Entscheidungsstichwort (Thema)
Infektion bei Waschen von Lazarettwäsche
Leitsatz (redaktionell)
1. Zur Frage des Versorgungsschutzes einer Infektion nach dem Waschen von Lazarettwäsche.
2. Nach dem Zweck des BVG § 5 müssen die dort angeführten Tatbestände eng ausgelegt werden.
Als unmittelbare Kriegseinwirkung iS des BVG § 5 Abs 1 Buchst e gilt nicht eine Kampfhandlung an sich, sondern die unmittelbare Einwirkung einer Kampfhandlung.
Ein Gefahrenbereich - mag er auch in kriegseigentümlicher Weise entstanden sein - ist nicht mehr kriegseigentümlich iS des BVG § 5 Abs 1 Buchst e, wenn sich die Gefahren im Zeitpunkt ihrer Verwirklichung von anderen nicht durch kriegerische Vorgänge entstandenen Gefahren nicht mehr unterscheiden.
Normenkette
BVG § 1 Abs. 2 Buchst. a Fassung: 1950-12-20, § 5 Abs. 1 Buchst. a Fassung: 1953-08-07
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts in München vom 16. Juli 1959 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Im Januar 1951 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Rente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen einer Endocarditis lenta (Entzündung der Herzinnenhaut), die sie sich während ihrer Tätigkeit als Wäscherin im Hotel B in M in den ersten Kriegsjahren zugezogen haben will. Sie gab an, sie habe seit Kriegsbeginn außer der Hotelwäsche auch Lazarettwäsche des Hilfskrankenhauses in der M.-straße in M - vor allem aus der Infektionsabteilung - waschen müssen. Im Jahre 1941 sei sie infolge einer Infektion durch das Waschen der Lazarettwäsche an einem Gesichtsfurunkel und einer Angina mit anschließender Nierenentzündung und Herzbeschwerden erkrankt. Nach einem versorgungsärztlichen Gutachten der Fachärztin für innere Krankheiten Dr. M vom 19. Juni 1952 war eine Herzerkrankung bei der ambulanten Untersuchung nicht festzustellen. Durch Bescheid vom 21. Oktober 1952 lehnte das Versorgungsamt (VersorgA) M den Versorgungsantrag der Klägerin ab.
Mit der Berufung (alten Rechts) an das Oberversicherungsamt M, die nach § 215 Abs. 2 und 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Klage auf das Sozialgericht (SG) München übergegangen ist, hat die Klägerin ein Gutachten des Ambulatoriums der II. medizinischen Klinik der Universität M vom 28. November 1952 vorgelegt. Prof. Dr. Z und Dr. H sind zu der Auffassung gelangt, es sei wahrscheinlich, daß im Anschluß an die Furunkulose und die Angina im Jahre 1941 eine Endocarditis lenta aufgetreten sei. Da beim Waschen von Lazarettwäsche Infektionsmöglichkeiten immer gegeben seien, bestehe ein Zusammenhang mit einer Wehrdienstbeschädigung i. S. der Verschlimmerung. Die Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sei wechselnd und betrage 40 bis 60 v. H. Der gerichtliche Sachverständige des SG, Dr. S, hat in seiner gutachtlichen Äußerung vom 20. Januar 1955 die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhangs des bei der Klägerin nach der Vorgeschichte anzunehmenden, jetzt aber kompensierten endocarditischen Prozesses mit Einflüssen ihrer Tätigkeit als Wäscherin von Lazarettwäsche nicht für gegeben erachtet, da das gelegentliche Waschen von Lazarettwäsche in einer Hotelwäscherei während des Krieges nicht ausreiche, um darauf eine septische Infektion während der Kriegszeit bei sonst zivilem Arbeitsverhältnis zu begründen. Das SG hat ein weiteres Gutachten von dem Städtischen Krankenhaus M vom 25. Mai 1955 eingeholt. Die Sachverständigen dieser Klinik, Prof. Dr. S und Dr. L, haben ausgeführt, daß eine Infizierung durch Lazarettwäsche nicht in Betracht komme, weil dieser Infektionsweg eine ungeläufige und wahrscheinlich überhaupt unmögliche Art der Erwerbung des Erregers (Streptococcus viridans) für eine Endocarditis lenta darstelle. Dagegen liege mit größter Wahrscheinlichkeit eine chronisch-rezidivierende Cystitis bzw. Cystopyelitis (Entzündung der Blaseninnenhaut) vor, die als Urheber für die Entzündungsvorgänge anzusehen sei. Die Einschränkung der Leistungsfähigkeit beruhe im wesentlichen auf der enormen Fettsucht der Klägerin, durch die eine übermäßige Beanspruchung des Herzens bedingt werde. Die vorliegenden Leiden - gleich welcher Art - seien als Schädigungsfolgen sowohl i. S. der Entstehung als auch i. S. der Verschlimmerung abzulehnen. Durch Urteil vom 25. November 1955 hat das SG München die Klage abgewiesen. Es hat das Waschen von Lazarettwäsche während des Krieges zwar als eine Folgeerscheinung der Kriegsverhältnisse angesehen, jedoch eine entschädigungspflichtige Gesundheitsstörung i. S. des § 1 BVG im Hinblick auf das eingehend und schlüssig begründete Gutachten des Städtischen Krankenhauses M vom 25. Mai 1955 nicht für gegeben erachtet.
Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin durch Urteil vom 16. Juli 1959 zurückgewiesen; es hat die Revision zugelassen. Eine Ansteckung der Klägerin durch das Waschen von Lazarettwäsche hat es unterstellt, jedoch darin eine unmittelbare Kriegseinwirkung i. S. des § 5 BVG nicht erblickt. Die Tatbestände des § 5 Abs. 1 Buchst. a bis d BVG kämen für die vorliegende Streitsache nicht in Betracht, weil es sich weder um Folgen von Kampfhandlungen und damit unmittelbar zusammenhängender militärischer Maßnahmen noch um behördliche Maßnahmen in unmittelbarem Zusammenhang mit Kampfhandlungen oder ihrer Vorbereitung noch um Einwirkungen handle, die auf die besonderen Umstände einer Flucht oder Umsiedlung zurückzuführen wären. Auch die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Buchst. e BVG seien nicht erfüllt. Dadurch, daß die Klägerin in der Wäscherei des Hotels B nach Beginn des Krieges auch Soldatenwäsche aus der Infektionsabteilung eines Lazaretts zu waschen hatte, habe sich an ihrem zivilen Arbeitsrechtsverhältnis nichts geändert. Die Gefährdung einer Wäscherin durch eine mögliche Ansteckung infolge infizierter Wäsche stelle keinen kriegseigentümlichen Gefahrenbereich dar, weil jede Berührung mit der Wäsche fremder Personen die Möglichkeit einer Infizierung mit sich bringe, gleichgültig, ob es sich um Hotelgäste oder um Patienten eines Krankenhauses handele. Durch die Übernahme der Wäsche aus einem Krankenhaus sei zwar diese allgemeine Ansteckungsmöglichkeit größer geworden; dadurch sei jedoch die Gefahr nicht eine kriegseigentümliche geworden, da die Übernahme der Wäsche aus einem Krankenhaus durch eine Wäscherei nicht ausschließlich im Kriege erfolgen müsse und Infektionskrankheiten sowohl im Krieg als auch im Frieden vorkämen. Es fehle ferner an der Unmittelbarkeit einer Kriegseinwirkung; denn die Notwendigkeit der Behandlung erkrankter Soldaten im Lazarett und der damit anfallende Wäscheverbrauch ergäben sich erst nach Beendigung des ursprünglichen Gefahrenbereichs. Die Ansteckung weiterer Personen durch den Erkrankten bilde einen neuen Ursachenzusammenhang; die eventuelle Infizierung der Klägerin durch das Waschen der Lazarettwäsche während des Krieges könne daher nur als mittelbare Folge angesehen werden, die zwar im weitesten Sinne kriegsbedingt sei, aber ebensowenig vom BVG erfaßt werde wie z. B. Körperschäden, die bei der Durchführung kriegswichtiger Aufträge in einem zivilen Arbeitsverhältnis in der Kriegsindustrie entstanden sind.
Gegen dieses am 9. Oktober 1959 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 3. November 1959, eingegangen beim Bundessozialgericht (BSG) am 4. November 1959, Revision eingelegt und beantragt,
in eigener Zuständigkeit zu entscheiden, das Urteil des Bayer. LSG vom 16. Juli 1959 aufzuheben, eine Endocarditis lenta als Schädigungsfolge i. S. der Verschlimmerung anzuerkennen und Rente nach einer MdE um 40 v. H. vom 1. Januar 1959 an (müßte wohl "1951" heißen) zu gewähren.
Die Klägerin rügt eine Verletzung des § 5 BVG. Sie ist der Auffassung, daß die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Buchst. a BVG vorliegen, weil es sich bei der Lazarettwäsche um die Wäsche von Wehrmachtsangehörigen gehandelt habe, die unmittelbar aus dem Kampfeinsatz gekommen seien. Bei Lazarettwäsche sei die Gefahr der Infizierung von vornherein gegeben, so daß die Auffassung des LSG nicht einleuchtend sei, daß die Möglichkeit einer Infizierung bei jeder Berührung mit der Wäsche fremder Personen bestehe. Im übrigen sei die vorgesehene Dienstverpflichtung der Klägerin für einen kriegswichtigen Betrieb zurückgestellt worden, weil durch die Wäscherei des Hotels B kriegswichtige Aufträge nachgewiesen werden konnten.
Der Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision als unbegründet; er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die durch Zulassung statthafte Revision (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) ist frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG). Sie ist daher zulässig, aber nicht begründet.
Das LSG hat in der angefochtenen Entscheidung eine Ansteckung der Klägerin durch das Waschen von Lazarettwäsche unterstellt; es hat aber eine unmittelbare Kriegseinwirkung i. S. der Tatbestände des § 5 Abs. 1 Buchst. a bis e BVG verneint. Mit der Revision macht die Klägerin insbesondere eine Verletzung des § 5 Abs. 1 Buchst. a BVG geltend. Nach dieser Vorschrift gelten als unmittelbare Kriegseinwirkung Kampfhandlungen und damit unmittelbar zusammenhängende militärische Maßnahmen, insbesondere die Einwirkung von Kampfmitteln. Die Klägerin meint, die Tatbestandsmerkmale dieser Vorschrift seien deswegen gegeben, weil es sich bei Lazarettwäsche um die Wäsche von Wehrmachtsangehörigen handele, die unmittelbar aus dem Kampfeinsatz kommen. Dieser Auffassung kann nicht beigetreten werden.
Die Fälle der unmittelbaren Kriegseinwirkung sind in § 5 BVG abschließend aufgeführt, wie das BSG in ständiger Rechtsprechung entschieden hat (BSG 2, 29). Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch hängt also davon ab, ob einer der in § 5 BVG angeführten Schädigungstatbestände bei dem von dem LSG festgestellten und von der Klägerin nicht mit Revisionsrügen angegriffenen Sachverhalt vorliegt. Nach dem Zweck dieser Vorschrift müssen die dort angeführten Tatbestände eng ausgelegt werden (vgl. BSG aaO). Der erkennende Senat hat daher bereits in seinem Urteil vom 15. November 1955 (BSG 2, 29,33) ausgesprochen, daß nur solche Kampfhandlungen eine unmittelbare Kriegseinwirkung i. S. des § 5 Abs. 1 Buchst. a BVG darstellen, die eine unmittelbare Einwirkung auf den Beschädigten selbst ausgeübt haben (vgl. auch BSG in SozR BVG § 5 Bl. Ca 7 Nr. 19). Wenn das BVG in dieser Vorschrift von Kampfhandlungen und nicht mehr ausdrücklich von unmittelbaren Einwirkungen von Kampfhandlungen spricht, so ergibt sich das Erfordernis der unmittelbaren Einwirkung auf den Beschädigten schon daraus, daß Kampfhandlungen als unmittelbare Kriegseinwirkungen zu gelten haben, d. h. daß als unmittelbare Einwirkung des Krieges nur unmittelbare Einwirkungen von Kampfhandlungen gelten sollen. Aus der Fassung dieser Vorschrift kann daher nicht entnommen werden, daß bei den Kampfhandlungen keine unmittelbare Einwirkung auf den Beschädigten zu fordern ist. Vielmehr muß aus dem Tatbestandsmerkmal der "unmittelbaren" Kriegseinwirkung geschlossen werden, daß aus dem Kreis der unmittelbaren Einwirkungen des Krieges nur die unmittelbaren Einwirkungen von Kampfhandlungen für eine Schädigung i. S. des § 5 Abs. 1 Buchst. a BVG bedeutsam sein sollen. Als unmittelbare Kriegseinwirkung i. S. dieser Vorschrift gilt also nicht eine Kampfhandlung an sich, sondern die unmittelbare Einwirkung einer Kampfhandlung. Die Klägerin war jedoch von einer Kampfhandlung nicht persönlich und unmittelbar betroffen. Dies waren vielmehr allein die Soldaten im Lazarett, deren Wäsche die Klägerin gewaschen hat, sofern sie überhaupt im Rahmen einer Kampfhandlung eine Schädigung erlitten haben. Die Klägerin kann daher schon aus diesem Grunde einen Versorgungsanspruch aus § 5 Abs. 1 Buchst. a BVG nicht herleiten.
Das LSG hat ferner das Vorliegen der Tatbestände des § 5 Abs. 1 Buchst. b bis d BVG verneint. Daß der Anspruch der Klägerin nicht auf diese Vorschriften gegründet werden kann, ist so eindeutig, daß sie selbst in der Revisionsbegründung hierzu keine Ausführungen gemacht hat. Bei dem Waschen der Lazarettwäsche in der Wäscherei des Hotels "B" handelt es sich weder um behördliche Maßnahmen in unmittelbarem Zusammenhang mit Kampfhandlungen oder ihrer Vorbereitung noch um Einwirkungen oder Schädigungsvorgänge, denen die Klägerin durch eine Flucht oder zwangsweise Umsiedlung ausgesetzt war. Damit scheiden die Tatbestände des § 5 Abs. 1 Buchst. b bis d BVG für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch aus.
Das LSG hat endlich zutreffend ausgeführt, daß es sich bei der von ihm unterstellten Infektion der Klägerin durch das Waschen von Lazarettwäsche nicht um eine nachträgliche Auswirkung kriegerischer Vorgänge, die einen kriegseigentümlichen Gefahrenbereich hinterlassen haben, gehandelt hat (§ 5 Abs. 1 Buchst. e BVG). Es kann in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben, ob das Waschen von Lazarettwäsche überhaupt eine nachträgliche Auswirkung kriegerischer Vorgänge i. S. dieser Vorschrift sein kann. Jedenfalls handelt es sich hierbei nicht um einen kriegseigentümlichen Gefahrenbereich. Für das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals "kriegseigentümlicher Gefahrenbereich" genügt es nicht, daß Gefahren in kriegseigentümlicher Weise entstanden sind. Sie müssen vielmehr auch nach ihrer Entstehung fortwirkend kriegseigentümlich geblieben sein und bis zum Eintritt des schädigenden Ereignisses in dieser Weise fortbestanden haben. Ein Gefahrenbereich - mag er auch in kriegseigentümlicher Weise entstanden sein - ist nicht mehr kriegseigentümlich, wenn sich die Gefahren in dem Zeitpunkt ihrer Verwirklichung von anderen nicht durch kriegerische Vorgänge entstandenen Gefahren nicht mehr unterscheiden. Von einem kriegseigentümlichen Gefahrenbereich kann daher nicht mehr gesprochen werden, wenn das schädigende Ereignis einer Gefahrenquelle entspringt, der eine Verbindung mit typischem Kriegsgeschehen nicht mehr eigen ist (vgl. BSG 4, 230; 6, 102; 7, 183). Die Gefahr, daß sich eine Wäscherin beim Waschen von infizierter Wäsche ansteckt, ist jedoch in Krieg und Frieden die gleiche. Es kommt hierbei auch nicht darauf an, ob es sich um die Lazarettwäsche von Soldaten oder um die infizierte Wäsche von Zivilpersonen handelt. Zwar mag, wie auch das LSG ausgeführt hat, die allgemeine Möglichkeit einer Ansteckung bei dem Waschen von Lazarettwäsche größer sein als sonst. Dieser Umstand allein macht jedoch eine solche Gefahr nicht zu einer kriegseigentümlichen i. S. des § 5 Abs. 1 Buchst. e BVG. Die Auffassung des LSG, daß die Tatbestandsmerkmale des § 5 Abs. 1 Buchst. e BVG nicht vorliegen, ist daher nicht zu beanstanden. Da somit der von der Klägerin geltend gemachte Versorgungsanspruch auf die in § 5 BVG angeführten Tatbestände nicht gestützt werden kann, mußte ihre Revision als unbegründet zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen