Leitsatz (amtlich)
1. Eine außerplanmäßige Lehrerin im Beamtenverhältnis vor Ablegung der zweiten Lehramtsprüfung war nicht wegen Beschäftigung zu wissenschaftlicher Ausbildung für den zukünftigen Beruf nach AVG § 12 Abs 1 Nr 4 aF, sondern als Beamtin nach AVG § 12 Abs 1 Nr 1 aF versicherungsfrei.
2. Die Nachentrichtung von Beiträgen nach AnVNG Art 2 § 44a Abs 3 S 1 (= ArVNG Art 2 § 46 Abs 3 S 1) ist nicht für Zeiten zulässig, in denen Versicherungsfreiheit nach AVG § 12 Abs 1 Nr 1 aF bestand.
Normenkette
AVG § 12 Abs 1 Nr 1 Fassung: 1924-04-28; AVG § 12 Abs 1 Nr 4 Fassung: 1924-04-28; AnVNG Art 2 § 44a Abs 3 S 1 Fassung: 1972-10-16; AnVNG Art 2 § 44a Abs 4 Fassung: 1972-10-16; ArVNG Art 2 § 46 Abs 3 S 1 Fassung: 1972-10-16; ArVNG Art 2 § 46 Abs 4 Fassung: 1972-10-16
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 29.05.1979; Aktenzeichen L 13 An 166/77) |
SG Dortmund (Entscheidung vom 25.05.1977; Aktenzeichen S 11 An 57/75) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin berechtigt ist, nach Art 2 § 44a Abs 3 Satz 1 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) Beiträge für die Zeit vom 1. Juli 1947 bis 4. April 1950 nachzuentrichten.
In diesem Zeitraum war die Klägerin als außerplanmäßige Lehrerin im Beamtenverhältnis im nordrhein-westfälischen Landesdienst beschäftigt. Mit Ablegung der zweiten Lehrerprüfung am 4. April 1950 erlangte sie die Befähigung zur Anstellung als Beamtin auf Lebenszeit. Die Ernennung hierzu erfolgte am 8. Februar 1954. Nachdem sie am 23. Mai 1958 geheiratet hatte, wurde sie auf ihren Antrag mit Ablauf des Monats März 1960 aus dem Beamtenverhältnis entlassen. Gemäß § 159 des Beamtengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (Landesbeamtengesetz -LBG-) vom 15. Juni 1954 (GV NW 1954 S 237) erhielt sie für die Zeit vom 22. April 1947 bis 31. März 1960 zur Abgeltung ihrer Versorgungsansprüche eine Abfindung von 7.497,-- DM.
Nachdem die Beklagte die Nachentrichtung von Beiträgen nach Art 2 § 49a AnVNG für die Zeit vom 1. Januar 1956 bis 31. Dezember 1972 zugelassen hatte, beantragte die Klägerin am 12. Oktober 1973 die Nachentrichtung von Beiträgen für die Zeit der Ausbildung und Tätigkeit als Volksschullehrerin. Diesen Antrag lehnte die Beklagte zunächst mit der Begründung ab, daß die erforderliche Versicherungszeit von mindestens 60 Kalendermonaten (Art 2 § 44a Abs 7 AnVNG) nicht zurückgelegt sei (Bescheid vom 30. September 1974). Auf den Widerspruch der Klägerin gestattete sie nach Erfüllung dieses Erfordernisses mit Bescheid vom 8. Juli 1975 die Nachentrichtung gemäß Art 2 § 44a Abs 3 AnVNG für die Monate April bis Juni 1947 (Zeit nach Abschluß der Lehrerausbildung bis zur Einweisung in die außerplanmäßige Beamtenstelle), lehnte aber neben der - nicht mehr streitigen Zeit der Lehrerausbildung - die Nachentrichtung für die Zeit vom 1. Juli 1947 bis 4. April 1950 mit der Begründung ab, während dieser Zeit habe Versicherungsfreiheit nicht wegen wissenschaftlicher Ausbildung (§ 12 Abs 1 Nr 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes -AVG- aF), sondern nach § 12 Abs 1 Nr 1 AVG aF bestanden (Widerspruchsbescheid vom 25. September 1975). Klage und Berufung der Klägerin sind erfolglos geblieben (Urteil des Sozialgerichts -SG- Dortmund vom 25. Mai 1977; Urteil des Landessozialgerichts -LSG- für das Land Nordrhein-Westfalen vom 29. Mai 1979). Das LSG hat ein Recht der Klägerin zur Nachentrichtung nach Art 2 § 44a Abs 3 AnVNG für den streitigen Zeitraum deshalb verneint, weil dieser Zeitraum bereits in einer Versorgung nach dienstrechtlichen Grundsätzen berücksichtigt worden sei (Art 2 § 44a Abs 4 AnVNG). Die gemäß § 159 LBG anläßlich des Ausscheidens aus dem Beamtenverhältnis erhaltene Abfindung sei Versorgung nach dienstrechtlichen Grundsätzen iS des Art 2 § 44a Abs 4 AnVNG.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des Art 3 Abs 2 und 3 des Grundgesetzes (GG) sowie des Art 2 § 44a Abs 4 AnVNG. Im Rahmen dieser Vorschrift habe § 159 LBG nicht angewendet werden dürfen. § 159 LBG verstoße gegen den Gleichberechtigungsgrundsatz von Mann und Frau, weil eine Beamtin die Abfindung nehmen müsse und hierdurch zwischen Männern und Frauen sachlich ungerechtfertigt differenziert werde. Die Frau werde wirtschaftlich schlechter gestellt, indem sie gezwungen werde, eine gegenüber dem Mann schlechtere Abfindung als Versorgungsersatz hinzunehmen.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des LSG und des SG abzuändern,
den Bescheid der Beklagten vom 30. September 1974
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
25. September 1975 aufzuheben und die Beklagte
zu verurteilen, die Nachentrichtung freiwilliger
Beiträge gemäß Art 2 § 44a Abs 3 Satz 1 AnVNG
für die Zeit vom 1. Juli 1947 bis zum
4. April 1950 zuzulassen.
Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt und sich auch zur Sache nicht geäußert.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Sie ist zurückzuweisen.
Das LSG hat einen Anspruch der Klägerin auf Nachentrichtung freiwilliger Beiträge zur Angestelltenversicherung nach Art 2 § 44a Abs 3 AnVNG verneint, weil dem Art 2 § 44a Abs 4 AnVNG entgegenstehe. Nach dieser Vorschrift sind die Absätze 1 bis 3 nicht anzuwenden, wenn und soweit die darin genannten Zeiten der Versicherungsfreiheit bereits in einer öffentlich-rechtlichen Versicherung oder in einer Versorgung nach dienstrechtlichen Grundsätzen berücksichtigt sind oder berücksichtigt werden.
Nach den vom LSG insoweit getroffenen und von der Revision nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen hat die Klägerin für den streitigen Zeitraum anläßlich des Ausscheidens aus dem Beamtenverhältnis eine Abfindung nach § 159 LBG erhalten. Daß es sich hierbei um eine beamtenrechtliche Versorgung handelt, hat das LSG aus § 114 LBG gefolgert, wonach die Versorgung ua auch die Abfindung umfaßte. Auch dies wird von der Klägerin nicht bestritten. Sie meint jedoch, § 159 LBG verstoße gegen Art 3 Abs 2 und 3 GG, weil sich nach dieser Vorschrift die ausscheidende verheiratete Beamtin mit dem Anspruch auf Abfindung begnügen müsse und nicht, wie die ohne Versorgung ausscheidenden männlichen Beamten, einen Anspruch auf Nachversicherung habe. Dies sei eine sachlich nicht gerechtfertigte Differenzierung nach der Geschlechtszugehörigkeit.
Ob dies zutrifft oder ob - wie das LSG meint - die Vorschrift des § 159 LBG auch verheirateten Beamtinnen die Wahlmöglichkeit der Nachversicherung offenließ, kann dahingestellt bleiben. Die Klägerin hat nämlich schon deshalb keinen Anspruch auf Nachentrichtung von Beiträgen nach Art 2 § 44a Abs 3 AnVNG, weil sie in dem streitigen Zeitraum als Beamtin überhaupt nicht zu dem von dieser Vorschrift erfaßten Personenkreis gehörte. Die mit dem Rentenreformgesetz (RRG) vom 16. Oktober 1972 (BGBl I, 1965) eingefügte Vorschrift bezweckt, versicherungsrechtliche Nachteile der Personen auszugleichen, deren wissenschaftliche Ausbildungsverhältnisse nach den bis 28. Februar 1957 geltenden Vorschriften von der Versicherungspflicht ausgeschlossen waren. Diese frühere Versicherungsfreiheit nach § 12 Abs 1 Nr 4 AVG aF hatte als "Vorwirkung der endgültigen Versicherungsfreiheit in dem endgültigen Beruf" (vgl BSGE 39, 41; BSG SozR 5750 Art 2 § 46 Nr 3) auf der Erwartung beruht, daß die zur wissenschaftlichen Ausbildung Beschäftigten in ihrem angestrebten Beruf entweder als selbständig oder freiberuflich Tätige der Sozialversicherung nicht unterliegen oder als höherverdienende Angestellte die Versicherungspflichtgrenze übersteigen würden. Diese "vorweggenommene" Versicherungsfreiheit wurde in die Neufassungen der Rentengesetze ab 1. März 1957 nicht übernommen.
Die Klägerin war jedoch während ihrer Beschäftigung als außerplanmäßige Lehrerin Beamtin in Ausbildung und deshalb nicht nach § 12 Abs 1 Nr 4 AVG aF, sondern nach § 12 Abs 1 Nr 1 AVG aF versicherungsfrei. Diese Vorschrift ist im Gegensatz zu § 12 Abs 1 Nr 4 AVG aF nicht beseitigt, sondern inhaltsgleich als § 6 Abs 1 Nr 2 in die ab 1. März 1957 geltende Neufassung des AVG übernommen worden. Beamte in Ausbildung sind nach wie vor versicherungsfrei. Es bestand demnach für den Gesetzgeber des RRG keine Veranlassung, diesem Personenkreis einen sozialversicherungsrechtlichen Ausgleich mittels nachträglicher Auffüllung von Beitragslücken durch Nachentrichtung zu gewähren. Die nachträgliche Regulierung der Sozialversicherung der ohne Versorgung ausscheidenden Beamten ist Gegenstand der dem Dienstherrn obliegenden Nachversicherung und kann nicht durch Beitragsnachentrichtung nach den Vorschriften des AnVNG ersetzt werden. Daß die Klägerin als eine mit Heiratsabfindung und sonach mit Versorgung ausgeschiedene Beamtin nicht nachversichert wurde, betrifft die beamtenrechtliche bzw versorgungsrechtliche Beziehung zu ihrem ehemaligen Dienstherrn und nicht ihre Rechtsstellung als Versicherte der Angestelltenversicherung. Aus einer etwaigen fehlerhaften Behandlung bei der Abwicklung ihrer Versorgungsangelegenheit (Nichtbelehrung über eine aus dem Wortlaut des § 159 LBG nicht ersichtliche Möglichkeit, die Nachversicherung statt der Heiratsabfindung zu wählen), könnte die Klägerin deshalb auch keine sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche gegen die Beklagte herleiten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen