Entscheidungsstichwort (Thema)

Geschiedenenwitwenrente. Aufteilung mehrerer Hinterbliebenenrenten. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

1. Die Aufteilung der Hinterbliebenenrente zwischen der Witwe und einer früheren Ehefrau des Versicherten hat gemäß § 1268 Abs 4 RVO entsprechend der Dauer der jeweiligen Ehe auch dann zu erfolgen, wenn dabei der auf die frühere Ehefrau entfallende Teil der Rente den ihr zu Lebzeiten des Versicherten geschuldeten oder gewährten Unterhalt übersteigt (vgl BSG 12.11.80 1 RA 95/79 = SozR 2200 § 1268 Nr 18).

2. Es ist mit dem GG vereinbar, daß eine Hinterbliebenenrente zwischen der Witwe und der früheren Ehefrau eines Versicherten ausschließlich nach der Ehedauer aufgeteilt wird (vgl BVerfG 10.1.1984 1 BvR 55/81 = SozR 2200 § 1268 Nr 23).

 

Normenkette

RVO §§ 1265, 1268 Abs 4 Fassung: 1957-02-23; GG

 

Verfahrensgang

SG Schleswig (Entscheidung vom 30.10.1985; Aktenzeichen S 4 J 1/85)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Aufteilung der Hinterbliebenenrente nach dem Versicherten O. S.

Die Klägerin ist die Witwe des Versicherten, die Beigeladene ist seine geschiedene Frau. Die Beigeladene und der Versicherte hatten 1947 geheiratet. Die Ehe wurde 1968 aus Verschulden des Versicherten geschieden. 1981 heirateten der Versicherte und die Klägerin. Im Januar 1984 verstarb der Versicherte.

Anläßlich der Scheidung im Jahre 1968 hatten der Versicherte und die Beigeladene folgenden Unterhaltsvergleich geschlossen:

"Der Beklagte zahlt an die Klägerin einen

Unterhaltsbeitrag von monatlich 250,00 DM. Einkünfte

aus eigener Tätigkeit hat die Klägerin sich auf

diesen Unterhaltsbeitrag anrechnen zu lassen,

soweit sie 100,00 DM übersteigen."

Bis 1981 war die Beigeladene berufstätig. Seitdem erhält sie Altersruhegeld in Höhe von monatlich 250,00 DM (Stand 31. Januar 1984). 1983 trat die Beigeladene an den Versicherten mit Unterhaltsforderungen heran und drohte mit Klage. Der Versicherte hatte im Jahr vor seinem Tod ein monatliches Arbeitseinkommen von ca 2.900,00 DM brutto. Die Klägerin erzielte eigenes Einkommen. Sie war Kauffrau und führte ein eigenes Ladengeschäft, das sie - jedenfalls bis zum Tod des Versicherten - im eigenen Namen betrieb.

Die Beklagte berücksichtigte, daß der Versicherte mit der Beigeladenen 7.761 Tage, mit beiden Berechtigten insgesamt 8.772 Tage verheiratet gewesen sei. In diesem Verhältnis schlüsselte sie die Hinterbliebenen-Gesamtrente auf (Bescheid der Beklagten an die Klägerin vom 30. Juli 1984; Widerspruchsbescheid vom 26. November 1984). Die Klägerin wandte sich dagegen mit der Begründung, die Beigeladene habe gegen den Versicherten zu der Zeit, als er verstorben sei, keinen erheblichen Unterhaltsanspruch gehabt. Der Vergleich 1968 regele den Unterhalt abschließend. Die Rente der Beigeladenen sei auch als "Einkünfte aus eigener Tätigkeit" anzusehen. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 30. Oktober 1985).

Die Klägerin hat die vom SG zugelassene Sprungrevision eingelegt. Sie ist der Auffassung, daß ihr die Hinterbliebenenrente allein zustehe. Renteneinkünfte seien Einkünfte "aus eigener Tätigkeit". Auch sei der Verteilungsmaßstab des § 1268 Reichsversicherungsordnung -RVO- (Dauer der beiden Ehen) dann nicht mit dem Grundgesetz (GG) zu vereinbaren, wenn der Rentenanteil der früheren Ehefrau ihren Unterhaltsanspruch erheblich übersteige.

Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide zu verurteilen, eine höhere Versichertenrente nach dem Versicherten O. S. zu bewilligen, und zwar so, daß der Beigeladenen lediglich 450,00 DM monatlich zugeteilt würden.

Die Beklagte und die Beigeladene beantragen, die Revision zurückzuweisen. Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet.

Gemäß § 1268 Abs 4 RVO ist die Hinterbliebenenrente zwischen der geschiedenen Ehefrau des Versicherten und seiner Witwe entsprechend der Zeit aufzuteilen, die beide Frauen mit dem Versicherten verheiratet waren. Wie der 1. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) mit Urteil vom 12. November 1980 (BSGE 51, 1 = SozR 2200 § 1268 Nr 18) entschieden hat, gilt dies auch dann, wenn dabei die geschiedene Ehefrau eine höhere Hinterbliebenenrente erhält, als ihr Unterhalt zugestanden hatte. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat die gesetzliche Regelung für verfassungsgemäß angesehen und die genannte Entscheidung des BSG mit Beschluß vom 10. Januar 1984 bestätigt (BVerfGE 65, 84 = SozR 2200 § 1268 Nr 23). Verfassungsrichter Katzenstein hat allerdings, worauf die Klägerin hinweist, zu dem genannten Beschluß des BVerfG eine abweichende Meinung vertreten (vgl SozR aaO, S 82 ff). Der Senat sieht indes keine Veranlassung, deswegen die vom BVerfG schon entschiedene Rechtsfrage dem Verfassungsgericht erneut vorzulegen (Art 100 GG).

Das Urteil des SG ist auch nicht zu beanstanden, soweit es davon ausgeht, die Beigeladene habe zur Zeit des Todes des Versicherten gegen den Versicherten einen Unterhaltsanspruch gehabt, der für § 1265 RVO erheblich ist. Nach § 1265 RVO wird der früheren Ehefrau des Versicherten, deren Ehe mit dem Versicherten vor dem 1. Juli 1977 geschieden worden ist, nach dem Tode des Versicherten ua dann Rente gewährt, wenn der Versicherte zur Zeit des Todes Unterhalt nach den Vorschriften des Ehegesetzes (EheG) oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte. Der Betrag, der als Unterhalt iS des § 1265 RVO anzusehen ist, muß wenigstens 25 vH des zeitlich und örtlich maßgebenden Regelsatzes der Sozialhilfe - ohne Aufwendungen für Unterkunft - betragen (BSG SozR 2200 § 1265 Nr 63). Diese Voraussetzung hat das SG zugunsten der Beigeladenen ohne Rechtsfehler bejaht.

Selbst wenn der Vergleich vom Juli 1968 - wie die Klägerin es für richtig hält - dahin ausgelegt wird, die Beigeladene habe sich ihre Rente auf den Unterhalt anrechnen lassen müssen und selbst wenn man die veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse, die eine Anpassung der im Vergleich genannten Unterhaltsleistungen und des Anrechnungsbetrages nahelegen, außer Betracht läßt, hatte sich die Beigeladene nach dem geschlossenen Vergleich nur 150,-- DM aus ihrer Altersrente anrechnen lassen müssen, so daß sich immer noch ein monatlicher Unterhaltsanspruch von 100,-- DM gegen den Versicherten ergab. Das ist, da der Mindestbetrag des Regelsatzes der Sozialhilfe - wie das SG gemäß § 161 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) unanfechtbar festgestellt hat - 1984 unter 400,-- DM lag, ein Betrag, der 25 % des Regelsatzes überstieg.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1662660

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