Leitsatz (redaktionell)
1. Der Beginn der 1. Blockfrist iS von RVO § 183 Abs 2 kann auch vor dem Inkrafttreten des Leistungsverbesserungsgesetzes (1961-08-01) liegen.
2. Der Anspruch eines Tuberkulosekranken auf Übergangsgeld während ambulanter kassenärztlicher Behandlung (Krankenpflege) ruht, solange Anspruch auf Krankengeld besteht.
Normenkette
RVO § 183 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1961-07-12
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 18. Dezember 1968 aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 19. Januar 1968 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Erstattung von 1.002,- DM, die sie an Übergangsgeld in der Zeit vom 1. August 1961 bis zum 30. Juni 1962 an die Hilfsarbeiterin M S (Sch.) gezahlt hat.
Sch. war bis zum 30. Juni 1959 versicherungspflichtig beschäftigt und Mitglied der Beklagten. Sie erkrankte am 1. Juli 1959 an aktiver Lungentuberkulose, war bis zum 30. Juni 1962 durchgehend arbeitsunfähig und wurde vom 5. August 1959 bis 31. Mai 1961 deswegen auf Kosten der Klägerin stationär und anschließend bis 30. Juni 1962 ambulant weiterbehandelt. Unter Anrechnung des in der Zeit vom 1. Juli bis 4. August 1959 gezahlten Krankengeldes und des von der Klägerin durchgeführten stationären Heilverfahrens wurde die Versicherte mit Ablauf des 31. Dezember 1959 nach einer Leistungsdauer von 26 Wochen von der Beklagten ausgesteuert. Die Klägerin gewährte ihr während der ambulanten Heilbehandlung vom 1. Juni 1961 bis 30. Juni 1962 Übergangsgeld in Höhe von 3,- DM täglich. Die Gewährung von Krankengeld auch für die Zeit vom 1. August 1961 bis 30. Juni 1962 und somit auch einen entsprechenden Erstattungsanspruch der Klägerin lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, Sch. sei am 31. Dezember 1959 ausgesteuert worden.
Auf die am 23. September 1966 eingegangene Klage hat das Sozialgericht (SG) die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 1.002,- DM zu zahlen.
Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten mit Urteil vom 18. Dezember 1968 das Urteil des SG aufgehoben: Es könne dahingestellt bleiben, ob die Versicherte Sch. in dem streitigen Zeitraum gegen die Beklagte einen Anspruch auf Krankengeld gehabt habe. Denn selbst wenn dies der Fall gewesen sei, so sei dieser Anspruch durch die Gewährung des Übergangsgeldes gemäß § 183 Abs. 6 Reichsversicherungsordnung (RVO) entfallen. Diese Rechtswirkung trete ohne Rücksicht darauf ein, ob das Übergangsgeld zu Recht oder zu Unrecht gewährt worden sei; denn § 183 RVO stelle nur darauf ab, daß Übergangsgeld tatsächlich gewährt werde. Die Klägerin könne deshalb ihr Begehren auch nicht auf § 1244 a Abs. 6 Satz 3 RVO stützen, da aufgrund der Tatbestandswirkung der Zahlung von Übergangsgeld die Beklagte von ihrer etwaigen Verpflichtung zur Zahlung von Krankengeld entbunden worden sei. Davon abgesehen setze der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch voraus, daß sein Inhaber die Leistung für einen anderen Rechtsträger erbracht habe, der dazu verpflichtet gewesen sei. Die Klägerin habe das Übergangsgeld aber nicht für die Beklagte, für die eine entsprechende Verpflichtung nicht bestehe, sondern als eigene Leistung erbracht.
Mit der zugelassenen Revision wendet sich die Klägerin gegen diese Auffassung des LSG: Durch das Leistungsverbesserungsgesetz sei mit Wirkung vom 1. August 1961 der Barleistungsanspruch in der Krankenversicherung auch für Fälle wesentlich erweitert worden, in denen der Versicherungsfall bei Krankheit vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eingetreten sei, die Krankheit aber ohne Unterbrechung auch noch in der Zeit nach Inkrafttreten des Gesetzes fortbestanden habe. Nach Art. 6 Abs. 3 des Leistungsverbesserungsgesetzes würden Zeiten des Bezuges von Krankengeld und Krankenpflege, die vor Inkrafttreten dieses Gesetzes liegen, auf die Bezugszeiten nach neuem Recht angerechnet, wenn es sich um dieselbe Krankheit handele. Darüber hinaus sei eine Einschränkung der Anwendung des neuen Rechts auf alte Versicherungsfälle dieser Übergangsregelung nicht zu entnehmen, so daß davon auszugehen sei, daß alle alten Versicherungsfälle an den Vergünstigungen des Leistungsverbesserungsgesetzes mit seinem Inkrafttreten ab 1. August 1961 teilnehmen sollten, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob zu diesem Zeitpunkt noch Anspruch auf Krankengeld bzw. Krankenhauspflege bestanden habe oder die Aussteuerung zu irgendeiner Zeit vor dem 1. August 1961 bereits erfolgt sei. Die Beklagte habe somit entsprechend der Vorschrift des § 183 Abs. 2 RVO iVm Art. 6 Abs. 3 des Leistungsverbesserungsgesetzes unter Anrechnung der vor dem 1. August 1961 liegenden Bezugszeiten der Versicherten für die gesamte Dauer der Übergangsgeldzahlung während der ambulanten Behandlung ab 1. August 1961 bis 30. Juni 1962 Krankengeld zahlen müssen. Übergangsgeld sei deshalb in diesem Zeitraum von der Klägerin zu Unrecht gewährt worden. Insoweit habe ihr die Beklagte Ersatz zu leisten, da gemäß § 1244 a Abs. 6 Satz 3 RVO der Anspruch des Versicherten auf Übergangsgeld, nicht aber der gemäß § 183 Abs. 6 RVO auf Krankengeld geruht habe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Bayerischen LSG in München vom 18. Dezember 1968 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Landshut vom 19. Januar 1968 als unbegründet zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Rechtsauffassung des LSG für zutreffend.
II.
Die Revision der Klägerin ist begründet.
Wie der Senat in dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom selben Tage zu 3 RK 5/70 des näheren ausgeführt hat, gilt der allgemeine Grundsatz des öffentlichen Rechts, daß zu Unrecht geleistete Zahlungen der öffentlichen Hand zu erstatten sind. Dieser Erstattungsanspruch kann sich nicht nur gegen den Zahlungsempfänger richten, sondern auch gegen einen anderen Leistungsträger, an dessen Stelle der nicht verpflichtete gezahlt hat (auch Abwälzungs- oder Ausgleichsanspruch genannt). Die Voraussetzungen für einen solchen Ausgleichsanspruch der Klägerin in Höhe von unstreitig 1.002,- DM liegen vor. Denn sie hat der Versicherten Sch. Übergangsgeld vom 1. August 1961 bis 30. Juni 1962 gewährt, obwohl der Anspruch der Sch. auf Übergangsgeld wegen eines für die gleiche Zeit bestehenden Anspruchs auf Krankengeld gegen die Beklagte in zumindest gleicher Höhe gemäß § 1244 a Abs. 6 Satz 3 RVO ruhte. Insoweit greift nämlich die Regelung des § 183 Abs. 6 RVO nicht ein; im Verhältnis zu ihr erweist sich vielmehr der für den Sonderfall der Tbc geschaffene § 1244 a Abs. 6 Satz 3 RVO als die speziellere Norm (siehe die Urteile des 4. Senats in BSG 28, 214, 216/217 und des erkennenden Senats vom 16. Juli 1971 - 3 RK 101/69 - und vom 9. September 1971 - 3 RK 5/70 -); d.h. nicht der Krankengeldanspruch des Versicherten entfiel im streitigen Zeitraum, weil Übergangsgeld von der Klägerin in dieser Zeit gewährt wurde, sondern kraft Gesetzes ruhte der Anspruch auf Übergangsgeld, weil Anspruch auf Krankengeld bestand.
Nach den vom LSG getroffenen, von der Revision nicht angegriffenen und daher gemäß § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) für den Senat bindenden Feststellungen war die Versicherte wegen aktiver behandlungsbedürftiger Lungen-Tbc seit dem 1. Juli 1959 bis zum 30. Juni 1962 durchgehend arbeitsunfähig krank. Die Beklagte war aufgrund des neuen Leistungsrechts (§ 183 Abs. 2 RVO idF des Leistungsverbesserungsgesetzes vom 12. Juli 1961 - BGBl I 913 - § 183 nF -) verpflichtet, auch für die Zeit vom 1. August 1961 bis zum 30. Juni 1962 Krankengeld zu gewähren; denn § 183 Abs. 2 RVO nF gilt auch für solche Versicherungsfälle, in denen der Versicherte im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Leistungsverbesserungsgesetzes am 1. August 1961 mit der Leistung bereits ausgesteuert war, dieselbe Krankheit aber noch andauerte (BSG 16, 177; siehe ferner das Urteil des erkennenden Senats vom gleichen Tage - 3 RK 5/70 -). Die Berufung der Beklagten auf die noch nach altem Recht am 31. Dezember 1959 eingetretene Aussteuerung ist deshalb nicht gerechtfertigt. Das bedeutet, daß auch die Versicherte Sch. gemäß § 183 Abs. 2 nF einen Anspruch auf 78 Wochen Krankengeld innerhalb von je 3 Jahren nach dem Tage des Beginns der Arbeitsunfähigkeit hatte, gemäß Art. 6 Abs. 3 des Leistungsverbesserungsgesetzes jedoch insoweit beschränkt, als Zeiten des Bezuges von Krankengeld, die vor Inkrafttreten des genannten Gesetzes liegen, auf die Leistungszeiten nach neuem Recht angerechnet werden. Für die Berechnung des Dreijahreszeitraumes des § 183 Abs. 2 RVO ist bei Sachverhalten aus der Übergangszeit nicht das Inkrafttreten des Leistungsverbesserungsgesetzes am 1. August 1961 und das damit verbundene Wiederaufleben des Krankengeldanspruchs maßgeblich, sondern der erstmalige Eintritt der Arbeitsunfähigkeit (s. dazu das Urteil des erkennenden Senats vom selben Tage zu 3 RK 5/70 mit weiteren Hinweisen). Die Beklagte hatte somit über das in der Zeit vom 1. Juli bis 4. August 1959 bereits gezahlte Krankengeld hinaus innerhalb des ab 1. Juli 1959 laufenden ersten Dreijahreszeitraumes auch in der Zeit vom 1. August 1961 bis zum 30. Juni 1962 Krankengeld zu gewähren, so daß - wie dargelegt - ein Anspruch des Versicherten auf Übergangsgeld gemäß § 1244 a Abs. 6 Satz 3 RVO im gleichen Zeitraum ruhte. Das von der Klägerin dennoch geleistete Übergangsgeld in Höhe von 1.002,- DM ist deshalb von der Beklagten zu erstatten. Damit erwies sich das Urteil des SG als richtig. Das Urteil des LSG mußte mithin aufgehoben und die Berufung der Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 4 SGG.
Fundstellen