Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld, Höhe des. Nettolohnersatzquote. Vollendung des 27. Lebensjahres. Kinder, Dauer der Berücksichtigungsfähigkeit. Steuerrecht, nur begriffliche Verweisung in § 111 Abs. 1 AFG Kind/Kinder. Berücksichtigungsfähigkeit
Leitsatz (amtlich)
Anders als im Steuerrecht sind bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes Kinder des Arbeitslosen, die sich noch in der Ausbildung befinden, längstens bis zur Vollendung des 27, Lebensjahres zu berücksichtigen.
Normenkette
AFG § 111 Abs. 1; EStG § 32
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 05.11.1992; Aktenzeichen L 9 Ar 203/91) |
SG Detmold (Entscheidung vom 09.10.1991; Aktenzeichen S 3 Ar 68/91) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 5. November 1992 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, bis zu welchem Zeitpunkt die Tochter des Klägers bei der Bestimmung der Höhe des dem Kläger gewährten Arbeitslosengeldes (Alg) zu berücksichtigen ist.
Der Kläger meldete sich am 27. Dezember 1990 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Alg, Dabei legte er seine Lohnsteuerkarte für das Jahr 1991 vor, auf der – wie schon im Vorjahr – die Steuerklasse III und ein Kinderfreibetrag für die am 13. März 1964 geborene Tochter Annette eingetragen waren. Ergänzend gab der Kläger an, seine Tochter sei Studentin und werde ihr Studium voraussichtlich im Dezember 1991 beenden. Die Beklagte bewilligte dem Kläger Alg für die Dauer von 832 Kalendertagen unter Berücksichtigung der Leistungsgruppe C mit 68 vH des maßgeblichen Arbeitsentgelts (Nettolohnersatzquote) in Höhe von 373,20 DM wöchentlich (Bescheid vom 25. Januar 1991).
Mit Wirkung ab 13. März 1991 setzte die Beklagte das Alg entsprechend der Nettolohnersatzquote von 63 vH herab und leistete ab diesem Zeitpunkt nur noch Alg in Höhe von 345,60 DM wöchentlich. Zur Begründung führte sie aus, die Tochter Annette des Klägers habe ihr 27. Lebensjahr am 13. März 1991 vollendet und könne deshalb nicht mehr als Kind iS des § 32 Abs. 1, 4 und 5 Einkommensteuergesetz (EStG) berücksichtigt werden; nach § 111 Abs. 1 Nr. 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) könne das Alg ab diesem Tag deshalb nur noch in Höhe von 63 vH gewährt werden (Bescheid vom 27. Februar 1991; Widerspruchsbescheid vom 23. Mai 1991).
Das Sozialgericht (SG) Detmold hat die hiergegen gerichtete Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen (Urteil vom 9. Oktober 1991); das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 5. November 1992). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, mit der Vollendung des 27. Lebensjahres der Tochter Annette des Klägers hätten sich die Verhältnisse, die der ursprünglichen Bewilligungsverfügung zugrunde gelegen hätten, nachträglich geändert, so daß dem Kläger Alg ab 13. März 1991 nur noch in Höhe von 63 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts zustehe. Dies folge aus § 111 Abs. 1 AFG, der nicht darauf abstelle, ob Kinder bzw Kinderfreibeträge auf der Steuerkarte des Arbeitslosen eingetragen seien; entscheidend sei vielmehr, ob der Arbeitslose ein Kind iS des § 32 Abs. 1, 4 und 5 EStG habe. Aus der Tatsache, daß § 111 Abs. 1 AFG nicht auch auf § 32 Abs. 3 EStG verweise, sei der Schluß zu ziehen, daß der Gesetzgeber die steuerrechtlichen Bestimmungen über die Dauer der Berücksichtigungsfähigkeit eines Kindes für das Leistungsrecht nach dem AFG bewußt nicht übernommen habe. Dieser Auslegung entspreche der dem Leistungsrecht des AFG zu entnehmende Grundsatz, daß die Voraussetzungen für die Entstehung eines Leistungsanspruchs und dessen Höhe regelmäßig täglich vorhanden sein müßten. Die fehlende Verweisung auf § 32 Abs. 3 EStG müsse sinngemäß auch auf den Tatbestand des § 32 Abs. 4 EStG übertragen werden mit der Folge, daß in diesen Fällen ebenfalls die Vollendung des 27. Lebensjahres und nicht das Ende des Kalenderjahres maßgeblich sei.
Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X) und des § 111 Abs. 1 Nr. 1 AFG iVm § 32 EStG. Zur Begründung führt er aus, eine wesentliche Änderung der Verhältnisse iS des § 48 Abs. 1 SGB X sei für das Kalenderjahr 1991 nicht eingetreten. Die Verweisung in § 111 Abs. 1 Nr. 1 AFG bedeute, daß im Rahmen der Arbeitslosenversicherung – wie im Steuerrecht – die tatsächlichen Gegebenheiten zu Beginn eines Kalenderjahres für das gesamte Kalenderjahr maßgeblich seien. Hieran ändere nichts die Tatsache, daß § 111 Abs. 1 AFG nicht auch auf § 32 Abs. 3 EStG verweise. Die Vorschrift des § 32 Abs. 3 EStG bestimme lediglich, unter welchen Voraussetzungen ein Kind bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres zu berücksichtigen sei. Selbständig neben dieser Vorschrift stehe § 32 Abs. 4 EStG, der einen anderen Regelungsinhalt habe und auf den § 111 Abs. 1 Nr. 1 AFG uneingeschränkt verweise. Danach sei ein Kind, das zu Beginn eines Kalenderjahres das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet habe und sich in Berufsausbildung befinde, für das ganze Kalenderjahr zu berücksichtigen. Seine Tochter Annette habe zu Beginn des Jahres 1991 noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet gehabt und sei Studentin an der Universität in Göttingen gewesen; bei der Bemessung des Alg sei sie deshalb bis zum Jahresende 1991 zu berücksichtigen. Im übrigen habe die besondere Belastung, der gerade Arbeitslose mit Kindern unterworfen seien, auch über den 13. März 1991 hinaus fortgedauert, weil seine Tochter sich weiterhin in Berufsausbildung befunden habe.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 5. November 1992 und das Urteil des SG Detmold vom 9. Oktober 1991 sowie den Änderungsbescheid der Beklagten vom 27. Februar 1991 idF des Widerspruchsbescheides vom 23. Mai 1991 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beklagte schließt sich der Rechtsauffassung und Begründung des LSG an und weist nochmals darauf hin, daß allein die tatsächlichen Verhältnisse maßgeblich seien. Bei der Bemessung des Alg könne ein Kind nur berücksichtigt werden, solange die Personenstands- und steuerrechtlichen Voraussetzungen, die zur Eintragung in die Lohnsteuerkarte geführt hätten, auch tatsächlich vorlägen. Im übrigen seien kinderbedingte steuerliche Begünstigungen schon deshalb nicht auf das Alg übertragbar, weil dieses jeweils sofort und häufig für kürzere Abstände bewilligt werde, die Lohnsteuer dagegen als Jahressteuer ausgerichtet sei.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet.
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 27. Februar 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Mai 1991 (§ 95 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Mit der hiergegen gerichteten und im Revisionsverfahren allein noch verfolgten Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) begehrt der Kläger deren Aufhebung und die Weitergewährung des Alg entsprechend der ursprünglichen Bewilligung durch die Beklagte (Bescheid vom 25. Januar 1991) unter Berücksichtigung einer Nettolohnersatzquote von 68 vH, und zwar für die Zeit vom 13. März 1991 (Vollendung des 27, Lebensjahres seiner Tochter Annette) bis zum 31. Dezember 1991 (Ende des Kalenderjahres). Diese Anfechtungsklage ist zulässig und auch ausreichend. Hinsichtlich des streitbefangenen Zeitraums hätte die begehrte Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsaktes ohne weiteres zur Folge, daß der Bewilligungsbescheid in seiner ursprünglichen Fassung wiederhergestellt würde und die Beklagte daraus zur Leistung von Alg unter Berücksichtigung einer Nettolohnersatzquote von 68 vH verpflichtet wäre. In diesem Umfange besteht für ein Leistungsbegehren kein Rechtsschutzbedürfnis (BSGE 48, 33 = SozR 4100 § 44 Nr. 19; BSGE 59, 227 = SozR 4100 § 134 Nr. 29; Meyer-Ladewig, Komm zum SGG, 5. Aufl. 1993, § 54 RdNr. 37).
In der Revisionsinstanz fortwirkende Verstöße der Vorinstanzen gegen verfahrensrechtliche Grundsätze, die im öffentlichen Interesse zu beachten und bei einer zulässigen Revision vom Revisionsgericht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, liegen nicht vor. Insbesondere war die Berufung, obwohl es sich um einen sog Höhenstreit handelt, nicht gemäß § 147 SGG in der bis zum 28. Februar 1993 geltenden Fassung unzulässig, weil das SG sie wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Urteil ausdrücklich zugelassen hat (§ 150 Nr. 1 SGG in der bis zum 28. Februar 1993 geltenden Fassung). Diese früher die Zulässigkeit der Berufung regelnden und zwischenzeitlich außer Kraft getretenen Vorschriften sind im vorliegenden Fall gemäß Art. 14 Abs. 1 des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 1993 (BGBl I 50) weiterhin anzuwenden, weil die mündliche Verhandlung des SG vor dem 1. März 1993 geschlossen worden ist.
Das Klagebegehren ist nicht gerechtfertigt. Dem Kläger steht Alg ab 13. März 1991 nur noch unter Berücksichtigung einer Nettolohnersatzquote von 63 vH zu. Der diese Rechtsfolge aussprechende Änderungsbescheid der Beklagten vom 27. Februar 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Mai 1991 ist nicht zu beanstanden.
Rechtsgrundlage für die (teilweise) Aufhebung des ursprünglichen Bewilligungsbescheides vom 25. Januar 1991 ist § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Hiernach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlaß vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Bei dem Bewilligungsbescheid vom 25. Januar 1991 handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung; mit ihm hatte die Beklagte dem Kläger Alg als regelmäßig wiederkehrende Leistung bewilligt (vgl. BSG SozR 1300 § 48 Nr. 44). Im Vergleich zu den Verhältnissen, wie sie bei der Bewilligung des Alg vorlagen, ist mit Wirkung zum 13. März 1991 eine wesentliche Änderung eingetreten, weil sich die Höhe des dem Kläger zu gewährenden Alg ab diesem Zeitpunkt nicht mehr – wie ursprünglich – nach § 111 Abs. 1 Nr. 1 AFG, sondern nur noch nach Nr. 2 dieser Vorschrift richtete. Geändert hat sich das Alter der Tochter des Klägers; sie hat am 13. März 1991 das 27. Lebensjahr vollendet, während sie zum Zeitpunkt der ursprünglichen Bewilligungsentscheidung der Beklagten noch 26 Jahre alt war. Allein auf dieses Älterwerden durfte der angegriffene Verwaltungsakt gestützt werden, denn das bis zum 12. März 1991 gegebene Alter der Tochter des Klägers war damals für die jetzt (teilweise) aufzuhebende Entscheidung erheblich (BSG SozR 1300 § 48 Nr. 13). Wie die Vorinstanzen ist auch der erkennende Senat der Auffassung, daß die Regelung des § 111 Abs. 1 AFG nicht darauf abstellt, ob Kinder bzw Kinderfreibeträge auf der Steuerkarte eines Arbeitslosen eingetragen sind; entscheidend ist vielmehr, ob der Arbeitslose tatsächlich ein Kind iS des § 32 Abs. 1, 4 oder 5 EStG hat.
Die Nettolohnersatzquote beträgt nach § 111 Abs. 1 AFG (hier idF des Siebten Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes ≪7. AFG-ÄndG≫ vom 20. Dezember 1985 ≪BGBl I 2484≫)
- 68 vH für Arbeitslose, die mindestens ein Kind iS des § 32 Abs. 1, 4 und 5 EStG haben; Entsprechendes gilt für Arbeitslose, deren Ehegatte mindestens ein Kind iS des § 32 Abs. 1, 4 und 5 EStG hat, wenn beide Ehegatten unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind und nicht dauernd getrennt leben (Nr. 1);
- 63 vH für alle übrigen Arbeitslosen (Nr. 2).
Mit der Verweisung auf § 32 EStG (hier idF des Gesetzes zur leistungsfördernden Steuersenkung und zur Entlastung der Familie ≪ Steuersenkungsgesetz 1986/1988 ≫ vom 26. Juni 1985 ≪BGBl I 1153≫) hat der Gesetzgeber gerade Arbeitslose mit Kindern privilegieren wollen. Das Alg betrug früher – seit der Neufassung des § 111 AFG durch das Einführungsgesetz zum Einkommensteuerreformgesetz (EG-EStRG) vom 21. Dezember 1974 (BGBl I 3656) – für alle Arbeitslose einheitlich 68 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts iS von § 112 AFG. Erstmals mit dem Haushaltsbegleitgesetz 1984 vom 22. Dezember 1983 (BGBl I 1532) wurde zwischen Arbeitslosen mit Kindern und den übrigen Arbeitslosen differenziert mit der Folge, daß die Nettolohnersatzquote für den letztgenannten Personenkreis auf 63 vH abgesenkt wurde. Maßgeblich für diese Leistungskürzung war die damals angespannte Finanzlage des Bundes und der Bundesanstalt für Arbeit (BA) sowie die Überzeugung des Gesetzgebers, daß eine ansonsten unumgängliche Beitragserhöhung nicht in Betracht komme (BT-Drucks 10/335 S 84 f). Für Arbeitslose mit Kindern iS von § 32 EStG wurde das Alg dagegen in unveränderter Höhe beibehalten, um ihrer besonderen Belastung Rechnung zu tragen. Diese Arbeitslosen würden mit ihren Familien durch die Arbeitslosigkeit besonders hart getroffen, weil das Kindergeld die erhöhten Belastungen der Familien mit Kindern nur teilweise ausgleiche (BT-Drucks aaO).
Die Verweisung auf das Steuerrecht ist jedoch nur rein begrifflich erfolgt (Hennig/Kühl/Heuer/Henke, Komm zum AFG, Stand: Juni 1993, § 111 Anm. 5; Gagel, Komm zum AFG, Stand: November 1992, § 111 RdNr. 14); sie ist keineswegs so zu verstehen, daß sich der Sozialgesetzgeber bei der Gewährung sozialer Leistungen uneingeschränkt an die Regelungen des Steuergesetzgebers anhängen wollte (so schon zu § 111 Abs. 2 AFG: BSGE 51, 10 = SozR 4100 § 111 Nr. 4 und BSGE 65, 214 == SozR 4100 § 111 Nr. 10; BSG. Urteil vom 17. Februar 1981 – 7 RAr 96/79 – unveröffentlicht). Zu Recht hat das LSG darauf hingewiesen, daß der Gesetzgeber die Verweisung auf § 32 Abs. 1, 4 und 5 EStG allein für die Bestimmung und Auslegung des Begriffs „Kind” vorgenommen, die Vorschriften über die Dauer der steuerrechtlichen Berücksichtigungsfähigkeit des Kindes aber für das Leistungsrecht nach dem AFG bewußt nicht übernommen hat. Während in § 32 Abs. 1 EStG das Kindschaftsverhältnis definiert und klargestellt wird, welche Kinder grundsätzlich berücksichtigungsfähig sind, regelt Abs. 3 der Vorschrift, ab wann und wie lange ein Kind steuerrechtlich berücksichtigt werden kann – nämlich ab dem Kalenderjahr, in dem es geboren worden ist, sowie in jedem folgenden Kalenderjahr, zu dessen Beginn es das 16. Lebensjahr (seit der Änderung des § 32 Abs. 3 EStG durch das Steueränderungsgesetz 1991 vom 24. Juni 1991 ≪BGBl I 1322≫: das 18. Lebensjahr) noch nicht vollendet hat. Durch die Nichtübernahme des § 32 Abs. 3 EStG hat der Gesetzgeber deutlich zum Ausdruck gebracht, daß die speziell steuerrechtlichen Vergünstigungen dieser Bestimmung, wonach ein Kind über den tatsächlichen Status hinaus für das gesamte Kalenderjahr, in dem es geboren wird, und ebenso für das gesamte Kalenderjahr, in dem es das 16. Lebensjahr vollendet, steuerrechtlich berücksichtigt wird, bei der Bemessung des Alg nach § 111 AFG nicht zur Auswirkung gelangen sollten (Hennig/Kühl/Heuer/Henke, aaO, § 111 Anm. 5; Schönefelder/Kranz/Wanka. Komm zum AFG, 4. Lieferung August 1976, § 111 RdNr. 14; ebenso das bereits zitierte Urteil des Senats vom 17. Februar 1981 zu der früheren Verweisung in § 111 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AFG auf § 32 Abs. 4, 6 und 7 EStG aF).
Die teilweise Ablösung von der steuerrechtlichen Betrachtungsweise gilt jedoch nicht nur für Kinder iS von § 32 Abs. 1 EStG, sondern auch für den in § 32 Abs. 4 und 5 EStG umschriebenen Personenkreis. Nach § 32 Abs. 4 EStG werden steuerrechtlich auch Kinder berücksichtigt, die zu Beginn eines Kalenderjahres das 16. Lebensjahr, aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet haben, wenn sie sich in Berufsausbildung befinden (§ 32 Abs. 4 Nr. 1 EStG) oder wenn einer der Tatbestände des Abs. 4 Nrn 2 bis 7 erfüllt ist. Ebenso wird ein Kind, das zu Beginn des Kalenderjahres das 27. Lebensjahr vollendet hat, steuerrechtlich berücksichtigt, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten (§ 32 Abs. 5 Satz 1 EStG). Zwar verweist § 111 Abs. 1 AFG uneingeschränkt auf die Abs. 4 und 5 des § 32 EStG; die fehlende Verweisung auf § 32 Abs. 3 EStG kann indessen nur so verstanden werden, daß auch in diesen Fällen für das Leistungsrecht nach dem AFG nur auf den Kinderbegriff des Steuerrechts, nicht aber auf die Dauer der steuerrechtlichen Berücksichtigungsfähigkeit verwiesen werden soll, weil es für eine unterschiedliche Behandlung von Tatbeständen nach § 32 Abs. 1 EStG zu solchen nach Abs. 4 und 5 der Vorschrift keine vernünftigen Gründe gibt (ebenso Hennig/Kühl/Heuer/Henke, aaO, § 111 Anm. 6; Schönefelder/Kranz/Wanka, aaO, 4. Lieferung August 1976, § 111 RdNr. 14; Ecken in Gemeinschaftskomm zum AFG ≪GK-AFG≫, Stand: Juni 1993, § 111 RdNr. 11; aA Gagel, aaO, § 111 RdNrn 57 ff). Aus der Konzeption des § 111 AFG ergibt sich vielmehr, daß das Alg nur für solche Zeiträume nach einer Nettolohnersatzquote von 68 vH bemessen wird, in denen die kinderbezogenen Voraussetzungen des § 32 Abs. 1, 4 oder 5 EStG tatsächlich vorliegen. Die vom Kläger vertretene Auffassung würde hingegen zu dem Ergebnis führen, daß Kinder bis zum 16. Lebensjahr wegen der Nichtverweisung auf § 32 Abs. 3 EStG nur während der tatsächlichen Existenz des Kindschaftsverhältnisses, Kinder iS des § 32 Abs. 4 und 5 EStG aber darüber hinaus auch für solche Zeiträume eines Kalenderjahres Berücksichtigung fänden, in denen die statusmäßigen Voraussetzungen noch nicht vorliegen oder bereits weggefallen sind. Daß der Sozialgesetzgeber eine solche rein steuerrechtsbezogene und arbeitsförderungsrechtlich durch nichts gerechtfertigte Differenzierung hätte vornehmen wollen, ist schlechterdings unvorstellbar. Dies wird schon durch die historische Entwicklung des § 111 AFG verdeutlicht.
§ 111 AFG in der ursprünglichen Fassung vom 25. Juni 1969 (BGBl I 582) bestimmte, daß sich das Alg aus dem Hauptbetrag und den Familienzuschlägen zusammensetzt; diese Regelung entsprach weitgehend dem früheren § 89 Abs. 1 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG). Durch das EG-EStRG wurde die Vorschrift mit Wirkung zum 1. Januar 1975 vollständig umgestaltet und nunmehr Steuer- und sozialversicherungsrechtliche Komponenten zusammengefügt. Maßgeblich hierfür war die Tatsache, daß zu demselben Zeitpunkt im Steuerrecht keine Kinderfreibeträge mehr zugebilligt wurden und der Kinderlastenausgleich allein über das neue Kindergeld erfolgte; anstelle der Familienzuschläge wurde eine Differenzierung in Anlehnung an das Steuerrecht vorgenommen (vgl. Gagel, aaO, § 111 RdNr. 2; Schönefelder/Kranz/Wanka, aaO, 3. Lieferung Mai 1975, § 111 RdNrn 2 f). In § 111 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AFG idF des EG-EStRG wurde erstmals auf § 32 EStG verwiesen; Nichtverheiratete, die mindestens ein Kind iS des § 32 Abs. 4 bis 7 EStG hatten, wurden Verheirateten gleichgestellt. Der heutigen Regelung des § 32 Abs. 3 EStG entsprach damals § 32 Abs. 5 EStG; diese Norm war von der Verweisung nicht ausgenommen. Daraus wurde in der Literatur gefolgert, daß ein gemäß § 32 Abs. 4 bis 7 EStG aF beim Arbeitslosen zu berücksichtigendes Kind für das gesamte Kalenderjahr zu dessen Gleichstellung mit einem Verheirateten führe (Schönefelder/Kranz/Wanka, aaO, 3. Lieferung Mai 1975, § 111 RdNr. 8). Die BA vertrat demgegenüber die Ansicht, eine Gleichstellung sei nur für Zeiten vorzunehmen, in denen das Kindschaftsverhältnis tatsächlich bestehe (Dienstbl-RdErl 76/75 vom 19. Dezember 1974, Ziff 5 Abs. 3 aE). Der Gesetzgeber hat diese Streitfrage alsbald aufgegriffen und bei der nächsten Änderung des § 111 AFG durch das Gesetz zur Verbesserung der Haushaltsstruktur im Geltungsbereich des Arbeitsförderungs- und des Bundesversorgungsgesetzes (HStruktG-AFG) vom 18. Dezember 1975 (BGBl I 3113) iS der BA dadurch entschieden, daß § 32 Abs. 5 EStG aF ausdrücklich von der Verweisung ausgenommen wurde. Damit war klargestellt, daß die speziell steuerrechtlichen Vergünstigungen des § 32 Abs. 5 EStG aF bei der Bemessung des Alg nicht (mehr) zur Auswirkung gelangen sollten (so die bereits zitierte Entscheidung des Senats vom 17. Februar 1981 – 7 RAr 96/79 –; ebenso Schönefelder/Kranz/Wanka, aaO, 4. Lieferung August 1976, § 111 RdNr. 14), Für die Nachfolgeregelung des § 32 Abs. 3 EStG kann nichts anderes gelten; das Fehlen der Verweisung in § 111 Abs. 1 Nr. 1 AFG auf diese Vorschrift kann mithin nur bedeuten, daß Kinder bei der Bemessung des Alg nur Berücksichtigung finden sollen, solange die Personenstands- und steuerrechtlichen Voraussetzungen, die zur Eintragung in die Lohnsteuerkarte führen, auch tatsächlich vorliegen.
Die Tatsache, daß sich die Verweisung in § 111 Abs. 1 Nr. 1 AFG nur auf den steuerrechtlichen Kinderbegriff bezieht, wird weiterhin dokumentiert durch das Fehlen der Bezugnahme auf § 32 Abs. 2 EStG. Im Steuerrecht kann ein Kind nur dann berücksichtigt werden, wenn es zu Beginn des Kalenderjahres unbeschränkt einkommensteuerpflichtig war oder im Laufe des Kalenderjahres unbeschränkt einkommensteuerpflichtig geworden ist; dies ist der Fall, wenn es seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat (§ 32 Abs. 2 iVm § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG). Diese steuerrechtliche Beschränkung hat der Gesetzgeber des AFG nicht übernommen. Er ist vielmehr bewußt vom Steuerrecht abgewichen, weil beim Alg der besonderen Belastung von Arbeitslosen, die ein Kind haben, das nicht im Inland wohnt, nur auf diese Weise Rechnung getragen werden kann, während das Einkommensteuerrecht derartige Belastungen durch Steuerermäßigungen nach § 33a Abs. 1 EStG berücksichtigt (BT-Drucks 10/3923 S 22 f). Folglich ist es – entgegen der steuerrechtlichen Regelung – im Rahmen der Bemessung des Alg nach § 111 Abs. 1 AFG unerheblich, ob die Kinder des Arbeitslosen ihren Wohnsitz im Inland oder im Ausland haben; entscheidend ist allein, daß es sich um Kinder iS des § 32 Abs. 1, 4 oder 5 EStG handelt.
Die vom Senat vorgenommene Auslegung des § 111 Abs. 1 AFG entspricht – auch hierauf hat das LSG bereits zu Recht hingewiesen – dem im Arbeitsförderungsrecht geltenden Grundsatz, daß die Voraussetzungen für das Bestehen eines Leistungsanspruchs und damit auch für dessen Höhe regelmäßig täglich vorliegen müssen. Dieser Grundsatz hat seine praktische Ausgestaltung in mehreren Einzelvorschriften des AFG-Leistungsrechts gefunden (zB §§ 103 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 110 und 114 AFG). Anknüpfungspunkt im Steuerrecht ist hingegen die Jahressteuer (§ 2 Abs. 7 Satz 1 EStG); nach § 25 Abs. 1 Satz 1 EStG ist Veranlagungszeitraum das Kalenderjahr. Demzufolge wird der besonderen finanziellen Belastung durch Kinder steuerrechtlich durch den – jährlich einmaligen – Abzug eines Kinderfreibetrages Rechnung getragen (§ 32 Abs. 6 EStG). Eine gleichartige Kompensation familienbedingter Nachteile ist im Leistungsrecht des AFG nicht möglich, weil das Alg – ebenso wie etwa die Arbeitslosenhilfe oder das Unterhaltsgeld – nicht pauschal in einem Jahresbetrag, sondern nach Tagen bemessen und gewährt wird (§ 114 AFG). Die BA ist sogar – soweit hierzu konkrete Veranlassung besteht – grundsätzlich verpflichtet, die Leistungsvoraussetzungen und die konkrete Höhe der zu gewährenden Leistungen täglich neu festzusetzen bzw zu überprüfen. Auch aus diesem Grunde verbietet sich im Arbeitsförderungsrecht die Berücksichtigung von Kindern, soweit die in § 32 Abs. 4 und 5 EStG umschriebenen Tatbestandsvoraussetzungen nicht mehr erfüllt sind.
Der Gesetzgeber hat in anderen Bestimmungen des Arbeitsförderungsrechts Regelungen getroffen, in denen er unmittelbar an steuerrechtliche Tatbestände anknüpft und sie für den Bereich des AFG für anwendbar erklärt – so etwa in § 111 Abs. 2 AFG bei der Bestimmung der Leistungssätze, in § 113 Abs. 1 Satz 1 AFG für die Zuordnung zu Leistungsgruppen oder in § 72 Abs. 3 Satz 3 AFG für die Berechnung des Kurzarbeitergeldes. Derartige Anbindungen an das Steuerrecht stellen jedoch eine Ausnahme dar. Für die Ermittlung der Höhe des Alg nach § 111 Abs. 1 AFG ist keine derartige – unmittelbare – Anbindung an das Steuerrecht erfolgt; maßgeblich ist deshalb nicht das Kalenderjahr als steuerrechtlicher Veranlagungszeitraum, sondern allein das tatsächliche Vorliegen der in § 32 Abs. 1, 4 und 5 EStG vorgegebenen kindbezogenen Merkmale.
Auch die übrigen Voraussetzungen zur (teilweisen) Aufhebung der ursprünglichen Bewilligungsentscheidung vom 25. Januar 1991 sind erfüllt. Die Beklagte hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (§ 24 SGB X) spätestens mit der Durchführung des Widerspruchsverfahrens gewährleistet (§ 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X); sie hat auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 iVm § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X gewahrt. Wie sich aus dem Zusammenhang der Feststellungen des LSG ergibt, war dem Kläger der Änderungsbescheid der Beklagten vom 27. Februar 1991 spätestens Anfang März 1991 bekannt; die Beklagte hat deshalb zu Recht den ursprünglichen Bewilligungsbescheid mit Wirkung zum 13. März 1991 teilweise aufgehoben und das Alg des Klägers ab diesem Zeitraum nach § 111 Abs. 1 Nr. 2 AFG bemessen. Die Revision des Klägers war mithin zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen