehabilitation Beiträge zur Krankenversicherung des Rehabilitanden durch Verwaltungsakt festzusetzen. Einen solchen Verwaltungsakt hat die Klägerin ersichtlich nicht erlassen. Die die streitigen Beiträge betreffende Beitragsrechnung vom 12. Oktober 1977 kann nicht als ein gegenüber der Beklagten ergangener Verwaltungsakt gewertet werden, weil die Klägerin in dem beigegebenen Begleitschreiben für den Fall der Nichtzahlung der Beiträge die Klageerhebung angekündigt und damit zum Ausdruck gebracht hat, daß ihr Wille nicht darauf gerichtet war, das Rechtsverhältnis kraft hoheitlicher Befugnis gegenüber dem Adressaten verbindlich zu regeln, sondern daß sie im Gegenteil die Entscheidung dem Gericht überlassen wollte. Das Klagesystem des SGG, das die echte Leistungsklage nur für den Fall vorsieht, daß ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte (§ 54 Abs 5 SGG), verbietet es, daß eine zur Regelung des Rechtsverhältnisses durch Verwaltungsakt befugte Behörde ihre Ansprüche unter Verzicht auf den Verwaltungsakt unmittelbar gerichtlich verfolgt. Die auf der Grundlage der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), die eine ausdrückliche Regelung der echten Leistungsklage nicht enthält, ergangenen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts -BVerwG- (BVerwGE 24, 225, 227; 28, 153, 154; DVBl 1963, 184) können im Hinblick auf die unterschiedlich ausgestalteten Klagesysteme nicht herangezogen werden.
Aber auch wenn mit dem LSG die Zulässigkeit der Leistungsklage hätte angenommen werden können, wäre die Entscheidung des Berufungsgerichts zu bestätigen gewesen. Der Auffassung, daß das von der Beklagten an den landwirtschaftlichen Unternehmer Sch in dieser Eigenschaft gezahlte ÜG der Berechnung der Krankenversicherungsbeiträge nicht zugrunde zu legen ist, ist beizupflichten. Wie der Senat in seinem Urteil vom 14. September 1978 (SozR 2200 § 381 Nr 29) entschieden hat, setzt die Beitragspflicht des Rehabilitationsträgers nach § 381 Abs 3a Nr 2 RVO eine nach § 311 Satz 1 Nr 3 RVO erhaltene Mitgliedschaft des medizinischen Rehabilitanden voraus. Mit der zuletzt genannten Vorschrift wollte der Gesetzgeber (im Gegensatz zu den Vorschriften über die Rentenversicherungspflicht der Rehabilitanden - § 1227 Abs 1 Satz 1 Nr 8a RVO - und die Krankenversicherungspflicht der beruflichen Rehabilitanden - § 165 Abs 1 Nr 4 RVO -) lediglich den vor Eintritt in die Maßnahme bestehenden Versicherungsschutz aufrechterhalten (vgl Jung/Preuß, RehaAnglG § 12 Anm 5). Der Bezug von ÜG führt demnach bei der medizinischen Rehabilitation nicht zur "originären" Begründung der Krankenversicherungspflicht des Rehabilitanden, er ist vielmehr die Voraussetzung für den Fortbestand der bereits bei Eintritt der Reha-Maßnahme bestehenden Mitgliedschaft und der damit verbundenen - ebenfalls bereits vorhandenen - Versicherungspflicht. Demgemäß kann auch die Beitragspflicht des Reha-Trägers als rechtliche Folge der Versicherungspflicht nur auf diese nach § 311 RVO fortdauernde Versicherungspflicht bezogen werden, so daß der Beitragsbemessung nur das ÜG zugrunde gelegt werden darf, das an die Stelle des der Versicherungspflicht (und Beitragsberechnung) bis dahin zugrunde gelegten Erwerbseinkommens aus der versicherten Beschäftigung bzw des Alg getreten ist. Das daneben von der Beklagten gezahlte zusätzliche ÜG, das Sch als landwirtschaftlicher Unternehmer als Ausgleich für die Minderung seines krankenversicherungsrechtlich unbeachtlichen Einkommens aus dem landwirtschaftlichen Unternehmen erhielt, hat ebenso wie dieses Einkommen keinen Bezug zur Krankenversicherungspflicht des Sch, hat also auch für die Berechnung des Krankenversicherungsbeitrages außer Betracht zu bleiben. Dieses Ergebnis folgt schon aus der Systematik der Krankenversicherung der medizinischen Rehabilitanden selbst, ohne daß es einer entsprechenden Anwendung des § 560 Abs 2 RVO bedarf.
Daß die Beklagte das zusätzliche ÜG bei der Bemessung der Beiträge zur Rentenversicherung berücksichtigt hat, steht dem nicht entgegen. Im Gegensatz zu der Regelung in der Krankenversicherung wird nämlich in der Rentenversicherung auch bei medizinischer Rehabilitation die Versicherungspflicht des Rehabilitanden kraft Gesetzes durch den Bezug des ÜG originär begründet, wobei es auf den Rechtsgrund des ÜG nicht ankommt. Ebensowenig kommt es darauf an, ob der Rehabilitand schon vorher versicherungspflichtig war. Die Rentenversicherung kennt keine Mitgliedschaft des Versicherten, die dann, ähnlich wie in der Krankenversicherung nach § 311 RVO, im Reha-Fall fortsetzungsfähig wäre. Da allein die mit der Reha-Maßnahme verbundene ÜG-Zahlung die Rentenversicherungspflicht begründet, ist es zwingend, daß auch der gesamte Betrag des ÜG der (durch die Versicherungspflicht des Rehabilitanden begründeten) Beitragspflicht des Reha-Trägers zugrunde gelegt wird. Das wird dadurch noch unterstrichen, daß das dem landwirtschaftlichen Unternehmer Sch gezahlte ÜG, auch wenn es mangels früherer versicherungspflichtiger Beschäftigung bzw Alg-Bezuges allein gezahlt worden wäre, für sich allein die Rentenversicherungspflicht des Sch nach § 1227 Abs 1 Satz 1 Nr 8a Buchst c RVO begründet hätte, worüber zwischen den Beteiligten kein Streit besteht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 4 SGG.
Fundstellen