Leitsatz (amtlich)
Der bei einem ausländischen Unternehmen beschäftigte Fahrer, der den an der deutschen Grenze von einem deutschen Unternehmen übernommenen Transport der Waren begleitet, unterliegt auch dann nicht dem Schutz der deutschen UV, wenn er aufgrund der Weisung seines Arbeitgebers auf Wunsch des deutschen Fahrers diesen gelegentlich beim Fahren ablösen soll.
Normenkette
RVO § 539 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1963-04-30, Abs. 2 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13. August 1975 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat den Beigeladenen die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger war als Kraftfahrer bei der Firma Willi B, Internationale Spedition, in R beschäftigt. Diese hatte mit dem staatlichen bulgarischen Wirtschaftsunternehmen "T - Autotransportdirektion S" einen Vertrag geschlossen, in dem vereinbart war, daß von der Fa. T Frachtgüter mit Lastzügen zur deutschen Grenze transportiert und an den Grenzübergängen die Sattelanhänger der Fa. T von Zugmaschinen der Fa. B übernommen und zu den Empfängern weiterbefördert werden. Jeweils ein für den Sattelanhänger verantwortlicher Fahrer der Fa. T begleitete die Zugmaschine der Fa. B bei der Weiterfahrt. Die Fahrer der Fa. T hatten Anweisung, ohne jede Unterbrechung weiterzufahren und bei größeren Entfernungen sich auch mit dem Fahrer der Fa. B auf dessen Wunsch mit dem Fahren der Zugmaschine abzulösen. Ein Arbeitsverhältnis zwischen der Fa. B und dem jeweiligen Fahrer der Fa. T sollte dadurch nicht begründet werden.
Aufgrund dieser Vereinbarung fuhr der Ehemann und Vater der Beigeladenen, der bulgarische Staatsangehörige V (V.) einen mit Wein gefüllten Tankzug der Fa. T von Bulgarien bis zur deutschtschechischen Grenzstation, wo der Sattelanhänger am 21. August 1968 an die vom Kläger gesteuerte Zugmaschine der Fa. B angehängt wurde. Auf der Rückfahrt zur Grenzstation verunglückte der vom Kläger gesteuerte Lastzug. Dabei wurde V. aus dem Fahrzeug geschleudert. Er starb am 30. August 1968 an den dabei erlittenen Verletzungen.
Die Beigeladenen haben gegen den Kläger vor dem Landgericht Stuttgart wegen des Todes des V. eine Schadensersatzklage erhoben.
Die Beklagte lehnte eine Entschädigung der Beigeladenen aus Anlaß des tödlichen Unfalls des V. ab, da V. im Zeitpunkt des Unfalls aufgrund des Territorialprinzips nicht unter deutschem Versicherungsschutz gestanden habe.
Der Kläger hat Klage erhoben.
Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 24. Mai 1973 die Beklagte verurteilt, den Beigeladenen Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren. Der Ehemann der Beigeladenen zu 1) habe im Zeitpunkt des Unfalls gemäß § 539 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) unter Versicherungsschutz gestanden, da er als Beifahrer für die Fa. B tätig gewesen sei.
Die Beklagte hat Berufung eingelegt.
Durch Urteil vom 13. August 1975 hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben, soweit es die Hinterbliebenenrente betraf, und die Klage insoweit abgewiesen; im übrigen hat es die Berufung als unzulässig verworfen. Es ist davon ausgegangen, daß der Ehemann der Beigeladenen zu 1) im Zeitpunkt des Unfalls als Beifahrer des Klägers wie ein für die Fa. B in einem Arbeitsverhältnis Stehender tätig war. Ein Entsenden in das Bundesgebiet durch ein im Ausland ansässiges Unternehmen werde jedoch von der deutschen Versicherung nicht erfaßt, wenn es sich - wie beim Ehemann der Beigeladenen zu 1) - um ganz vorübergehende Tätigkeiten handele.
Der Senat hat die Revision zugelassen.
Der Kläger hat dieses Rechtsmittel eingelegt. Er trägt vor: Ob die Rechtsauffassung des LSG, bei einer sog. Einstrahlung bestehe kein Versicherungsschutz, zutreffe, könne dahinstehen, weil sie, wenn sie richtig sei, sich nur auf Tätigkeiten für das ausländische Unternehmen beziehe, die dieses Unternehmen durch den betreffenden Arbeitnehmer im Inland verrichten lasse. Das Berufungsgericht gehe aber davon aus, daß der Ehemann der Beigeladenen zu 1) als Beifahrer des Klägers eine, wenn auch vorübergehende, Tätigkeit für die Fa. B verrichtet habe. Für die Frage, ob bei dieser Tätigkeit Versicherungsschutz nach der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung bestehe, seien die Grundsätze des Territorialprinzips mit seinen Ein- und Ausstrahlungstheorien unerheblich. Dadurch, daß der bulgarische Arbeitgeber die Weiterfahrt seines Arbeitnehmers gestattet habe, sei entweder überhaupt ein Arbeitsverhältnis zu der Fa. B begründet oder aber jedenfalls der bulgarische Fahrer wie ein Arbeitnehmer für die Fa. B tätig geworden.
In beiden Fällen könne dieser Umstand nicht rechtlich dadurch überlagert werden, daß das Arbeitsverhältnis zum bulgarischen Arbeitgeber fortbestanden habe. Das Interesse des bulgarischen Unternehmers habe sich darauf beschränkt, seinen Fahrer als Begleitperson für die Ware mitfahren zu lassen. Daß der bulgarische Kraftfahrer während der Fahrt als Beifahrer tätig wurde, folge dagegen aus den für die Fa. Betz und deren Fahrer geltenden deutschen Arbeitszeit- und Sicherheitsvorschriften, deren Erfüllung allein im Interesse des deutschen Unternehmens gelegen habe. Das Berufungsgericht habe die erwähnten Bekundungen des Zeugen nicht berücksichtigt; dies sei als Rechtsfehler zu rügen, zugleich aber auch als Verletzung des § 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG zu ändern und die Berufung auch zurückzuweisen, soweit sie nicht bereits als unzulässig verworfen worden ist.
Die Beklagte und die Beigeladenen beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Der Senat hat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs. 2 SGG).
Die zulässige Revision ist im Ergebnis nicht begründet.
Der Ehemann der Beigeladenen zu 1) hatte im Rahmen seines Beschäftigungsverhältnisses zu dem bulgarischen Unternehmen die Aufgabe, den mit Wein gefüllten Tankzeug nicht nur bis zur deutsch-tschechischen Grenzstation zu fahren, sondern auch weiter den Sattelschlepper der Fa. B zum Bestimmungsort und danach wieder zur Grenze zurückzubegleiten. Aufgrund der Vereinbarung zwischen den Firmen hatte er außerdem Anweisung, ohne jede Unterbrechung mit dem Sattelschlepper der Fa. B weiterzufahren und bei größeren Entfernungen auf Wunsch des Fahrers der Fa. B sich mit diesem beim Fahren der Zugmaschine abzulösen. Das Begleiten des Tankzuges auf deutschem Gebiet oblag ihm ebenso wie ein zeitweises Fahren des Fahrzeuges aufgrund der Weisungsbefugnis seines bulgarischen Arbeitgebers. Dem steht nicht entgegen, daß der Ehemann der Beigeladenen zu 1) während der Fahrt an die vom Fahrer der Fa. B eingeschlagene Fahrstrecke und die Fahrzeiten gebunden war und auch auf dessen Wunsch den Lkw führen sollte. Daß er diese Aufgaben wahrnahm, beruhte auf der Anweisung seines bulgarischen Arbeitgebers. Bei einer im Einzelfall anders lautenden - wenn auch ggf. gegenüber der Fa. B verabredungswidrigen - Weisung der Fa. T war der Ehemann der Beigeladenen zu 1) gegenüber der Fa. B weder zur Begleitung des Tankzuges noch dazu verpflichtet, zeitweise das Steuer zu übernehmen. Der Ehemann der Beigeladenen zu 1) wurde demnach aufgrund seiner persönlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeit und damit im Rahmen seines Beschäftigungsverhältnisses zu der Fa. T sowohl bei dem Begleiten als auch beim Steuern des Tankzuges tätig. Das von der Revision in diesem Zusammenhang zitierte Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 29. Juli 1970 (BSG 31, 235) betrifft zur Frage der Arbeitsvermittlung die anders gelagerten Fälle der sog. echten und unechten Leiharbeitsverhältnisse, die hier jedoch nicht vorliegen. Der Ehemann der Beigeladenen zu 1) war weder in den Betrieb der Fa. B eingeordnet und auch dort nicht regelmäßig beschäftigt (sog. echtes Leiharbeitsverhältnis - s. BSG aaO S. 242), noch war er von der Fa. T angeworben, um ausschließlich oder doch überwiegend an andere Arbeitgeber verliehen zu werden, die für offene Arbeitsplätze in ihren Betrieben für unbestimmte oder bestimmte, längere oder kürzere Zeiträume Arbeitskräfte suchen (s. BSG aaO S. 243; s. auch § 1 Abs. 1 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes vom 7. August 1972 - BGBl I 1393). Ein Versicherungsschutz des Ehemannes der Beigeladenen zu 1) in der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung aufgrund seines Beschäftigungsverhältnisses zu der bulgarischen Fa. T nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO scheidet jedoch aus, weil der Ehemann der Beigeladenen zu 1) seinen ständigen Aufenthalt im Ausland hatte, bei einem ausländischen Unternehmen beschäftigt war und nur durch diese Beschäftigung für jeweils ganz kurze Zeit in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland kam. Der Senat braucht in diesem Zusammenhang nicht zu entscheiden, inwieweit mangels einer § 168 Abs. 5 Nr. 4 RVO entsprechenden Vorschrift für die Unfallversicherung der Versicherungsschutz bei der sog. Einstrahlung in den Fällen entfällt, in denen Arbeitnehmer ausländischer Unternehmen unter Beibehaltung ihres gewöhnlichen Aufenthalts im Ausland einzelne betriebliche Tätigkeiten wie z. B. Montage-, Instandhaltungs- oder Reparaturarbeiten vorübergehend im Inland vornehmen (vgl. - grundsätzlich für Versicherungsschutz - Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. - 8. Aufl., S. 472 a; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., § 539 Anm. 4 Buchst. b, bb; Noack, Sozialversicherung 1975, 126; Miesbach/Baumer, Die gesetzliche Unfallversicherung, § 539 Abs. 6 Buchst. a, aa; Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften, zitiert im Dienstblatt der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung 1967, 798, s. auch Rundschreiben des Hauptverbandes VB 211/72 vom 22. Dezember 1972, hier unter Nr. 4; Wickenhagen, Zeitschrift für Sozialreform 1971, 590, 594; a. A. Rienau, Sozialversicherung 1973, 101, 102). Auch eine - bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Regelung - dem Territorialprinzip entsprechende grundsätzliche Ablehnung der sog. Einstrahlung steht der Auffassung nicht entgegen, eine Versicherung in diesen Fällen auszuschließen, wenn es sich um nur ganz kurze Tätigkeiten im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland handelt, wie z. B. das Abliefern oder Abholen von Waren durch einen im Ausland wohnhaften Fahrer eines ausländischen Unternehmens. Der Ehemann der Beigeladenen zu 1) hat demnach im Zeitpunkt des Unfalls nicht aufgrund seines Beschäftigungsverhältnisses zur Fa. T unter dem Schutz der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung gestanden.
Der Ehemann der Beigeladenen zu 1) ist auch nicht gemäß § 539 Abs. 2 RVO versichert gewesen, weil er nicht wie ein nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO bei der Fa. B Beschäftigter, sondern im Rahmen seines Beschäftigungsverhältnisses zu dem bulgarischen Unternehmen tätig wurde. Erleidet aber jemand, der aufgrund eines Arbeitsverhältnisses beschäftigt ist, einen Arbeitsunfall, so entfällt der Schutz aufgrund des § 539 Abs. 2 RVO; er ist nicht wie ein nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO Versicherter tätig gewesen, sondern als Beschäftigter verunglückt (s. BSG 5, 168, 171; Brackmann aaO S. 476 s). Wie ein Versicherter kann man nur tätig werden, wenn man nicht als Versicherter nach den vorhergehenden Vorschriften anzusehen ist (Brackmann aaO). Dies gilt nach Sinn und Zweck des Verhältnisses zwischen § 539 Abs. 2 RVO und den anderen Vorschriften des § 539 Abs. 1 RVO auch, wenn wegen der Beschäftigung bei einem ausländischen Unternehmen und einer damit verbundenen nur ganz kurzen Tätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland der Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 1 RVO nicht eintritt. Der Grundsatz, daß jemand nicht nach § 539 Abs. 2 RVO wie ein Versicherter tätig gewesen ist, wenn er als Beschäftigter verunglückt, gilt im Verhältnis zu demselben Unternehmen. Allerdings ist es möglich, daß dann, wenn ein Beschäftigter in einem fremden Unternehmen tätig wird, für einen Versicherungsschutz verschiedene Vorschriften in Betracht kommen (BSG aaO S. 175; Brackmann aaO). Auch ein Beschäftigter kann gegenüber einem fremden Unternehmer wie ein Beschäftigter tätig werden (vgl. zum Unternehmer BSG aaO S. 174). Dies ist jedoch ausgeschlossen, wenn er im Rahmen seines Beschäftigungsverhältnisses tätig wird, d. h. für seinen Arbeitgeber Tätigkeiten verrichtet, die zu seinem Aufgabenbereich als Beschäftigter gehören; denn in einem solchen Fall handelt er auch dann ausschließlich als Beschäftigter, wenn seine Tätigkeit zugleich, worauf es die Revision abstellt, Zwecken eines anderen Unternehmens - hier der Fa. B - dient (vgl. - ebenfalls für Unternehmer - BSG aaO). Der Ehemann der Beigeladenen zu 1) ist jedoch, als er im Sattelschlepper der Fa. B mitfuhr, aufgrund und im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses zu dem bulgarischen Unternehmen T tätig geworden. Daß seine Tätigkeit zugleich einem fremden Unternehmen diente, begründet, wie dargelegt, den Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 2 RVO nicht. Dabei kann es dahinstehen, ob das Begleiten des Lkw überhaupt dem Unternehmen der Fa. B diente und dies nur der Fall war, wenn der Ehemann der Beigeladenen zu 1) zeitweise den Tanklastzug fuhr; denn nur dadurch konnte die bulgarische Firma ihr Interesse wahrnehmen, die Ware von einem ihrer Fahrer, neben dem und dem Fahrer der Fa. B kein Platz mehr für einen Beifahrer der Fa. B mehr war, bis zum Bestimmungsort im Bundesgebiet begleiten zu lassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1652006 |
BSGE, 65 |