Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuständiger Versicherungsträger in Bezug auf multilateralen Effekt
Leitsatz (amtlich)
Der Senat hält trotz Kritik an der Rechtsprechung des BSG (zuletzt im Urteil 1980-11-12 1 RJ 112/79 = BSGE 51, 5) zum sogenannten multilateralen Effekt mehrerer denselben Rentenbewerber gleichartig begünstigenden zweiseitigen Abkommen über soziale Sicherheit fest.
Orientierungssatz
Der zuständige Versicherungsträger für die Berücksichtigung von Versicherungszeiten, die der von mehreren bilateralen Abkommen begünstigte Versicherte in verschiedenen Ländern zurückgelegt hat, ist nach den das Verwaltungsverfahren der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung regelnden bundesgesetzlichen Normen zu ermitteln.
Normenkette
GG Art 20 Abs 3 Fassung: 1949-05-23; GG Art 59 Abs 2 S 1 Fassung: 1949-05-23; RVO § 1630 Abs 2 S 2 Fassung: 1960-02-25; SozSichAbk YUG Art 25 Abs 1 S 1 Fassung: 1974-09-30; SozSichAbk YUG Art 34 Abs 2 Fassung: 1974-09-30; SozSichAbk AUT Art 26 Abs 1 S 1 Fassung: 1974-03-29; SozSichAbk AUT Art 42 Abs 2 Fassung: 1974-03-29
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 14.10.1980; Aktenzeichen L 16 Ar 118/79) |
SG Landshut (Entscheidung vom 21.11.1978; Aktenzeichen S 4 Ar 53/77) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um einen Anspruch auf Hinterbliebenenrente unter Berücksichtigung zwischenstaatlichen Rechts.
Die 1931 geborene Klägerin zu 1) ist die Witwe, die 1962 geborene Klägerin zu 2) ist die Tochter des am 9. Mai 1970 verstorbenen jugoslawischen Staatsangehörigen S H (H.). Dieser hat in Jugoslawien 38, in Österreich 27 und in der Bundesrepublik 17 Pflichtbeitragsmonate in den gesetzlichen Rentenversicherungen zurückgelegt.
Den Antrag der Klägerinnen vom 2. Juli 1976 auf Gewährung von Hinterbliebenenrente nach Stanko H. lehnte die beklagte Landesversicherungsanstalt (LVA) Niederbayern-Oberpfalz mit Bescheid vom 24. Januar 1977 "als Verbindungsstelle für die Rentenversicherung der Arbeiter zur Durchführung des am 1. September 1969 in Kraft getretenen deutsch-jugoslawischen Abkommens über Soziale Sicherheit vom 12. Oktober 1968 - BGBl II 1968, 1437 ... Art 34 Abs 2 ... und Art 5 der Durchführungsvereinbarung vom 9. November 1969" ab, weil die Wartezeit aus zusammengerechnet 55 jugoslawischen und deutschen Versicherungsmonaten nicht erfüllt sei.
Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) den Ablehnungsbescheid der Beklagten aufgehoben und diese verurteilt, den Klägerinnen ab 1. Januar 1972 Witwen- bzw Waisenrente zu gewähren (Urteil vom 21. November 1978). Mit der angefochtenen Entscheidung vom 14. Oktober 1980 hat das Landessozialgericht (LSG) die Berufung der Beklagten hiergegen zurückgewiesen und die Revision zugelassen. In der Begründung heißt es, der Ehemann und Vater der Klägerinnen habe zur Zeit seines Todes die Wartezeit von 60 Kalendermonaten nach § 1263 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) erfüllt gehabt. Zu den anrechenbaren Versicherungszeiten gehörten die deutschen, die jugoslawischen und die österreichischen Zeiten. Der Inhalt der sowohl mit Jugoslawien wie mit Österreich abgeschlossenen bilateralen Übereinkünfte über Sozialversicherung seien durch Zustimmungsgesetz in innerdeutsches Recht transformiert worden. Hieraus sei für den deutschen Versicherungsträger die Pflicht erwachsen, auch die Versicherungszeiten des Drittlandes Österreich zu berücksichtigen. Dies folge schon aus dem sozialen Schutzgedanken jeglichen von der Bundesrepublik geschlossenen Abkommens über Sozialversicherung. Das deutsch-österreichische Abkommen sei im übrigen ein "offenes Abkommen", bei dem die Staatsangehörigkeit keine Rolle spiele. Keines der beiden hier in Frage stehenden Abkommen stehe der Zusammenrechnung der Zeiten zum Zwecke der Erfüllung der Wartezeit entgegen. Kein Versicherungsträger werde unbillig belastet; nur der deutsche Versicherungsträger habe aus nur deutschen Versicherungsbeiträgen zu leisten. Ein im Lichte des Grundgesetzes (GG) legitimes, als zwischenstaatliches Druckmittel einsetzbares "Gegenseitigkeitsprinzip" existiere nicht. Deshalb sei die nach dem deutsch-jugoslawischen Abkommen zuständige Beklagte zu verurteilen gewesen, soweit noch keine Verjährung eingetreten sei.
Die Beklagte bekämpft dieses Urteil mit der Revision und führt aus: Für sie sei die Auslegung des deutsch-jugoslawischen Abkommens durch den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (BMA) verbindlich, der die Abkommen über soziale Sicherheit mit anderen Staaten aushandele und nach Art 3 des Zustimmungsgesetzes ein Auslegungsprivileg habe. Dieses gelte auch gegenüber den Gerichten. Aus den wiederholten Äußerungen des BMA ergebe sich mithin verbindlich auch für die Gerichte, daß eine Zusammenrechnung von Versicherungszeiten unter Einbeziehung eines dritten Sozialversicherungsabkommens nicht gewollt, ja verboten sei (Hinweis auf Art 2 des deutsch-jugoslawischen Abkommens). Das sei auch dem deutsch-finnischen Abkommen zu entnehmen. Der jetzige Rechtszustand lasse sich mithin mit dem Rechtszustand vergleichen, der vor dem Erlaß des Wanderversicherungsgesetzes von 1922 bestanden habe. Die sozialpolitisch erwünschte Zusammenrechnung lasse sich nur durch ein mehrseitiges Abkommen erreichen. Die Einbeziehung eines dritten Abkommens verlagere im übrigen gewichtige Leistungsverpflichtungen unzulässig auf die deutsche Rentenversicherung. Durch das Zustimmungsgesetz (Art 59 Abs 2 des GG) ändere sich nichts an der Rechtsnatur des zweiseitigen Vertrags.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom
14. Oktober 1980 und das Urteil des Sozialgerichts
Landshut vom 21. November 1978 aufzuheben und die
Klage abzuweisen.
Die Klägerinnen sind nicht durch einen beim Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen Prozeßbevollmächtigten vertreten.
Die beigeladene LVA Oberbayern hat sich nicht geäußert. Ihr hat die Beklagte mit Schreiben vom 30. März 1981 die Leistungsakten der Klägerinnen mit der Bitte übersandt, ihnen einen Bescheid nach dem deutsch-österreichischen Abkommen zu erteilen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet.
Der Bescheid vom 24. Januar 1977, mit dem die Beklagte den Klägerinnen Hinterbliebenenrente versagt hat, ist nicht zu beanstanden: Nach § 1263 Abs 2 RVO werden Hinterbliebenenrenten, zu denen Witwenrenten und Waisenrenten zählen (§§ 1263 Abs 1, 1264, 1267 RVO), nur dann gewährt, wenn dem Verstorbenen zur Zeit seines Todes Versichertenrente zustand oder zu diesem Zeitpunkt die Wartezeit für die Rente wegen Berufsunfähigkeit erfüllt ist oder nach § 1252 RVO als erfüllt gilt. Da Stanko H. zur Zeit seines Todes nicht rentenberechtigt war und die Wartezeit auch nicht schon kraft Gesetzes als erfüllt gilt, konnten die Klägerinnen aus seinem Versicherungsverhältnis Hinterbliebenenrente nur verlangen, wenn er eine Versicherungszeit von mindestens 60 Kalendermonaten zurückgelegt gehabt hätte (§ 1246 Abs 3 RVO). Zutreffend hat die Beklagte einen gegen sie zu richtenden Anspruch der Klägerinnen auf Hinterbliebenenrente mit der Begründung verneint, daß Stanko H. mit 38 jugoslawischen und 17 deutschen Beitragsmonaten zusammen eine Versicherungszeit im Umfang von nur 55 Monaten zurückgelegt hat.
Unrichtig ist dagegen die Auffassung der Vorinstanzen, die Beklagte habe für die Erfüllung der Wartezeit auch die Versicherungszeiten zu berücksichtigen, die der Ehemann und Vater der Klägerinnen in Österreich zurückgelegt habe. Die Beklagte hat im streitigen Bescheid korrekt darauf hingewiesen, daß sie allein aufgrund und in Durchführung des Art 34 Abs 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über soziale Sicherheit vom 12. Oktober 1968 (BGBl II 1969, 1438) idF des Änderungsabkommens vom 30. September 1974 (BGBl II 1975, 390 - deutsch-jugoslawisches Sozialversicherungsabkommen) iVm Art 5 Buchst a der Durchführungsvereinbarung hierzu vom 9. November 1969 (BGBl II 710), also allein als "Vertrags-Verbindungsstelle" dazu berufen sei, den Rentenanspruch der Klägerinnen zu prüfen und zu verbescheiden. Eine gleichartige Befugnis kommt der beigeladenen LVA Oberbayern hinsichtlich der von dem verstorbenen Versicherten in Österreich zurückgelegten Beitragszeiten zu (Art 42 Abs 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über soziale Sicherheit vom 22. Dezember 1966 idF des Zusatzabkommens vom 29. März 1974 -BGBl II 1975, 254). Die Beklagte hat insoweit keine Entscheidungsbefugnis und deshalb die Akten zutreffend der Beigeladenen mit der Bitte zugeleitet, den Klägerinnen einen Bescheid zu erteilen. Eine Befugnis oder gar eine Pflicht, die Versicherungszeiten nach allen Sozialversicherungsabkommen Wartezeit-stützend zusammenzufassen, die der von mehreren bilateralen Abkommen begünstigte Versicherte in verschiedenen Ländern zurückgelegt hat - sogenannter multilateraler Effekt -, kann daher keiner der verschiedenen, nur partiell-bilateral zuständigen deutschen Vertrags-Verbindungsstellen zukommen. Es kann nicht statthaft sein, daß von zwei, drei oder etwa gar noch mehr deutschen Vertrags-Verbindungsstellen jede ermächtigt sein könnte, den multilateralen Effekt und damit den Rentenanspruch des Versicherten insgesamt und abschließend durch Bescheid nach § 1631 Abs 1 RVO - auch gegensätzlich und bindend (§ 77 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) - zu bejahen oder abzulehnen (so der erkennende Senat in BSGE 51, 5, 8 = SozR 6930 Art 27 Nr 1; ausdrücklich zustimmend Schuler/Schulte, SGb 1981, 314, 316).
Da in bezug auf einen solchen multilateralen Effekt auch kein über allen zwischenstaatlichen Einzelabkommen stehendes Völkergewohnheitsrecht, keine allgemein anerkannten Völkerrechtsregeln oder ähnliches übervertragliches Völkerrecht aufzufinden sind (vgl hierzu zB Verdross, Völkerrecht, 5. Aufl, 147 ff und 154 ff; Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, 162 ff und 166 ff), könnte es sich nur um eine Anspruchsgrundlage handeln, die im innerstaatlichen deutschen Rentenversicherungsrecht wurzelt. Dann aber kann nur derjenige deutsche Träger zur Entscheidung hierüber berufen sein, der nach den das Verwaltungsverfahren der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung regelnden bundesgesetzlichen Normen ganz allgemein über den Rentenanspruch abschließend zu entscheiden hat (der erkennende Senat aaO, 8). Bei erstmaliger Bewilligung einer Hinterbliebenenrente mit Aufenthalt der Antragsteller außerhalb des Geltungsbereiches des Gesetzes ist die LVA Rheinprovinz zuständig (§ 1630 Abs 2 Satz 2 RVO in der vor dem 1. Juli 1977 geltenden Fassung).
Der erkennende Senat hat allerdings (aaO, 8) - ua aus Gründen der Praktikabilität und der Verfahrensökonomie - eine Ausnahme von dieser bundesgesetzlichen Zuständigkeit zu Gunsten der letztentscheidenden von mehreren Vertrags-Verbindungsstellen zugelassen; diese darf, muß aber nicht über den vom Rentenantragsteller behaupteten bilateralen Effekt entscheiden. Die beklagte LVA Niederbayern-Oberpfalz ist aber nicht letztentscheidende Vertrags-Verbindungsstelle; der Vater und Ehemann der Klägerinnen hat, wie ausgeführt, Beitragszeiten auch in Österreich zurückgelegt, so daß die beigeladene LVA Oberbayern als weitere nach zwischenstaatlichem Recht berufene Verbindungsstelle noch zu entscheiden hat; ihr hat die Beklagte erst im März 1981, also lange nach Erlaß des angefochtenen Bescheides, die Akten mit der Bitte übersandt, den Klägerinnen ihrerseits einen Bescheid zu erteilen. Überdies hat die Beklagte im streitgegenständlichen Bescheid über den multilateralen Effekt überhaupt nicht entschieden.
Stützt aber das deutsch-jugoslawische Sozialversicherungsabkommen den Anspruch der Klägerinnen gegen die Beklagte auf Hinterbliebenenrente nicht, so trifft bei deren fehlenden übervertraglicher Kompetenz zur Prüfung von Versicherungszeiten des Ehemannes und Vaters der Klägerinnen in einem dritten Staat der nur partiell - bilateral wirkende Ablehnungsbescheid der Beklagten zu. Unter Abänderung der entgegenstehenden Urteile der Vorinstanzen war daher die hiergegen erhobene Klage abzuweisen.
Freilich kann im sozialgerichtlichen Verfahren nach § 75 Abs 5 SGG auch ein Versicherungsträger, der nicht beklagt ist, nach Beiladung verurteilt werden. Eine Verurteilung der beigeladenen LVA scheidet vorliegend schon deshalb aus, weil nur die Beklagte die Revision führt und sich die Klägerinnen, die in den Vorinstanzen obsiegt haben, dem Rechtsmittel nicht angeschlossen haben (§ 202 SGG iVm § 521 der Zivilprozeßordnung -ZPO-). Eine Verurteilung des in der Vorinstanz nicht beschwerten Versicherungsträgers - hier der Beigeladenen - ohne Antrag des Leistungsbewerbers, also von Amts wegen, scheidet jedenfalls dann aus, wenn der das Rechtsmittel führende, in der Vorinstanz verurteilte Versicherungsträger - hier die Beklagte - den streitigen Leistungsanspruch nicht wegen fehlender Zuständigkeit, sondern wegen fehlender sachlicher Voraussetzungen abgelehnt hat (vgl dazu BSG in SozR 4100 § 57 Nr 9).
Gleichwohl kann nicht verkannt werden, daß mit der Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen und Bestätigung des nach dem deutsch-jugoslawischen Sozialversicherungsabkommen erteilten streitigen Ablehnungsbescheids der Beklagten der Prozeßstoff noch nicht erschöpft ist; das LSG hat im angefochtenen Urteil über den auf übervertragliches Recht zu stützenden multilateralen Effekt positiv entschieden. Insoweit kann der Rechtsstreit vom erkennenden Senat aber noch nicht abgeschlossen werden: Es ist offen, ob sich der Anspruch in diesem Umfang gegen die Beigeladene oder etwa gegen die LVA Rheinprovinz richtet, die in diesem Falle erst noch beizuladen wäre; diese Beiladung darf nach § 168 SGG nicht das Revisionsgericht, sondern nur das Tatsachengericht vornehmen. Deshalb war der Rechtsstreit, soweit der Anspruch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des multilateralen Effekts zu prüfen ist, zu neuer Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Hierbei wird das LSG folgendes zu beachten haben:
Es trifft zu, daß das deutsche innerstaatliche Recht der gesetzlichen Rentenversicherung keine Normen über das Zusammenrechnen von ausländischen Versicherungszeiten bereithält, die nach mehreren, denselben Versicherten begünstigenden bilateralen völkerrechtlichen Verträgen zurückgelegt sind. Richtig ist ferner, daß selbst die Transformation des bilateralen völkerrechtlichen Abkommens ins innerstaatliche deutsche Recht, wie sie die Gesetze bewirken, mit denen ihnen der Deutsche Bundestag nach Art 59 Abs 2 Satz 1 GG zugestimmt hat, keine neuen, als Anspruchsgrundlage dienenden innerstaatlichen Sachnormen entstehen läßt. Einer Rechtsgrundlage entbehrt in gleicher Weise aber auch die Auffassung, daß zweiseitige völkerrechtliche Verträge jeweils nur für sich bestünden und niemals, auch nicht unter Heranziehung innerstaatlichen Rechts, miteinander "vermengt" oder zu einem multilateralen Netz verknüpft werden dürften (Frank, SGb 1981, 294, 295 f). Die einer solchen Behauptung zugrundeliegende völkerrechtliche Theorie des Dualismus (scharfe Trennung von staatlichem und von Völkerrecht) ist ebenso überwunden wie die monistische Theorie (Primat des staatlichen Rechts vor dem Völkerrecht; vgl hierzu zB Verdross, Völkerrecht, 5. Aufl, 111, 113; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 66 ff; Menzel/Ipsen, Völkerrecht, 2. Aufl, 49, ff; Weber/v. Wedel, Grundkurs Völkerrecht, 25 f). Nach der heute herrschenden vermittelnden Völkerrechtslehre läßt sich weder Völkerrecht noch innerstaatliches Recht in einem starren Rahmen isoliert betrachten; vielmehr wirken Völkerrecht und staatliches Recht vielfältig aufeinander ein und durchdringen sich; Konfliktsmöglichkeiten zwischen beiden Rechtsbereichen sind deshalb durchaus anerkannt (vgl Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht, 143; Menzel/Ipsen, 49 ff, 52). Dementsprechend gilt die völkerrechtliche Vertragsnorm, die - wie in der Bundesrepublik durch das vorerwähnte Zustimmungsgesetz des Bundestags nach Art 59 Abs 2 Satz 1 GG - den einzelnen erst aufgrund eines innerstaatlichen Aktes berechtigt und verpflichtet (der erkennende Senat aaO, 9), nicht allein aus sich, sondern nur aufgrund der innerstaatlichen Anerkennung und Transformierung in das staatliche Recht. Dabei erhält das transformierte Völkervertragsrecht den Rang, der dem Rang der einbeziehenden innerstaatlichen Norm entspricht: Aufgrund des Zustimmungsgesetzes nach Art 59 Abs 2 Satz 1 GG erhalten Völkerrechtsverträge also im Gefüge des innerstaatlichen Rechts den Rang eines - einfachen - Gesetzes (Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, 4. Aufl, 127; Menzel/Ipsen, aaO, 56, 57 und 68, 69); das transformierte, mit innerstaatlicher Geltung versehene Völkervertragsrecht hat daher nicht Verfassungs- oder gar Überverfassungsrang (vgl hierzu Kimminich, aaO, 259 f; Menzel/Ipsen, aaO, 62, 63); nach Art 25 GG haben nur die "allgemeinen Regeln des Völkerrechts" Vorrang vor den innerstaatlichen Gesetzen.
Insoweit sind sowohl der deutsch-jugoslawische wie der deutsch-österreichische Vertrag über Sozialversicherung in seiner innerstaatlichen Geltung den Normen des GG unterworfen, das ihnen zufolge seines Verfassungsrangs vorgeht (BVerfGE 6, 294, 295; der erkennende Senat aaO, 9). Diese allgemein anerkannte Einwirkung der vorrangigen Normen des GG auf das durch Zustimmungsgesetz transformierte Völkervertragsrecht - "Vertragsgesetz" - kann keine unzulässige "Vermengung" von Völker- und innerstaatlichem Recht sein.
Der erkennende Senat bekräftigt daher seine - bereits aaO kundgegebene - Auffassung, daß der nach § 1630 Abs 2 Satz 2 RVO, dh bundesgesetzlich zur Entscheidung berufene Rentenversicherungsträger verpflichtet ist, den geltend gemachten Rentenanspruch nach dem gesamten Bundesrecht, also nicht nur nach einer beliebigen Auswahl aus dem Bundesrecht zu prüfen. Der Versicherungsträger muß unter dem Verfassungsgebot des Art 20 Abs 3 GG seine Prüfung auf alle in der Bundesrepublik geltenden "Vertragsgesetze" erstrecken; er kann nicht nach Ermessen ein Vertragsgesetz anwenden und das andere nicht; dies ist nur auf der Argumentationsebene der Vertrags-Verbindungsstelle möglich.
Die durch das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit angeordnete lückenlose Berücksichtigung aller in der Bundesrepublik geltenden, den Rentenbewerber begünstigenden Vertragsgesetze führt dabei nicht erst aufgrund einer ausdrücklichen zusätzlichen innerstaatlichen Regelung, sondern bereits aus seiner Sachgesetzlichkeit zum multilateralen Effekt. Dieser ist nicht das Ergebnis einer Anordnung des Gesetzgebers, sondern des Zusammentreffens mehrerer gleichartiger völkervertraglicher Begünstigungen in der Person desselben Rentenbewerbers. Wie eingangs dargelegt, ist es Voraussetzung für den von den Klägerinnen geltend gemachten Hinterbliebenenrentenanspruch, daß der verstorbene Versicherte Versicherungszeiten in bestimmter zeitlicher Ausdehnung - hier 60 Kalendermonate - zurückgelegt hat (sogenannte Wartezeit). In bezug hierauf erklären es sowohl das deutsch-jugoslawische wie das deutsch-österreichische Sozialversicherungsabkommen ausdrücklich und gleichmäßig "für den Erwerb des Leistungsanspruchs" unschädlich, daß der Versicherte während seines Versicherungslebens Versicherungszeiten auch im jeweiligen Vertragsausland zurückgelegt hat; es werden auch die Versicherungszeiten berücksichtigt, die der Versicherte nach den Rechtsvorschriften des jeweils anderen Vertragsstaates zurückgelegt hat und die nicht auf dieselbe Zeit entfallen (Art 25 Abs 1 Satz 1 des deutsch-jugoslawischen Abkommens; Art 26 Abs 1 Satz 1 des deutsch-österreichischen Abkommens). Beide vom Rechtsanwender in der Bundesrepublik unterschiedslos zu berücksichtigenden Vertragsgesetze begünstigen also denselben Rentenbewerber identisch: Die in den Vertragsausländern zurückgelegten Versicherungszeiten sind vom deutschen Rechtsanwender so zu behandeln, als wären sie in der Bundesrepublik zurückgelegt. Die ausländischen Zeiten, die inländischen deutschen Zeiten gleichstehen, müssen sich in der Person des von den mehreren Vertragsgesetzen Begünstigten kumulieren; es ist nicht begründbar, daß ausländische Zeiten, denen für Grund und Höhe des inländischen deutschen Rentenanspruchs ohne Unterschied die gleiche Funktion beigelegt worden ist, jeweils nur mit der deutschen Zeit, nicht aber zugleich auch mit der ebenfalls anrechenbaren Zeit eines anderen Vertragsstaates zusammen berücksichtigt werden dürften. Eine bilaterale Trennung mehrerer denselben Rentenbewerber gleichartig begünstigender Vertragsgesetze wirkt künstlich; sie ist im Ergebnis nicht verstehbar. Auch nach dem deutschen innerstaatlichen Rentenrecht werden, wie nicht näher ausgeführt zu werden braucht, alle von verschiedenen, den Versicherungszeiten gleichgestellten anderen Zeiten zusammengerechnet (vgl zB § 1251 Abs 1 Nr 1 bis 6 RVO). Selbstverständlicher Grund hierfür ist, daß alle diese einzelnen Zeiten, mögen sie auch auf völlig unterschiedliche Tatbestände zurückgehen, bei gleicher Funktionsweise den gleichen Zweck verfolgen, nämlich den deutschen Rentenanspruch dem Grunde und der Höhe nach zu stützen. Nicht anders verhält es sich aber bei den hier streitigen, den innerstaatlichen Zeiten durch Vertragsgesetze gleicher Rechtsqualität, identischen Regelungsgehalts und gleicher Funktionsweise gleichgestellten ausländischen Zeiten; es besteht daher kein Grund, anders zu verfahren als bei den vergleichbaren innerstaatlichen Normen, auch wenn keine Vorschrift besteht, die dies ausdrücklich anordnet.
Das hiergegen vorgebrachte Argument, eine gleichzeitige Berücksichtigung aller ins innerstaatliche Recht transformierten zwischenstaatlichen Abkommen scheitere daran, daß diese jedenfalls keine Zusammenrechnung von Versicherungszeiten vorsähen, hält einer Überprüfung nicht stand. Art 20 Abs 3 GG ist, zum einen, auch ohne Ermächtigung durch einen völkerrechtlichen Vertrag anwendbar; zum anderen kennt das allgemeine Völkerrecht - Völkergewohnheitsrecht, allgemeine Rechtsgrundsätze - nur eine Grundnorm, die von allen Staaten beachtet werden muß: Kein Staat darf sich der Erfüllung seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen durch den Hinweis auf sein innerstaatliches Recht - einschließlich des Verfassungsrechts - entziehen (Kimminich, aaO, 256). Es ist aber nicht ersichtlich, wie weit sich ein Rentenversicherungsträger in der Bundesrepublik seinen Pflichten aus einem völkerrechtlichen Abkommen entzöge, weil er daneben bestehende weitere völkerrechtliche Verträge mit dritten Ländern ebenfalls berücksichtigt und anwendet; im Gegenteil erfüllt der Träger hierdurch seine ihm durch völkerrechtliche Normen auferlegten Verpflichtungen. Anderes könnte nur gelten, wenn die Anwendung des einen zweiseitigen Abkommens die Durchführung des anderen beeinträchtigte (vgl den erkennenden Senat aaO, 10). Das ist hier, wie auch die Beklagte nicht behauptet, nicht der Fall.
Das weitere Argument, die Berücksichtigung aller von dem Versicherten nach mehreren zweiseitigen völkerrechtlichen Verträgen auf dem Gebiet der Sozialversicherung zurückgelegten Zeiten führe zu einer "anderen Rechtsqualität", überzeugt nicht: Frank (aaO) weist zutreffend darauf hin, daß dann, wenn alle Staaten des Europarats der Europäischen Konvention vom 14. Dezember 1972 beigetreten sein werden, die anspruchsstützende multilaterale Zusammenrechnung von Versicherungszeiten in verschiedenen Ländern durch Art 28 aaO allgemein vorgeschrieben sein wird, alle Fälle der vorliegenden Art also im Sinne der Rechtsprechung des BSG und des erkennenden Senats gelöst sein werden. Hieraus folgt, daß die Zusammenrechnung von Zeiten nicht nur sozialpolitisch erwünscht, sondern ohne Benachteiligung der beteiligten Staaten auch übervertraglich vorgeschrieben werden kann.
Der vorliegende Fall bietet keinen Anlaß zu entscheiden, wie das in einem bilateralen Abkommen vereinbarte Verbot, Zeiten eines Drittstaates anzurechnen, rechtlich zu bewerten wäre. Die beiden auf die Klägerinnen anwendbaren völkerrechtlichen Verträge - das deutsch-jugoslawische und das deutsch-österreichische Abkommen - enthalten kein solches ausdrückliches Verbot; der Senat braucht daher nicht zu prüfen, wieweit ein solches Verbot mit übervertraglichem Völkerrecht zu vereinbaren wäre (Nichterfaßbarkeit eines Drittstaates durch bilaterale Abkommen gemäß dem pacta-tertiis-Grundsatz, vgl zB Menzel/Ipsen, aaO, 313; zur Frage der Unzulässigkeit von Verträgen zu Lasten Dritter vgl Art 34, 35 und 37 Abs 1 der Wiener Vertragsrechtskonvention vom 23. Mai 1969 - UNDoc 39/27; Verdross/Simma, aaO, 383; Menzel/Ipsen, aaO, 313; Weber/von Wedel, aaO, 107).
Der Kostenausspruch bleibt der Endentscheidung in der Sache vorbehalten.
Fundstellen