Leitsatz (amtlich)

1. Ist ein Prozeßbevollmächtigter bestellt, so kann das Gericht wirksam nur an ihn zustellen. Dies gilt auch dann, wenn er einen Zustellungsbevollmächtigten bestellt hat.

2. Das Empfangsbekenntnis kann, wenn es sich nicht um einen Rechtsanwalt handelt, nur von dem Prozeßbevollmächtigten selbst abgegeben werden.

3. Fehlt es an dem Vermerk des das Schriftstück zustellenden Bediensteten über den Grund der Ersatzzustellung, so ist die Ersatzzustellung unwirksam.

4. Bei Anwendung der Lohnordnung für den Steinkohlenbergbau der Ruhr vom 1955-04-01 sind für einen Gedingeschlepper im zweiten Jahre (mit einem gegenüber dem Hauerdurchschnittslohn um 7 1/2 % geminderten Durchschnittslohn) die Tätigkeiten der Lohngruppe 2, nicht aber die Lohngruppe 3 über Tage noch im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig.

 

Normenkette

SGG § 73 Abs. 3 S. 1 Fassung: 1953-09-03; VwZG § 5 Abs. 2, § 11 Abs. 5 S. 1; RKG § 35 Fassung: 1942-10-04, § 45 Abs. 2 Fassung: 1957-05-21

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 9. September 1958 mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehobene.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Tatbestand

Der 1924 geborene Kläger wurde am 5. April 1938 als Bergjungmann angelegt. Vom 1. März 1940 an war er als Schlepper und vom 15. April 1941 bis zum 1. Dezember 1942 als Gedingeschlepper beschäftigt. Er wurde sodann zur Wehrmacht eingezogen und am 9. Dezember 1943 am Steißbein und am Gesäß rechtsseitig verwundet. Bis zum 27. August 1945 befand er sich in Lazarettbehandlung und anschließend bis zum 19. Juni 1947 in ambulanter Behandlung. Bereits am 12. März 1947 nahm er die Tätigkeit eines Wächters im Bergbau auf. Seit dem 18. Januar 1949 ist er als Laborarbeiter in der Wäsche beschäftigt.

Auf seinen Antrag vom 5. Januar 1948 hat ihm die Beklagte mit Bescheid vom 23. Dezember 1948 für die Zeit vom 1. Juli 1947 an die Knappschaftsrente gewährt.

Mit Bescheid vom 7. Oktober 1955 hat die Beklagte diese Rente entzogen, weil eine wesentliche Besserung eingetreten sei und Berufsunfähigkeit nicht mehr vorliege. Der Kläger könne noch im wesentlichen gleichwertige Arbeiten der Lohngruppe I. über Tage der Lohnordnung für den Steinkohlenbergbau der Ruhr, wie z.B. die eines Probenehmers, Laborhelfers und I. Maschinisten, verrichten.

Den gegen diesen Bescheid eingelegten Widerspruch hat die Widerspruchsstelle der Beklagten am 8. November 1955 zurückgewiesen.

Der Kläger hat hiergegen - vertreten durch die Rechtsberater S., R. und S. von der Industriegewerkschaft (I.G.) B. am 26. November 1955 Klage erhoben.

Das Sozialgericht hat nach Einholung eines Gutachtens die Klage durch Urteil vom 27. März 1957 abgewiesen.

Es hat das Urteil am 4. April 1957 gegen Empfangsbekenntnis der Angestellten B. der I. G. B. in D. aushändigen lassen. Fräulein B. war nach Mitteilung der Rechtsberater M. und S. der I.G. B. zur Empfangnahme von Anordnungen und Entscheidungen, durch die eine Frist in Lauf gesetzt wird, sowie von Terminsbestimmungen und Ladungen, die durch Boten zugestellt werden, bevollmächtigt.

Der Kläger hat durch den Geschäftsführer D. von der Interessengemeinschaft aller Rentner, Witwen und Waisen in L. gegen dieses Urteil am 6. Mai 1957 bei dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in Essen Berufung eingelegt. Der Briefumschlag trägt den Poststempel "Dortmund 1 - 4.5.1957 - 11”. Der Kläger hat wegen der Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

Das Landessozialgericht hat, nachdem es noch Dr. M. als medizinischen Sachverständigen gehört hatte, durch Urteil vom 9. September 1959 das Urteil des Sozialgerichts dahingehend abgeändert, daß die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide vom 7. Oktober und 11. November 1955 verurteilt wird, dem Kläger die Knappschaftsrente über den 31. Oktober 1955 hinaus weiterzuzahlen. Es sieht die Berufung, obwohl sie erst später als einen Monat nach Aushändigung des sozialgerichtlichen Urteils an die Angestellte B. beim Landessozialgericht eingegangen ist, als fristgerecht eingelegt an, weil die Urteilszustellung unwirksam sei. Urteile seien gemäß § 63 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nach den §§ 2 bis 15 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) vom 3. Juli 1952 (BGBl I 379) zuzustellen. Hier sei die Zustellung nach § 5 VwZG erfolgt. Die Erfordernisse dieser Vorschrift seien jedoch nicht beachtet. Das Urteil sei laut "Empfangsbekenntnis über die Zustellung (§ 5 Abs. 1 VwZG)” der Angestellten B. als Generalbevollmächtigten des Rechtsberaters M. ausgehändigt worden. Da die Angestellte B. nicht Prozeßbevollmächtigte des Klägers im Verfahren vor dem Sozialgericht und deshalb nicht "Empfänger” des zuzustellenden Schriftstücks im Sinne von § 5 Abs. 1 VwZG gewesen sei, hätte nach der genannten Vorschrift nicht an sie zugestellt werden dürfen. Vielmehr hätte der Bedienstete das Urteil einem der Prozeßbevollmächtigten, S., R. oder S., aushändigen und das Empfangsbekenntnis von dem Empfänger unterschrieben werden müssen. Eine wirksame Ersatzzustellung, die bei der Zustellung nach § 5 Abs. 1 VwZG gemäß § 5 Abs. 3 VwZG nach § 11 VwZG vorgenommen werden könne, sei in der Aushändigung des Urteils an Fräulein B. nicht zu sehen; die Vorschrift des § 11 Abs. 5 VwZG sei nicht beachtet worden, da in den Akten der Vermerk über den Grund der Ersatzzustellung fehle (§ 11 Abs. 5 Satz 2 VwZG).

Ob eine allgemeine Bevollmächtigung, wie sie hier der Prozeßbevollmächtigte des Klägers der Angestellten B. zur Entgegennahme von zuzustellenden Schriftstücken erteilt habe, rechtswirksam sei, könne dahingestellt bleiben, da hier die Zustellung an die Angestellte B. als Bevollmächtigte des Rechtsberaters M. der in diesem Prozeß aber nicht Prozeßbevollmächtigter sei, erfolgt sei. Eine wirksame Zustellung könne in der Aushändigung des Urteils an die Angestellte B. aus diesem Grunde ebenfalls nicht gesehen werden.

Sachlich sei die Berufung des Klägers begründet. Die Bescheide der Beklagten vom 7. Oktober 1955 und 11. November 1955 verletzten die Vorschriften des § 54 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) aF in Verbindung mit § 1293 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF.

Es sei zwar eine wesentliche Besserung in dem Gesundheitszustand des Klägers eingetreten, diese sei aber nicht so erheblich, daß er wieder, berufsfähig geworden sei. Er sei im Hauptberuf Gedingeschlepper. Eine Lösung von diesem Beruf könne nicht angenommen werden, weil er nach dem Kriege die Gedingearbeit aus gesundheitlichen Gründen nicht habe wieder aufnehmen können. Das ergebe sich schon daraus, daß die Beklagte dem Kläger vom Jahre 1947 an die Knappschaftsrente gezahlt habe. Aber auch im Jahre 1955 habe der Kläger Gedingearbeiten oder sonstige gleichartige Arbeiten unter Tage nicht verrichten können, wie alle Sachverständigen übereinstimmend ausgesagt hätten.

Es komme hiernach nur darauf an, welche Tätigkeiten im Übertagebetrieb der Kläger noch verrichten könne, die seinem Hauptberuf im wesentlichen gleichartig und wirtschaftlich gleichwertig seien.

Hierbei sei zu berücksichtigen, daß der Gedingeschlepper typische bergmännische Arbeit, wie sie vom Hauer und Lehrhauer verrichtet werde, leiste. Er sei bei der Frage der Gleichartigkeit im Sinne des § 35 RKG aF wie der Hauer zu behandeln.

Danach hätten von den Tätigkeiten im Übertagebetrieb diejenigen auszuscheiden, die der Tätigkeit des "Gedingearbeiters” nicht artverwandt seien. Das seien aber alle Tätigkeiten, die der Kläger nach den Äußerungen der Ärzte der Beklagten und der Sachverständigen der Vorinstanz noch verrichten könne und auf die ihn die Beklagte und das Vordergericht verwiesen hätten. Es komme daher nur darauf an, ob der Kläger noch auf die im wesentlichen gleichartigen Tätigkeiten eines I. Anschlägers über Tage und eines Reservefördermaschinisten verwiesen werden könne. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. M. könne der Kläger wegen der bei ihm bestehenden Schädigungsfolgen die Tätigkeit eines I. Anschlägers nicht verrichten. Dagegen habe der Sachverständige Dr. M. eine Beschäftigung des Klägers als Reservefördermaschinist vom medizinischen Standpunkt aus als möglich und zumutbar bezeichnet. Es könne dahinstehen, ob es im Hinblick auf die dem Reservefördermaschinisten anvertraute Sicherheit der auf die Seilfahrt angewiesenen Bergleute vertretbar sei, den Kläger angesichts der bei ihm bestehenden Gesundheitsstörungen, namentlich des Verlustes des Steißbeines und des distalen Endes des Kreuzbeines, auf diese im Sitzen auszuübende Tätigkeit zu verweisen, weil dies schon aus anderen Gründen nicht möglich sei. Dies ergebe sich aus § 71 der Bergverordnung (BVO) für die Seilfahrt des Oberbergamts in Dortmund vom 21. Juli 1927/23. Dezember 1936 und § 80 der BVO für Hauptseilfahrtsanlagen des Oberbergamts in Dortmund vom 1. August 1957, die für die Zulassung als Reservefördermaschinist bestimmte Voraussetzungen aufstellten. Ferner schreibe die Verfügung des Oberbergamtes Dortmund vom 27. Februar 1952 - I 333/885/52 - eine besondere Ausbildung der Anwärter und ferner als Voraussetzung vor, daß sie in der Regel die Gesellenprüfung für Schlosser mit Erfolg abgelegt haben müssen. Diese Voraussetzungen erfülle der Kläger aber nicht. Er habe nach seiner glaubhaften und unwidersprochenen Erklärung keine Schlosserausbildung erfahren. Dafür spreche auch das Berufsbild des mit 14 Jahren im Bergbau angelegten Klägers. Er müßte demnach, ehe er als Reservefördermaschinist zugelassen werden könne, diese Berufsausbildung mit abschließender Gesellenprüfung und sodann eine weitere besondere praktische und theoretische Unterweisung für die künftige Tätigkeit durchmachen. Die Verweisung des Klägers auf die Tätigkeit des Reservefördermaschinisten wäre somit theoretischer Natur. Sie schlösse die Möglichkeit ein, daß der Kläger die erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten nicht erwerben bzw. aus Sicherheitsgründen von der Bergbehörde zur Arbeit als Reservefördermaschinist nicht zugelassen würde. Eine Tätigkeit aber, die zwar nach ärztlicher Auffassung von einem Versicherten ausgeübt werden könne, die ihm aber auf Grund bergbehördlicher Vorschriften erst nach längerer Spezialausbildung und Ablegung von Prüfungen offenstehe, könne nicht zum Gegenstand einer Verweisung gemacht werden.

Das Landessozialgericht hat die Revision zugelassen. Gegen das ihr am 29. April 1959 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 26. Mai 1955, eingegangen beim Bundessozialgericht am 27. Mai 1955, - unter Stellung eines Antrages - Revision eingelegt und diese gleichzeitig begründet.

Sie rügt die unrichtige Anwendung der §§ 5 und 8 VwZG. Die Zustellung des Urteils an die Angestellte B. als Zustellungsbevollmächtigte des Prozeßbevollmächtigten wirke für und gegen den Zustellungsberechtigten. Aus § 8 VwZG ergebe sich, daß eine nach § 5 VwZG erfolgte Zustellung rechtswirksam auch an einen Zustellungsbevollmächtigten erfolgen könne.

Daß die Zustellung des Urteils erster Instanz mit rechtlicher Wirkung an die Angestellte B. erfolgt sei, ergebe sich auch noch aus folgenden Überlegungen: Nach § 2 Abs. 1 VwZG werde durch die Post (§§ 3, 4) oder durch die Behörde (§§ 5,6) zugestellt. Hinsichtlich der Zustellung durch die Post im Sinne des § 3 VwZG sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts die Übergabe eines Briefes an einen Gewerkschaftssekretär als Prozeßvertreter (auch an seine Hilfskraft rechtswirksam, wenn die Hilfskraft beauftragt gewesen sei, die für den Gewerkschaftssekretär bestimmten Postsendungen bei dessen Abwesenheit entgegenzunehmen und an ihn weiterzuleiten. Etwas anderes könne dann aber auch bei einer Zustellung nach § 5. Abs. 1 VwZG nicht gelten, vor allem dann nicht, wenn ein Gewerkschaftssekretär eine in der Verbandsgeschäftsstelle beschäftigte Angestellte ausdrücklich zur Zustellungsbevollmächtigten bestellt habe.

Schließlich dürfte die Aushändigung des Urteils des Sozialgerichts an die Angestellte B. durch einen Boten des Gerichts entgegen der Auffassung des Landessozialgerichts auch als auf "andere Weise übermittelt” im Sinne des § 5 Abs. 2 VwZG anzusehen sein. Entscheidend dürfte hierbei sein, daß das Schriftstück gemäß den Bestimmungen des VwZG formgerecht zugestellt worden sei. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu §§ 3 VwZG, 183 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) sei § 5 Abs. 2 VwZG im sozialgerichtlichen Verfahren auf die in den §§ 73 Abs. 6 Satz 3, 166 Abs. 2 SGG aufgezählten Verbandsvertreter entsprechend anzuwenden. Die Verbandsvertreter seien zwar keine Rechtsanwälte, sie hätten aber im sozialgerichtlichen Verfahren eine den Rechtsanwälten weitgehend vergleichbare prozessuale Stellung. Insoweit sei die Bestimmung des § 5 Abs. 2 VwZG den Besonderheiten des Verfahrens nach dem SGG anzupassen.

Nach alledem sei die Zustellung des erstinstanzlichen Urteils an den Kläger an die zur Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses befugte Zustellungsbevollmächtigte B. am 4. April 1957 wirksam erfolgt. Daher sei die Berufung verspätet eingelegt worden; denn die Berufungsfrist sei nach § 151 in Verbindung mit § 64 SGG bereits am 4. Mai 1957 abgelaufen. Der 4. Mai 1957 sei ein Sonnabend gewesen. Eingegangen sei die Berufungsschritt nach dem Eingangsstempel des Landessozialgerichts aber erst am 6. Mai 1957. Das Berufungsgericht hätte daher die Berufung wegen Fristversäumnis als unzulässig verwerfen müssen. Es hätte also ein Prozeßurteil anstatt des Sachurteils ergehen müssen. Das Verfahren der zweiten Instanz leide somit an einem wesentlichen Mangel, der in der Revisionsinstanz fortwirke.

Ein Wiedereinsetzungsgrund nach § 67 SGG sei nicht gegeben. Es stehe fest, daß der Kläger die Berufungsschrift erst am 4. Mai 1957, also an dem Tage des Fristablaufs, zur Post gegeben habe. Der Briefumschlag trage den Poststempel "Dortmund 1 - 4.5.1957 - 11”. Der Kläger hätte sich aber keineswegs darauf verlassen dürfen, daß der Brief an demselben Tage, der dazu noch ein Sonnabend war, beim Landessozialgericht in Essen eingehen würde. Der Kläger habe hiernach nicht ohne Verschulden die Verfahrensfrist versäumt.

In einem am 21. September 1959 eingegangenen Schriftsatz rügt die Beklagte vorsorglich noch die fehlerhafte Besetzung des Berufungsgerichts mit zwei Hilfsrichtern neben dem Vorsitzenden und den Landessozialrichtern.

Sie beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 27. März 1957 als unzulässig zu verwerfen.

hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision als unzulässig zu verwerfen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden; sie ist statthaft, da das Berufungsgericht sie zugelassen hat. Bedenken gegen ihre Zulässigkeit bestehen somit nicht. Es konnte ihr auch zum Teil der Erfolg nicht versagt bleiben.

Die Rüge fehlerhafter Besetzung des Berufungsgerichts konnte, da sie erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist und damit verspätet erhoben worden ist (§ 164 Abs. 2 Satz 2 SGG), nicht berücksichtigt werden. Von Amts wegen kann dieser Mangel nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht beachtet werden (SozR SGG § 33 Da 4 Nr. 7).

Auch die Rüge, das Berufungsgericht habe zu Unrecht eine materielle Entscheidung an Stelle einer prozessualen Entscheidung gefällt, greift nicht durch. Zu Recht hat sich das Berufungsgericht auf den Standpunkt gestellt, daß die Berufung rechtzeitig eingelegt ist; denn das Urteil des Sozialgerichts ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht wirksam zugestellt worden, so daß die Berufungsfrist im Zeitpunkt der Einlegung der Berufung noch nicht zu laufen begonnen hatte.

Nach § 63 Abs. 1 und 2 SGG müssen die Urteils der Sozialgerichte von Amts wegen nach §§ 2 bis 15 VwZG vom 3. Juli 1952 (BGBl I 379) zugestellt werden. Gemäß § 2 aaO kann durch die Post (§§ 3, 4) oder durch die Behörde (§§ 5, 6) zugestellt werden. (Die weiteren Möglichkeiten der Zustellung nach §§ 14 bis 17 kommen hier nicht in Frage) Das Sozialgericht hat im vorliegenden Fall den Weg der Zustellung durch die Behörde gewählt. Da innerhalb dieser Zustellungsarten die des § 6 ausscheidet, kommt lediglich die Zustellung nach § 5 in Betracht. Es war also nur zu prüfen, ob das Urteil entweder nach § 5 Abs. 1. oder nach § 5 Abs. 2 ordnungsgemäß zugestellt ist.

Nach § 5 Abs. 1 ist die Zustellung nicht in Ordnung. Als Zustellungsempfänger kamen die Prozeßbevollmächtigten des Klägers, die Rechtsberater S., R. und S. von der I.G. B. in D., in Frage. An keinen dieser Prozeßbevollmächtigten ist das Urteil aber ausgehändigt worden.

Die Angestellte B. war allerdings Zustellungsbevollmächtigte der Prozeßbevollmächtigten. Es war zu prüfen, ob die Zustellung an einen Zustellungsbevollmächtigten des Prozeßbevollmächtigten wirksam ist. Dies ist mit der im Zivilprozeßrecht h.M. zu verneinen. Nach § 73 Abs. 3 Satz 1 SGG, der § 176 ZPO entspricht (heute auch nach dem durch § 181 der Verwaltungsprozeßordnung vom 21. Januar 1960 - BGBl I 17 - eingeführten Abs. 4 des § 8 VwZG), müssen Zustellungen, die in einem anhängigen Rechtsstreit bewirkt werden sollen, an den für den Rechtszug bestellten Prozeßbevollmächtigten erfolgen. Prozeßbevollmächtigten aber ist nicht der von einem Prozeßbevollmächtigten bestellte Unterbevollmächtigte, auch nicht der Zustellungsbevollmächtigte. Dies ergibt sich aus dem nach § 73 Abs. 4 SGG auch im sozialgerichtlichen Verfahren anwendbaren § 81 ZPO, in welchem ein Unterschied zwischen der Bestellung eines (in seiner Rechtsbefugnis beschränkten) Vertreters für denselben Rechtszug und der Bestellung eines Bevollmächtigten, d.h. eines Prozeßbevollmächtigten, für die höhere Instanz gemacht wird. Ist also, wie hier, ein Prozeßbevollmächtigter bestellt, so kann das Urteil nur ihm wirksam zugestellt werden (vgl. dazu Baumbach/Lauterbach, 25. Aufl. Anm. 2 zu § 176; RG 11, 368; Gruch 30, 1107; 31, 1160; 33, 1176; 36, 1226b; Stein/Jonas/Schönke, 16. Aufl. Anm. B II b 3 zu § 176; Wieczorek, Anm. B II b 3 zu § 176; aA. Rosenberg, Stellvertretung im Prozeß, § 28). Dies gilt nicht nur im Verhältnis der Beteiligten zu dem Prozeßbevollmächtigten, sondern auch im Verhältnis des Prozeßbevollmächtigten zu einem von ihm bestellten Unterbevollmächtigten, wie sich daraus ergibt, daß § 73 Abs. 3 Satz 1 SGG ebenso wie § 176 ZPO keine Einschränkung enthält. Es hat zudem seine prozessuale Bedeutung, daß auch bei Vorhandensein eines Prozeßbevollmächtigten und eines von diesem bestellten Unterbevollmächtigten volle Klarheit darüber besteht, wem zuzustellen ist, nämlich dem, der die ganze Verantwortung für den Prozeß trägt, d.h. dem Prozeßbevollmächtigten.

Die Ausnahmen nach der Rechtsanwaltsordnung (RAO) bestehen kraft Gesetzes nur für Rechtsanwälte und können - anders als die Zustellungsvorschriften der ZPO und des VwZG - nicht auf die Rechtsberater der Verbände entsprechend angewandt werden, da die RAO ihrem Wesen nach ausschließlich für Rechtsanwälte gelten kann.

Die Zustellung an die Angestellte B. könnte daher allenfalls als Ersatzzustellung wirksam sein. Nach § 5 Abs. 3 VwZG ist im Falle des § 5 Abs. 1 aaO der § 11 aaO maßgebend. § 11 Abs. 3 aaO ist zwar nicht unmittelbar anwendbar. Man könnte aber daran denken, diese Vorschrift auch auf Rechtsberater der Gewerkschaften entsprechend anzuwenden, wie sie allgemein auch auf Rechtsanwälte angewandt wird. Einer Entscheidung dieser Frage bedarf es hier jedoch nicht, da die Ersatzzustellung schon deshalb unwirksam ist, weil es an dem in § 11 Abs. 5 Satz 1 aaO vorgeschriebenen Aktenvermerk des das Schriftstück zustellenden Bediensteten über den Grund der Ersatzzustellung mangelt. Dies führt ebenso wie bei Fehlen des in § 191 Abs. 4 ZPO vorgeschriebenen Vermerks zur Unwirksamkeit der Zustellung, wenn sich nicht aus der Urkunde selbst andere ausreichende Anhalte für das Vorliegen des Erfordernisses finden, was hier aber nicht der Fall ist (Stein/Jonas/Schönke Kommentar zur ZPO, 18. Aufl. Anm. I zu § 191; Wieczorek, ZPO, Anm. A und B I a zu § 191; aA. Baumbach/Lauterbach, ZPO, 25. Aufl. Anm. 1 zu § 191).

Auch unter Anwendung des § 5 Abs. 2 VwZG wäre die Zustellung unwirksam. Zwar findet diese Vorschrift entsprechende Anwendung auf die Rechtsberater der Verbände, wie der 11. Senat des Bundessozialgerichts bereits entschieden hat (BSG 10, 244 ff), es fehlt hier aber an dem Empfangsbekenntnis des Prozeßbevollmächtigten. Dieses kann nicht durch das der Angestellten B. ersetzt werden. Eine Ausnahme besteht insoweit zwar für Rechtsanwälte, die Zustellungsbevollmächtigte bestellen können (Vogel, Verwaltungszwang und Verwaltungszustellung, Anm. 12 zu § 5; Peters/Sautter/Wolff, Komm. zur Sozialgerichtsbarkeit, S. 186/7 und 8). Diese Vorschrift der RAO kann aber, wie bereits ausgeführt, nicht auf andere Prozeßbevollmächtigte angewandt werden.

Die Möglichkeit einer Heilung der mangelhaften Zustellung nach § 9 Abs. 1 VwZG scheidet hier gemäß Abs. 2 dieser Vorschrift aus, weil mit der Zustellung eine Frist für die Erhebung der Klage beginnt.

Die Zustellung ist somit unwirksam, so daß die Berufung noch rechtzeitig eingelegt ist.

Da das Urteil des Sozialgerichts inzwischen wirksam zugestellt worden ist, steht einer Entscheidung kein Hindernis entgegen.

In seiner Sachentscheidung kann dem Berufungsgericht jedoch nicht in vollem Umfang gefolgt werden. Zu Recht ist es zwar davon ausgegangen, daß sich die Rentenentziehung nach § 1293 RVO aF richtet und daß sie, da § 1293 Abs. 2 RVO im Knappschaftsrecht nicht gegolten hat, nur erfolgen durfte, wenn in den Verhältnissen des Klägers seit der Rentengewährung eine wesentliche Änderung eingetreten und er nicht mehr berufsunfähig ist. Unangefochten hat das Berufungsgericht festgestellt, daß in den Verhältnissen des Klägers eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Daran ist das Revisionsgericht gebunden. Bedenken bestehen allerdings gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts, daß der Kläger weiterhin berufsunfähig sei. Zutreffend hat das Berufungsgericht zwar entschieden, daß der Kläger im Hauptberuf Gedingeschlepper sei, da seine berufliche Entwicklung vom Bergjungmann über den Schichtlohnschlepper zum Gedingeschlepper und, wenn sie nicht durch den Krieg und die Verwundung beendet worden wäre, sogar voraussichtlich zum Lehrhauer und Hauer geführt haben würde. Wenn auch nicht vom Lehrhauer oder Hauer, so muß doch von der zuletzt nicht nur vorübergehend ausgeübten Tätigkeit des Gedingeschleppers ausgegangen werden, da sich der Kläger nur infolge der Verwundung von dieser Tätigkeit gelöst hat.

Bedenklich aber ist die Annahme des Berufungsgerichts, daß für den Kläger nur die Lohngruppe I über Tage der Lohnordnung für den Steinkohlenbergbau der Ruhr im wesentlichen gleichwertig ist. Richtig ist, daß der erkennende Senat durch Urteil vom 25. Mai 1961 - 5 RKn 3/60 - (SozR SozVers RKG § 95 Anm. 2 Nr. 5) entschieden hat, daß bei Anwendung der Lohnordnung vom 15. Februar 1956 von den Übertagetätigkeiten nur die der Lohngruppe I der Lehrhauertätigkeit im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig sind. Grundsätzlich muß dies zwar, da die Entlohnung des Gedingeschleppers die gleiche ist wie die des Lehrhauers, auch für den Gedingeschlepper gelten. Hier ist aber einmal nicht die Lohnordnung vom 15. Februar 1956, sondern die vom 1. April 1955 maßgebend, und zum anderen handelt es sich um einen Gedingeschlepper im zweiten Jahr, dem nur ein gegenüber dem Hauerdurchschnittslohn um 71/2 % geminderter Durchschnittslohn zusteht. Von diesem ausgehend, beträgt die Lohndifferenz zwischen Gedingeschlepper und Lohngruppe II über Tage aber nur 16%. Dieser Unterschied kann nicht als wesentlich im Sinne des § 35 RKG aF angesehen werden. Für Gedingeschlepper im zweiten Jahr sind also nach der Lohnordnung vom 1. April 1955 auch noch die Tätigkeiten der Lohngruppe II über Tage im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig. Für die Lohngruppe III über Tage gilt dies dagegen nicht, da die Lohndifferenz gegenüber dem maßgebenden Durchschnittslohn des Gedingeschleppers im zweiten Jahr 21% beträgt. Das Berufungsgericht wird also noch zu prüfen haben, ob der Kläger noch in der Lage ist, im wesentlichen gleichartige Tätigkeiten der Lohngruppe II über Tage zu verrichten.

Von den aus Lohngruppe I über Tage als gleichartig in Betracht kommenden Tätigkeiten des I. Anschlägers und des Reservefördermaschinisten kann der Kläger nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts die des I. Anschlägers aus gesundheitlichen Gründen nicht verrichten. Hinsichtlich der Tätigkeit des Reservefordermaschinisten hat das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen und meint, dazu sei der Kläger schon deshalb nicht in der Lage, weil er die nach den bergbehördlichen Vorschriften verlangten Voraussetzungen nicht erfülle, vor allem, weil er nicht Schlosser sei. Diese Auffassung aber ist, wie der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 25. Mai 1961 - 5 RKn 3/60 -, in dem es sich um einen ähnlich gelagerten Fall aus dem Oberbergamtsbezirk Bonn handelt, entschieden hat, nicht ganz zutreffend. Das Berufungsgericht verkennt nämlich, daß sowohl die hier maßgebende BVO für die Seilfahrt des Oberbergamts Dortmund vom 21. Juli 1927/12. Dezember 1936 wie auch die neuere BVO für Hauptseilfahrtanlagen des Oberbergamts Dortmund vom 1. August 1957 nur Seilfahrtanlagen, also nur Schächte, in denen Personenförderung stattfindet, betreffen und nach § 1 dieser letzteren Verordnung noch nicht einmal alle Seilfahrtanlagen unter diese Verordnung fallen. Es kann also immerhin noch eine Beschäftigung als Reservefördermaschinist an Schächten, die nicht unter die Seilfahrtverordnungen fallen, in Betracht kommen, wobei allerdings noch festzustellen ist, wie diese Fördermaschinisten entlohnt werden und ob es derartige Arbeitsplätze in genügender Zahl gibt, um den Kläger darauf verweisen zu können. Im einzelnen wird auf die Ausführungen in dem o.a. Urteil verwiesen.

Da es an den hiernach noch erforderlichen Feststellungen mangelt, konnte der erkennende Senat nicht abschließend in der Sache entscheiden, sondern mußte das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Feststellung an das Berufungsgericht zurückverweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2324103

BSGE, 216

NJW 1962, 838

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