Leitsatz (amtlich)

1. Der Anspruch auf Gewährung der restlichen Arbeitslosenunterstützung entfällt, wenn der Arbeitslose ihn nicht innerhalb von 2 Jahren seit der Arbeitslosmeldung, die den Unterstützungsfall in Lauf gesetzt hat, geltend macht.

2. Die Arbeitslosmeldung kann nicht zurückgenommen werden.

 

Normenkette

AVAVG § 172 Fassung: 1957-04-03, § 95 Abs. 2; AVAVG 1927 § 95 Abs. 2; AVAVG § 99 Abs. 2; AVAVG 1927 § 99 Abs. 2

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 13, Oktober 1955 aufgehoben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 27. Mai 1955 zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I. Aus den "Tatbestand" des Urteils des Landessozialgerichts Schleswig vom 13. Oktober 1955 ergibt sich folgender Sachverhalt:

Der 1888 geborene Kläger, von Beruf Maurer, der seit dem 1. Juni 1953 Ruhegeld aus der Angestelltenversicherung wegen Erreichung des 65. Lebensjahres erhält, hatte sich am 30. Dezember 1952 arbeitslos geneidet, "jedoch bereits am 2. Januar 1953 wieder eine Arbeit aufgenommen und diese bis zum 5. Februar 1953 ausgeübte Vom 3. März 1953 bis 20. Januar 1955 war er wieder als Maurer tätig und stellte nach der am 21. Januar 1955 aus witterungsbedingten Gründen erfolgten Entlassung einen Antrag auf Weitergewährung der restlichen Arbeitslosenunterstützung (Alu)". Die Beklagte bewilligte ihm nur Arbeitslosenfürsorgeunterstützung (Alfu) und lehnte den Antrag auf Alu ab, da seit der ersten Arbeitslosmeldung vom 30. Dezember 1952 mehr als 2 Jahre verstrichen seien und deshalb "die Gewährung der restlichen Grundbezugsdauer sowie der Zusatzbezugsdauer nach dieser Ausschlußfrist nicht mehr möglich sei".

Der Widerspruch des Klägers wurde mit Bescheid vom 25. Februar 1955 mit der Begründung zurückgewiesen, nach jeder Erfüllung einer neuen Anwartschaftszeit beginne die Unterstützungsdauer von neuem. Als Rentner könne der Kläger jedoch eine neue Anwartschaft nicht erworben haben. Die Unterstützung für den nicht verbrauchten Rest der Grundbezugsdauer könne er nach Ablauf einer Frist von 2 Jahren nicht mehr geltend machen. Das Ruhegeld sei auf die Alfu anzurechnen.

II. Die Klage hiergegen wies das Sozialgericht Lübeck mit Urteil vom 27. Mai 1955 aus denselben Gründen wie im Widerspruchsbescheid ab. Es stützte sich dabei auf die Grundsätzlichen Entscheidungen des Reichsversicherungsamts Nr. 3843 und Nr. 5288.

Mit seiner Berufung beantragte der Kläger, das Urteil des Sozialgerichts und den Widerspruchsbescheid aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm einen neuen rechtsmittelfähigen Bescheid über die Bewilligung der Alu nach dem 21. Januar 1955 zu erteilen.

Das Landessozialgericht Schleswig hob mit Urteil vom 13. Oktober 1955 das Urteil des Sozialgerichts auf und verurteilte die Beklagte antragsgemäß. Es führte dazu aus: Bei Unterbrechung des Unterstützungsbezugs durch Arbeitsaufnahme sei die Alu nach erneuter Arbeitslosmeldung für die "restliche Bezugsdauer" fortzugewähren, jedoch nicht unbegrenzt. § 99 Abs. 2 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) regele diese Frage für den Fall, daß eine neue Anwartschaftszeit erfüllt sei. Treffe dies nicht zu, müsse gleichwohl eine Grenze gezogen werden, wie es auch das Reichsversicherungsamt in den Grunds. Entsch. Nr. 3843 und Nr. 5288 getan habe. Wenn es hierfür die Rahmenfrist für die Erfüllung der Anwartschaftszeit aus § 95 AVAVG herangezogen habe, so müsse dieser Maßstab von dem Zeitpunkt an "fragwürdig" werden, "wo ein neues Gesetz einen Tatbestand unter Festsetzung einer Frist regelt, der dem analogiebedürftigen Tatbestand noch ähnlicher ist als der alte Analogiefall". Deshalb sei die durch das Änderungsgesetz vom 24. August 1953 eingeführte 5-Jahres-Frist des § 99 Abs. 2 AVAVG auch hier anzuwenden, obwohl eine neue Anwartschaftszeit nicht erfüllt sei.

Im übrigen bestehe der Anspruch des Klägers noch aus einem weiteren Grunde fort. Die Ausschlußfrist beginne mit dem Zeitpunkt, zu dem erstmals nach Erfüllung der letzten Anwartschaftszeit Alu beantragt werde. Zwar sei im § 95 AVAVG die Arbeitslosmeldung als auslösendes Ereignis bezeichnet, jedoch setze nach § 172 AVAVG die Gewährung der Alu einen Antrag voraus. Aber die Unterscheidung zwischen beiden Begriffen könne nur eine nach dem Zweck (Arbeitsvermittlung bzw. Unterstützungszahlung) verschiedene Bezeichnung der gleichen Handlung bedeuten. Ein solcher "Antrag auf Erlaß eines Verwaltungsaktes (Arbeitsvermittlung oder alternativ Alu," könne mit rückwirkender Kraft zurückgenommen werden. Dies sei hier durch die Wiederaufnahme der Arbeit geschehen. Daraus aber dürfe dem Arbeitslosen kein Nachteil entstehen, insbesondere nicht die Ausschlußfrist in Lauf gesetzt werden. Erst eine erneute Arbeitslosmeldung löse den Versicherungsfall aus. Deshalb sei hier nur zu prüfen, ob der Kläger bei seiner letzten Arbeitslosmeldung am 21. Januar 1955 die Anwartschaftszeit erfüllt habe. Seit der Gewährung des Altersruhegeldes habe er nach § 96 AVAVG eine neue Anwartschaftszeit nicht erfüllen können. Dadurch gehe jedoch die früher erworbene Anwartschaft nicht unter. Die Beklagte müsse deshalb prüfen, inwieweit sich die Zeit von der ersten, aber rückgängig gemachten Arbeitslosmeldung am 30. Dezember 1952 bis zur Erreichung des 65. Lebensjahres am 13. Mai 1953 nach § 99 Abs. 1 AVAVG auf die Bezugsdauer erhöhend auswirke, wobei die Rahmenfristen des § 95 Abs. 1 und 2 AVAVG ohne Bedeutung seien.

Revision ist zugelassen worden.

III. Die Beklagte hat gegen das am 14. November 1955 zugestellte Urteil am 7. Dezember 1955 Revision eingelegt und beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils den Kläger mit der Klage abzuweisen. Sie hat die Revision am 13. Januar 1956 begründet und verfahrensrechtlich gerügt, eine Verpflichtungsklage sei nicht zulässig gewesen, so daß das Landessozialgericht ein prozessual unstatthaftes Urteil erlassen habe, außerdem sei der Sachverhalt unzureichend aufgeklärt (§ 103 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-); denn der Kläger habe auf Grund der Arbeitslosmeldung vom 30. Dezember 1952 und des Unterstützungsantrages tatsächlich Alu erhalten. Deshalb sei die Rücknahme des Antrags, selbst wenn sie für zulässig gehalten würde, hier nicht mehr möglich gewesen. Sachlich-rechtlich ist sie der Auffassung, der einmal begründete Anspruch könne, wenn der Unterstützungsbezug nicht durch eine neue Anwartschaft unterbrochen werde, in entsprechender Anwendung des § 95 Abs. 3 AVAVG nur innerhalb zwei Jahren geltend gemacht werden. Die Frist von 5 Jahren gemäß § 99 Abs. 2 AVAVG sei hier nicht anwendbar, da sie einen anderen rechtlichen Sachverhalt betreffe. Der Gesetzgeber habe die verschiedenen Fälle offensichtlich nicht einheitlich regeln wollen, da er dies sonst im Änderungsgesetz vom 24. August 1953 hätte tun können. Im übrigen dürften Arbeitslosmeldung und Antragstellung nicht als gleichartige Begriffe angesehen werden. Der Antrag könne im vorliegenden Falle schon darum nicht als zurückgenommen gelten, weil der Kläger tatsächlich Alu für den 7. Januar 1953 und später wiederholt bezogen habe.

Der Kläger hat beantragt, "das angefochtene Urteil teilweise dahin abzuändern, daß auch der Bescheid vom 26.1.1955 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25.2.1955 aufgehoben und die Beklagte zur Zahlung der Arbeitslosenunterstützung nach der Arbeitslosmeldung vom 21.1.1955 für die Restbezugsdauer verurteilt wird". Es sei "prozeßökonomisch fehlsam", die Beklagte zur Erteilung eines neuen Bescheides zu verurteilen, wenn sofortige Verurteilung der Leistung möglich sei. Dabei müsse das Gericht aber von dem vom Vordergericht festgestellten Sachverhalt ausgehen, es könne "den erkennbar falschen Tatbestand" eines angefochtenen Urteils nur wegen Kenntnis des Akteninhalts nicht richtig stellen oder durch Rückverweisung zu heilen versuchen. Die Rüge mangelnder Aufklärung sei deshalb unbegründet. Die Beklagte könne für den Fall des Unterliegens "die bereits gezahlten 6 Tage" anrechnen. Richtig dürfte sein, daß der noch nicht erschöpfte Anspruch nicht unbeschränkt weiter gelten könne. Diese Lücke im Gesetz müsse so ausgefüllt werden, wie es der Gesetzgeber getan haben würde, wenn er sie erkannt hätte. Das Reichsversicherungsamt habe keine andere Möglichkeit gehabt, als den § 95 AVAVG entsprechend anzuwenden, da § 99 AVAVG damals keine Fristen vorgesehen habe. Sonst würde es die Befristung aus dieser Vorschrift angewandt haben.

IV. Die Revision ist zulässig und begründet.

Bei der Prüfung der Frage, ob schon die Berufung statthaft war, haben sich keine Bedenken ergeben. Ein Ausschließungsgrund im Sinne des § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG lag nicht vor, da der Kläger die Arbeitslosenunterstützung für mehr als 13 Wochen begehrte. Die Berufung war deshalb nach § 143 SGG zulässig.

Was die verfahrensrechtlichen Rügen der Beklagten betrifft, so braucht im Hinblick auf den Inhalt der Entscheidung des Senats auf die Rüge, die Verpflichtungsklage sei nicht zulässig gewesen, hier nicht eingegangen zu werden. Bezüglich der Rüge der unzureichenden Sachaufklärung ist dagegen folgendes wesentlich:

Die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil sind lückenhaft. An sie ist das Bundessozialgericht gebunden, außer wenn in Bezug auf. diese zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind (§ 163 SGG). Das ist hier der Fall. Die Beklagte rügt mangelnde Aufklärung (§ 103 SGG), dieser Mangel liegt tatsächlich vor (vgl. BSG. 1 S. 150). Es ist auch nicht auszuschließen, daß das Urteil des Vordergerichts hätte anders ausfallen können, wenn der Sachverhalt besser aufgeklärt worden wäre, dieser Umstand also ursächlich für das Urteil gewesen ist. Der erkennende Senat hätte deshalb im Gegensatz zu der Auffassung des Klägers das angefochtene Urteil mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverweisen können. Denn die Unterstützungsakten des Arbeitsamts, aus denen der Tatbestand hätte ergänzt werden können, sind nicht zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht gemacht worden. Auf sie hat das Urteil "zum Vorbringen der Parteien" nur "Bezug" genommen. Der Zurückverweisung bedurfte es jedoch nicht, da sich aus dem Tatbestand und den Gründen des Urteils wenigstens noch so viel ergibt, um den Sachverhalt in groben Zügen wie folgt zu erkennen:

Der Kläger hat sich am 30. Dezember 1952 arbeitslos gemeldet und Alu beantragt. Sie ist ihm für 26 Wochen bewilligt worden. Er hat sie, wenn auch nur auf kurze Zeit, die im einzelnen im Urteil nicht festgestellt ist, bezogen. Das ist auch vom Kläger selbst nicht bestritten worden. Seit dem 1. Juni 1953 bezieht er Altersruhegeld. Am 21. Januar 1955 hat er sich wieder arbeitslos gemeldet und "Antrag auf Weitergewährung der restlichen Arbeitslosenunterstützung" gestellt, da sie ihm "seiner Meinung nach deswegen noch zustand, weil er bei seiner vorletzten Arbeitslosigkeit die davor erworbene Anwartschaft von 26 Wochen noch nicht ausgenutzt habe". Hiernach geht auch das Landessozialgericht davon aus, daß der Kläger nach der Arbeitslosmeldung vom 30. Dezember 1952 auf Grund seines Antrages Unterstützung erhalten hat und nach dem 21. Januar 1955 die restliche Unterstützung begehrte.

V. Streitig ist, innerhalb welcher Verfallfrist der Anspruch auf Gewährung oder Weitergewährung der Alu geltend gemacht werden kann und muß. Da das AVAVG selbst diese Frage nicht regelt, liegt insoweit eine Lücke im Gesetz vor, die zu schließen Aufgabe des Gerichts ist. Das Sozialgericht hat im Anschluß an die Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts im Hinblick auf die Rahmenfrist des § 95 Abs. 3 AVAVG eine Verfallfrist von 2 Jahren, das Landessozialgericht in analoger Anwendung der Vorschriften über die Unterstützungsdauer aus § 99 Abs. 2 AVAVG in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 24. August 1953 (BGBl. I S. 1022) eine solche von 5 Jahren angenommen.

Unbestritten ist, daß die Erfüllung der Anwartschaftszeit und die Bezugsdauer der Unterstützung zwei rechtlich verschiedene Sachverhalte betreffen. Ob und inwieweit die darauf bezüglichen Vorschriften allgemein gegenseitig zur Auslegung herangezogen werden können, braucht hier nicht untersucht zu werden. Für den vorliegenden Fall ist nur zu prüfen, ob sich für die Dauer der Verfallfrist aus einer der beiden Vorschriften verwendbare Anhaltspunkte bieten. § 95 Abs. 3 AVAVG setzt eine Höchst-Rahmenfrist von 2 Jahren fest, innerhalb deren die Anwartschaftszeit erfüllt werden kann, und bestimmt im Abs. 4, daß die alte Anwartschaft erlischt, wenn der Arbeitslose durch erneute Beschäftigung eine neue Anwartschaft erwirbt. Nach § 99 Abs. 2 AVAVG hat dies zur Folge, daß damit auch die bisherige Unterstützungsdauer endet; denn sie beginnt nach jeder Erfüllung einer neuen Anwartschaftszeit von neuem. Daraus würden sich erhebliche Härten dann ergeben, wenn der Arbeitslose versicherungspflichtige Beschäftigungen in einem zeitlichen Ausmaß geleistet hat, welches über das zur Erfüllung der Anwartschaftszeit erforderliche Mindestmaß hinausgeht; denn gerade deshalb wird ihm ein Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung über die Normalbezugsdauer hinaus gewährt. Für diese Fälle hat § 99 Abs. 2 AVAVG die Sonderregelung getroffen, daß - bei Erfüllung einer neuen Anwartschaftszeit - sich die neue Unterstützungsdauer um die nicht verbrauchte Unterstützungsdauer nach Abs. 1 Satz 2 und 3 (bis auf höchstens 52 Wochen) erhöht. Das ist aber ausgeschlossen, wenn seit dem Erwerb der Anwartschaft, die der zur Erhöhung dienenden Unterstützungsdauer zugrunde liegt, 5 Jahre verstrichen sind. Diese Vorschriften bleiben nach § 95 Abs. 4 AVAVG unberührt.

Aus der Regelung des § 99 Abs. 2 AVAVG ergibt sich klar, daß es sich um eine Ausnahmevorschrift handelt, die den Versicherten begünstigen will, der länger versicherungspflichtig beschäftigt war. Sie gilt aber nur, sofern andernfalls der Anspruch aus einer bisherigen Anwartschaft durch Erwerb einer neuen vernichtet würde. Eine solche Ausnahmevorschrift kann nicht analog angewendet werden, wie es das Landessozialgericht tut. Schon aus dem Sinn des Wortes "analog" geht hervor, daß eine Ausdehnung nur auf einen "ähnlichen" Tatbestand zulässig wäre. Im vorliegenden Falle weicht der Sachverhalt aber von dem des § 99 Abs. 2 AVAVG völlig ab; denn er betrifft einen Unterstützungsfall, der, wenn auch mit Unterbrechungen durch Beschäftigung weitergelaufen ist, ohne daß eine neue Anwartschaftszeit erfüllt wurde. Daß letzteres beim Kläger seit dem Beginn des Altersruhegeldes (dem 1. Juni 1953) rechtlich unmöglich war, ergibt sich aus § 96 AVAVG, wonach versicherungspflichtige Beschäftigungen, für welche die Arbeitnehmeranteile des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung nicht erhoben werden, nicht zum Erwerb der Anwartschaft dienen können, in diesem Falle also, obwohl die Beschäftigung an sich versicherungspflichtig ist.

Diese Vorschrift ist gerade für die Beschäftigung der Rentner geschaffen worden, aber nicht, wie das Landessozialgericht meint, um ihnen einen Anreiz zu bieten, ihre Arbeitskraft weiterhin auszunutzen, sondern hauptsächlich deshalb, um zu verhüten, daß sie mit einer in aller Regel für den allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr vollwertigen Arbeit eine neue Anwartschaftszeit erfüllen und damit die Träger der Alu oder Alfu auf längere Zeit belasten. Eine analoge Anwendung der 5-Jahre-Frist des § 99 Abs. 2 AVAVG ist deshalb ausgeschlossen.

VI. Dagegen bietet die Regelung der Anwartschaftszeit eine geeignete Begrenzung für die Verfallzeit.

§ 95 AVAVG geht davon aus, daß die Frist, innerhalb deren eine Anwartschaft auf Alu erworben werden kann, nicht unbegrenzt lange zurückliegen darf, und zwar aus praktischen und verwaltungsmäßigen Erwägungen, nämlich um die Arbeitsämter nicht mit einwandfrei nicht mehr zu klärenden Zweifelsfragen aus weiter zurückliegenden Zeiten zu beschweren. Deshalb verlangt der Gesetzgeber grundsätzlich, daß die Anwartschaftszeit in den letzten 12 Monaten vor der Arbeitslosmeldung erfüllt sein muß (§ 95 Abs. 1 AVAVG); unter bestimmten Voraussetzungen wird diese Frist bis auf 2 Jahre erstreckt. Ihre Erweiterung ist unzulässig, selbst wenn sich daraus Härten ergeben. Der Gedanke, daß der Erwerb der Anwartschaft auf Arbeitslosenunterstützung in einer zeitlich eng gehaltenen Frist erfüllt werden muß, ist als vernünftig zu bezeichnen. Die Berechtigung dieser Fristbegrenzung ist bisher auch nicht bestritten worden. Die gleichen Erwägungen können und müssen aber auch bei der Prüfung der Frage, innerhalb welcher Zeit die Unterstützung geltend gemacht werden darf, zu Grunde gelegt werden. Der Gesetzgeber ist hier von dem Regelfall ausgegangen, daß die Unterstützung fortlaufend bis zu ihrer Erschöpfung bezogen wird. Damit sollten Unterbrechungen durch Aufnahme von Arbeit nicht ausgeschlossen werden. Nehmen diese aber an Zahl und Dauer einen solchen Umfang an, daß - wie im vorliegenden Fall - die Unterstützung nur zu kurzfristigen Überbrückungen zwischen den einzelnen Beschäftigungen dient und damit der Ablauf des Unterstützungsfalles sich auf einen langen Zeitraum erstrecken würde, so müßten sich die gleichen Schwierigkeiten wie bei einer unbegrenzt langen Anwartschaftszeit ergeben. Aus diesen Erwägungen heraus muß es als gerechtfertigt angesehen werden, die Höchst-Rahmenfrist von 2 Jahren auch für die Begrenzung der Unterstützungsgewährung heranzuziehen und eine Verfallzeit von 2 Jahren festzusetzen. Wesentliche Härten können sich hieraus nicht ergeben, da der große Teil der Unterstützungsfälle ohnedies bis zur Erschöpfung der Unterstützungszeit abläuft. Im übrigen lassen sich bei Fristregelungen Härten in keinem Gesetz vermeiden.

Aus diesen Überlegungen hat das Reichsversicherungsamt in seiner Grunds. Entsch. Nr. 3843 vom 27. Juni 1930 (AN 1930 S. 392) dieselbe Auffassung vertreten und sie auch später aufrecht erhalten (vgl. Grd. E. Nr. 5288 vom 13.1.1939, AN S. 209).

Der Kläger weist zutreffend darauf hin, eine Gesetzeslücke müsse so ausgefüllt werden, wie sie der Gesetzgeber ausgefüllt haben würde, wenn er sie erkannt hätte. In der Neufassung des AVAVG vom 3. April 1957 (BGBl. I S. 322) hat der Gesetzgeber in § 87 diese Frage in folgender Weise geregelt:

"Der Anspruch erlischt mit der Erfüllung einer neuen Anwartschaftszeit. Er kann nicht mehr geltend gemacht werden, wenn seit Erfüllung einer Anwartschaftszeit 2 Jahre verstrichen sind".

In der Begründung zur Novelle (Bundestagsdrucksache Nr. 1274, 2. Wählperiode 1953, zu § 99a) heißt es, daß diese Vorschrift "sinngemäß den Grundsatz der Grunds. Entsch. Nr. 3843" übernehme.

Die Auffassung des Senats entspricht der Neuregelung für die Zukunft. Bis zu diesem Zeitpunkt aber haben sich die Praxis der Arbeitsämter und die Rechtsprechung ständig nach der auf der Heranziehung der Anwartschaftszeit beruhenden Entscheidung des Reichsversicherungsamts gerichtet. Es wäre deshalb nicht zu rechtfertigen gewesen, für die Fälle bis zum Inkrafttreten der Novelle zum AVAVG eine davon abweichende Sonderregelung zu schaffen.

VII. Das Landessozialgericht meint, der Anspruch des Klägers bestehe auch aus dem Grunde weiter, weil die Arbeitslosmeldung vom 30. Dezember 1952 und der Antrag auf Alu durch die nachfolgende Arbeitsaufnahme als zurückgenommen angesehen werden müßten. Das trifft nicht zu. Die Unterscheidung zwischen Arbeitslosmeldung und Antrag kann nicht, wie das Landessozialgericht ausführt, "nur eine nach dem Zweck (Arbeitsvermittlung bzw. Unterstützungszahlung) verschiedene Bezeichnung der gleichen Handlung bedeuten."

Arbeitslosmeldung und Unterstützungsantrag sind zwei in ihrer rechtlichen Beurteilung und Auswirkung grundverschiedene Handlungen. Die Arbeitslosmeldung ist die Erklärung einer Tatsache, nämlich die Meldung vom Eintritt des Schadensfalles der Arbeitslosenversicherung, also der Arbeitslosigkeit. Sie ist deshalb nicht als Willenserklärung anzusehen und hat Wirkungen nur insofern, als das Arbeitsamt daraufhin von sich aus tätig wird, nämlich durch Ausstellung der Meldekarte oder gegebenenfalls durch sofortige Zuweisung einer Arbeitsstelle. Als Tatsachenerklärung kann sie nicht zurückgenommen werden; denn das ist nur bei einer Willenserklärung möglich. Sie kann allerdings gegenstandslos werden, z.B. wenn der Arbeitslose auf Grund der Vermittlung eine neue Arbeitsstelle annimmt und daraus eine neue Anwartschaft erwirbt. Sonst aber bleibt sie bestehen und hat die ihr vom Gesetz beigelegten rechtlichen Wirkungen. Im Gegensatz zur Tatsachenerklärung der Arbeitslosmeldung ist die Antragstellung eine Willenserklärung. Ohne sie ist, soweit es sich um die Gewährung der Unterstützung handelt, das Arbeitsamt nicht verpflichtet, ja nicht einmal berechtigt, tätig zu werden, wie der Senat in seinem Urteil 7 RAr 85/57 vom 30. Oktober 1958 ausgeführt hat. Die Antragstellung ist nach § 168 AVAVG die unabdingbare Voraussetzung für die Bewilligung der Alu. Als Willenserklärung kann sie allerdings zurückgenommen werden, ausdrücklich oder stillschweigend - durch konkludente Handlung -, z.B. indem der Arbeitslose nicht mehr beim Arbeitsamt vorspricht. Die Arbeitslosmeldung dagegen, die dem Erwerb der Anwartschaft folgt, bleibt auch dann bestehen.

Im vorliegenden Falle ergibt sich weder ein Anhaltspunkt für die Annahme, daß die Arbeitslosmeldung vom 30. Dezember 1952 durch Erfüllung einer neuen Anwartschaftszeit gegenstandslos geworden wäre, noch dafür, daß der Antrag von demselben Tage ausdrücklich oder stillschweigend zurückgenommen sein konnte. Trotz der mangelhaften Sachaufklärung geht aus den Urteilsgründen hervor, daß es sich bei der Arbeitslosmeldung am 21. Januar 1955 und bei dem daraufhin gestellten Antrag um einen "Weitergewährungsantrag" für die Restunterstützung aus der für 26 Wochen bewilligten Alu handelt. Das kann aber nichts anderes bedeuten, als daß der Arbeitslose in den Zeiten der Arbeitslosigkeit, zwischen dem 30. Dezember 1952 und dem 21. Januar 1955 Alu erhalten hat. Ausgangspunkt für die Berechnung der Verfallfrist muß deshalb die Arbeitslosmeldung vom 30. Dezember 1952 sein. Die Alu, die der Kläger mit dem Weitergewährungsantrag vom 21. Januar 1955 geltend machte, lag außerhalb der mit dem 31. Dezember 1952 in Lauf gesetzten und am 30. Dezember 1954 beendeten 2-Jahre-Frist. Sie war demnach verfallen und ist zu Recht verweigert worden.

Auf die weiteren Ausführungen des Urteils einzugehen, erübrigt sich, zumal sie, soweit die Anrechnung der Beschäftigungszeit vom 2. Januar 1953 bis zum 13. Mai 1953 (gemeint ist der 31. Mai 1953) als Erhöhungszeit im Sinne des § 99 Abs. 1 AVAVG angesehen wird, dem Gesetz widerspricht; denn diese Zeit ist selbst nach dem Tatbestand des Urteils nicht ununterbrochen abgeleistet worden.

VIII. Aus allen diesen Erwägungen mußte das Urteil des Landessozialgerichts aufgehoben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts zurückgewiesen werden.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2324353

BSGE, 7

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