Leitsatz (amtlich)

Die Pauschale für den Kleider- oder Wäscheverschleiß richtet sich bei einem Doppel-Beinamputierten, bei dem als Schädigungsfolge der Verlust nur eines Beines anerkannt ist, nach der Bewertungszahl für einseitig Beinamputierte.

 

Normenkette

BVG § 15; BVG§15DV § 1 Nr 5 Fassung: 1972-01-31, § 1 Nr 30 Fassung: 1972-01-31, § 4 Fassung: 1972-01-31

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Entscheidung vom 13.03.1979; Aktenzeichen L 4 V 925/75)

SG Marburg (Entscheidung vom 08.09.1975; Aktenzeichen S 1 V 75/74)

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt, ihm den Pauschbetrag für außergewöhnlichen Verschleiß an Kleidung und Wäsche zuzuerkennen, der einem Doppelbeinamputierten zusteht.

Er bezieht ua wegen "Verlust des rechten Unterschenkels" Versorgungsrente sowie einen Pauschbetrag für einseitig Beinamputierte. Das Versorgungsamt zahlte diesen Pauschbetrag auch weiter, nachdem dem Kläger im März 1973 das andere, das linke Bein amputiert worden war (Bescheid vom 28. September 1973). Dagegen gewährte es wohl die Pflegezulage der Stufe I. Außerdem erhielt der Kläger von der orthopädischen Versorgungsstelle einen Zuschuß zur Beschaffung eines Motorfahrzeuges. Der wegen der Höhe des Ersatzes für den Kleiderverschleiß erhobene Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 25. Juli 1974).

Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben. Das Landessozialgericht (LSG) hat nach Beiladung der Bundesrepublik Deutschland das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Seiner Ansicht nach komme es dann, wenn der Gesamtzustand durch Schädigungsfolgen und Nichtschädigungsfolgen verursacht sei, darauf an, ob der durch den Mehrfachverschleiß entstandene Schaden teilbar sei. Hiervon sei bei Doppelamputierten auszugehen. Demzufolge sei in einem Fall wie diesem die Kausalitätsbetrachtung nicht einheitlich auf den Gesamtschaden ausgerichtet.

Mit der zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzungen des § 15 Bundesversorgungsgesetz (BVG) iVm § 1 Nr 30 der dazu ergangenen Durchführungsverordnung (DV). Zur Begründung bringt der Kläger vor, für die Rechtsfolge sei darauf abzuheben, ob die Schädigungsfolgen im Sinne der in der Kriegsopferversorgung (KOV) herrschenden Kausalitätstheorie zumindest annähernd gleichwertig neben anderen Bedingungen an der Herbeiführung des Endzustandes beteiligt gewesen seien. Dies sei zu bejahen. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung habe der als Schädigungsfolge anerkannte Verlust des rechten Unterschenkels die Doppelamputation gleichwertig mitverursacht. Danach sei der Kleiderverschleiß zu bemessen.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil des LSG aufzuheben und die

Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG als

unbegründet zurückzuweisen.

Der Beklagte und die Beigeladene beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beigeladene ist der Auffassung, unter Kleider- und Wäscheverschleiß iSd § 15 BVG sei der nicht mehr weiter teilbare Teil des Gesamtverschleißes zu verstehen. Lediglich dieser Teil könne Gegenstand der Kausalitätsprüfung sein. Im Falle des Mehrfachverschleißes sei jeweils festzustellen, worauf der einzelne nicht mehr teilbare Verschleiß ursächlich beruhe.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg. Das Urteil des LSG ist aufzuheben und die Sache an dieses Gericht zurückzuverweisen.

Zu Recht hat das Berufungsgericht in der Sache selbst über das Berufungsbegehren des Beklagten entschieden. Bei einer zulässigen Revision sind die unverzichtbaren Prozeßvoraussetzungen auch ohne Revisionsrüge von Amts wegen zu prüfen; dazu gehört auch die Zulässigkeit der Berufung (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts -BSG-; vgl BSGE 2, 225, 227). Die Berufung, die gemäß § 143 SGG grundsätzlich gegen die Urteile der Sozialgerichte stattfindet, ist nicht nach § 148 Nr 3 SGG ausgeschlossen gewesen. So wäre es bei einem Streit über die Neufeststellung einer Versorgungsleistung wegen Änderung der Verhältnisse. Hier ist hingegen ein Bescheid angefochten, mit dem erstmals - wenn auch negativ - über den Anspruch auf höheren Ersatz für Kleiderverschleiß und zwar für einen Doppelbeinamputierten befunden worden war. Ein solcher Erstfeststellungsbescheid ist nicht von der Berufung ausgenommen (BSG SozR Nr 25 zu § 148 SGG; 3100 § 30 Nr 1 = BSGE 37, 80, 81).

Nach § 1 Nr 30 DV vom 31. Januar 1972 (BGBl I 105) zu § 15 BVG ist für Doppelbeinamputierte die Bewertungszahl 27 festgesetzt, während nach § 1 Nr 5 der genannten DV für sonstige einseitig Beinamputierte die Bewertungszahl 19 zutrifft. Die Entscheidung des Berufungsgerichts, daß im Streitfall die letztgenannte Bewertungszahl maßgebend sei, ist nicht zu beanstanden. Die Lösung, daß die nicht schädigungsbedingt eingetretenen Umstände unberücksichtigt bleiben müssen und daß ein Pauschbetrag für außergewöhnlichen Kleider- und Wäscheverschleiß nur nach § 1 Nr 5 DV zu § 15 BVG zu gewähren ist, findet im Wortlaut des § 15 BVG ihre Stütze. Danach ist der außergewöhnliche Verschleiß an Kleidung und Wäsche mit einem monatlichen Pauschbetrag zu ersetzen, der durch die "anerkannten Folgen der Schädigung" verursacht wird. Auch bei § 15 BVG kommt es also darauf an, daß nach der im Kriegsopferrecht geltenden Kausalitätsnorm die anerkannten Schädigungsfolgen die wesentliche Bedingung für den Eintritt des abzugeltenden wirtschaftlichen Nachteils sind (BSGE 1, 72, 76; 17, 99 = SozR Nr 19 zu § 62 BVG und BSGE 17, 114, 119 = SozR Nr 15 zu § 30 BVG).

Zu Unrecht meint der Kläger, daß der nicht durch eine Schädigung iSd § 1 BVG bedingte Verlust des linken Beines dem Kriegsleiden annähernd gleichwertig gegenüberstehe und sich deshalb die Höhe des Pauschbetrages nach der Doppelamputation zu richten habe. Hiervon wäre nur auszugehen, wenn es für die Anspruchsbegründung schlechthin auf den Gesamtverschleiß anzukommen hätte. Nach der Zweckbestimmung des Gesetzes soll jedoch die Kleiderverschleißpauschale eine Bedarfslage abdecken, die sich - im Gegensatz zur Pflegezulage - nicht an dem gesamten Leidenszustand orientiert sondern funktionsbezogen nur den durch die Schädigungsfolgen bedingten anteiligen Verschleiß erfaßt. Nach § 15 BVG ist der Anspruch von der Verursachung der "anerkannten Folgen der Schädigung" abhängig. Damit knüpft diese Gesetzesvorschrift an die Formulierung des § 1 Abs 3 BVG über die Anerkennung von Schädigungsfolgen an. Daraus könnte man schließen, daß der Anspruch unmittelbar von den anerkannten Schädigungsfolgen und nicht auch von weiteren Auswirkungen abhängig ist. Inwiefern damit etwa von der im Versorgungsrecht geltenden Kausalitätsnorm abgewichen werden soll mit der Folge, daß es ausschließlich auf den durch Schädigungsfolgen bedingten Zustand und nicht auch auf eine wesentliche Mitverursachung anzukommen hätte, kann dahinstehen. Ungeachtet dieser Überlegung hat der 8. Senat des BSG in seiner Entscheidung vom 12. Dezember 1972 (BSG SozR Nr 2 zu § 15 BVG) die Frage beantwortet, ob die durch eine Schädigung lediglich mitverursachte, jedoch nicht als Schädigungsfolge anerkannte Blindheit einen Leistungsanspruch nach § 15 BVG idF des 3. NOG zum BVG vom 28. Dezember 1966 (BGBl I 750) iVm § 12 Abs 1 Nr 13 DV zu § 11 Abs 3, 13 und 15 BVG vom 18. Dezember 1967 (BGBl I 1285) zu begründen vermag. Er hat insoweit die versorgungsrechtliche Kausalitätsnorm für anwendbar gehalten und die Kleiderverschleißpauschale für einen Blinden zuerkannt. Nach der dortigen Fallgestaltung war indessen ein einheitlicher, nicht weiter aufzuspaltender Verschleiß streitig. Im Gegensatz dazu handelt es sich hier um einen Mehrfachverschleiß, der dadurch gekennzeichnet ist, daß er nicht durch einen unteilbaren Zustand - wie etwa bei der Blindheit - verursacht wird. Außerdem ist der Verschleiß selbst einer einzelnen Fallgruppe zuzurechnen. Wie ein Vergleich der Bewertungszahlen in § 1 Nr 5 und in § 1 Nr 30 DV zu § 15 BVG kenntlich macht, richtet sich der außergewöhnliche Verschleiß nach dem jeweiligen Leidenszustand und ist entsprechend der sich daraus ergebenden Bedarfslage unterschiedlich hoch. Dabei erfaßt die DV zu § 15 BVG bei Mehrfachschädigungen nur Fallgruppen von Beschädigten, deren anerkannte Schädigungsfolgen allein das Ausmaß des Verschleißes bestimmen. Diese Auslegung folgt aus der der Bundesregierung in § 24a Buchst b BVG erteilten Ermächtigung (Art 80 Abs 1 Grundgesetz -GG-), "die Bemessung des Pauschbetrages für Kleider- und Wäscheverschleiß für einzelne Gruppen von Schädigungsfolgen und die Bemessung der besonderen Fälle" zu regeln. Nach diesem eindeutigen Gesetzeswortlaut erstreckt sich die Ermächtigung - jedenfalls bei Mehrfachschädigungen - nur auf anerkannte Schädigungsfolgen, während daneben etwa vorhandene Nichtschädigungsfolgen keine Berücksichtigung finden können. Bestärkt wird der erkennende Senat in seiner Auffassung dadurch, daß der Verordnungsgeber neben den in § 4 DV zu § 15 BVG ausdrücklich genannten Sonderfällen, bei denen der außergewöhnliche Verschleiß an Kleidung oder Wäsche mit der Bewertungszahl 65 keine angemessene Berücksichtigung findet, "Beschädigte mit gleichzuachtenden Schädigungsfolgen" hinzurechnet. Damit ist klargestellt, daß allein der mit Schädigungsfolgen korrespondierende Verschleiß erstattungsfähig ist. Zudem ist eine solche Regelung sinnvoll, weil damit die Entschädigung auf die durch Schädigungsfolgen bedingten Mehraufwendungen beschränkt bleibt, die ohne Schwierigkeiten feststellbar sind. So etwa kann die vorzeitige Abnützung an Jacke oder Hose durch eine einseitige oder beidseitige Amputation unschwer ermittelt werden. Zudem entspricht der Umfang dieser Entschädigung dem versorgungsrechtlichen Leistungsprinzip, wonach in der Regel nur ein schädigungsbedingter Mehrbedarf auszugleichen ist. Dementsprechend hat der erkennende Senat in seinem Urteil vom 5. April 1974 (BSG SozR 3100 § 19 Nr 1) die Versorgungsverwaltung für verpflichtet erklärt, die Sonderanfertigung für ein Brillengestell zu ersetzen, die wegen Schädigungsfolgen an den Ohrmuscheln erforderlich war.

Der Kläger vermag sich demgegenüber nicht auf § 35 BVG zu stützen. Richtig ist, daß zum Merkmal der Hilflosigkeit der Grundsatz entwickelt worden ist, die versorgungsrechtlich erhebliche Ursachenkette ende in diesem speziellen Zusammenhang nicht mit dem schädigenden Ereignis, dh mit dem Bewirken der gesundheitlichen Schädigung und der unmittelbar an sie geknüpften gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen (BSGE 17, 114, 116 = 19, 201, 202). Diese Ausnahme von der sonst geltenden versorgungsrechtlichen Kausalitätsregel (zu weiteren Durchbrechungen BSGE 26, 213 = SozR Nr 34 zu § 62 BVG; BSGE 36, 285 = SozR Nr 69 zu § 30 BVG; BSGE 37, 80 = SozR 3100 § 30 Nr 1; SozR Nr 2 zu § 15 BVG; SozR 3610 § 4 Nr 1) ist aus der besonderen Zweckbestimmung der Pflegezulage hergeleitet worden (BSGE 41, 84 ff; vgl auch Urteil des erkennenden Senats in Breithaupt 1976, 310, 314). Die Situation des Hilflosen ist durch ein unteilbares Gesamtbefinden gekennzeichnet (Urteil des erkennenden Senats in SozR 3100 § 35 Nr 2). Zwar ist auch nach § 15 BVG der derzeitigen Bedarfssituation des Beschädigten Rechnung zu tragen. Jedoch hat es bei der Gewährung des Pauschbetrages auf die durch die "anerkannten Folgen der Schädigung" bewirkten Verhältnisse, die den Kleiderverschleiß verursachen, anzukommen. Im Unterschied dazu setzt der Anspruch auf Pflegezulage lediglich eine Hilflosigkeit "infolge Schädigung" voraus. Der Begriff der gesundheitlichen Schädigung findet sich in der Grundnorm des § 1 Abs 1 BVG. Darunter wird regelmäßig bloß der schädigende Vorgang als solcher, unabhängig von den sich gegebenenfalls daraus ergebenden Folgen verstanden. Die "Folgen der Schädigung" werden gesondert in § 1 Abs 3 BVG erwähnt und beziehen sich auf die schädigungsbedingt eingetretenen Gesundheitsstörungen. Die Schädigungsfolgen und zumal die "anerkannten" Folgen sind für die Anspruchsbegründung nach § 35 BVG nicht rechtserheblich. Abweichend hiervon verknüpft § 15 BVG den Anspruch auf die Kleiderverschleißpauschale mit bereits als Schädigungsfolgen anerkannten Gesundheitsstörungen (vgl Urteil des erkennenden Senats in BSG SozR Nr 6 zu § 14 BVG).

Gleichwohl vermag das Urteil des LSG keinen Bestand zu haben. Die orthopädische Versorgungsstelle hatte dem Kläger einen Zuschuß zur Beschaffung eines Motorfahrzeuges gem § 2 Ziff 1 der DV zu § 11 Abs 3 und 13 BVG (BGBl I 105) gewährt. Auf Grund dessen könnte dem Kläger nach § 1 Nr 5 beim Zusammentreffen mit § 1 Nr 20 DV zu § 15 BVG ein Pauschbetrag nach der Bewertungszahl 31 zustehen, sofern die Zuschußgewährung aus Gründen der Schädigungsfolgen erfolgt wäre. Zwar hat die orthopädische Versorgungsstelle - allerdings verwaltungsintern - die Auffassung vertreten, der Zuschuß sei nach § 10 Abs 2 BVG und damit für Nichtschädigungsfolgen bewilligt worden. Ob dies zutreffend ist, oder etwa die Zuschußgewährung doch durch die anerkannten Schädigungsfolgen zumindest annähernd gleichwertig mitverursacht wurde (vgl BSG SozR 3610 § 4 Nr 1), wird das Berufungsgericht noch zu prüfen haben.

Dabei wird zu beachten sein, daß das SG dem Kläger eine Kleiderverschleißpauschale nach dem Bemessungsfaktor 27 (für einen Doppelbeinamputierten nach § 1 Nr 30 DV zu § 15 BVG) zugestanden hatte. Der Kläger hat das Urteil des SG nicht mit einer Anschlußberufung (§ 202 SGG iVm § 521 ff Zivilprozeßordnung; BSGE 2, 229; Meyer-Ladewig SGG und Erläuterung § 143 RdNr 5 mwN) angefochten. Gegenstand des Berufungsverfahrens wurde durch die Berufung des Beklagten lediglich die mit Urteil des SG zugestandene höhere Leistung. Ohne eine Anschlußberufung des Klägers, die allerdings im neuen Berufungsverfahren nachgeholt werden könnte - hierauf ist der Kläger gesondert hinzuweisen (§§ 106 Abs 1, 112 Abs 2 SGG) - darf das LSG nur noch prüfen, ob der Beklagte zu verpflichten ist, dem Kläger einen Pauschbetrag für Kleidung oder Wäsche höchstens nach Bemessungsfaktor 27 zu gewähren.

Das Berufungsgericht hat auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden.

 

Fundstellen

Breith. 1981, 431

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