Leitsatz (amtlich)
Bei der Ermittlung der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre als Versicherungszeit sind auch die während einer nachgewiesenen Ausfallzeit entrichteten Pflichtbeiträge zu berücksichtigen, wenn nicht die nachgewiesene, sondern eine längere pauschale Ausfallzeit anzurechnen ist (Bestätigung und Fortführung von BSG 1981-06-30 5b/5 RJ 126/79 = SozR 2200 § 1258 Nr 1).
Normenkette
RVO § 1258 Abs 1 Fassung: 1971-12-22, § 1259 Abs 1 S 1 Nr 6; ArVNG Art 2 § 14 Fassung: 1965-06-09; RVO § 1255 Abs 7 S 2
Verfahrensgang
LSG Bremen (Entscheidung vom 23.10.1980; Aktenzeichen L 1 J 15/80) |
SG Bremen (Entscheidung vom 27.05.1980; Aktenzeichen S 6 J 71/78) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe der dem Kläger gewährten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, insbesondere darüber, ob die während des Bezuges der Invalidenrente entrichteten Pflichtbeiträge neben der angerechneten pauschalen Ausfallzeit als anrechnungsfähige Versicherungsjahre iS des § 1258 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) rentensteigernd zu berücksichtigen sind.
Der im Jahre 1918 geborene Kläger bezog in der Zeit vom 1. Mai 1945 bis zum 30. April 1946 die Invalidenrente. Während des Rentenbezuges entrichtete er in der Zeit vom 27. Dezember 1945 bis zum 30. April 1946 Pflichtbeiträge zur Invalidenversicherung. Die Beklagte wandelte die seit dem 4. September 1972 gewährte Rente wegen Berufsunfähigkeit mit Wirkung vom 1. Oktober 1975 in die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit um. Während des Widerspruchsverfahrens stellte die Beklagte die Rente mit Bescheid vom 11. Oktober 1977 neu fest. Bei der Rentenberechnung berücksichtigte sie die während der Zeit vom 27. Dezember 1945 bis zum 30. April 1946 entrichteten Pflichtbeiträge bei der mit 13 Monaten verrechneten pauschalen Ausfallzeit als Versicherungszeit; im übrigen - bei der Ermittlung der Anzahl der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre - ließ sie diese Beiträge aber unberücksichtigt.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage mit Urteil vom 27. Mai 1980 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 23. Oktober 1980 die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zutreffend berechnet. Die streitige Zeit vom 27. Dezember 1945 bis zum 30. April 1946 erfülle die Voraussetzungen des § 1259 Abs 1 Nr 6 und § 1259 Abs 3 RVO für die Anrechnung einer Ausfallzeit. Die während dieser Zeit entrichteten Beiträge könnten daher nach § 1255 Abs 7 Satz 2 RVO bei der Anwendung der Absätze 1 und 3 des § 1255 RVO nicht berücksichtigt werden. Dem stehe nicht entgegen, daß die Beklagte nicht die nachgewiesene, sondern die übersteigende pauschale Ausfallzeit nach Art 2 § 14 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) angerechnet habe. Zutreffend habe aber die Beklagte diese Beiträge bei der Ermittlung der pauschalen Ausfallzeit als mit Beiträgen belegte Zeit berücksichtigt. Die Ausnahmeregelung des § 1255 Abs 7 Satz 2 RVO beschränke die Nichtberücksichtigung der während einer Ausfallzeit entrichteten Beiträge auf die Anwendung der Absätze 1 und 3 des § 1255 RVO.
Der Kläger hat dieses Urteil mit der - vom erkennenden Senat durch Beschluß vom 30. Juni 1981 zugelassenen - Revision angefochten. Er trägt unter Bezugnahme auf seine Beschwerdebegründung vor, eine Beitragszeit könne nicht zugleich Ausfallzeit sein. Versicherte, die während einer Ausfallzeit Beiträge entrichtet hätten, könnten nicht schlechter gestellt werden, als solche Versicherte, die während der Ausfallzeit keine Beiträge entrichtet haben. Bei der Auslegung, wie sie das Berufungsgericht gefunden habe, beständen Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des Art 2 § 14 ArVNG.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 11. Oktober 1977 zu verpflichten, im Rahmen der Rentenberechnung die vom 27. Dezember 1945 bis 30. April 1946 entrichteten Beiträge als anrechnungsfähige Versicherungsjahre neben der pauschalen Ausfallzeit zu berücksichtigen.
Die Beklagte beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis und in der Begründung für richtig und ist der Ansicht, die Revision des Klägers sei unbegründet.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Klägers hat auch Erfolg. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht mit der Zurückweisung der Berufung des Klägers das die Klage abweisende Urteil des SG bestätigt.
Die in der Zeit vom 27. Dezember 1945 bis zum 30. April 1946 während des Bezuges der Invalidenrente entrichteten Beiträge sind nach § 1258 Abs 1 RVO als Versicherungszeit neben der pauschalen Ausfallzeit bei der Ermittlung der Anzahl der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre zu berücksichtigen. Wie der erkennende Senat bereits entschieden hat, steht dem nicht entgegen, daß nach der genannten Vorschrift Versicherungszeiten und Ausfallzeiten nur zusammengerechnet werden können, soweit sie nicht auf dieselbe Zeit entfallen (BSG SozR 2200 § 1258 Nr 1). Zwar sind die Beiträge für eine Zeit entrichtet, die nach § 1259 Abs 1 Nr 6 RVO den Tatbestand einer Ausfallzeit erfüllt. Die Beklagte hat jedoch in dem angefochtenen Bescheid nicht diese nachgewiesene, sondern die längere pauschale Ausfallzeit nach Art 2 § 14 ArVNG angerechnet. Wenn auch die Ausfallzeitpauschale die kürzere nachgewiesene Ausfallzeit verdrängt und ersetzt, so bedeutet das doch nicht, daß die streitige Beitragszeit iS des § 1258 Abs 1 RVO mit der angerechneten Ausfallzeit mit der Folge identisch ist, daß eine Zusammenrechnung dieser Zeiten ausgeschlossen ist. Wie der erkennende Senat in dem zitierten Urteil bereits ausgeführt hat, umfaßt die durch die Ausfallzeitpauschale teilweise zu schließende Versicherungslücke nicht die während einer nicht angerechneten, nachgewiesenen Ausfallzeit entrichteten Beiträge, wenn diese Beitragszeiten - wie im vorliegenden Fall - wegen ihres Vorrangs als Versicherungszeit von der Gesamtzeit nach Art 2 § 14 Satz 4 ArVNG abgezogen worden sind. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf das zitierte Urteil verwiesen, das allerdings einen Fall betrifft, in dem während einer nachgewiesenen Ausfallzeit freiwillige Beiträge entrichte worden sind. Für den vorliegenden Fall der Entrichtung von Pflichtbeiträgen während einer nachgewiesenen Ausfallzeit gelten die dortigen Gründe indes gleichermaßen.
Steht danach § 1255 Abs 7 Satz 2 RVO der Anrechnung der streitigen Beitragszeit nicht entgegen, weil sie mit der pauschalen Ausfallzeit nicht identisch ist, so sind die Beiträge bei der Anwendung des § 1258 Abs 1 RVO neben der pauschalen Ausfallzeit zu berücksichtigen.
Der Senat hat auf die danach begründete Revision des Klägers das angefochtene Urteil aufgehoben und die Beklagte antragsgemäß verurteilt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen