Entscheidungsstichwort (Thema)
Ersatz von Aufwendungen durch anerkannte Schädigungsfolgen verursachte Gesundheitsstörungen
Orientierungssatz
1. Daß für den Beschädigten ein Anspruch auf Heilbehandlung eines "Folgeleidens" schon dann gegeben sein soll, wenn nur eine Verkettung der Art vorliegt, die zu einer Kannleistung nach BVG § 1 Abs 3 S 2 führen kann, findet in der Vorschrift des BVG § 10 Abs 1 S 2 keine Stütze.
Die Versorgungsbehörde ist daher nicht verpflichtet, Heilbehandlung für ein Krebsleiden (Magenkrebs) zu gewähren, für das die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs mit der anerkannten Schädigungsfolge Gastritis nicht gegeben ist und zwar deshalb nicht, weil über die Ursache des Krebsleidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewißheit besteht und der Beschädigte selbst für dieses Leiden keinen Antrag auf Versorgung gestellt hat.
2. Nach BVGVwV § 1 Nr 9 lösen Gesundheitsstörungen, bei denen der Gewährung von Versorgung nach BVG § 1 Abs 3 S 2 zugestimmt worden ist, die gleichen Rechtsfolgen aus, wie anerkannte Schädigungsfolgen. Darüber hinausgehende, insbesondere schon in die Zeit vor der "Anerkennung" erstreckende Rechte können nicht angenommen werden. Derartige Gesundheitsstörungen zeitigen ebenso wie die anerkannten Schädigungsfolgen die Tatbestandswirkung für BVG § 19 Abs 1 S 2 frühestens von dem Wirksamwerden der Anerkennung an.
3. Der Antrag des Beschädigten auf Heilbehandlung bei der Krankenkasse ersetzt nicht den Antrag auf Versorgung wegen des Krebsleidens. Die Wechselwirkung des Antrags, die in BVG § 18a Abs 1 S 3 bezeichnet worden ist, tritt nur ein, wenn der Antragsteller bereits Berechtigter für das zu behandelnde Leiden nach dem BVG ist (vgl ua BSG vom 1978-12-01 10 RV 59/78).
Normenkette
BVG § 10 Abs 1 S 1 Fassung: 1974-08-07, § 19 Abs 1 S 2 Fassung: 1964-02-21, § 18a Abs 1 S 3 Fassung: 1971-12-16; BVGVwV § 1 Nr 9; BVG § 1 Abs 3 S 2 Fassung: 1964-02-21
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 02.08.1979; Aktenzeichen L 15 V 27/77) |
SG Nürnberg (Entscheidung vom 08.11.1976; Aktenzeichen S 12 V 90/75) |
Tatbestand
Für den Beschädigten J H (J H), der bei der Klägerin für den Fall der Krankheit versichert war, führte diese in der Zeit vom 18. Januar bis zum 10. März 1972 und vom 6. April bis zum 11. April 1973 eine stationäre Behandlung wegen Magen-Neoplasma durch. Der Beschädigte ist am 30. April 1973 verstorben. 1957 hatte die Versorgungsverwaltung bei ihm anaciden Magenkatarrh und Abnützungserscheinungen im Bereich der Lendenwirbelsäule mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 vH anerkannt.
Der Witwe des Beschädigten gewährte die Versorgungsverwaltung vom 1. Mai 1973 an Witwenrente als Kannleistung nach § 1 Abs 3 Satz 2 iVm § 38 Abs 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) nachdem Dr von G festgestellt hatte, daß die zum Tode führende Krankheit "Magen-Neoplasma" an einem Organ aufgetreten sei, an dem eine chronische, mindestens fünf Jahre bestehende Entzündung vorgelegen habe, die zu Recht als Schädigungsfolge anerkannt gewesen sei.
Die Klägerin verlangt Ersatz für die Kosten der Krankenhauspflege in Höhe von 2.861,-- DM. Sie meint, die bei dem Beschädigten behandelte Krankheit sei als mittelbare Schädigungsfolge dadurch anerkannt worden, daß der Beklagte der Witwe Versorgungsbezüge gewährt habe; die Zuerkennung einer Kannleistung löse die gleichen Rechtsfolgen aus wie eine "anerkannte Schädigungsfolge".
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat den Beklagten verurteilt, der Klägerin 2.861,-- DM zu erstatten; es hat die Revision zugelassen. Das LSG hat ausgeführt, das Magenkrebsleiden sei zwar nicht als Schädigungsfolge anerkannt gewesen, es sei aber durch die anerkannte Schädigungsfolge "anacider Magenkatarrh" verursacht gewesen. Dies habe Dr v G überzeugend dargetan.
Daß die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Gastritis und dem Krebsleiden nicht erwiesen werden könne, weil über die Ursache der Krebsleiden in der medizinischen Wissenschaft Ungewißheit bestehe, befreie die Versorgungsbehörde nicht von der Verpflichtung, Heilbehandlung zu gewähren. Dies ergebe sich aus § 1 Abs 3 Satz 2 BVG, wonach für Gesundheitsstörungen im Sinne dieser Vorschrift Versorgung in gleicher Weise wie für Schädigungsfolgen gewährt werde.
Der Beklagte hat Revision eingelegt; er rügt die Verletzung des § 19 BVG. Er meint, die Klägerin sei allein aus eigener Kompetenz und nicht auch nach dem BVG verpflichtet gewesen, den Magenkrebs des J H zu behandeln. Es habe sich hierbei weder um ein anerkanntes Leiden gehandelt noch sei mit Wahrscheinlichkeit festzustellen, daß das anerkannte Magenleiden den Magenkrebs verursacht habe.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts
aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des
Sozialgerichts Nürnberg zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision des Beklagten zurückzuweisen.
Sie weist darauf hin, daß eine Gesundheitsstörung, die zur Versorgung nach § 1 Abs 3 Satz 2 BVG führt, die gleichen Rechtsfolgen wie eine anerkannte Schädigungsfolge zeitige. Außerdem sei die behandelte Krebserkrankung durch die anerkannte Schädigungsfolge verursacht worden. Im übrigen wäre es unbillig, die Ersatzberechtigung aus § 19 BVG deshalb in Frage zu stellen, weil es zur Anerkennung nicht mehr kommen konnte, da der Versorgungsberechtigte gestorben sei. Schließlich müßte auch davon ausgegangen werden, daß eine Anerkennung hier als erfüllt anzusehen wäre, da der Witwe des J H eine Hinterbliebenenversorgung nach § 1 Abs 3 Satz 2 BVG zugebilligt worden sei.
Die Beigeladene trägt vor, das LSG sei zu Unrecht davon ausgegangen, der behandelte Magenkrebs sei durch die anerkannte Schädigungsfolge verursacht worden; vielmehr könne eine Ursächlichkeit nicht festgestellt werden.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung zugestimmt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist begründet.
Das LSG hat den Anspruch der Klägerin zutreffend auf der Grundlage des § 19 Abs 1 Satz 1 und 2 BVG idF vom 28. Dezember 1966 (BGBl I S 750) geprüft. Der Ansicht indessen, daß die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt seien, ist nicht beizutreten.
Nach § 19 Abs 1 BVG werden den Krankenkassen die Aufwendungen für Krankenhauspflege und kleinere Heilmittel ersetzt, wenn sie nicht nur nach den Vorschriften dieses Gesetzes - des BVG - verpflichtet waren, Heilbehandlung zu gewähren. Der Ersatz wird gewährt, wenn die Aufwendungen durch Behandlung anerkannter Schädigungsfolgen entstanden sind.
Die Aufwendungen, die die Klägerin für die Behandlung des Magenkrebsleidens des Beschädigten erstattet begehrt, sind nicht durch die Behandlung einer anerkannten Schädigungsfolge entstanden. Bei dem Beschädigten J H war zZ der Krankenhausbehandlung lediglich ein anacider Magenkatarrh und Abnützungserscheinungen im Bereich der Lendenwirbelsäule als Schädigungsfolgen anerkannt; hiermit war der behandelte Magenkrebs nicht identisch.
Der Magenkrebs des J H war auch nicht eine Gesundheitsstörung, die durch eine anerkannte Schädigungsfolge verursacht worden ist.
Nach § 10 Abs 1 Satz 1 BVG idF vom 28. Dezember 1966 wird Beschädigten Heilbehandlung für Gesundheitsstörungen, die als Folge einer Schädigung anerkannt oder durch eine anerkannte Schädigungsfolge verursacht worden sind, gewährt. Das LSG meint zu Unrecht, daß der Beschädigte aufgrund dieser Vorschrift einen Anspruch auf Heilbehandlung wegen seiner Krebserkrankung gehabt habe. Es hat irrtümlicherweise angenommen, daß im Sinne dieser Vorschrift der Magenkrebs durch den als Schädigungsfolge anerkannten anaciden Magenkatarrh "verursacht" worden sei. Bei diesen Ausführungen in dem angefochtenen Urteil handelt es sich nicht um eine tatsächliche Feststellung an die das Bundessozialgericht (BSG) gebunden wäre (§ 163 SGG). Obwohl das LSG die Gastritis als das Grundleiden darstellte, aus dem sich der Magenkrebs entwickelt habe, und sich dafür auf das Gutachten des Dr v G bezog, sagte es jedoch in den anschließenden Sätzen, daß die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Gastritis und dem Krebsleiden nicht erwiesen werden könne, weil über die Ursache des Krebsleidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewißheit bestehe. Dies befreie die Versorgungsbehörde jedoch nicht von der Verpflichtung, Heilbehandlung zu gewähren, denn aus § 1 Abs 3 Satz 2 BVG ergebe sich, daß für Gesundheitsstörungen im Sinne dieser Vorschrift Versorgung in gleicher Weise wie für Schädigungsfolgen gewährt werde. Es ist deutlich ersichtlich, daß das LSG - im übrigen wie die Beteiligten auch - nicht der Meinung ist, daß ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Magenkatarrh und dem Krebsleiden medizinisch festzustellen sei. Im Gegenteil ergibt sich gerade aus der Bezugnahme auf § 1 Abs 3 Satz 2 BVG, daß nach Ansicht des LSG die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs nicht gegeben ist und zwar deshalb nicht, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewißheit besteht.
Daß für den Beschädigten ein Anspruch auf Heilbehandlung eines "Folgeleidens" schon dann gegeben sein sollte, wenn nur eine Verkettung der Art vorliegt, die zu einer Kannleistung nach § 1 Abs 3 Satz 2 BVG führen kann, findet in der Vorschrift des § 10 Abs 1 BVG keine Stütze. Die Behandlungspflicht von nicht anerkannten, aber durch eine anerkannte Schädigung verursachten Gesundheitsstörungen ist schon eine Erweiterung des ursprünglichen Tatbestands. Bei dem Vorliegen derartiger Krankheiten verlangt die Verwaltungsvorschrift Nr 1 Satz 2 zu § 10 BVG dann, wenn es sich um eine Gesundheitsstörung handelt, die auch als selbständiges Leiden auftreten kann, zur Gewährung der Heilbehandlung der Einwilligung der Verwaltungsbehörde. Es ist demnach der Beigeladenen und dem Beklagten zuzustimmen, daß die Krankenkasse nicht auch nach den Vorschriften des BVG verpflichtet war, den Magenkrebs des J H zu behandeln.
Da schon ein Behandlungsanspruch des Beschädigten nach § 10 Abs 1 BVG nicht bestand, braucht nicht erörtert zu werden, ob die Heilbehandlung einer Gesundheitsstörung, die ihrerseits nicht anerkannt, aber durch eine anerkannte Schädigungsfolge verursacht worden ist, der Krankenkasse nach § 19 Abs 1 zu entschädigen ist (vgl BSG SozR 3100 § 19 Nr 7 S 19 einerseits und andererseits Urteil des BSG vom 16. März 1979 - 9 RV 53/78 - = USK 7940).
Im übrigen kann auch dahinstehen, ob jedenfalls dann, wenn für eine Gesundheitsstörung nach § 1 Abs 3 Satz 2 BVG eine Versorgung gewährt worden ist, daraus die Folgerung zu ziehen wäre, daß für diese Gesundheitsstörung nicht nur der Beschädigte einen Anspruch auf Heilbehandlung, sondern auch die Krankenkasse danach einen Ersatzanspruch für ihre Aufwendungen nach § 19 BVG geltend machen könnte. In den Verwaltungsvorschriften zu § 1 BVG wird unter Ziff 9 lediglich angeführt, daß Gesundheitsstörungen, bei denen der Gewährung von Versorgung nach § 1 Abs 3 Satz 2 BVG zugestimmt worden ist, die gleichen Rechtsfolgen auslösen, wie anerkannte Schädigungsfolgen. Darüber hinausgehende, insbesondere schon in die Zeit vor der "Anerkennung" erstreckende Rechte können nicht angenommen werden. Derartige Gesundheitsstörungen zeitigen ebenso wie die anerkannten Schädigungsfolgen die Tatbestandswirkung für § 19 Abs 1 Satz 2 BVG frühestens von dem Wirksamwerden der Anerkennung an. Diese liegt hier nicht vor Beginn der Hinterbliebenenversorgung, denn der Beschädigte selbst hatte Versorgung wegen des Krebsleidens nicht beantragt. Der Antrag des Beschädigten bei seiner Krankenkasse auf Heilbehandlung ersetzt nicht diesen Antrag auf Versorgung. Die Wechselwirkung des Antrags, die in § 18a Abs 1 Satz 3 BVG bezeichnet worden ist, tritt nur ein, wenn der Antragsteller bereits Berechtigter für das zu behandelnde Leiden nach dem BVG ist (vgl BSGE 34, 289, 292, BSG Urteil vom 5. April 1974 - 9 RV 80/73 - = Versorgungsbeamter 1974, 107 und BSG SozR 3100 § 19 Nr 9).
Schließlich kann der Anspruch der Klägerin auch nicht auf eine andere Rechtsgrundlage gestützt werden, insbesondere nicht auf einen allgemeinen öffentlich-rechtlichen Ersatzanspruch; denn der finanzielle Ausgleich für eine Krankenbehandlung zwischen den Krankenkassen und den Trägern der Kriegsopferversorgung sind in den §§ 19 und 20 BVG abschließend und erschöpfend geregelt (BSG SozR 3100 § 19 Nr 6 S 16, BSG Urteil vom 16. März 1979 - 9 RV 53/78 = USK 7940).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen