Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 18.03.1958) |
Tenor
Die Revision der Klägerinnen gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 18. März 1958 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin zu 1. ist die Ehefrau und die Klägerinnen zu 2. und 3. sind die Töchter des am 3. Januar 1913 geborenen und am 13. September 1952 an den Folgen eines an demselben Tage erlittenen Verkehrsunfalls verstorbenen Verladearbeiters Josef K.
Der Verstorbene war auf der Zeche Walsum, Schacht I/II beschäftigt und sollte am Unfalltage in der Mittagsschicht arbeiten. Er fuhr an diesem Tage mit seinem Motorrad, das er regelmäßig für den Weg zum Betrieb und zurück benutzte, von seiner Wohnung in Hamborn-Bruckhausen, Rainerstraße …, ab, benutzte jedoch nicht den nächsten und üblicherweise von ihm befahrenen Weg über Alsum und Schwelgern, sondern fuhr mit seiner Tochter Helga, der Klägerin zu 2., zur Wohnung seiner Eltern nach Hamborn-Obermarxloh, Kopernikusstraße. Dort setzte er seine Tochter ab und begab sich anschließend noch zu der unweit gelegenen Wohnung seiner Schwester in der Ludwigstraße. Von dort fuhr er nach einem kurzen Aufenthalt über die Fahrner- und Holtenerstraße in Richtung Walsum und bog dann in die Bahnhofstraße ein, wo sich der Verkehrsunfall ereignete.
Während der direkte Weg nach Bruckhausen zur Zeche etwa 6,5 km lang ist, betrug der von dem Verunglückten am Unfalltage gefahrene Umweg rund 12 km.
Die Beklagte lehnte den von den Klägerinnen geltend gemachten Anspruch auf Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung durch Bescheid vom 27. April 1953 mit der Begründung ab, der Unfall habe sich auf einem aus betriebsfremden Gründen eingeschlagenen erheblichen Umweg zugetragen, der mit der Tätigkeit im Betrieb nicht im Zusammenhang gestanden habe.
Die gegen diesen Bescheid eingelegte Berufung zum Knappschafts-Oberversicherungsamt in Dortmund ging am 1. Januar 1954 als Klage auf das Sozialgericht (SG) Düsseldorf über.
Während dieses SG die Beklagte durch Urteil vom 14. Dezember 1954 zur Gewährung von Hinterbliebenenrente und Sterbegeld verurteilte, wies das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen durch Urteil vom 18. März 1958 die Klage ab; es ließ die Revision zu.
Das LSG führte aus, durch § 543 der Reichsversicherungsordnung (HVO) solle nur der Weg geschützt werden, der nach oder von der Arbeitsstätte führe und mit der betrieblichen Tätigkeit in einem inneren Zusammenhang stehe. Dieser sei gegeben, wenn die betriebliche Tätigkeit den Weg notwendig mache. Daraus folge, daß in der Regel nur der direkte Weg von der Wohnung zur Arbeit oder umgekehrt geschützt sei. Lediglich geringfügige Umwege seien bei natürlicher Betrachtungsweise nicht geeignet, den Versicherungsschutz zu beseitigen (EuM 20/87, 22/303, 30/321, 31/95). Der verstorbene Ehemann der Klägerin zu 1. habe aber am Unfalltag einen erheblichen Umweg gemacht, und zwar nur zu dem Zweck, um seine Tochter zu seinen Eltern zu bringen. Der gesamte Weg habe deshalb nicht unter Versicherungsschutz gestanden, da er wesentlich durch die eigenwirtschaftliche Tätigkeit bestimmt gewesen sei. Die gesamte Wegstrecke stelle eine Einheit dar, so daß alle Wegteile einer einheitlichen rechtlichen Beurteilung unterliegen müßten. Die Tatsache, daß der Verstorbene sich im Zeitpunkt des Unfalls im übrigen auch nicht auf dem nächsten Weg von der Wohnung seiner Eltern bzw. seiner Schwester zu seiner Arbeitsstätte befunden habe, könne daher unerörtert bleiben.
Gegen das am 9. September 1958 zugestellte Urteil legten die Klägerinnen am 16. September 1958 unter Antragstellung Revision ein und begründeten diese am 1. Oktober 1958.
Sie vertreten die Ansicht, der Weg des Verstorbenen habe nach Ablieferung seines Kindes bei den Eltern nicht mehr unter eigenwirtschaftlichen Voraussetzungen gestanden; dieser zweite Teil des Weges sei vielmehr allein durch das Bestreben charakterisiert gewesen, alsbald zur Arbeitsstätte zu kommen, und habe daher unter Versicherungsschutz gestanden. Im übrigen beziehen sie sich auf das Urteil erster Instanz, das sie für zutreffend halten.
Sie beantragen, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung gegen das sozialgerichtliche Urteil zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt demgegenüber, die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, nach der Rechtsprechung des 2. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) stehe ein Weg, dessen Ziel die Arbeitsstätte sei, nicht unter Versicherungsschutz, wenn es sich um einen Rückweg von einer Verrichtung handele, die mit der versicherten Tätigkeit nicht in rechtlich wesentlichem Zusammenhang stehe (BSG 1, 171). Es sei auch bereits entschieden, daß ein Weg, der unmittelbar zur Arbeitsstätte führen sollte, jedoch aus persönlichen Gründen nicht vom häuslichen Bereich des Beschäftigten aus angetreten worden sei, nicht versichert sei (BSG in SozH RVO § 543 Bl. Aa 6 und BSG in SGb 1957, 208). Es komme daher nicht darauf an, ob der letzte Teil des Weges durch das Bestreben charakterisiert gewesen sei, zur Arbeitsstätte zu gelangen. Im übrigen handele es sich auch um einen Umweg. Umstände, die diesen Umweg im betrieblichen Interesse als vertretbar erscheinen ließen, hätten nicht vorgelegen. Ein Umweg sei aber, wie das BSG für einen Umweg auf dem Heimweg bereits entschieden habe, nur dann versichert, wenn dieser wesentlich der Zurücklegung des Weges von der Arbeitsstätte und nicht etwa Privatzwecken gedient habe (BSG in SozR RVO § 543 Bl. Aa 2 Nr. 5; BSG 4, 219). Man müsse auch den Weg zur Arbeitsstätte mit dem darin enthaltenen Umweg versicherungsrechtlich als Einheit betrachten, wie dies der 2. Senat in seinem Urteil vom 4. August 1955 (BSG 3, 240) getan habe. Sehe man den vom Verunglückten zurückgelegten Weg als Einheit an, so habe die Tatsache, daß der Verunglückte sich nach Erledigung der eigenwirtschaftlichen Tätigkeit unmittelbar zur Arbeitsstätte begeben habe, keinen Einfluß auf die versicherungsrechtliche Beurteilung. Dieser Gesichtspunkt müsse vielmehr, da er gegenüber den für die Gestaltung des Umweges maßgeblichen eigenwirtschaftlichen Belangen in den Hintergrund trete, als rechtlich unwesentlich außer Betracht bleiben.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerinnen ist durch Zulassung statthaft; sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Die von den Parteien nicht gerügte ordnungswidrige Besetzung des LSG mit zwei Hilfsrichtern war nach der inzwischen ständig gewordenen Rechtsprechung des BSG von Amts wegen nicht zu berücksichtigen.
Nach § 543 Abs. 1 Satz 1 RVO gelten, als Arbeitsunfälle auch Unfälle auf einem mit der Tätigkeit in dem Unternehmen zusammenhängenden Weg nach und von der Arbeitsstätte.
Der Versicherte befand sich, als er verunglückte, zwar auf dem Weg nach der Arbeitsstätte; dabei handelte es sich jedoch nicht um den direkten etwa 6,5 km langen Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, sondern um einen rund 12 km betragenden, also etwa 5,5 km längeren Weg, der sich zudem an keiner Stelle mit dem direkten Weg von der Wohnung zur Arbeitsstätte deckte. Der Versicherte befand sich demnach auf einem Umweg (vgl. BSG in SozH § 543 Bl. Aa 8 Nr. 12 und Aa 2 Nr. 5). Dieser Umweg war auch erheblich, da er fast doppelt so lang war wie die kürzeste Verbindung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Ein erheblicher Umweg ist jedoch in der Kegel nur dann versichert, wenn er wesentlich der Zurücklegung des Weges nach und von der Arbeitsstätte und nicht privaten Zwecken dient (BSG 4, 219, 222; Lauterbach, Unfallversicherung, 8. Aufl., § 543 Anm. 4 c; Krebs in „Wege zur Sozialversicherung” 1958, 361). Im vorliegenden Falle diente der Umweg einem privaten Zweck, nämlich dem, die Tochter des Versicherten zu dessen Eltern zu bringen und seiner Schwester einen kurzen Besuch abzustatten. Der Umweg war somit aus eigenwirtschaftlichen Gründen veranlaßt und stand daher nicht unter Versicherungsschutz.
Die Zerlegung eines einheitlichen Umweges in einen eigenwirtschaftlichen und einen mit dem Betrieb zusammenhängenden Teil ist nicht möglich. Diese Auffassung steht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts (RVA) und des BSG (BSG 1, 171, 173; 7, 243, 247; RVA in EuM 33, 13).
Auch das Urteil des 2. Senats des BSG vom 27. April 1961 (SozR RVO § 543 Bl. Aa 25/25 Nr. 32) steht der Annahme eines einheitlich zu beurteilenden Umweges hier nicht entgegen, weil der Versicherte vorliegend – anders als in dem dort entschiedenen Fall – nach den insoweit mit keiner Revisionsrüge angegriffenen und daher vom erkennenden Senat zugrunde zu legenden Feststellungen des LSG seinen Weg durch keine irgendwie längerdauernde eigenwirtschaftliche Tätigkeit unterbrochen hat; er hat vielmehr seine Tochter nur bei seinen Eltern abgegeben, ohne dort zu verweilen, und seine Schwester ebenfalls nur kurz besucht. Solche Unterbrechungen vermögen jedenfalls, wenn sie derart kurzfristig sind, die Einheit des gesamten Weges nicht zu beseitigen und rechtfertigen es nicht, den am Unfalltag zurückgelegten Weg in zwei völlig selbständig zu betrachtende Einzelwege, einen unversicherten eigenwirtschaftlichen zum Ort dieser eigenwirtschaftlichen Tätigkeit und einen versicherten betriebsbedingten Weg zur Arbeit, der alsdann ausnahmsweise erst an jenem von der Wohnung des Versicherten unterschiedlichen Ort seinen Ausgang nehmen würde, zu zerlegen. Der erkennende Senat war daher bei der Entscheidung des vorliegenden Falles nicht genötigt zu prüfen, ob und inwieweit er sich den vom 2. Senat insoweit aufgestellten Grundsätzen anschließt. Die Tatsache, daß der Unfall in der Nähe der Zeche geschehen ist, kann unter diesen Umständen nichts daran ändern, daß der gesamte Weg dem Versicherungsschutz nicht unterlag.
Die Revision erweist sich somit nicht als begründet; sie war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Unterschriften
Dr. Brockhoff, Dr. Dapprich, Fechner
Fundstellen