Entscheidungsstichwort (Thema)

Bindungswirkung von Verwaltungsakten. Auflösung einer kassenärztlichen Versorgungseinrichtung (Umlagekasse) und Weiterzahlung von Renten. Rechtsweg

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Vorschriften in §§ 39 ff SGB 10 über die Bindungswirkung von Verwaltungsakten enthalten allgemeine Rechtsgrundsätze, die im Sozialrecht schon vor Inkrafttreten der §§ 39 ff SGB 10 (1.1.1981) gegolten haben, soweit keine Sonderregelungen (zB § 1744 RVO) zu beachten waren.

 

Orientierungssatz

1. Zur Weiterzahlung einer bereits gewährten Rente nach Auflösung einer Umlagekasse - zur "Sicherung gegen Invalidität" - als kassenärztliche Versorgungseinrichtung.

2. Der Rentenanspruch aus der bei einer KÄV geführten Umlagekasse zur "Sicherung gegen Invalidität" ist ein dem Kassenarztrecht zuzuordnender Anspruch, wenn die Umlagekasse erkennbar in Erfüllung des gesetzlichen Auftrages der KÄV zur Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung eingerichtet würde.

3. Bei der Mitteilung einer KÄV, daß die - für den Fall der Auflösung der Umlagekasse - getroffene satzungsrechtliche Regelung über die Weiterzahlung der bereits gewährten Renten nicht angewandt werden soll, handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung (= Verwaltungsakt), die sich nicht unmittelbar aus dem Beschluß der Vertreterversammlung der KÄV über die Auflösung der Kasse ergibt.

 

Normenkette

RVO § 368 Fassung: 1955-08-17; SGG § 51 Abs. 2 S. 1; SGB 10 § 39

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Entscheidung vom 29.07.1981; Aktenzeichen L 7 Ka 8/80)

SG Berlin (Entscheidung vom 28.05.1980; Aktenzeichen S 71 Ka 42/79)

 

Tatbestand

Umstritten ist die Verpflichtung der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) zur Weitergewährung einer Invaliditätsrente an den 1919 geborenen Kläger, der bis Ende 1977 als Kassenarzt in Berlin tätig war.

Die Vertreterversammlung der Beklagten hatte im Rahmen ihrer "Maßnahmen zur Fürsorge und zum Schutze von Mitgliedern und ehemaligen Mitgliedern der KV Berlin (auch ihrer Rechtsvorgängerin) und deren Hinterbliebenen vor dringender Not" nach § 5 Abs 3 ihrer Satzung Bestimmungen ua über "Sterbegeld und Garantieeinnahme" und über Rentenleistungen zur "Sicherung gegen Invalidität" beschlossen. Für die Gewährung der Invaliditätsrente hatte sie eine Umlagekasse eingerichtet, die von den übrigen Kassen gesondert geführt wurde. Die Teilnahmeberechtigung des einzelnen KÄV-Mitgliedes war von seinem Antrag und von weiteren Voraussetzungen abhängig. Nach § 3 der die "Sicherung gegen Invalidität" betreffenden Bestimmungen idF vom 8. Dezember 1977 betrug die Invaliditätsrente bis zur Vollendung des 70. Lebensjahres 700,-- DM monatlich, nach Erreichen des 70. Lebensjahres 400,-- DM monatlich, wobei bis zum 70. Lebensjahr bestimmte Einkünfte auf die Rente anzurechnen waren. § 1 Nr 9 der Bestimmungen sah vor, daß Ärzte, die bei einer Auflösung der Umlagekasse bereits Invaliditätsrenten beziehen, die Rente weiter erhalten.

Der Kläger war seit 1959 Teilnehmer dieser Kasse. Bis Ende 1977 zahlte er die festgesetzten Beiträge (insgesamt 1.320,-- DM). Von Januar bis März 1978 bezog er Invaliditätsrente. Für die Zeit ab April 1978 lehnte die Beklagte die Weiterzahlung der Rente unter Hinweis auf anzurechnende Einkünfte ab. Diese Entscheidung ist Gegenstand eines anderen Rechtsstreits.

Am 7. Dezember 1978 beschloß die Vertreterversammlung der Beklagten:" Die Umlagekasse Sicherung gegen Invalidität wird gem § 5 Ziff 3 der Bestimmungen zum 31. Dezember 1979 aufgelöst, dh Leistungen gem den genannten Bestimmungen sowie die Altersinvaliditätsrenten (§§ 3 Ziff 1, 4 Ziff 3) werden ab 1. Januar 1980 nicht mehr gewährt". Von diesem Beschluß setzte die Beklagte alle Teilnehmer der Umlagekasse mit Schreiben vom 15. Mai 1979 in Kenntnis. Die Mitteilung enthielt keine Ausnahmeregelung für rentenberechtigte Teilnehmer. Der Kläger hat daraufhin das Sozialgericht (SG) angerufen und festzustellen beantragt, 1) daß der Beschluß der Vertreterversammlung der Beklagten vom 7. Dezember 1978 rechtswidrig sei und 2) daß die Beklagte verpflichtet sei, die Invaliditätsrenten über den 1. Januar 1980 hinaus zu gewähren.

Das SG hat die Klage abgewiesen und das Landessozialgericht (LSG) die Berufung zurückgewiesen. Das LSG läßt dahingestellt, ob hinsichtlich des Antrages zu 2 die Klage zulässig ist. Es ist der Ansicht, daß das mit diesem Antrag angestrebte Ziel, die Rechtslage ab 1. Januar 1980 zu klären, schon mit einer Entscheidung über den Antrag zu 1) erreicht werde. Es sieht den Beschluß der Vertreterversammlung als rechtmäßig an, da er eine Rechtslage wiederhergestellt habe, die dem Gesetz entspreche. Die Bestimmungen der Beklagten über die Umlagekasse entbehrten einer gesetzlichen Ermächtigung. Eine solche Rechtsgrundlage enthalte vor allem nicht § 368n der Reichsversicherungsordnung (RVO), denn diese Bestimmung verstehe unter kassenärztlicher Versorgung nicht die Versorgung von Kassenärzten, sondern die Versorgung der versicherten Bevölkerung durch Kassenärzte. Auch eine landesrechtliche Grundlage für die streitbefangene Versorgungskasse (Art 4 § 1 Abs 2 Satz 1 des Gesetzes über Kassenarztrecht -GKAR-) sei nicht zu erkennen. Da die Beklagte mit der vollständigen Auflösung der Umlagekasse nur eine dem Gesetz entsprechende Rechtslage hergestellt habe, sei sie nicht an § 1 Nr 9 der Bestimmungen über die "Sicherung gegen Invalidität" gebunden. Die Position, die die Mitglieder der Umlagekasse aufgrund ihrer Mitgliedschaft erlangt hätten, und die Position der Bezieher von Renten aus der Kasse kämen der Rechtsstellung von Eigentümern nicht so nahe, daß die Entziehung der Rechte aus der Umlagekasse mit dem Grundgesetz unvereinbar wäre. Zwischen den Leistungen der Kassenmitglieder und den Renten bestehe ein solches Mißverhältnis, daß die Rente nahezu als Schenkung erscheine. Aus dem gleichen Grunde könne auch nicht ein Verstoß gegen Treu und Glauben gesehen werden. Bei der außergewöhnlichen und unverkennbaren Ungleichgewichtigkeit zwischen Leistung und Gegenleistung habe selbst ein gutgläubiges Kassenmitglied, das die Rechtswidrigkeit der Kasse nicht habe erkennen können, nicht auf den unbegrenzten Fortbestand der Rentenleistungen vertrauen können. Auch wenn hier nicht allein auf die Einzelperson des Klägers abzustellen sei, so gelte das doch in ganz besonderem Maße für ihn, dem der Übergangscharakter der Versorgungskasse nachgewiesenermaßen bekannt gewesen sei.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Revision eingelegt. Er rügt vor allem die Verletzung materiellen Rechts. Die Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, die Rentenzahlungen aus der Umlagekasse einzustellen. Die Umlagekasse sei wirksam errichtet worden. Eine Ermächtigungsgrundlage ergebe sich aus den §§ 368 ff RVO, denn eine ausreichende Versorgung der Kassenärzte sei Vorbedingung für das Funktionieren der kassenärztlichen Versorgung der Bevölkerung. Bei den die Invaliditätsrente regelnden Bestimmungen handle es sich nur um eine rechtlich zulässige Änderung der vorangegangenen satzungsrechtlichen Regelung (BSGE 25, 123 ff; 28, 9 ff). Selbst wenn die Beklagte zur Auflösung der Umlagekasse berechtigt gewesen sein sollte, ergebe sich daraus nicht, daß die Beklagte auch die ausdrückliche Zusage, bereits fällige Renten weiterzuzahlen (§ 1 Nr 9 der Bestimmungen), hätte widerrufen dürfen. Ihm sei eine Invaliditätsrente gewährt worden, weshalb er dem Kreis der Anspruchsberechtigten zuzurechnen sei. Es sei rechtswidrig gewesen, ihm die Rentenansprüche zu entziehen. Die Entziehung der Rente stelle einen enteignungsgleichen Eingriff dar und sei deshalb nach Art 14 des Grundgesetzes (GG) unzulässig. Das Berufungsgericht habe es unterlassen, § 48 des Verwaltungsverfahrensgesetzes sowie den Gesichtspunkt des Widerrufs begünstigender Verwaltungsakte anzuwenden. Der Beschluß der Beklagten vom 7. Dezember 1978 und die Benachrichtigung vom 15. Mai 1979 seien unter dem Gesichtspunkt der Rücknahme bzw des Widerrufs eines begünstigenden Verwaltungsaktes rechtswidrig.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 29. Juli 1978, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. Mai 1980 sowie den Bescheid der Beklagten vom 15. Mai 1979 aufzuheben und festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet sei, dem Kläger die Invaliditätsrente über den 31. Dezember 1979 hinaus zu gewähren, hilfsweise, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils den Rechtsstreit an das Landessozialgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist iS der Zurückverweisung der Streitsache an das LSG begründet. Das Berufungsurteil beruht auf einer Verletzung des § 123 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Zu Recht ist das LSG wie auch schon das SG von der Zulässigkeit des sozialgerichtlichen Rechtsweges ausgegangen. Gegenstand des Verfahrens ist eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der Sozialversicherung (§ 51 Abs 1 SGG). Dazu gehören kraft gesetzlicher Zuweisung auch die das Kassenarztrecht betreffenden Angelegenheiten (§ 51 Abs 2 Satz 1 SGG). Der vom Kläger geltend gemachte Rentenanspruch aus der bei der Beklagten geführten Umlagekasse zur "Sicherung gegen Invalidität" ist ein dem Kassenarztrecht zuzuordnender Anspruch. Entscheidend hierfür ist, daß die Beklagte die Umlagekasse erkennbar in Erfüllung ihres gesetzlichen Auftrages zur Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung eingerichtet hat. Die Einrichtung der Umlagekasse war eine von mehreren Maßnahmen, die von der Beklagten "zur Fürsorge und zum Schutze von Mitgliedern und ehemaligen Mitgliedern der KV Berlin (auch ihrer Rechtsvorgänger) und deren Hinterbliebenen vor dringender Not" getroffen worden ist. Die Beklagte ist dabei stets als öffentlich-rechtlicher Verband der Kassenärzte aufgetreten. Sie hat in dieser Eigenschaft auch die Gewährleistung der erworbenen Rentenansprüche übernommen. Nach § 1 Nr 9 der Bestimmungen über die "Sicherung gegen Invalidität" sollten Ärzte, die bei Auflösung der Umlagekasse bereits Invaliditätsrente bezogen, die Rente weiter erhalten, und zwar, wenn keine anderen Mittel mehr zur Verfügung stehen, aus den Mitteln der Umlagekasse für "Sterbegeld und Garantieeinnahme". Die für das Sterbegeld und die Garantieeinnahme benötigten Mittel werden durch eine prozentuale Umlage von dem Honorar aufgebracht, auf das der Kassenarzt Anspruch hat (§ 3 der Bestimmungen über "Sterbegeld und Garantieeinnahme"). Für den Rentenanspruch wollte die Beklagte also als öffentlich-rechtliche Körperschaft einstehen, und zwar mit Finanzmitteln, die ihr bei Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgabe zufließen (Kassenarzthonorar). Sie hat demnach mit der Umlagekasse zur "Sicherung gegen Invalidität" keine Selbsthilfeeinrichtung der Ärzte auf privatrechtlicher Grundlage, sondern eine Versorgungseinrichtung organisiert, die nach ihren Vorstellungen der Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung dienen sollte und deshalb im Rahmen ihres Satzungsrechts geregelt wurde. Ob sie dabei rechtmäßig gehandelt hat, kann hier zunächst dahingestellt bleiben.

Entgegen der Ansicht des LSG ist jedoch das Klagebegehren nicht darauf beschränkt, die Rechtswidrigkeit des Beschlusses der Vertreterversammlung der Beklagten vom 7. Dezember 1978 festzustellen. Der Senat teilt nicht die Auffassung des LSG, daß mit der Entscheidung über den Klageantrag zu 1) auch über den Klageantrag zu 2), also über die gesamte Klage in vollem Umfange entschieden ist. Selbst bei rechtswirksamer Auflösung der Umlagekasse kann eine Rentengewährung über den 31. Dezember 1979 hinaus, insbesondere die Weitergewährung bereits angefallener Renten in Betracht kommen, zumal die Beklagte in ihren Bestimmungen über die Invaliditätsrente ausdrücklich eine Weitergewährung vorgesehen hat. Das LSG führt zur Begründung seiner Auffassung aus, daß dann, wenn der Klageantrag zu 1) Erfolg hätte, auch die Pflicht zur Weiterzahlung der Renten bejaht wäre. Eine negative Entscheidung über den Klageantrag zu 1) hätte aber nicht zwingend und ausnahmslos zur Folge, daß eine Pflicht zur Weitergewährung von Renten nicht mehr besteht.

Allerdings sind die vom Kläger in den Vorinstanzen gestellten Anträge insofern unklar, als sie nicht mit seinem sonstigen Vorbringen in Einklang stehen. Die Fassung der Anträge spricht dafür, daß der Kläger nur die Feststellung eines allgemeinen Rechtszustandes, nämlich der generellen Verpflichtung der Beklagten gegenüber allen an der Umlagekasse beteiligten Kassenärzten für die Zeit ab 1. Januar 1980 begehrt. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob eine solche Feststellungsklage zulässig wäre. Dem sonstigen Vorbringen des Klägers ist zu entnehmen, daß er sich gegen die Entziehung der ihm zuerkannten Invaliditätsrente wendet. Die Entziehung der Rente ist ein Verwaltungsakt, gegen den der Rechtsbehelf der Anfechtungsklage gegeben ist (§ 54 Abs 1 SGG). Es sind deshalb die vom Kläger in den Vorinstanzen gestellten Anträge dahingehend auszulegen, daß auch die Aufhebung eines Verwaltungsaktes begehrt wird. Eine Auslegung der Anträge in diesem Sinne ist zulässig, denn die SG sind bei ihrer Entscheidung nicht an die Fassung der Anträge gebunden, sie haben vielmehr zu ermitteln, was der jeweilige Kläger mit der Klage erreichen möchte (§ 123 SGG). Sie haben darauf hinzuwirken, daß sachdienliche und klare Anträge gestellt werden (§ 106 Abs 1, § 112 Abs 2 Satz 2 SGG). Gelingt das nicht, so haben sie die Anträge auszulegen, wobei im Zweifelsfalle anzunehmen ist, daß der Kläger die Anträge stellen will, die ihm am besten zum Ziel verhelfen (vgl Meyer-Ladewig, SGG mit Erläuterungen, 2. Aufl, Anm 3 zu § 123).

Im vorliegenden Fall hat der Kläger von Anfang an geltend gemacht, daß die Beklagte unter keinen Umständen, auch nicht bei rechtswirksamer Auflösung der Umlagekasse, berechtigt gewesen sei, die ihm bereits vor Auflösung der Kasse zuerkannte Invaliditätsrente zu entziehen. Er greift also nicht nur die generelle Regelung der Beklagten über die Auflösung der Umlagekasse an, er beanstandet vielmehr im besonderen, daß die Regelung auch auf ihn angewendet worden ist. Aufgrund des bisherigen Vorbringens der beiden Beteiligten ist davon auszugehen, daß die Beklagte ihre Mitteilung vom 15. Mai 1979 über den Beschluß ihrer Vertreterversammlung vom 7. Dezember 1978 auch an diejenigen Mitglieder der Umlagekasse gerichtet hat, die bereits den Anspruch auf die Invaliditäts- bzw Altersrente erworben hatten. Es ist des weiteren unbestritten, daß die Beklagte damit den schon anspruchsberechtigten Mitgliedern Bescheid über den Wegfall ihrer Renten mit Ablauf des Monats Dezember 1979 geben wollte. Sie hat also in jedem konkreten Rentenfall die Rente entzogen. Auch die Rechtsbeziehungen mit dem Kläger hat sie neu gestaltet. Die ihm ab 1. Januar 1978 bewilligte Invaliditätsrente hat sie ab 1. April 1978 lediglich wegen Anrechnung von Einkommen nicht mehr gezahlt. Ab 1. Januar 1980 sollte ihm unabhängig von seinen Einkommensverhältnissen ein Anspruch auf die Rente nicht mehr zustehen. Auch diese Entscheidung ist ein Verwaltungsakt.

Zusammen mit der Aufhebung dieses Verwaltungsaktes begehrt der Kläger die Feststellung, daß ihm über den 31. Dezember 1979 hinaus der Anspruch auf Invaliditätsrente (zumindest dem Grunde nach) zusteht. Er hat im Revisionsverfahren seinen Antrag zulässigerweise dem von Anfang an verfolgten Ziel entsprechend dahingehend präzisiert, den Bescheid der Beklagten vom 15. Mai 1979 aufzuheben und festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet sei, ihm die Invaliditätsrente über den 31. Dezember 1979 hinaus zu gewähren. Bei seiner Klage handelt es sich also um eine kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage. Er hat ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung, da die Beklagte den Anspruch auf Invaliditätsrente für die Zeit ab 1. Januar 1980 bestreitet. Einer vorrangigen Leistungsklage steht entgegen, daß die Beklagte auch bei Bejahung eines dem Grunde nach gegebenen Rentenanspruchs eine Rentenzahlung verweigern darf, soweit Einkünfte des Klägers auf die Rente anzurechnen sind (§ 3 Abs 2 der Bestimmungen über "Sicherung gegen Invalidität").

Dem Senat ist eine Entscheidung darüber, ob die Anfechtungs- und Feststellungsklage im übrigen zulässig und ob sie begründet ist, derzeit nicht möglich. Hinsichtlich der Zulässigkeit einer Sachentscheidung bestehen insofern Bedenken, als nicht feststeht, ob das bei einer Anfechtungsklage vorgeschriebene Vorverfahren (§ 78 SGG) durchgeführt worden ist. Da die Vorinstanzen nur über eine Feststellungsklage entschieden haben, sind sie auf diese Sachentscheidungsvoraussetzung nicht eingegangen. Sollte ein Vorverfahren bisher nicht durchgeführt worden sein, so müßte den Beteiligten die Möglichkeit gegeben werden, es nachzuholen (BSG SozR 1500 § 78 SGG Nr 15 mwN). In der Sache hat sich das LSG im wesentlichen auf die Prüfung der Rechtmäßigkeit des Beschlusses der Vertreterversammlung der Beklagten vom 7. Dezember 1978 beschränkt. Es hat zwar abschließend die Auffassung vertreten, daß seine allgemeinen Ausführungen besonders für den Kläger zu gelten hätten, dem der Übergangscharakter der Versorgungskasse nachgewiesenermaßen bekannt gewesen sei. Es hat aber zuvor darauf hingewiesen, daß es nicht zulässig sei, bei der Entscheidung allein auf die Einzelperson des Klägers abzustellen. Eine so eingeschränkte Prüfung wird dem Klagebegehren nicht gerecht. Gegenstand des Rechtsstreits ist das konkrete Rechtsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten. Auf dieses finden zwar die generellen Regelungen, hier also vor allem die satzungsrechtlichen Regelungen der Vertreterversammlung der Beklagten Anwendung. Bei Rechtmäßigkeit des Beschlusses vom 7. Dezember 1978 ist aber weiter zu prüfen, ob dieser Beschluß allein die Rechtsbeziehungen zwischen dem Kläger und der Beklagten ab 1. Januar 1980 bestimmt oder ob aus anderen Rechtsgründen der Anspruch des Klägers auf Invaliditätsrente fortbesteht. Sollte dem Kläger ein Rentenanspruch rechtmäßig zuerkannt worden sein, so wird dem § 1 Nr 9 der Bestimmungen über "Sicherung gegen Invalidität" eine besondere Bedeutung zukommen. Aber auch eine rechtswidrige Rentenbewilligung kann nur unter besonderen Voraussetzungen zurückgenommen werden. Den hier einschlägigen Vorschriften der §§ 39 ff des Sozialgesetzbuches-Verwaltungsverfahren (SGB X), die zur Zeit der hier umstrittenen Entscheidung der Beklagten noch nicht gegolten haben, liegen allgemeine Rechtsgrundsätze zugrunde, die auch im Sozialrecht, soweit keine Sonderregelungen bestanden (zB § 1744 RVO aF), zu beachten waren. Bei einer eventuell gebotenen Abwägung eines Vertrauens des Klägers auf den Bestand des Verwaltungsaktes mit dem öffentlichen Interesse an der Aufhebung wird nicht nur einerseits zu berücksichtigen sein, daß die Umlage im Verhältnis zur Rentenleistung sehr niedrig war, sondern andererseits auch, daß nach § 6 Nr 1 der Bestimmungen die zur Rentengewährung erforderlichen Beiträge am Ende eines jeden Kalenderjahres auf die an der Umlagekasse teilnehmenden Ärzte umgelegt werden sollten. Ein Mißverhältnis zwischen Rentenleistung und Beitragsleistung, das darauf zurückzuführen ist, daß die Beklagte die erforderlichen Mittel nicht auf die Kassenmitglieder umgelegt hat, kann nicht ohne weiteres den Wegfall eines Vertrauensschutzes rechtfertigen. Sollte dem Kläger, wie das LSG ohne nähere Begründung feststellt, der Übergangscharakter der Umlagekasse bekannt gewesen sein, so folgt daraus noch nicht, daß er mit der Entziehung eines bereits angefallenen Rentenanspruchs hätte rechnen müssen. Schließlich ist zu berücksichtigen, daß auch die Zusicherung einer Leistung, selbst wenn sie eines Rechtsgrundes entbehrt, Bindungswirkung haben kann (vgl § 34 SGB X).

Da das LSG den vom Kläger erhobenen Anspruch (§ 123 SGG) nicht in vollem Umfange geprüft und deshalb nicht den gesamten entscheidungserheblichen Sachverhalt festgestellt hat, macht der Senat von der nach § 170 Abs 2 Satz 2 SGG gegebenen Möglichkeit der Zurückverweisung der Streitsache Gebrauch.

Dem LSG bleibt auch die Entscheidung der Kosten des Revisionsverfahrens vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1660984

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